32.
Aristipp an Kleonidas.

[250] Es wäre schwer, bester Kleonidas, dir zu beschreiben, wie mir zu Muthe ward, als ich mich am dritten des letztverwichnen Munychions122 wieder in dem reizenden Landsitz unsrer Freundin befand, den ich seit dem Anfang des zweiten Jahres der fünfundneunzigsten Olympiade nicht wieder gesehen hatte. Die neun Jahre, um die ich indessen älter geworden bin, haben ihm nicht nur allen Reiz der Neuheit wieder gegeben, sondern die Wirkung seines eigenen Zaubers noch durch tausend verwandte Erinnerungen verstärkt. Als ich an ihrer Hand zum erstenmal wieder in den Garten trat, tauchten plötzlich die Bilder der schönsten Gegenden und Lustörter, die ich binnen dieser Zeit gesehen hatte, in meinem[250] Gedächtniß auf, und gewährten mir, indem sie sich an die vor mir liegenden Scenen anschlossen, einen unbeschreiblichen Augenblick. Aber fast eben so plötzlich wurden sie wieder, wie morgenröthliche Duftgestalten von der aufgehenden Sonne, von dem lebendigern Gefühl des Gegenwärtigen verschlungen. Weder Panionions liebliche Gefilde, noch die zauberischen Hügel und Thäler von Lesbos, noch das Elysische Tempe hatte ich an ihrem Arm gesehen; in keinem von jenen zweimal die schönste der Horen mit ihr gefeiert, in keinem den Bund ewiger Freundschaft am Altar der Grazien mit ihr beschworen. Welchen magischen Glanz gossen alle auf Einmal erwachenden Bilder der Vergangenheit über alles aus was ich sah, über jede Stelle, die ich betrat! über jede schattende Baumgruppe, unter welcher wir saßen, jede unter Blumengewinden hin schleichende Quelle, an deren Rande wir lustwandelten, jede dunkle Myrtenlaube, jede stille Grotte, die unsre glücklichsten Augenblicke unter den Zauberschleier des Geheimnisses bargen! – Könntest du dich wundern, daß dieß alles mein Gemüth in eine Stimmung setzte, die den Wunsch, mit welchem ich nach Aegina gekommen war, zu Hoffnung erhöhte, und, da Lais selbst durch eine gewisse, mir an ihr ungewohnte Innigkeit ihres ganzen Betragens gegen mich, ähnliche Gefühle zu verrathen schien, mich einige Tage lang glauben ließ, es könnte mir vielleicht gelingen, ihr meinen Plan für ihr künftiges Leben unvermerkt als ihr eigenes Werk in die Seele zu spielen? – Aristipp kann also auch schwärmen, wirst du denken? – Ich gesteh' es, und lasse mir's nicht leid seyn; im Gegentheil, da ich die Gabe[251] habe, daß eine getäuschte Hoffnung für mich nichts weiter ist als das Erwachen aus einem schönen Traum, so danke ich der Natur auch für jeden Genuß, den sie mir in Träumen schenkt. Aber wozu hier diese voreiligen Betrachtungen, da alles noch so lächelnde Anscheinungen hat?

Unsre Freundin hat sich in den drei Jahren, die seit unserer Zusammenkunft zu Rhodus verflossen sind, so wenig verändert, daß ihre Schönheit vielmehr noch immer im Zunehmen zu seyn, und sogar von dem frischen Glanz der ersten Jugend nichts verloren zu haben scheint. Doch auch dieß ist vielleicht nur ein täuschender Schluß von Gleichheit der Wirkung auf Gleichheit der Ursache; denn es ist nicht unmöglich, daß die größere Sicherheit immer zu gefallen, und die größere Vollkommenheit in der Kunst zu gefallen, das Wenige, was sie durch die Zeit verloren haben könnte, doppelt und dreifach ersetzt. Dem sey wie ihm wolle, gewiß ist daß ich sie noch nie so äußerst liebenswürdig, nie in einer so sanften, beinahe möcht' ich sagen zärtlichen Stimmung gesehen habe, als in den ersten Tagen unsrer Wiedervereinigung. Sie schien sich nur in dem einfachsten ländlichsten Anzug zu gefallen. Das Marmorbecken vor ihrem Schlafgemach, worein ein schelmisch lächelnder Amor das Wasser aus seiner umgekehrten Fackel gießt, vertrat diese ganze Zeit über die Dienste der krystallenen Näpfchen und Alabasterbüchsen, womit ihr Putztisch beladen zu seyn pflegt. Ein leichtes weißes Gewand, eine Rose in den kunstlos sich ringelnden Locken, ein Veilchenstrauß am Busen, waren ihr ganzer Putz. Kurz, sie spielte eine Art Arkadischer Schäferin aus der goldnen Zeit123, mit so[252] viel Natur und Anmuth, als ob sie nie etwas anders gewesen wäre. Sie schien in diesen glücklichen Tagen beinahe für mich allein da zu seyn; und ich? – du kennst meine Weise – alles Gute (und wahrlich auch das Angenehme ist gut) dankbar anzunehmen und zu genießen, ohne zu fragen, oder mir Kummer darüber zu machen, wie lang' es dauern werde. Aber wenn ich sage, daß in einer einzigen Dekade wie diese mehr Lebensgenuß ist, als in neunzig Jahren, wie man gewöhnlich zu leben pflegt, so glaube ich keinen übermäßigen Werth auf sie gelegt zu haben.

Euphranor, der auf dem Fuß einer vertrauten Freundschaft mit ihr steht, und dieses Vorzugs in mehr als Einer Rücksicht würdig scheint, hat eine Arbeit mitgebracht, womit er so eifrig beschäftigt ist, daß man ihn, außer bei Tische, nur in seiner Werkstatt zu sehen bekommen kann. Vielleicht ist dieß zwischen Lais und ihm so verabredet worden: doch halte ich ihn für edel und bescheiden genug, aus eigner Bewegung die Rechte einer ältern Freundschaft ohne Schelsucht anzuerkennen. Ueberdieß scheint mir ein geheimes Verständniß zwischen ihm und einer von den Zöglingen unsrer Freundin vorzuwalten, wodurch ihm (wofern ich recht beobachtet hätte) die Tugend der Selbstüberwindung freilich so sehr erleichtert würde, daß sie beinahe aufhörte verdienstlich zu seyn.

Euphranor ist ein eben so gelehrter als geschickter Künstler; Bildner und Maler zugleich, beiden Künsten mit gleicher Liebe zugethan, und in beiden gleich stark; was vielleicht Ursache seyn könnte, daß er in keiner die hohe Stufe der Vortrefflichkeit[253] und des Ruhms erreichen wird, die ihm nicht fehlen könnte, wenn er sich einer von beiden allein widmete. Sein Kunstsinn will sich aber um so weniger auf ein einzelnes Fach einschränken lassen, da es ihm in allen gelingt, und die Abwechslung (wie es scheint) großen Reiz für ihn hat. Was er dermalen für Lais arbeitet, ist ein goldner Becher, dessen Deckel, ein einziger herrlicher Sardonyx aus der Persischen Beute, mit halb erhobenen Figuren von großer Schönheit von ihm geziert wird. Seit kurzem hat er angefangen, sich vorzüglich mit der Wachsmalerei zu beschäftigen, die er der lebhaftern Wirkung und größern Dauerhaftigkeit wegen der gewöhnlichen mit dem Pinsel vorzieht, und zu einem bisher noch nie gesehenen Grade von Vollkommenheit zu bringen hofft. Man tadelt an seinen Werken124, daß er die Köpfe, vornehmlich an seinen heroischen Figuren, zu groß mache, worüber man sich, wenn der Tadel gegründet wäre, um so mehr verwundern müßte, da er ein Buch über die Symmetrie geschrieben hat, und sich mit dem Fleiß, womit er diesen Theil der Kunst studirt habe, nicht wenig weiß. »Daß man,« sagt er, »meine Köpfe zu groß findet, hat eine sehr natürliche Ursache: es kommt nicht daher, daß meine Köpfe zu groß, sondern daß der andern ihre zu klein sind. Uebermaß taugt in allen Dingen nichts: aber was an jedem Dinge zu viel und zu wenig ist, läßt sich nicht durch eine einzige allgemeine Formel bestimmen. Schwerlich wird man mir beweisen können, daß ich in der Proportion meiner Köpfe über die schöne Natur hinausgehe; von dem gemein angenommenen Maß hingegen entferne ich mich geflissentlich, weil der Kopf[254] unstreitig derjenige Theil ist, worin der Geist und Charakter an Menschen und Thieren sich am stärksten und deutlichsten ausspricht; wiewohl ich nie vergesse, daß alle, auch die kleinsten Gliedmaßen des menschlichen Körpers mehr oder weniger charakteristisch sind. Nur dann, wenn die Köpfe meiner Heroen durch das proportionelle größere Verhältniß, das ich ihnen gebe, nicht auch an Bedeutsamkeit und Energie gewinnen, verdiene ich Tadel, und dieß ist noch auszumachen.« Ob Euphranor Recht hat, überlasse ich deinem Urtheil. Mir sind die Köpfe in den wenigen Werken, die ich von ihm gesehen habe, nicht größer vorgekommen als sie seyn sollen. Aber das geübte und gelehrte Auge des Kenners mißt freilich schärfer, als der Blick eines bloßen Liebhabers.


Der junge Antipater, dem ich zur Belohnung seines Fleißes und guten Betragens das Glück ein paar Monate bei der schönsten Frau unsrer Zeit zu leben nicht versagen wollte, hat bereits, ohne es zu wissen oder wissen zu wollen, so viele Eroberungen gemacht, als weibliche Wesen in diesem Hause sind. Lais selbst begegnet ihm mit ausgezeichneter Achtung, und läßt ihm seit einigen Tagen sogar ziemlich deutlich merken, daß ihr die Art des Eindrucks, den sie auf ihn mache, nicht gleichgültig sey. Ich habe ihn auf nichts vorbereitet. Er soll alles mit eigenen Augen sehen, und sich in allem nach seinem eigenen Gefühl und Urtheil benehmen; und er sieht wirklich schärfer und beträgt sich männlicher, als man[255] von einem Jüngling seines Alters erwarten sollte. Ich verberge ihm so viel möglich, daß ich ihn beobachte, und erforsche nichts von ihm was er mir nicht von freien Stücken sagt. Bis jetzt habe ich noch keine merkliche Veränderung an ihm wahrnehmen können. Er spricht von dieser Frau, die noch alles, was in ihren Gesichtskreis gerieth, bezaubert hat, mit der ruhigen Bewunderung, womit er von einer schönen Bildsäule reden könnte, und scheint auch nicht mehr als für eine Bildsäule für sie zu fühlen. Er begegnet ihr mit einer Ehrerbietung, womit eine Göttin zufrieden seyn könnte; läßt sich aber dadurch nicht abhalten, bei allen Gelegenheiten herzhaft andrer Meinung zu seyn als sie, und scheint weder die mindeste Ahnung zu haben, daß er ihr durch seine kaltblütige Unbefangenheit mißfallen könnte, noch sich Kummer darüber zu machen, wofern dieß wirklich der Fall wäre.

Die Gewalt, welche die stärkste ihrer Leidenschaften, der Stolz, ihr über alle übrigen gibt, macht es schwer zu sagen, was sie bei einem ihr so ganz neuen Betragen wirklich fühlt; gewiß ist, daß man an dem ihrigen gegen ihn nicht das geringste Zeichen, daß sie sich dadurch beleidigt finde, bemerken kann. Je mehr sie sich ihm nähert, je vorsichtiger zieht er sich zurück, und je mehr er sich zurückzieht, desto eifriger verdoppelt sie ihre Bemühungen ihn anzuziehen. Keines von beiden scheint auf das Spiel des andern Acht zu geben, sondern bloß das seinige zu spielen, und es wäre seltsam genug, wenn eine so geübte Meisterin, mit so großen Vortheilen in der Hand, zuletzt doch das Spiel an einen so unerfahrnen[256] Gegner verlieren sollte. Dein junger Landsmann, sagte sie einsmals zu mir, ist in der That was du mich erwarten ließest; ich habe noch keinen Jüngling von zwanzig Jahren, mit einem Apollonskopf auf Schultern eines Meleagers125, zugleich so trotzig und so schüchtern gesehen wie ihn. Er ist eine wahre Seltenheit. Nicht daß er mir darum weniger gefiele, fuhr sie lächelnd fort: aber meine närrische Phantasie hatte sich voreiligerweise auf etwas ganz anders eingerichtet – als ob alle jungen Cyrener so dreist und zuversichtlich seyn müßten, wie mein Freund Aristipp in diesem Alter war! – Du wirst ihn schon ein wenig aufmuntern müssen, sagte ich. – »Meinst du? Sey unbesorgt, Aristipp! Es wird sich wohl geben. Ist doch Omphale mit dem Löwen-und Drachenbezwinger Hercules fertig geworden.« – Aber dießmal hatte sie sich in ihrer Rechnung geirrt; es gab sich nicht. Antipater blieb kalt und zurückhaltend, und schien es, zu meiner Verwunderung, immer mehr zu werden. Die arme Lais, der doch wahrlich nicht zuzumuthen war, sich so leicht überwunden zu geben, sah sich, da es ihr weder im Costume einer Arkadischen Hirtin noch in ihrem gewöhnlichen gelingen wollte, zuletzt genöthigt, ihre reichsten Kleiderschränke und Juwelenkästchen aufzuschließen, das ganze Belagerungszeug des Putztisches in Bewegung zu setzen, und die schlauesten Dienste ihrer aufwartsamen Grazien zu Verstärkung ihrer angebornen Reize zu Hülfe zu rufen. Sie erschien nun alle Tage in einer neuen Gestalt, bald im Glanz einer morgenländischen Fürstin, bald in der künstlich nachlässigen üppigen Zierlichkeit einer gefälligen Milesierin; sie dramatisirte sich selbst in alle mögliche[257] mythische Personen, und entwickelte in prächtigen Tanzspielen ihre feinsten Verführungskünste als Selene und Aurora, Galatea und Ariadne, Leda und Io, kurz, zeigte sich unter allen Formen in allen Farben, in allen Arten von Licht und Helldunkel. – Und wofür das alles? um den gedemüthigten Stolz ihrer sieggewohnten Schönheit an einem rohen jungen Halbwilden zu rächen, der wofern er ihr, wie alle andern Sterblichen, gleich beim ersten Anblick gebührend gehuldiget, d.i. den Verstand ein wenig verloren hätte, ihre Aufmerksamkeit schwerlich drei Tage lang fest gehalten haben möchte. Denn daß ich glauben sollte, sie habe mit allen diesen Vorkehrungen etwas andres beabsichtiget, als den Widerspänstigen erst zu überwältigen, und ihn dann, zur Strafe daß er ihr den Sieg so schwer gemacht, das ganze Gewicht ihrer Gleichgültigkeit fühlen zu lassen, dazu kenne ich sie zu gut.

Damit es aber nicht das Ansehen habe, als ob das alles einem so unbedeutenden Menschen als Antipater, geschweige denn ihm allein gelte, hatte sie mehrere Tage vorher zu Argos, Trözene, Korinth, Megara und Athen, unter der Hand bekannt werden lassen, daß es ihr angenehm seyn würde, während ihres Aufenthalts auf dem Lande so viele gute Gesellschaft zu sehen, als die Schönheit der Jahreszeit und die Vergnügungen, womit sie sich und ihre Freunde zu unterhalten gedenke, nur immer nach Aegina zu locken vermöchten. Du kannst dir leicht einbilden, mit welchem Wetteifer eine solche Einladung angenommen wurde, und welche Schwärme von müßigen Phäaciern und Penelopensfreiern126, deren Ansprüche oder Wünsche sie aufzumuntern schien, herbeigeflogen[258] kamen, in der Hoffnung die gefällige Laune der bisher so stolzen Schönen vielleicht dießmal zu ihrem Vortheil benutzen zu können. Antipater indessen schien an allen den Lustbarkeiten, die jetzt so rasch auf einander folgten, nur wenig Theil zu nehmen, und anstatt in einem so lebhaft unterhaltenen Feuer endlich zu schmelzen, vielmehr mit jedem Tage spröder und unempfindlicher zu werden. Ich gestehe, daß mir eine so hartnäckige Kälte oder Zurückhaltung an einem so kräftigen und ungeschwächten Jüngling zu wenig natürlich schien, um nicht verdächtig zu seyn. Aber wohin ich auch meine Vermuthungen richtete, nirgends zeigte sich eine Spur, die mich auf den Grund seines unerklärbaren Benehmens hätte leiten können. Er selbst zeigte sich bei allem was vorging so ruhig, und schien eine ihm so natürliche Rolle zu spielen, daß ich mich endlich gezwungen sah, entweder das seltsame Problem unaufgelöst zu lassen, oder anzunehmen, der junge Mensch besitze bereits so viel Stärke des Charakters, daß er sein Verhalten gegen Lais bloß nach reinsittlichen Grundsätzen bestimme, und die Würde unsers Geschlechts gegen die übermüthigen Anmaßungen einer von der Natur und dem Glücke allzu sehr verzärtelten Hetäre behaupten wolle, die ihr höchstes Vergnügen daran findet, so viel Sklaven als nur immer möglich vor ihren Triumphswagen zu spannen, und Begierden und Leidenschaften zu erregen, welche sie weder zu befriedigen gesonnen noch zu erwiedern fähig ist. Wahrscheinlich war eine solche Voraussetzung nicht; aber wenn ich irgend einem jungen Manne Stolz und Kaltblütigkeit genug, um so zu denken, und Stärke genug, um ein dieser Denkart angemessenes Betragen[259] sogar gegen eine Lais auszuhalten, zutrauen durfte, so war es Antipater.

Indessen hat sich's am Ende doch gezeigt, daß man in dergleichen Fällen am sichersten geht, wenn man zu ihrer Erklärung die natürlichste Ursache annimmt. Antipater hatte sie mir bisher verschwiegen, aus unnöthiger Furcht, die schöne Lais möchte Mittel finden mir sein Geheimniß abzulocken. Da ich ihm aber vor etlichen Tagen seines Heldenthums wegen eine kleine Lobrede hielt, konnte der wackere Jüngling den Gedanken nicht ertragen, mich durch sein Schweigen um eine Achtung, die er nicht verdiene, zu betrügen; und so that er mir ein Geständniß, wodurch mir nun freilich alles sehr begreiflich ward, und wovon ich nichts weiter sage, da er dir das Nähere selbst geschrieben zu haben versichert.

Lais belustigt sich inzwischen damit, sich durch eine ziemlich kostbare Selbsttäuschung nach Sardes in die Zeiten ihrer höchsten Glorie zu versetzen. Von drei oder vier Kreisen hoffender und betrogener Anbeter umgeben, lebt sie wie eine unumschränkt regierende Königin unter ihren Höflingen, verschwendet das Persische Gold wie eine ächte Griechin, und findet sich reichlich entschädiget, wenn sie sich in ihren Ruhestunden mit mir und Euphranor über die Unterhaltung lustig macht, die ihr so viele verzauberte Gecken, Thoren und Narren von allen Altern, Ständen, Charaktern und Figuren auf ihre eigenen Kosten verschaffen; während diese vielleicht über die Thörin lachen, die das eitle undankbare Vergnügen, ihre Liebhaber mit weit offnen Schnäbeln in die leere Luft schnappen zu sehen, theurer erkauft, als eine andere an ihrer[260] Stelle sich dafür bezahlen lassen würde jedermann zufrieden nach Hause zu schicken. Uebrigens muß ich ihr nachrühmen, daß sie in der Kunst kleine Gunsterweisungen zu vervielfältigen und weit über ihren wahren Werth auszubringen, eine unübertreffliche Meisterin ist. Wäre sie so gewinnsüchtig und raubgierig, als sie im Gegentheil freigebig und verschwenderisch ist, wahrlich mit diesem einzigen Talente könnte sie die reichste Person auf dem ganzen Erdboden seyn. Ueber den ungefügigen Antipater hat sie endlich ihre Partie wie eine weise Frau genommen. Sie bemerkt jetzt sein Daseyn nur selten; wenn es geschieht, beträgt sie sich eben so unbefangen und verbindlich gegen ihn wie gegen jeden andern, scheint sich aber, so oft sie ihm etwa ein paar Worte sagt, nicht zu erinnern, ihn jemals zuvor schon gekannt zu haben.

Nach allem, was du bisher gelesen hast, lieber Kleonidas, ist es wohl überflüssig, dir zu sagen was aus meinem Anschlag auf die schöne Lais geworden ist. Ich komme mir jetzt selbst mit meiner leichtgläubigen Treuherzigkeit gewaltig lächerlich vor, und gelobe der weitherrschenden Aphrodite Pandemos und allen ihren Grazien, mich in meinem Leben nie wieder so schwer an ihnen zu versündigen, um aus einer Lais, und wenn sie noch liebenswürdiger wäre als diese, eine – gute ehrliche Hausfrau machen zu wollen. Alles ist nun wieder zwischen uns wie es seyn soll, und wie es auf ihrer Seite immer war. Aber, wiewohl ich die Hoffnung, sie jemals nach meiner Idee glücklich zu sehen, auf ewig aufgebe, so erneuere ich doch zugleich den Schwur, so lange ich athmen werde ihr Freund zu bleiben. Da ihr mit dem Mehr, was[261] ich für sie zu thun fähig gewesen wäre, nicht gedient ist, so ist dieß das Wenigste was ich ihr schuldig bin.

Um dir eine Probe zu geben, wie wir uns in den zwei ersten Dekaden, so lange unsre Gesellschaft noch klein und auserlesen war, zu unterhalten pflegten, schicke ich dir die Abschrift eines großen Briefes an unsern Freund Eurybates, der in diesem Jahr einer von den sechs Thesmotheten127 von Athen ist, und, dieser Würde wegen, des Vergnügens den schönsten Theil des Jahres in Aegina zuzubringen entbehren mußte. Dieser lege ich noch die Abschrift einer großen Epistel bei, die ich von Lais, kurz vor unsrer Zusammenkunft in Aegina, erhielt. Sie enthält die sonderbare Geschichte einer von ihr an einem jungen Aspendier verrichteten Wundercur; eines von den Abenteuern, die nur ihr begegnen, und woraus sich keine andere so wie sie zu ziehen wüßte.

In drei Tagen kehre ich nach Athen zurück, mit einer Art von dunkelm Vorgefühl, daß ich – zum letztenmal in Aegina gewesen bin.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 250-262.
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