Viertes Kapitel
Merkwürdiges Beispiel von der guten Staatswirtschaft der Abderiten
Beschluß der Digression über ihr Theaterwesen

[258] Ehe wir von dieser Abschweifung zum Verfolg unsrer Geschichte zurückkehren, möchte vonnöten sein, dem geneigten Leser einen kleinen Zweifel zu benehmen, der ihm während vorstehender kurzen Abschattung des abderitischen Schauspielwesens aufgestoßen sein möchte.


Es ist nicht wohl zu begreifen, wird man sagen, wie das Aerarium von Abdera, dessen Einkünfte eben nicht so gar beträchtlich sein konnten, eine so ansehnliche Nebenausgabe, wie ein tägliches Schauspiel mit allen seinen Artikeln ist, in die Länge habe bestreiten können; gesetzt auch, daß die Dichter ohne Sold noch Lohn, aus purem Patriotismus, oder um die bloße Ehre, gedient hätten. Wofern aber dies letztere war, wird man kaum glaublich finden, daß es so manchen Theaterdichter von Profession in Abdera gegeben, und daß der große Hyperbolus, mit allem seinem Patriotismus und Eigennutz, es bis auf dramatische Stücke sollte getrieben haben.


Um nun den günstigen Leser nicht ohne Not aufzuhalten, wollen wir ihm nur gleich unverhohlen gestehen – daß ihre Theaterdichter keineswegs umsonst arbeiteten (denn das große Gesetz: »dem Ochsen, der da drischt, sollst du nicht das Maul verbinden!« ist ein Naturgesetz, dessen allgemeine Verbindlichkeit auch sogar die Abderiten fühlten), und daß, vermöge einer besondern Finanzoperation, das Stadtärarium durch das Theater eigentlich keine neue Ausgabe zu bestreiten hatte, sondern dieser Aufwand größtenteils an andern nötigern und nützlichern Artikeln erspart wurde.

Die Sache verhielt sich so. So bald die Gönner des Theaters sahen, daß die Abderiten Feuer gefaßt, und Schauspiele zum Bedürfnis für sie geworden, ermangelten sie nicht, dem Volk durch die Zunftmeister vorstellen zu lassen: daß das Aerarium einem so großen Zuwachs von Ausgaben ohne neue Einnahmequellen oder Erziehung andrer Ausgaben nicht gewachsen sei. Dies veranlaßte denn, daß eine Commission niedergesetzt wurde, welche, nach mehr als sechzig zahlbaren Sessionen, endlich einen Entwurf[258] einer Einrichtung des gemeinen abderitischen Theaterwesens vor Rat legte, den man so gründlich und wohlausgesonnen befand, daß er stracks in einer allgemeinen Versammlung der Bürgerschaft zu einem Fundamentalgesetz der Stadt Abdera gestempelt wurde.

Wir würden uns ein Vergnügen daraus machen, dieses abderitische Meisterstück auch vor unsre Leser zu legen, wenn wir ihnen Geduld genug zutrauen dürften, es zu lesen. Sollte aber irgend ein gemeines Wesen in oder außer dem heil. röm. Reiche die Mitteilung desselben wünschen: so ist man erbötig, solche auf beschehene Requisition, gegen bloße Erstattung der Schreibauslagen unentgeltlich zu communicieren. Alles, was wir hier davon sagen können, ist: daß, vermöge dieser Einrichtung, sine aggravio Publici hinlängliche Fonds ausgemacht wurden, die Abderiten wöchentlich viermal mit Schauspielen zu tractieren; sowohl Dichter, Schauspieler und Orchester, als die Herren Deputierten und den Nomophylax condigne zu remunerieren; und überdies noch die beiden untersten Classen der Zuschauer bei jeder Vorstellung viritim mit einem Pfennigbrot und zwo trocknen Feigen zu gratificieren. Der einzige Fehler dieser schönen Einrichtung war, daß die Herren von der Commission sich in Berechnung der Einnahme und Ausgabe (wegen deren Richtigkeit man sich auf ihre bekannte Dexterität verließ) um 28000 Drachmen (ungefähr dritthalb tausend Taler unsers Geldes) verrechnet hatten, die das Aerarium mehr bezahlen mußte, als die angewiesenen Fonds betrugen. Das war nun freilich kein ganz gleichgültiger Rechnungsverstoß! Indessen waren die Herren von Abdera gewohnt, so glattweg und bona fide bei ihrem Aerario zu Werke zu gehen, daß etliche Jahre verstrichen, bis man gewahr wurde, woran es liege, daß alle Jahre 2500 Taler in ihrem Stadtseckel zu wenig waren. Wie man es endlich mit vieler Mühe heraus gebracht hatte, fanden die Häupter für nötig, die Sache vor das gesamte Volk zu bringen, und – pro forma auf Einziehung der Schaubühne anzutragen. Allein die Abderiten gebärdeten sich zu diesem Vorschlag, als ob man ihnen Wasser und Feuer nehmen wolle. Kurz, es wurde ein Plebiscitum errichtet, daß die jährlich abgängigen dritthalb Talente aus dem gemeinen Schatz, der im Tempel der Latona niedergelegt[259] war, genommen werden sollten; und derjenige, der sich künftig unterfangen würde, auf Abschaffung der Schaubühne anzutragen, sollte für einen Feind der Stadt Abdera angesehen werden.

Die Abderiten glaubten nun, ihre Sache recht klug gemacht zu haben, und pflegten gegen Fremde sich viel darauf zu gut zu tun, daß ihre Schaubühne jährlich 80 Talente (80,000 Taler) und gleichwohl der Bürgerschaft von Abdera keinen Heller koste. »Es kommt alles auf eine gute Einrichtung an, sagten sie. Aber dafür haben wir auch ein Nationaltheater, wie kein andres in der Welt sein muß!« – Das ist eine große Wahrheit, sagte Demokritus; solche Dichter, solche Schauspieler, solche Musik, und wöchentlich viermal, für 80 Talente! Ich wenigstens habe das an keinem andern Ort in der Welt angetroffen.

Was man ihnen lassen mußte, war, daß ihr Theater für eines der prächtigsten in Griechenland gelten konnte. Freilich hatten sie dem Könige von Macedonien ihr bestes Amt versetzt, um es bauen zu können. Aber da ihnen der König zugestanden, daß der Amtmann, der Amtsschreiber und der Rentmeister allezeit Abderiten bleiben sollten, so konnte ja niemand was dagegen einzuwenden haben.

Wir bittens den Lesern ab, wenn Sie mit dieser allgemeinen Nachricht von dem abderitischen Theaterwesen zu lange aufgehalten worden sind. Es hat nun 6 Uhr geschlagen, und wir versetzen uns also, ohne weiters, in das Amphitheater dieser preiswürdigen Republik, wo die geneigten Leser nach Gefallen, entweder bei dem kleinen dicken Ratsherrn, oder bei dem Priester Strobylus, oder bei dem Schwätzer Antistrepsiades, oder bei irgend einer von den schönen Abderitinnen, mit welchen wir sie in den vorigen Kapiteln bekannt gemacht haben, Platz zu nehmen belieben werden.[260]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 2, München 1964 ff., S. 258-261.
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