Vierter Abschnitt.

[170] Lucian.


Ich muß gestehen, Freund Peregrin, daß du einen reichen Stoff zu Selbstgesprächen aus der Villa Mamilia mitgebracht hattest. Mit aller meiner Kälte kann ich mich doch so ziemlich in deine damalige Lage hineindenken, und ich zweifle sehr, ob sich eine schmerzlichere für einen Jüngling, der mit so hohen Erwartungen dahin gekommen war, ersinnen ließe.


Peregrin.


So wie du mich nun kennest, wirst du mir ohne Mühe glauben, daß das, was mich am meisten schmerzte, nicht der Verlust der Wollüste und Vergnügungen war, womit die schöne Römerin und ihre sinnreiche Freundin mich ein ganzes Jahr lang überfüllt hatten. Selbst die Vernichtung der schwärmerischen Hoffnungen, die mich nach Halikarnassus zogen, kränkte mich jetzt so wenig, daß ich im Gegentheil unbegreiflich fand, wie es möglich gewesen, dem Urbilde der Vollkommenheit eine Venus Urania, und dieser ein Marmorbild, das am Ende doch nur eine wollustathmende Erdentochter vorstellte, unterzuschieben. Meine ganze ehemalige Vorstellungsart hatte[171] durch eine physische Folge meiner neuen Erfahrungen eine große Veränderung erlitten. Meine Einbildungskraft war abgekühlt. Alles was in meinen ekstatischen Träumen und Gesichten Täuschung gewesen war, erschien mir jetzt auch als solche; und ich glaubte deutlich zu sehen, wofern es ja möglich wäre, zu jener einst so feurig gewünschten Erhöhung meines Wesens und Empfänglichkeit für die Einflüsse der göttlichen Naturen zu gelangen, so müßte es wenigstens auf einem ganz andern Wege geschehen, als auf dem, der mich an der Hand der sehr unächten Tochter des Apollonius in die Arme einer Venus Mamilia geführt hatte.

Aber, wenn gleich die Phantomen, die ich ehemals als Wahrheit liebte, verschwunden waren, so war doch der Raum noch da, den sie eingenommen hatten; und dieses ungeheure Leere wieder auszufüllen, wurde nun das dringendste meiner Bedürfnisse. Ich hatte mich verirrt; aber das Ziel, wohin ich wollte, stand noch immer unverrückt, als der einzige Zweck meines Daseyns, in dunkler Ferne vor meinen Augen; und bis ich den rechten Weg dahin gefunden hatte, war keine Ruhe noch Glückseligkeit für mich. Mein Zustand in dieser Gemüthslage ist der dunkelste Schatten im Gemälde meines Erdelebens, woraus ich dir jetzt die lichtesten Stellen aushebe. Alles, was ich mich davon erinnern kann, ist, daß es mir unmöglich schien, aus dieser Leerheit, diesem Hin- und Herschwanken, dieser immer getäuschten Bestrebung in einem bodenlosen Moore Grund unter mir zu finden, mich jemals heraus zu arbeiten, und daß mir diese Unmöglichkeit endlich unausstehlich wurde. Ich irrte von einem Orte zum andern, und konnte[172] nirgends bleiben. Da ich mich aber, nachdem auf diese Weise mehrere Monate verstrichen waren, jetzt vor allen Nachstellungen der Römerin sicher hielt, kehrte ich nach der Ionischen Küste zurück, und langte zu Anfang der schönen Jahreszeit in Smyrna an, ohne daß die körperliche Stärkung, die mir dieß mühsame Herumwandern verschaffte, eine merkliche Erheiterung meines Gemüthes hätte bewirken können.

Zu Smyrna war meine erste Sorge, den alten Menippus zu besuchen, der ohne seine Schuld die Veranlassung zu allen Abenteuern gegeben hatte, welche mir seit unserer ersten Zusammenkunft zugestoßen waren: aber ich fand ihn nicht mehr unter den Lebenden. Der Anblick einer unzähligen Menge von Fremden, wovon dieser große Handelsplatz wimmelte, und worunter ich viele Aegyptier, Syrer und Armenier sah, weckte jetzt auf einmal den Gedanken wieder in mir auf, der mich vor anderthalb Jahren nach Smyrna geführt hatte; und ich beschloß, zu Ausführung desselben mich an Bord des ersten Schiffes zu begeben, daß nach Laodicea abgehen würde.

Während ich die Anstalten zu einer so langen Reise machte, traf es sich eines Tages, daß mir auf einem einsamen Spaziergange, den ich in einer Gegend des Ufers, wo der Fußtritt eines Menschen etwas Seltenes war, beinahe alle Abende zu machen pflegte, ein Mann in den Wurf kam, der hier eben so fremd zu seyn schien als ich, und durch seine Gestalt und Miene sowohl als durch seine Kleidung, die einen Syrer oder Phönicier vermuthen ließ, meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Nie sah ich so viel Tiefsinn mit so viel Feuer, einen so finstern Blick mit einer so offnen Stirn, und etwas so Anziehendes mit[173] einem solchen Ehrfurcht-gebietenden Ernst in Einem Gesichte vereinigt. Ich fand ihn, indem ich um die Ecke eines vorragenden Felsen herumkam, in einer natürlichen Nische, welche die Zeit in den Felsen gegraben hatte, auf einem Steine sitzen, mit einem aufgerollten Buche auf seinem Schooße, in dessen Lesung er begriffen war, als ihn meine unvermuthete Erscheinung aufzuschauen bewog. Er warf, unter seinen schwarzen überhängenden Augenbrauen hervor, einen scharfen Blick auf mich, und fuhr wieder fort in seinem Buche zu lesen. Ich weiß nicht welcher geheime Zug sich bei seinem Anblick in mir regte. Meine erste Bewegung war, mich ihm zu nähern: aber ich sah so wenig Einladendes in seinem Auge, daß ich es nicht wagte. Ich ging tiefer in den Wald hinein, der sich auf dieser Landspitze bis nah ans Ufer erstreckte, und als ich zurückkam, fand ich den Unbekannten nicht mehr.

Des folgenden Abends trieb mich ein mehr als gewöhnlicher Grad von Trübsinn abermals in diese Gegend. Ich sah mich lange vergebens nach dem Fremdling um, den ich, ohne zu wissen warum, hier wieder anzutreffen hoffte. Alles weit umher war einsam, still und schauervoll. Meine Gedanken wurden immer trüber. Ich stand mit gesenkter Stirn, an den Rumpf einer alten Eiche gelehnt, als ich auf einmal den Fremden gewahr ward, der langsam bei mir vorüber ging. Er hielt einen Augenblick still, heftete einen Blick auf mich, der mir bedeutungsvoll schien, wiewohl ich ihn nicht entziffern konnte; und als ich, nach einigem Zaudern, zum Entschluß kam ihm zu folgen, war er wieder verschwunden.

Der Mann fing an mich zu beunruhigen. Ich entfernte[174] mich; aber sein Bild folgte mir; ich konnte mich nicht davon los machen, und es kam mir sogar im Schlafe wieder vor. Etwas, das ich mir selbst nicht erklären konnte, hielt mich am dritten Abend zurück, den einsamen Ort, wo ich diese sonderbare Erscheinung schon zweimal gehabt hatte, zum drittenmale zu besuchen: aber ein eben so unerklärbares Etwas zog mich beinahe wider meinen Willen dahin. Ermüdet setzte ich mich auf den Stein, wo der Unbekannte neulich gesessen hatte, und hing, den Kopf auf den rechten Arm gestützt, meinen gewöhnlichen Gedanken nach, als er plötzlich wieder vor mir stand.


Lucian.


Man muß gestehen, Peregrin, deine Abenteuer haben alle einen ganz eigenen Anfang – immer so feierlich! so geheimnißvoll!


Peregrin.


Das ist das letzte, Lucian, das sich so anfängt; und wiewohl meine Neugier gereizt war, so gewann doch der Unbekannte durch diese ungewöhnliche Art meine Bekanntschaft zu suchen nichts, als daß ich alle meine Klugheit (welches freilich nicht viel gesagt ist) aufbot, um auf meiner Hut gegen ihn zu seyn. Dioklea hatte mich mißtrauisch gemacht.


Lucian.


Und doch wollte ich wetten, mit allem deinem Mißtrauen wurdest du so gut wieder betrogen, als du dich mit der reizenden Kallippe, dem schönen Gabrias, und der göttlichen Dioklea betrogst, da du lauter Vertrauen warst.


Peregrin.


Alles zu seiner Zeit, lieber Lucian. – Sobald der Unbekannte[175] nahe genug war, daß ich nicht zweifeln konnte seine Absicht sey mich anzureden, stand ich auf, als ob ich ihm meinen Sitz überlassen wollte, und machte eine Bewegung mich zu entfernen, aber wie einer der erst ein Band zerreißen muß, wodurch er zurückgehalten wird. – Wie, Peregrinus? sprach der Unbekannte mit einem Tone, der sogleich den Weg zu meinem Herzen fand, und einem Blicke, der wie ein Lichtstrahl in das Dunkle meiner Seele drang, – du fliehest vor deinem guten Genius? – Bei dieser Anrede blieb ich stehen, und raffte alle Kälte, die ich in meine Gewalt bekommen konnte, zusammen, um ihm statt der Antwort mit einer so ungläubigen als befremdeten Miene ins Gesicht zu sehen. Aber ich zweifle sehr, daß der Erfolg meinem Willen gehorsam war. Denn, indem ich es sprach, lief mir ein Schauder durch alle Adern, und das unfreiwillige Erstaunen, mich von einem so sonderbaren Unbekannten mit einer so seltsamen Anrede bei meinem Namen nennen zu hören, verschlang in einem Augenblicke mein Bestreben, dieses außerordentliche Wesen durch eine angenommene Kälte von mir zurück zu schrecken.


Lucian.


Da haben wir's!


Peregrin.


»Kannst du, fuhr er in eben dem herzgewinnenden Tone fort, kannst du glauben, daß uns ein bloßer Zufall hier zusammengebracht habe? Es gibt keinen Zufall, Peregrin! Wir sollten uns finden, und wir fanden uns.«

Ich fühlte mich überwältigt. Ich setzte mich wieder auf[176] meinen Stein, und der Unbekannte ließ sich mir gegenüber auf einem bemoosten Felsenstücke nieder.

»Du fliehest die Menschen (fuhr er fort, da meine Zunge noch immer gebunden schien), du suchst die Einsamkeit, suchest Ruhe, und lebst im Kriege mit dir selbst, sehnest dich nach dem Licht, und taumelst in der Finsterniß. Noch so jung an Jahren, an Erfahrung schon so reich, was hast du an Weisheit gewonnen? Vor wenig Monaten noch eine so schöne Blume, wo ist der Glanz deiner Blüthe? Empusen in Lichtgestalten haben ihn mit ihrem Hauche befleckt! Der stolze Ixion glaubte die Königin der Götter zu umarmen; noch glücklich, wenn die vermeinte Göttin an seinem Busen in eine Wolke zerflossen wäre! Aber er selbst schmolz in den Armen einer Sirene hin.«

Und dieß alles liesest du in meinem Gesichte? rief ich mit Erstaunen und Bestürzung aus: wunderbares Wesen, wer bist du?

»Nicht wofür du mich vielleicht hältst, wiewohl mehr als ich scheine. Du bist lange genug getäuscht worden, Peregrin! es ist Zeit, daß dir der Weg der Wahrheit aufgeschlossen werde. Ich nannte mich deinen guten Genius, denn ich vertrete seine Stelle bei dir; und, wiewohl ich im Grunde nicht mehr bin als du selbst, so kann ich doch, in der Hand dessen dem ich diene, ein Werkzeug deiner Rettung werden.« –

Du begreifst, lieber Lucian, daß mein Erstaunen mit jedem Augenblicke wachsen mußte. Wie konnte der Unbekannte mit den geheimsten Umständen meiner Geschichte so vertraut seyn, als ob er wirklich mein Genius wäre?


[177] Lucian.


Dein alter Bedienter wird wieder geschwatzt haben.


Peregrin.


Da hätte er mehr sagen müssen als er selbst wußte.


Lucian.


Er wußte doch etwas, wenn schon nicht alles; und ein so schlauer Mann, als mir dein Unbekannter scheint, brauchte zu dem, was ihm deine eigene Gegenwart sagte, nur einige Bruchstücke von Nachrichten, um das Räthsel deiner Person ziemlich leicht aufzulösen.


Peregrin.


In der That vermuthete ich selbst so etwas, und dieser Gedanke gab dem letzten Funken von Mißtrauen, den die Offenheit des Unbekannten in mir übrig gelassen hatte, noch so viel Nahrung, daß seine Reden nicht die ganze Wirkung auf mich thaten, die er erwarten konnte. Aber auch dieß las er in meinem Gesichte. »Mich wundert nicht, fuhr er fort, daß du unschlüssig bist, was du von mir denken sollst. Nichts ist was es scheint, wiewohl dem Erleuchteten alles scheint was es ist. Die Natur ist eine Hieroglyphe, wozu wenige den Schlüssel haben, und der Mensch kennet alles andre besser als sich selbst. Er gleicht einem ausgesetzten Königsohne, der, von Hirten erzogen, in schlechter Gesellschaft, unter tausend verworrenen Zufällen und Abenteuern grau ward, ohne von seinem Ursprung und von dem, wozu er geboren war, einige Ahdung gehabt zu haben. Was für Trost hat der Blinde davon, daß rings um ihn her Sonnenschein ist? Was hilft dem Bettler das Gold in den Eingeweiden der Erde? Das[178] Leben des Menschen, das sein Alles scheint, ist nichts; immer von einem Augenblicke verschlungen, der schon dahin ist ehe man gewahr wurde daß er da war, ist es nichts! Aber, – o möchten's die Menschen wissen! möcht' es ihnen der Donner, der die Todten wecken wird, in die Seele donnern! – es ist mit der Zukunft schwanger, die alles ist.«

Mein Unbekannter gab dieses sonderbare Orakel mit einer Begeisterung, einem Feuer in den Augen, einem, ich weiß nicht welchem mehr als menschlichen Klang der Stimme, von sich, daß ich davon ergriffen wurde, und den Muth verlor, ihn zu fragen was er damit wollte. Nachdem wir beide eine ziemliche Weile geschwiegen hatten, nahm er das Wort wieder, und sagte in einem sanftern, aber nach und nach immer feierlicher werdenden Tone: »Du bist zu einer großen Bestimmung berufen, Peregrin! – Eine mächtige Stimme vom Himmel ist durch alle Lande erschollen. Der Eingeladenen sind viele, aber die Zahl der Erwählten ist klein. Wir stehen am Rande einer furchtbaren Umkehrung der Dinge. Das Licht ist mitten aus der Finsterniß hervorgebrochen, das Reich der Dämonen und ihrer Diener naht sich einem schrecklichen Ende. Schon ist die Stadt Gottes herabgestiegen, durch das Licht selbst, das von ihr ausstrahlt, den geblendeten Augen der Unheiligen noch verborgen: aber sie wird plötzlich, gleich der Morgensonne aus Wolken, hervorbrechen; die Völker der Erde werden sich zu ihr versammeln, und jeder ihrer Strahlen wird ein Blitz seyn, der die Feinde des Lichts verzehren wird.«


[179] Lucian.


Immer besser! Ich erkenne deinen Mann an dieser Weissagung. Die wackern Leute, zu denen er gehört, bedrohten die Welt so lange mit einer fürchterlichen Umkehrung der Dinge, bis sie es in ihre Macht bekamen, die Drohung wahr zu machen.


Peregrin.


Er hielt abermal ein, und heftete einen Blick auf mich, der mein Innerstes durchforschen zu wollen schien. Ich gestehe dir, daß die Spitzen meiner Haare sich zu bewegen anfingen. So hatte ich noch keinen Menschen sprechen gehört! Ohne zu verstehen was er wollte, fühlte ich alle Kräfte meines Wesens durch seine Reden erschüttert; geheime Ahnungen stiegen in mir auf; mir war nicht anders, als ob ich dem Augenblick einer großen Veränderung nahe sey. Indessen hatte ich mich doch, nach einer ziemlich langen Pause, so zusammen genommen, daß ich eben die Lippen öffnen wollte, ihn zu bitten, daß er sich über die geheimnißvollen Dinge, die er mit der Begeisterung und der Gewißheit eines Propheten vorgebracht, deutlicher gegen mich erklären möchte; als er mir zuvorkam, und in einem viel ruhigern Tone fortfuhr: »Fasse dich, Peregrin! – Ich habe dich in Erstaunen gesetzt. Es war nöthig, um den erstorbenen Keim des Lebens in deinem Innersten wieder zu erwecken. Du bist gefallen, aber du wirst dich wieder erheben. Ich sehe das Zeichen der Erwählung auf deiner Stirne. Von nun an haben die Dämonen, in deren Schlingen du dich zu Halikarnaß verfingest, keine Gewalt mehr über dich. Reinige dein Gemüth mit[180] Strenge gegen dich selbst von jeder körperlichen Befleckung! Nur durch Ertödtung des thierischen Menschen wird der geistige ins Leben geboren; und keine andern als diese können Bürger der heiligen Gottesstadt werden, in die ich dich einen Blick des Geistes thun ließ. Noch einmal, Peregrin, das Reich des Lichtes ist nahe – es hat schon angefangen – unwissend und als ein Fremdling, wie dein Name sagt, stehst du bereits in seiner Mitte. Bald wird die Decke von deinen Augen fallen; du wirst in Mysterien, wovon jene zu Eleusis nur täuschende Schatten sind, zum Anschauen eines ganz andern Lichtes kommen, und ein ganz andrer Führer der Seelen, als jener fabelhafte Hermes, wird das Göttliche in dir zu seinem Ursprung zurückführen! – Dann wirst du mein Bruder seyn, Peregrin! wirst die Stimme des hohen Berufs hören, zu welchem du erwählt bist, und der Ehre theilhaftig werden, ein Mitarbeiter an dem glorreichsten aller Werke zu seyn, und unter dem Scepter des großen Eingebornen die neu geschaffene Erde regieren zu helfen.«


Lucian.


Das war viel auf einmal, guter Peregrin! Nach einer solchen Weissagung wird wieder eine ziemliche Pause erfolgt seyn?


Peregrin.


Der Unbekannte ergriff bei den letzten Worten meine Hand, drückte sie mit Inbrunst, und stand auf. »Ich sehe, sprach er mit gerührter Stimme, dein Herz ist voll; allein mehr zu sagen ist mir nicht erlaubt. Ich stehe unter einem höhern Befehl. Ich muß dich verlassen. Am siebenten Tage nach dem[181] nächsten Neumond werden wir uns zu Pergamus wiedersehen.« – Und hiermit küßte er mich mit einem Blick voll Liebe und Vertrauen auf die Stirn, entfernte sich eh' ich ein Wort sprechen konnte, und verlor sich zwischen den Felsen aus meinen Augen.

Ich stand in einer unfreiwilligen Bewegung auf, als ob ich ihm folgen wollte: aber die Furcht ihm zu mißfallen zog mich schnell zurück. Mit einem in der That sehr vollen Herzen setzte ich mich auf den Stein, wo dieser wunderbare Sterbliche oder Genius gesessen hatte. Seine Stimme schien noch leise um die Felsen zu tönen, von denen ich eingeschlossen war; von seinen Reden war kein Wort aus meinem Gedächtniß entschlüpft; noch hörte ich sie alle in meinem Innern widerhallen, und ich blieb, in tiefes Nachdenken über ihren Inhalt versunken, so lange sitzen, bis die einbrechende Nacht mich endlich nöthigte nach meiner Wohnung zurückzukehren.

Hier war mein Erstes, meinen alten Freigelass'nen in die schärfste Untersuchung zu nehmen, ob er es sey, der den Unbekannten mit dem geheimern Theile meiner Begebenheiten so vertraut gemacht habe? Aber es fand sich, daß der Alte ihn weder selbst gesehen, noch mit irgend einem andern, von welchem jener seine Nachrichten hätte ziehen können, ein Wort von mir und meinen Angelegenheiten gesprochen hatte.


Lucian.


Und was schlossest du hieraus?


Peregrin.


Eigentlich zu reden, nichts: aber ich machte mir doch selbst einen Vorwurf darüber, daß ich, nach allem was ich von[182] dem Unbekannten mit meinen Augen gesehen und aus seinem Munde gehört hatte, noch eines Mißtrauens gegen ihn fähig sey.


Lucian.


An diesem Zug erkenn' ich dich, Freund Peregrin: diese Gemüthsbeschaffenheit war es eben, die dir immer alle Vortheile, die du aus deinen Erfahrungen hättest ziehen können, rauben mußte.


Peregrin.


Du wirst dich um so weniger wundern, daß ich so leicht in die Falle des Unbekannten einging (wofern wir es anders, durch ein etwas vorschnelles Urtheil, für eine Falle erklären wollen) wenn du bedenkst, wie dringend bei mir das Bedürfniß war, das Leere, das meine letzte Entzauberung in meiner Seele zurückgelassen hatte, wieder auszufüllen; und daß die Harmonie in meinem Innern durch nichts andres hergestellt werden konnte, als indem die ganze Thätigkeit meines Geistes wieder auf den großen Zweck gerichtet wurde, der, wiewohl ich ihn auf einem Irrwege verfehlt hatte, nicht aufhörte, noch ohne eine gänzliche Verwandlung meines Ich's aufhören konnte, das Ziel meiner ewigen Sehnsucht zu seyn. Mir war, als ob mich die Reden des Unbekannten mit einer neuen Lebenskraft angeweht hätten. Ihre Beglaubigung war in meinen eigenen Gefühlen und Wünschen. Sie blieben mir, wie sein Bild, immer gegenwärtig; mit jeder Erinnerung senkten sie sich tiefer in meine Seele ein, und sein Abschiedskuß brannte noch lange auf meiner Stirne.


Lucian.


Ganz gewiß wußte dein Unbekannter auch dieß voraus![183] Der verstand sich auf die prophetische Kunst! Und mit welcher Sicherheit er vorhersagte, ihr würdet euch am siebenten Tage nach dem ersten Neumond wiedersehen! Das ist doch keine Begebenheit, die sich so voraus berechnen läßt wie eine Mondsfinsterniß! Und er, er bestimmt nicht nur den Tag; er nennt dir, damit du ihn ja nicht verfehlen könnest, sogar den Ort, wo ihr euch wiederfinden würdet. Der große Prophet! Wie gut er seinen Mann kannte!


Peregrin.


Spotte nicht, Lucian! So simpel die Sache scheint, so gehörte doch vielleicht ein Mann von ungewöhnlichem Geiste dazu, ein so simples Mittel, seiner Sache gewiß seyn zu können, zu finden. Du wirst über meine Einfalt lachen; ich gestehe dir aber aufrichtig, daß ich mir damals eben so wenig zu erklären wußte, wie der Unbekannte wissen könnte daß wir uns zu Pergamus wiedersehen würden, als woher er meinen Namen und meine Begebenheiten zu Halikarnaß erfahren habe.


Lucian.


Und doch hattest du nichts Eilfertigeres zu thun, als den Ort und den Tag in dein Denkbuch einzuzeichnen?


Peregrin.


Ich that es wirklich, wiewohl ich meinem Gedächtniß auch ohne diese Beihülfe hätte trauen dürfen; aber als ich es that, war ich weit von dem Vorsatz entfernt, die Vorhersagung durch eine freiwillige Reise nach Pergamus wahr zu machen. Indessen wurde doch nach einem vierzehntägigen Aufenthalt zu Smyrna, wo die einsame Felsengegend alle Abende einen Besuch bekam, unvermerkt Anstalt gemacht, von Smyrna nach[184] Kyme, von Kyme nach Myrina, von Myrina nach Grynion vorzurücken, ohne daß sich ein wesentlicherer Beweggrund hätte angeben lassen, als daß ich dem gebenedeiten Pergamus dadurch immer näher kam.


Lucian.


Darf ich dich, weil wir doch (wie es scheint) jetzt zu deiner Verbindung mit den Christianern gekommen sind, ohne Unterbrechung fragen, ob du vor dem Tage, der dich mit dem Unbekannten zusammenbrachte, niemals Neugier oder Gelegenheit hattest, diese Leute näher kennen zu lernen? Eine aus Palästina entsprungene Secte, die einen gekreuzigten Gott zum Stifter hatte, und sich eines Geistes rühmte, welcher Galiläischen Fischern die Gabe mittheilte alle Sprachen des Erdbodens zu reden, eine Secte, welche die reinsten und erhabensten Grundsätze der Philosophie mit allem, was der Magismus Schwärmerisches hat, in Verbindung zu bringen wußte, und sich einer Menge von Mitgliedern rühmte, die durch die bloße Kraft ihres Glaubens, oft an Einem Tage, mehr und größere Wunder gewirkt haben sollten, als dein Apollonius von Tyana in seinem ganzen Leben, – eine solche Secte, sollte man denken, hätte eine Imagination wie die deinige um so mehr reizen sollen, da sie einen so dichten Schleier um ihre Mysterien zog, und überdieß durch Beispiele der größten Standhaftigkeit und einen mehr als Pythagorischen Gemeingeist die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.


Peregrin.


Beinahe möchte ich deine Frage auf dich selbst zurückdrehen; denn für einen so eifrigen Menschenforscher, wie du[185] warst, scheinst auch du ehemals um eine genauere Kenntniß der Christianer wenig bekümmert gewesen zu seyn.70


Lucian.


Die rechte Antwort auf diese Gegenfrage würde uns zu weit aus dem Wege führen, Freund Peregrin. Und dann wirst du mir erlauben zu sagen, daß der Fall bei dir und mir nichts weniger als eben derselbe war. Ich hatte einen natürlichen Abscheu vor dieser Art von Leuten; dich zog eine natürliche Sympathie zu ihnen.


Peregrin.


Also kurz, lieber Lucian, die Ursache, warum ich in der That nie neugierig gewesen war die Christianer näher kennen zu lernen, war die einfachste von der Welt; denn es war ungefähr eben dieselbe, warum ich nie daran dachte, mit den seltsamen Geschöpfen, womit du in deiner wahren Geschichte den Mond und die Sonne bevölkert hast, Bekanntschaft zu machen. Du wirst dich erinnern, daß zu unsern Zeiten in guter Gesellschaft entweder gar nicht, oder nur mit Verachtung von den Christianern gesprochen wurde. Zu Parium hatte ich kaum ihren Namen nennen gehört, und zu Athen auch diesen nicht. Mein Großvater hegte aus mancherlei Ursachen einen gränzenlosen Abscheu vor Juden und Judenthum; seine Vorurtheile gegen sie waren vielleicht zum Theil ungerecht, aber sie waren unheilbar: und weil die Christianer für eine Jüdische Secte galten, und, was noch schlimmer war, für eine, die sogar von den Juden selbst aus ihrem Mittel ausgestoßen worden; so glaubte man ihnen kein Unrecht zu thun, wenn man das Schlechteste von ihnen dachte und sagte, zumal da ein so weiser und[186] gerechter Fürst wie Trajan, und Männer wie Plinius und Tacitus71 keine bessere Meinung von ihnen gehegt hatten. Mit diesen Vorurtheilen gegen Juden und Christianer aufgewachsen, hatte ich es, wie gesagt, nie der Mühe werth gehalten, mich genauer nach ihnen zu erkundigen; und wiewohl mein Unbekannter, wie du bemerkt hast, ein Christianer war, und sogar eine wichtige Person unter ihnen vorstellte, so kam doch damals, eben darum weil er mir Ehrfurcht und Vertrauen einflößte, kein Verdacht in meine Seele, daß er zu einer so verächtlichen Menschenclasse gehören könnte. Denn dieß war sie in meinem Wahne so sehr, daß, wiewohl ich wußte daß sich eine zahlreiche Gemeine derselben zu Smyrna befand, mir gar nicht einfiel, die geringste Nachfrage ihrenthalben zu thun.


Lucian.


Der Unbekannte scheint gute Nachrichten von dir gehabt zu haben. Denn nun sehe ich offenbar, daß er sich deiner zuvor versichern wollte, eh' er es wagte sich vor dir zu einem Namen zu bekennen, gegen welchen du so stark eingenommen warst. Würde er sonst Bedenken getragen haben, dich mit den Christianern zu Smyrna in Bekanntschaft zu bringen?


Peregrin.


In der That wußte er mehr von mir als ich ihm zutraute. Aber das letztere zu unterlassen, mochte er wohl noch einen andern Beweggrund haben: denn er war das Haupt einer von den vielen besondern Secten, in welche sich die Christianer um diese Zeit zu spalten anfingen; und da die Gährung, welche seine Lehre in der Gemeine zu Smyrna verursachte, damals gerade am stärksten war, würde es auf[187] keine Weise klug von ihm gewesen seyn, mich in einem so kritischen Augenblicke zum Zeugen derselben zu machen. Aber durch alle diese Aufklärungen laufen wir der Geschichte vor.

Ich hatte bald nach meiner Ankunft zu Smyrna von meinem Vater verschiedene Aufträge erhalten, die mich nöthigten meinen Aufenthalt an diesem Orte zu verlängern. Je weniger diese Geschäfte mit dem, was mir jetzt allein am Herzen lag, gemein hatten, desto mehr nahm meine Sehnsucht, den Unbekannten wieder zu sehen und den Aufschluß seiner geheimnißvollen Eröffnungen von ihm zu erhalten, mit jedem Tage zu. Als meine Geschäfte geendiget waren, fehlten noch fünf bis sechs Tage bis zum siebenten nach dem Neumond. Ich verließ Smyrna, weil ich nichts mehr da zu thun hatte: aber zu Mitylene warteten neue Aufträge auf mich, und überdieß sollte ich sobald als möglich nach Parium zurückkehren. Was war also natürlicher, als von Smyrna gerade nach Mitylene, und von Mitylene nach Hause zu reisen? Wozu diese Landreise nach Pergamus, die mich so weit von mei nem Wege abführte – als die Weissagung des Unbekannten wahr zu machen, welcher, wofern ich den Ausrechnungen der kalten Vernunft, und dem, was im Grunde meine Pflicht war, mehr Gehör gegeben hätte, als meinem Hang zum Außerordentlichen, unstreitig dießmal zum Lügenpropheten geworden wäre. Aber wirklich wurde der Drang nach Pergamus zu gehen unvermerkt so stark, daß ich keinen Willen in mir fand, nur zu versuchen ob ich ihn überwältigen könnte. Das Sonderbarste an der Sache ist, daß die Vorhersagung des Unbekannten dadurch, daß ich sie vorsetzlich[188] wahr machte, nichts von ihrem Wunderbaren in meinen Augen verlor: denn woher hätte er voraus wissen können, dachte ich, daß ich so viele Beweggründe, einen ganz andern Weg zu nehmen, dem bloßen Verlangen ihn wieder zu sehen aufopfern würde, wenn er nicht die Gabe hatte, Gesinnungen in meiner Seele vorauszulesen, die in vielen Tagen erst entstehen sollten?


Lucian.


Mit Personen von so gutem Willen ist es in der That eine bequeme Sache ein Wundermann zu seyn.


Peregrin.


Wie wollten die Wundermänner auch zurechte kommen, wenn es nicht solche gutwillige, jeder Täuschung immer selbst entgegen kommende Seelen in der Welt gäbe? Dieß war also auch hier der Fall. Ich reisete so eilfertig, als ob mir alles daran gelegen gewesen wäre, die Weissagung meines Unbekannten ja nicht zu Wasser werden zu lassen, und langte schon am sechsten Tage nach dem Neumond zu Pergamus an, wo ich den ganzen Abend damit zubrachte, mich allenthalben, wo er zu finden seyn konnte, nach ihm umzusehen. Allein seine Stunde war noch nicht gekommen. Mein Glaube wurde dadurch nicht erschüttert, aber meine Ungeduld nahm überhand. Endlich ward ich des folgenden Tages einen Sklaven gewahr, der mir eine Zeit lang von ferne bald zur Seite gegangen bald nachgefolgt war, und mich sehr aufmerksam zu betrachten schien. Ich blieb bei einem alten Denkmale an einem wenig gangbaren Platze stehen; der Sklave näherte sich mir endlich, fragte mich sehr demüthig mit[189] leiser Stimme, ob ich Peregrinus von Parium sey? und da ich es bejahte, überreichte er mir einen versiegelten Zettel, der nichts als diese Worte enthielt: »Folge diesem wohin er dich führen wird« – mit der Unterschrift, der Unbekannte von Smyrna. Der Sklave sagte hierauf: wenn ich diesen Abend um die vierte Stunde nach Sonnenuntergang mich an einem gewissen Platze einfinden wollte, würde er mich dahin führen wo man mich erwartete. Ich versprach es. Die Stunde kam, ich begab mich an den bestimmten Ort, und bald erschien auch der Sklave wieder, und brachte mich durch eine Menge enger Gassen an eine kleine Thür, die uns, auf ein Zeichen das er gab, von innen aufgemacht wurde.

Ich folgte ihm an seiner Hand durch einen finstern Gang in ein kleines Gemach, das er hinter mir verschloß. Auch dieser Winkel war ohne Licht, hatte aber eine viereckige Oeffnung, die mit einem so durchsichtigen Flor bedeckt war, daß sie die Stelle eines Fensters vertreten konnte. Ich wurde bald gewahr, daß diese Oeffnung durch die Mauer einer Scheune ging, welche von einigen Lampen ziemlich schwach erleuchtet war. So viel ich sehen konnte, befand sich hier eine Anzahl Personen von allerlei Alter, Geschlecht und Stande versammelt, die in großer Stille auf verschiedenen Reihen von Bänken um einen Tisch herum saßen, der einige Stufen über den Boden der Scheune erhöht und mit einem Teppich zugedeckt war.

Ich hatte kaum Zeit dieß alles zu bemerken, als ein Mann in einem langen leinenen Gewande, ein großes purpurnes Kreuz auf der Brust, mit einem Rauchfaß hereintrat,[190] und die Scheune mit Wolken von Weihrauch erfüllte; eine Ceremonie, die meiner Nase um so willkommner war, da ihr der dumpfige Geruch des Ortes und die Atmosphäre der anwesenden Personen beschwerlich zu werden anfing, und leicht den Verdacht hätte erregen können, daß ich mich nicht in der besten Gesellschaft befinde, wiewohl ich zu merken anfing, daß ich unter Christianern sey. Bald darauf erschien ein anderer, ungefähr eben so gekleidet, stellte sich vor den Tisch, und begann eine Art von Wechselgesang anzustimmen, wobei die Gemeine von Zeit zu Zeit, mit halber Stimme und mit ziemlich genauer Beobachtung der Modulation und des Rhythmus, einfiel und dem Sänger zu antworten schien. Ich konnte zwar mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit nur einzelne Worte dieser Litanei (wie es die Christianer nennen) verstehen; allein das Feierliche dieses sehr einfachen und um so herzrührendern Gesangs, weil er bloße Sprache des innigsten Gefühls der Singenden zu seyn schien, wirkte mit seiner vollen Kraft auf meinen innern Sinn, und erregte (zumal da der Sabäische Wohlgeruch den ersten widrigen Eindruck verschlungen hatte) unvermerkt ein leises Verlangen in mir, mit den guten Wesen, die sich mir durch diesen einzigen Sinn auf eine so angenehme Art mittheilten, in nähere Gemeinschaft zu kommen.

Als der Wechselgesang zu Ende war, erfolgte eine allgemeine tiefe Stille, die nur zuweilen durch halb laute abgebrochne Worte und Seufzer, welche ich mir damals nicht zu erklären wußte, unterbrochen wurde. Der Mann mit dem Rauchfaß erschien abermal, und erfüllte den ganzen Versammlungsort[191] mit einer dicken Wolke von Weihrauch: und als sie sich zertheilt hatte, sah ich auf dem erhöhten Platze vor dem bedeckten Tische – wen anders als meinen Unbekannten, im Begriff eine Anrede an die Gemeine zu halten. Seine Stellung und sein ganzes Aeußerliches gebot Ehrfurcht; er hatte das Ansehen eines Weisen, dessen Gemüth von allen Leidenschaften und Gebrechen der sterblichen Natur gereinigt ist, und der gewohnter ist mit höhern Wesen als mit Erdenkindern umzugehen. Niemals hörte ich einen Menschen mit einem so wahren Tone der Ueberzeugung von Dingen sprechen, die außer der Einbildung und Vorstellungsart dessen, der sie glaubt, keine Realität haben, oder von deren Realität es wenigstens nicht möglich ist sich durch Anschauung oder Vernunftschlüsse zu überzeugen. Seine Rede bezog sich zwar unmittelbar auf das Lob eines gewissen Märtyrers (mit den Christianern zu reden), dessen Gedächtniß an diesem Tage von ihnen begangen wurde: aber ihr ganzer Inhalt schien mir darauf abgezielt zu seyn, mir – den er doch wohl nicht ohne eine besondere Absicht hierher gebracht hatte – über die geheimnißvollen Dinge, in die er mich zu Smyrna hatte blicken lassen, einigen nähern Aufschluß zu geben. Er sprach von dem Jüngling, der an diesem Tage die Wahrheit durch die standhafteste Erduldung eines grausamen Todes verherrlichet habe, als von einem edeln Kämpfer, der in dem großen Streite, worin die Kinder des Lichts mit den Geistern der Finsterniß und ihrem Anhang begriffen wären, rühmlich gefallen sey, um nach der bevorstehenden glorreichen Endigung dieses heiligen Krieges als Sieger wieder aufzustehen, und einer von denen zu seyn, welche die[192] neue Erde regieren würden. Er breitete sich mit hinreißender Beredsamkeit über diesen Zeitpunkt aus, dessen Glorien zu beschreiben ihm (wie er sagte) Bilder und Worte fehlten; wiewohl er den ganzen Reichthum der Sprache erschöpfte, nur einen matten Schattenriß davon zu entwerfen. Er kündigte ihn mit der Gewißheit eines Propheten, der das Künftige schon gegenwärtig sieht, als etwas sehr nahe Bevorstehendes an, und ermahnte die anwesenden Brüder und Schwestern (die er in der eigenen Sprache seiner Secte mit den prächtigsten Titeln belegte), um so tapferer und unermüdeter in dem Streite zu seyn, wozu sie berufen wären, da jeder Sieg, den sie über den Feind erhielten, den großen Tag beschleunigte, an welchem alles neu werden, oder vielmehr, durch die Wiedervereinigung mit dem Urquell des Guten, in den ursprünglichen Stand der reinsten und göttlichsten Vollkommenheit zurückkehren würde. Dieser Feind hätte, wie sie wohl wüßten, ehemals seinen Sitz in ihnen selbst gehabt, und seine Herrschaft über sie durch die Gewalt ausgeübt, womit er sie zu den Werken der Finsterniß hingerissen hätte: aber, wiewohl er, seitdem der neue Mensch in ihnen zu leben angefangen, aus ihrem Herzen vertrieben sey, so suche und finde er doch, so lange das Göttliche in ihnen in diesem sterblichen Leibe gefangen gehalten werde, tausend Wege, sich durch die Sinne in den innerlichen Menschen wieder einzuschleichen, das Licht ihrer Seele zu umnebeln, und Aufruhr, Stürme und Verheerungen in ihrem Inwendigen anzurichten. Da nun zu Ertödtung des thierischen Menschen kein anderes Mittel sey, als das Leben des geistigen zu befördern, so ermahnte er sie[193] mit großem Ernste, dem erstern, so viel nur immer mit der schuldigen Erhaltung des natürlichen Lebens bestehen könne, alle Nahrung zu entziehen, jede sinnliche Lust und Begierde in der Geburt zu ersticken, und durch öfteres Fasten, Wachen und Anhalten im Gebet den Einfluß der himmlischen Kräfte in ihr Innerstes zu unterhalten. Söhne des Lichts, rief er, euch gebührt es, rein und ohne Makel zu seyn, wie der Vater der Lichter von dem ihr abstammet! Brüder des Eingebornen, Erstlinge der neuen Schöpfung, auserwählt mit Ihm das herrliche Reich zu regieren, dessen Stifter und König Er ist, euch gebührt es, aller Gemeinschaft mit den Kindern dieser Welt zu entsagen, und jede Gleichstellung mit den Unheiligen für Schmach zu halten. Gehet aus von ihnen! Sondert euch ab von ihnen! Ihr Anhauch ist Befleckung, ihre Berührung Gräuel und Bann! Welche Gemeinschaft könnte zwischen dem Licht und der Finsterniß seyn? welche Theilnehmung zwischen den Glaubigen und den Unglaubigen? Ihre Augen sind verschlossen, die eurigen aufgethan. Sie trachten nach dem was auf Erden, Ihr nach dem was droben ist. Euer Wandel ist im Himmel. Dieser verächtliche Kothklumpen unter euern Füßen hat nichts das eurer Wünsche werth sey. Die zerbrechliche Schale, meine Brüder, die uns noch umgibt, ist es allein, was uns hindert das Leben der Geister zu leben: aber auch diese dünne Scheidewand wird, durch das Feuer der göttlichen Liebe unvermerkt verzehrt, immer dünner, immer durchsichtiger. Hier hielt er auf einmal ein; sein Haupt sank zurück, er schaute mit starren Augen empor, und schien einige Augenblicke in Verzückung zu schweben, während die Stille[194] in der Versammlung noch stiller wurde, und alle Augen mit Erstaunen auf ihn geheftet waren. – Sollten aber auch, fuhr er wieder zu sich selbst kommend fort, sollten gleich viele unter euch in diesem Leben, welches nur die Geburt ins wahre Leben ist, noch nicht bis zum Anschauen selbst gelangen, noch nicht entkörpert genug seyn, daß die Herrlichkeiten der unsichtbaren Welt ihrem Geiste aufgeschlossen würden: hat nicht der Glaube, der euch mitgetheilt ist, ein Auge, zu sehen was ihr nicht sehet, wiewohl ihr um und um davon umgeben seyd? hat er nicht eine Hand, zu ergreifen was euch ferne scheint, wiewohl es euch so nahe ist? Und wenn weder Glaube noch Liebe Gränzen haben; wenn beide so unendlich sind wie ihr Gegenstand, so unerschöpflich, wie die Aeonen,72 deren Ausflüsse sie sind – wer, meine Brüder, kann sagen, was dem, der Glauben und Liebe hat, zu thun oder zu erreichen unmöglich ist?


Lucian.


Um der Grazien willen, Peregrin, halt ein! Laß es an dieser Probe genug seyn! Ich sehe, dein Unbekannter war ein Meister in seiner Kunst. Braucht es einer größern Probe, als daß er dich noch in diesem Augenblicke mit seiner göttlichen Raserei wieder angesteckt hat? – Du guter Peregrin! Da hattest du deinen Mann gefunden!


Peregrin.


In der That sog mein Ohr, oder vielmehr meine ganze Seele mit tausend unsichtbaren Ohren, alle seine Worte mit einer wunderbaren Befriedigung ein. Was ich fühlte war dem unbeschreiblichen Gefühl ähnlich, womit ein lechzender Wanderer,[195] der lange nach einem Tropfen frischen Wassers schmachtete, die ersten Züge aus einer ihm unverhofft entgegen rauschenden Felsenquelle thut. Der Unterschied war nur, daß, wie bei jenem der Durst mit jedem Zug abnimmt, ich hingegen mit jedem Zuge begieriger wurde, mich, den Kopf zu unterst, in diesen Strom zu stürzen, und kaum meine äußersten Lippen gelabt zu haben glaubte, als der göttliche Mann zu reden aufhörte. In eben demselben Augenblick erschien auch der Sklave, der mich hierher gebracht hatte, wieder, nahm mich bei der Hand, und führte mich eilends davon, indem er mir ins Ohr flüsterte, daß nun die heiligen Mysterien, bei denen kein Uneingeweihter zugegen seyn könnte, ihren Anfang nehmen würden. Ich entfernte mich, die Glücklichen beneidend, denen erlaubt war an diesen Mysterien Theil zu nehmen, und im Weggehen hallte mir noch das herzerhebende Getön eines neuen Hymnus nach, den die Gemeine anstimmte.


Lucian.


Natürlicher Weise entferntest du dich also mit dem Entschluß, je jeher je lieber einer von diesen beneideten Glücklichen zu werden: und da dieß vermuthlich gerade das war, was der Unbekannte wollte, so wirst du, hoffe ich, deines Wunsches bald genug gewährt worden seyn?


Peregrin.


Dein Scharfsinn hat dich dießmal nur zur Hälfte getäuscht, Lucian. Meine Gedanken hast du errathen: aber der Unbekannte war nicht so leicht zu entziffern als ich. Er überließ mich den ganzen Morgen, der auf diese merkwürdige Nacht folgte, meiner Sehnsucht, ihn allein zu sehen und zum[196] Vertrauten dessen was in meinem Gemüthe vorging zu machen; aber vergebens erwartete ich ihn in meiner Wohnung, vergebens suchte ich ihn überall auf, wo ich ihn zu finden vermuthen konnte. Endlich, da ich um die siebente oder achte Stunde nach Hause kam, fand ich einen Brief, worin er mir sagte: »Es wäre ihm nicht erlaubt mich jetzt zu sprechen; aber wir würden uns zu rechter Zeit wieder sehen; inzwischen sollte ich zu Parium, wohin mich meine Pflicht zurückrufe, denjenigen erwarten, der mir zugesandt werden würde, um mich auf dem rechten Wege weiter zu bringen.«

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 16, Leipzig 1839, S. 170-197.
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