Allgemeine Charakteristik der Bewohner.

[58] Unter dem Namen Holländer begreift man heutzutage die Einwohner sehr verschiedener Provinzen, sogar den Frisen, der einem besondern Volksstamme angehört, wenn auch dessen Sprache durch die holländische auf wenige Dörfer zurückgedrängt worden. Die Holländer und Frisen waren in alter Zeit beständige Feinde und manchen Grafen von Holland, der sich Rechte über das »freie Frisland« anmaßen wollte, hat eine frisische Streitaxt vom Pferde gehauen. Die Herzöge von Burgund und Könige von Spanien wurden allerdings Herren des Landes, aber berührten dasselbe nur sehr vorsichtig und gleichsam mit der Spitze des Scepters. Ludwig von Nassau vertrieb im Jahr 1568 die Spanier und seit der Zeit gubernirte eine Nebenlinie des Hauses von Oranien in Frisland. Von dieser stammt der jetzige König, dessen Vater und Großvater, denn nach dem frühzeitigen Tode Wilhelms des Zweiten, des letzten Oraniers,[59] kam die frisische Linie der Nassauer mit Wilhelm dem Dritten nach Holland, wodurch das Band der Provinzen Holland und Frisland noch fester geknüpft wurde. Etliche charakteristische Hauptzüge theilt der Frisländer ohne Zweifel mit seinem Nachbarn, dem Holländer und vorzüglich dem Bewohner von Nord-Holland, der in Sitte und Tracht dem Frisen sehr nahe steht. Der Frise ist Wasserländer, Deicher, Schiffer, wie der Holländer, beschifft mit diesem die Südersee, und hat noch den Dollart1 und ein Labirinth von Binnengewässern vor ihm voraus. Allein der Frise ist stärker von Leib, starrer und unabhängiger von Gemüth, eigenthümlicher in seinem Wesen, erfindungsreicher und mehr zum Grübeln und selbst zur Wissenschaft aufgelegt, als der Holländer. Was gleich in die Augen fällt, ist, daß der Frise ein großes mechanisches Talent hat, das dem Holländer wenigstens in dem Grade abgeht. Eigentliches Kunsttalent hingegen scheint der Frise nicht zu besitzen.

Von den Bewohnern der Provinz Utrecht und Geldern unterscheidet sich der Holländer weniger, aber doch merklich genug. Die Gelderschen sind seit alter Zeit Landbauer, die Holländer Schiffer[60] und Krämer. Zu Lande zeigten sich daher die Gelderschen immer muthiger und unternehmender, als die Holländer. Der zahlreiche aber arme Adel von Geldern war als ritterlich bekannt, daher auch die Holländer spottweise zu sagen pflegten:


hoog van moed,

klein van goed,

een zwaard in de hand

is't wapen van Gelderland.


Auch in den Charakter des Seeländers mischen sich einige besondere Züge. Als Insulaner und Bewohner der fruchtbaren Eilande, welche die Mündungen des Rheins, der Maas und der Schelde durchfluthen, wird er mehr vom frischen Seehauch gestählt, belebt und geröthet. Die Wassergeusen waren Seeländer und, wie wäre es den Holländern ergangen ohne Wassergeusen, da sie zu Lande fast immer unglücklich waren. Maarten Tromp war ein Seeländer aus der Stadt der Wassergeusen, Brielle, und de Ruyter ward geboren auf der Insel Oostvoorne an der Küste von Südholland, Beide im Angesicht der offnen See, die dem Holländer hinter Dünen versteckt liegt.

An Körperkraft zunächst sind die Bewohner aller dieser Provinzen den Bewohnern der Provinz Holland überlegen. Der Holländer verträgt keine anhaltende beschwerliche Arbeit, er ist[61] nicht gewöhnt an den Schweiß des Pfluges und der Sense, und erliegt sehr bald unter den Strapazen einer kriegerischen Unternehmung. Marschiren ist seine Sache eben so wenig, wie Gras mähen, daher er auch in früherer Zeit Tausende von deutschen Lanzenknechten, wie jetzt noch Tausende von deutschen Bauerknechten und Grasmähern aus seiner Tasche besoldet. Selbst Brauknechte, Zuckersieder, Kornschichter, Ankerschmiede und dergleichen Leute sind häufig Deutsche, Schiffszimmerleute, Maurer und andere dagegen, die es mit der Arbeit sacht angehen lassen, Einheimische. Der Bauer, Tagelöhner, Dienstbote, welche bequeme Tage machen sie sich in Holland, in Vergleich mit den unsrigen. – Kann ich an diese doch nur mit Jammer denken. Wie sie sich abmühen und wie Mancher sich die letzte Faser vom Leibe schwitzt, um sein Brod zu verdienen. Hundearbeit das, ein deutscher Bauer zu sein.

Bequemlicher also, oder von schwächeren Muskeln sind die Holländer. Ursprünglich Hirten und Fischer, doch auch in römischer Zeit und bei Quatrebras, tüchtige Reiter, später Kaufleute und Krämer und in diesem Geschäft einzig in ihrer Art. Die Gabe des Calcüls, bedächtiger Speculation, voraussehender Klugheit macht keiner ihnen streitig. Jeder Zoll ein Kaufmann.[62]

Fasse ich aber das Allgemeine zusammen, was der Gemüthsart Aller zu Grunde liegt, so möchte ich als solche Grundfaser im Charakter des »Alt-Niederländers« eine grobe, aber eben darum starke und ausdauernde moralische Kraft bezeichnen. Aehnlich charakterisirte sie Napoleon. Als nach seiner Rückkehr aus Holland etliche Senatoren Scherzworte über die Holländer laut werden ließen, sagte er zu ihnen, meine Herren, Sie mögen witziger, geistreicher und liebenswürdiger sein, als die Holländer, aber ich wünsche Ihnen die Moralität derselben. – In der That, ein Volk, das mit der größten europäischen Macht einen siegreichen Kampf durchkämpfte, einen noch größeren mit der Natur, mit Wasser, Erde und allen Elementen fortwährend auszukämpfen hat, kann nicht anders, als moralisch sein; Moralität ist die geschichtliche Grundlage seiner Freiheit, ja die nothwendige Bedingung seiner Existenz. Ihre Canäle und Wasserbauten, ihre Häuser und Gärten, ihre Sauberkeit, Oekonomie, ihr vorsichtiges, bedächtiges, ernstes und nüchternes2 Wesen sind nichts als[63] sichtbare Zeichen, Beweise und Ausflüsse der nationalen Moralität. Grob aber nenne ich dieselbe, weil sie mit grobem Egoismus vermischt ist, weil Noth und Bedürfniß ihre Erzeugerinnen, kalter Verstand ihre Triebfeder, Wuchergeist und Geldsucht ihre Begleiter, Argwohn, Mißgunst und oft nur zu grausame Parteilichkeit ihre Folgen sind. Es ist eine Moralität ohne Zartheit, ohne Wärme, ohne Liebe, ohne Großmuth, mit einem Wort, eine unliebenswürdige egoistische Moralität, welche die holländische Nation unter ihren Brüdern in Europa charakteristisch auszeichnet.

Fußnoten

1 Der Dollart entsprang im Jahr 1777 aus »ertrunkenem Lande,« bei welcher Ueberschwemmung dreiunddreißig Dörfer zu Grunde gingen.


2 Ich bin achtzehn Monate in Holland gewesen und habe kaum so viele Menschen im betrunkenen Zustande gesehen, obgleich fast Jeder täglich – ich möchte sagen vom Minister bis zum Karrenschieber – seine Paar Schnäpse trinkt.


Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 64.
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