Der Rhein und Vondel.

[3] O schöner Rhein, mein Jugendtraum,

Soll ich von fern dein Lob besingen,

Der ich gespielt an deinen Saum,

Du kannst aus Schweizer Alpen springen,

Du Ader von dem schönsten Weib,

Bruder der Donau, du nach Norden,

Nach Osten sie, aus Einem Leib

Entsprungen und sich fremd geworden,

Won Einer Mutter in Eis und Schnee

Und Regen geboren auf der Höh.


Du schlängelst, wie die griech'sche Schlang',

Deine blauen Ringel längs Gesträuchen

Und grünen Bergen, breit und lang

Und füllst dich aus so vielen Schläuchen

Der Bäche, bis du angeschwellt

Bald Kräuter lockerst, die das Ufer decken,

Bald fluthest um ein Ackerfeld,

Bald nagst an rauhen Felsenecken;

Nun zwischen Berg und krummen Horn,

Nun durch ein Thal voll Most und Korn.
[4]

Du irdscher Regenbogen du,

In schimmernde Farben eingekleidet,

Du raubst dem himmlischen seine Ruh,

Der oben traurig dich beneidet.

Deine Locken, deine Städtekron',

Deine grüne Weingartenhaube

Verziert die weiße, die purpurne Traube,

Und dienend stehn an deinem Thron

Die Flüsse, die beträuft von Naß,

Zuschütten dir ihr Wasserfaß.


Da ist der Main, einer Pinie Sohn,

Die Mosel mit ihren Apfelflechten,

Die Maas mit ihrer Meuterkron',

Verwegen mit dir selbst zu fechten,

Ruhr, die ihr Haupt mit Ried beschaut,

Neckar mit seinen Traubengeästen,

Lippe, gehüllt in Moos und Kraut

Und überhangenden Eichenästen,

Und hundert andre, wie die Aar,

Kornblumen und Weinlaub im Haar.


O meines Rheines lautre Fluth,

Du bis zum Tode meine Labe,

Wie Manchem gabst du Ehr und Gut

Wie hohe Titel manchem Grabe,

Welch großen Namen manchem Land,

Der Helden, über dich gezogen,

Aufpflanzend Ruhm an deinem Strand;

Wie oftmals theilten deine Wogen,

Wenn sie die deutschen Krieger sahn,

Ihr Heldenglühn bei ihrem Nahn.
[5]

Doch fühl ich ach ein bittres Leid

Und möchte mich in dich verweinen,

Daß Fürstenhaß und Kirchenstreit

Zu einer Hyder sich vereinen,

Einer bösen Hyder, voller Gift,

Die an des Rheins gesunden Borden

Ihr Gift verspritzt, daß Thal und Trift

Und's ganze Deutschland trieft von Morden.

O wäre der Messias nah

So lang ersehnt und noch nicht da.


Der Dichter dieses schönen Rheinliedes, von dem ich kaum die Hälfte mitgetheilt, ist Vondel, der Stolz der Holländer, und in der That ihr größter oder vielmehr einziger Dichter, fasse ich das Wort in unserm Sinn. Vondel ist geboren in Kölln am Rhein. Als er noch Kind war, nahm sein Vater den Wanderstab, um sein Glück anderswo zu versuchen. Die Reise ging über Hamburg, wo die Familie einige Zeit lang sich aufhielt, nach Amsterdam, wo Vondel groß wurde, lebte, dichtete und starb. Die heitern Wanderbilder aus seiner Kindheit schwebten ihm bis an seinen Tod vor Augen, sein Vater war Zimmermann, seine Mutter eine fromme Frau und daher war seiner Phantasie nichts natürlicher, als jenen mit Josef, diese mit Maria und sich selbst mit dem Christkind zu vergleichen und in der Reise seiner[6] Eltern von Kölln nach Holland, die Flucht der heiligen Familie von Bethlehem nach Aegypten zu sehen.

Nie vergaß er Kölln und den Rhein. Sein Rheinlied dichtete er im Alter und als Gustav Adolf vor Kölln lagerte, schrieb er an diesen eines seiner schönsten Gedichte, worin er ihn beschwört, der Stadt Kölln kein Leides zuzufügen. Wie's Vögelein, sagt er,


Wie's Vögelein, das singt, wenn's vogelfrei ist,

Die off'ne Luft ist mein,

Doch wünscht es, da zu sein,

Wo es gekrochen aus der Mutter Ei ist:

So ich. Obwohl mein froher Geist mag schweben,

Wohin ihn trägt sein Flug,

Doch zieht ein stiller Zug

Mich heim nach Kölln, wo ich empfing das Leben,

Wo ich zuerst nach Honig ausgeflogen,

Am Rhein, am blonden Rhein,

Bepflanzt mit rhein'schem Wein,

Wo ich den Thau aus Veilchen früh gesogen.

Und daraus wird mir nun mein Leid geboren.

Denn wo ich aufgewiegt,

Die Schwedenfahne fliegt

Und Donner dröhnt von dort mir in die Ohren.

Drum mocht' ich wie ein Schwan dem Mars begegnen,

Den Busen in der Fluth

Hellsingend seine Wuth

Ablenken längs dem Staub der Rossehufe.
[7]

und wie er weiter den Helden des dreißigjährigen Krieges zu rühmen sucht, der aber vermuthlich keine holländische Verse las. Und nicht Kölln allein, das ganze arme Deutschland lag ihm beständig am Herzen. Er beklagte den ungeheuren Spalt, den Luthers heilig eifernde Axt in Germaniens Boden geschlagen, er sah aus nach dem großen Mann, der den Fürsten den Daum aufsetzte, nach dem Kaiser, Messias:


So lang ersehnt und noch nicht da,


der die Hyder der Zwietracht unter die Füße treten, den Glanz des alten Reichs wieder erfrischen und aufs neue die Stämme Deutschlands unter die Flügel des Adlers versammeln würde. Merkwürdig ist seine Ode an Kaiser Leopold. Laß, sagt er unter Anderm an diesen Kaiser, der eben gekrönt war und große Hoffnungen erregte,


Laß geschirmt durch deinen Speer

Muthiger den Bataver

Auf der See sein Banner breiten,

Laß den röm'schen Doppelaar

Mit dem Leu, ein tapfres Paar,

Unter Einer Fahne streiten.


Dieser Leopold war freilich nicht der Mann großer Blicke und Thaten, der kaiserliche Speer dieses schwachen Habsburgers wußte nicht einmal die deutsche Reichsgrenze zu schirmen, er ist derselbe[8] Leopold, unter dem Straßburg, die Perle vom Elsaß, an die Franzosen kam. Allein Vondel sah in ihm einen aufgehenden Stern, gegen den er fern und einsam aus seinem sumpfigen Winkel die Hände ausbreitete. Ihn fesselte das große Gesicht des heiligen römischen Reichs, der Kaiser in seiner Pracht, der Papst auf seinem Felsen, alle kolossalen Erinnerungen einer romantischen Vorzeit, welche ihren letzten Schatten in das siebzehnte Jahrhundert warf. Er fing sogar noch im hohen Alter ein Epos an, worin er die Vermählung der christlichen Kirche mit dem römischen Weltreich unter Constantin zu feiern gedachte; er hinterließ aber nur den Anfang desselben, der indessen hinlänglich darthut, daß es dem Geiste noch nicht an Kraft und Feuer gebrach, um die Lieblingsidee seines Lebens, die Vereinigung aller menschlichen und göttlichen Gewalten im römischen Kaiserreich würdig durchzuführen. Eine große Idee und ein großer Irrthum. Selbst Vondel mußte schon an sich selbst fühlen, daß sein Jahrhundert nicht mehr aus einem Zeug gewirkt war. Getauft und erzogen in der neuen Lehre, ging er über zur alten, erlitt mehrere Schwankungen, veränderte mehr als einmal sein kirchliches Bekenntniß und ward nur durch den Ekel, den ihm das protestantische Dogmengezänk machte, wie[9] durch den Abscheu vor dem heuchlerischen Spiel, welches die Fürsten und Mächtigen der Zeit hinter dem Riß der Kirche trieben, immer wieder der alten Mutter in die Arme zurückgeworfen. Er sehnte sich nach dem imposanten Anblicke der einheitlichen Kraft aller germanischen Stämme, nach Frieden und Einheit im Herzen Europa's, er glaubte, daß nur auf dem Felde des Streits selber, also auf dem Felde der Religion die Möglichkeit läge, den ewigen Frieden abzuschließen. Ein frommer Wahn zu einer Zeit, die vom Feldgeschrei der Religion wieder hallte, ein starker Glaube, der glaubte, daß die Süden und Norden einträchtig und versöhnt ihre Hände falten würden um denselben Kelch, der noch von ihrem Blute rauchte, ein Wahn, den die Zeit völlig zerstört hat, zerstört, ohne uns eben eine andere Hoffnung an seiner Stelle zurückzulassen. Nur so viel kann man dem Schatten Vondels zurufen, will es Gott, Vondel, daß sich wiederfindet, was sich geschieden hat, so wird es nicht unter den Palmen Palästina's, so wird es unter Herrmanns Eichen sein.

Im Leben ging es dem Dichter nicht allzuwohl. Er hatte eine freie Zunge, und da er mit Leib und Seele immer in der Gegenwart wirkte, an Allem, was sich ereignete, lebhaften Antheil nahm, seinen Glauben nicht verbarg, sein Gefühl nicht verläugnete, die Wahrheit nicht bog und keinen[10] Mächtigen scheute, so hat er viel Unangenehmes in der Welt erleben müssen, ja es ging ihm selbst schlecht und am schlechtesten in seinen alten Tagen. Mehr als einmal schnappten nach ihm die Arme der Gerichte, der Prinz Moritz haßte ihn, denn er allein hatte in Holland Muth gehabt, Oldenbarneveldts Andenken zu vertheidigen und seinen Mörder der Tyrannei zu beschuldigen, obwohl er wußte, daß dasselbe Schwert auch über seinem eigenen Kopf hing. Unglück mit seinem Sohn kam hinzu. Um diesen von öffentlicher Schande zu retten, gab er Alles hin, was er noch an Geld und Gütern besaß, und sah in seinem siebzigsten Jahre sich genöthigt, sich an die Schreiber- Galeerenbank des Lombards zu schmieden, eine Stelle, die ihm eine Dame verschafft, die sich seinetwegen bei einem Bürgermeister oder Schöppen von Amsterdam eindringlich verwendet. Die Natur hatte ihn so unverwüstlich gemacht, daß er noch zwanzig Jahre darnach lebte und starb in seinem neunzigsten, weniger glücklich, aber so unvergeßlich, wie Goethe. Der Senat ließ ihn begraben, wie einen Bürgermeister und errichtete ihm in der Kirche ein marmornes Denkmal, worauf die Worte:

»Hier liegt der zweite große Deutsche, der, nach dem Rhein, in Holland elend versiegte.«

nicht zu lesen sind.[11]

Vondel hat aus der holländischen Sprache gemacht, was nur daraus zu machen war. Er hat in ihr einen Schatz von Gedanken, Bildern und Wendungen niedergelegt, der größer sein mag, als alles Uebrige, was holländische Verse seit der Zeit enthalten. Denn er war ein reicher Mann und hatte Ueberfluß an Allem, woran die Andern Mangel leiden, namentlich an Gedanken.

Man kann mit demselben Recht sagen, Vondel hat aus seinem Genie gemacht, was er in seiner Zeit und an seinem Ort daraus machen konnte. In London am Hofe Elisabeths, in romantischer Luft, Erbe der englischen Geschichte, im Genuß italienischer Novellen, Nachfolger und Zeitgenosse witziger humoristischer Dichter in London, sage ich, wäre Vondel allem Anschein nach geworden, was Shakspeare in Amsterdam in der Kammer der holländischen Rederyker »door yfer in liefde bloeyende.«

Vondel hat sehr viel hinterlassen, Trauerspiele, Lieder, Festgedichte, Epigramme, Aufsätze in Prosa.

Seine Trauerspiele sind ihrem Inhalt nach biblisch mit Ausnahme etlicher, wie sein Gysbrecht van Amstel, ein Stück, das man noch alljährlich einmal auf die Amsterdammer Bühne bringt. Sie sind mit Chören durchflochten wie die griechischen, Vondel kannte den Euripides in Uebersetzung, er[12] hatte sogar im Alter Latein gelernt, um Seneca zu lesen. Die Personen, welche in Gysbrecht van Amstel und andern ihm eigenthümlichen Stücken auftreten, sind fest und derb gezeichnet, die Chöre oft mit Rembrandts Pinsel zu einander in Licht und Schatten gesetzt, wie denn eine Mutter, die auf der Brandstätte Jerusalems in Raserei ausbricht, mir oft vor Augen schwebt.

In der starken Sammlung seiner Gedichte nehmen die sogenannten Gelegenheitsgedichte viel Raum ein, wie leicht zu erwarten von einem so lebhaften Mann, der die Augen überall hatte und mit den bedeutendsten Köpfen seiner Zeit in Verbindung stand. Gelehrte, Künstler, Staatsleute, Seehelden, Jeder fühlte sich geschmeichelt, wenn Vondel seiner Person und seinen Verdiensten einige Verse schenkte. Da er nun nicht der Mann war, blinde Worte zu machen und selten verfehlte, in diesen kleinen Sachen irgend einen bedeutenden Zug anzubringen, so liefern seine Epigramme einen sehr schätzbaren Beitrag zur Kunde jener für Hollands Ruhm so fruchtbaren Zeit.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 3-13.
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