Die Gemälde auf dem Stadthause zu Leiden.

[140] Die Stadthäuser in Holland bewahren fast ohne Ausnahme Schätze der alten Malerkunst, die zu einer Zeit bestellt und angekauft wurden, als es noch keine öffentlichen Gemäldegallerien in Holland gab. Es sind diese Gemälde ehrwürdige Zeugen sowohl von dem Beistande den Rath und Bürgerschaft den ausübenden Künstlern gewährten, als von deren Kunstliebe und Kunstschätzung, wornach sie glaubten, die öffentlichen Gebäude der Stadt weniger durch prachtvolle Tapeten und Geräthe, als durch die Producte des höheren Genius zu verzieren. Das war die echte Art, die Kunst selbst zu heben und ihre Ausübung zu befördern, und diesem Gefühl vielleicht mag ich es zuschreiben, daß die Gemälde der Stadthäuser bei ihrer Beschauung[140] mir einen größeren Reiz gewährten, als, bei gleicher Vollkommenheit, die Gemälde der Gallerien, und daß ich gegenwärtig eben von einer kleinen Zahl dieser Gemälde sprechen will, da ich sonst in der Amsterdammer und Haager Gallerie die Hülle und Fülle von Gemälden zu beschreiben vor mir hatte, wenn mich anders darnach sehr gelüstete. Denn beschreiben, Gemälde beschreiben, ist sonst überall meine Sache nicht. Gemälde kann und darf man eigentlich gar nicht beschreiben, sie sind nicht gemalt, um beschrieben, sondern um gesehn zu werden; allein die Feder ist bei unsern Schriftstellern gewohnt, ihre spitze Nase in viele Dinge zu stecken, die sie gar nichts angehn. Ich selbst freilich sündige in diesem Punct, allein, und das ist zwar kein Trost, aber eine Entschuldigung niemand vermag sich von den Fehlern der Zeit frei zu halten. Die Alten sind auch hier unsre Muster, denn die Schriftsteller, denen wir Beschreibung von berühmten Gemälden und Bildsäulen verdanken, gehören, wie Plinius, der spätern unclassischen Zeit an.

Komme ich nach dieser Einleitung zu den Gemälden des Leidener Stadthauses. Sie sind in drei oder vier Zimmer vertheilt. Im ersten hängt das merkwürdigste, das bekannte und oft beschriebene jüngste Gericht des Lukas von Leiden. Im[141] Mittelstück schwebt Christus auf einem Wolkensitze, rechts und links an dessen Seite die zwölf Apostel, darunter, zu ihren Füßen ein unabsehliges leeres Feld, aus dem, wie Schiffbrüchige, hin und wieder die Todten auferstehn. Im Vorgrunde sieht man zwei Gruppen Auferstandener, die zur Linken werden von Engeln in den Himmel, die zur Rechten von Teufeln in die Hölle abgeführt. Himmel und Hölle sind abgebildet auf den beiden Flügeltafeln des Gemäldes, die sich auf- und zuklappen lassen. Im Himmel gehn die guten Seelen unter grünen Bäumen spatzieren und schauen die Glorie Gottes. In der Hölle werden die Bösen mannigfaltig geplagt und gepeinigt und es ist mehr Abwechselung darin. Viele werden von einer Brücke in die Pech- und Schwefelflammen hinabgestürzt und irgendwo macht sich ein Teufel das teuflische Vergnügen, eine unglückliche Schönheit als Reitpferd zu gebrauchen. – Die Färbung des Ganzen ist leicht und blaß, die Frauen vor Allen sind äußerst farbenzart und dabei überraschend schlank und üppig und gar nicht in der eckigen Manier der Zeit. Man sieht offenbar, daß Lukas nicht nur nach dem Nackten malte, sondern auch Schön von Häßlich zu unterscheiden verstand. Im Höllischen ging aber Breughel ihm über.

Außerdem acht Stücke von ver Schoten,[142] Hauptleute und Fähndriche der Stadt Leiden im Aufzuge darstellend. Ganz Rembrands derber Pinsel. Auch die Gewänder, Waffen und Zierrathen sind fleißig ausgemalt. Figuren, die fest und lebendig auf der Leinewand halten.

Scipio Africanus von Jan Lievensze. Schönes Bild. Scipio empfängt den dankenden Bräutigam mit einem Adel in Haltung und Gesicht, den so römisch zu verstehn und wiederzugeben ich kaum dem Jan Lievensze zugetrauet.

Brutus von Karl de Moor. Mißfällt trotz glänzender Farben und eleganter Zeichnung. Brutus sieht seinen Sohn enthaupten und lächelt, nicht bitter oder angstvoll, sondern fade, als würde seinem Söhnchen zum Ball der Kopf frisirt.

Van der Werf und die Einwohner Leidens von dem Maler de Bree. Ein mächtiges Wandstück, das mich wenig befriedigt.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 140-143.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Holland in den Jahren 1831 und 1832
Holland in den Jahren 1831 und 1832: Ein Reisebericht
Holland in den Jahren 1831 und 1832.