Geschichte des Handels.

[34] Eine vortreffliche Schrift, die im Jahr 1828 zu Amsterdam in französischer Sprache erschien und die Handelsgeschichte der Holländer darstellt, die recherches sur le commerce de la Hollande, liegt folgender skizzenhaften Uebersicht zum Grunde.

Die Noth trieb die Holländer zum Handel. Wegen der Armuth des Bodens mußten sie ihre Bedürfnisse durch Schiffahrt sich verschaffen. Holländische Hansestädte gab es schon ums Jahr 1241. Die Hauptquelle des holländischen Reichthums war der Heringsfang und Beukelsohns Erfindung. Man muß sich erinnern, daß damals die ganze Christenheit jede Woche zwei Fasttage hielt und volle vierzig Tage vor Ostern keine Fleischspeisen genoß. Jeder fünfte Mann in Holland schöpfte zu dieser Zeit aus der Heringsfischerei seinen Unterhalt. Es gab 5000 Fahrzeuge dieser Art allein an der holländischen Küste, 3600 streiften in der[35] See um die Orkney- und Shetlandsinseln, im Ganzen 6400 Schiffe mit 112,000 Seeleuten; rechnet man dazu die Schiffbauer, Netzstricker, Bötticher, Salzbereiter u.s.f., so machte dies zusammen ein Heer von 450,000 Menschen. De Witt († 1672) sagt: Holland darf sich einer Zahl von 10,000 Segeln und 168,000 Seeleuten rühmen, obgleich das Land weder Holz noch Metall, noch Lebensmittel, noch Waaren hervorbringt. – Ein altes Sprichwort sagt daher mit Recht: Amsterdams Grundmauer besteht aus Heringsgräten.

Die zweite Quelle der Handelsthätigkeit und der dadurch gewonnenen Reichthümer war die Verfassung unter den Grafen, welche den Schwung der Kräfte und Bestrebungen nicht unterdrückte, sondern beförderte. Auch unter Burgund und selbst Anfangs unter Habsburg (seit 1477) blieben die bedeutenden Privilegien der Städte unangetastet. Holland und die nördlichen Provinzen setzten gegen Philipp II. ihre Unabhängigkeit durch1,[36] Antwerpens Kaufleute zogen sich nach dem Ruin der unglücklichen Stadt (1585 unter Alexander Farnese) nach Amsterdam, Middelburg u.s.w. So versetzte sich zum dritten Mal der Mittelpunkt des niederländischen Handels, denn Antwerpen, das kurz vorher jährlich 500 große Schiffe in seinem Hafen aufnahm und in dessen Thore 10,000 Lastwagen aus- und einfuhren, erlitt nur dasselbe Schicksal, wie Brügge, das ein Jahrhundert früher die ganze Seeverbindung zwischen dem Norden und Süden Europa's vermittelt hatte. – Als Philipp II. im Jahr 1580 das Königreich Portugal an sich riß, verbot er den Holländern die Ausfuhr ostindischer Gewürze aus den portugiesischen Häfen und zwang sie gewissermaßen durch diesen unüberlegten Schritt, den See weg nach Ostindien selbst zu suchen und die glücklichen Zerstörer der portugiesischen Macht in jenen Gewässern zu werden. Sie eroberten in kurzer Zeit die portugiesischen Besitzungen in Ostindien und herrschten von Balsora bis Japan. Stiftung der ostindischen Compagnie ums Jahr 1602. (Die Verwaltung der Geschäfte war vertheilt an sechs Kammern, die zu Amsterdam, Middelburg, Delft, Rotterdam, Hoorn und Enkhuizen ihren Sitz hatten und von 17 Vorstehern geleitet wurden. Das Capital der Gesellschaft bestand aus 61/2 Millionen[37] Gulden und nach einer mäßigen Berechnung hat sie seit 1602 bis 1739 gegen 360 Millionen Gulden Waaren nach dem Einkaufspreise und 1620 Millionen Gulden nach dem Verkaufspreise aufgebracht. Sie schickte jedoch nur dreizehn Schiffe nach Ostindien, deren Ausrüstung aber 2,200,000 Gulden kostete. Sie hatte das Recht, Bündnisse mit den indischen Völkern zu schließen, und gar im Namen der Generalstaaten Festungen zu bauen, Befehlshaber zu ernennen und Soldaten zu werben, welche sowohl dem Staat als der Gesellschaft den Eid der Treue leisten mußten. Dagegen sollten nach dem Freibriefe (Anfangs nur auf 21 Jahr ausgestellt) die Befehlshaber der Gesellschaft bei ihrer jedesmaligen Rückkunft vom Zustand der Angelegenheiten in Ostindien Bericht an die Regierung abstatten). Auch der Kornhandel nach dem balti schen Meer häufte große Reichthümer. Das Korn wurde zu niedrigen Preisen eingekauft, aufgespeichert und in theurer Zeit theuer verkauft. Dabei hemmte keine Kornsperre den Handel. Hierzu kam die Amsterdammer Bank, die im Jahr 1609 gestiftet wurde; ihre Noten galten überall.

Vom Jahr 1617 bis zum Jahr 1672 höchste Blüthe des Handels. Selbst Spanien bediente sich auf der Fahrt nach seinen amerikanischen Colonien[38] holländischer Schiffe, die Holländer befanden sich im Besitz des ganzen europäischen Frachthandels und ihr auswärtiger Handel war größer, als des übrigen Europa's zusammengenommen.

Allein nach dieser Zeit stellt die Geschichte des holländischen Handels das Bild seines allmähligen Verfalls dar. Wirkende Ursachen desselben waren 1) der natürliche Wachsthum des Handels und der Schiffahrt anderer Nationen, namentlich Englands und Frankreichs, die nach heftigen bürgerlichen Unruhen, unter Cromwel und Ludwig XIV. neuen Aufschwung nahmen. Cromwells Navigationsacte (1651) schloß die Holländer vom Frachthandel Englands aus; gleichfalls hatte der französische Tarif vom Jahr 1644 die Hemmung des holländischen Handels in Frankreich zum Zweck. 2) Der Druck der Steuern, in Folge der Kriegs mit England, Frankreich und Spanien. Um diesem Druck zu entgehn, verführten die auswärtigen Nationen ihre Waaren nach andern Ländern und Häfen und nahmen von dort ihre Rückfrachten mit nach Hause. 3) Die ungeheure Aufhäufung der Capitalien. Als nämlich die holländischen Capitalisten nicht mehr als zwei bis drei Procente mit ihrem Gelde im Handel verdienen konnten, speculirten sie auf fremde Anleihen. So belaufen sich die Anleihen an Frankreich und England bis 1788[39] allein auf ungefähr sechzig Millionen Pfund Sterl. 4) Die Habsucht der ostindischen Compagnie selber. Sie zwängte den Gewürzhandel auf wenige Inseln ein, machte ihn seit 1631 zum Monopol, steigerte den Pfeffer hundert Procent höher, als ehemals die Portugiesen (, sie nahm 3800 Proc. vom Pfeffer), Ueberdies legte sie nur eine halbe Million Pfund Sterl. in diesen wichtigen Handel, statt etwa 10 Millionen und beschäftigte zu einer Zeit, wo Holland 10,000 Segel hatte, nur 10 bis 16 Schiffe mit dem ostindischen Handel. Bekannt ist es, daß ihre kleinliche Habsucht und beschränkte Handelspolitik so weit ging, ganze Schiffsladungen mit Pfeffersäcken ins Meer zu werfen, um diesen Handelsartikel im Preis zu halten. 5) Die endliche Einmischung der Staatsgewalt in das Gebiet des freien Handels, insbesondere der Heringsfischerei; eins Menge Proceduren wurden vorgeschrieben wodurch zuletzt nur Verbesserungen gehindert und eine Unzahl Betrügereien eingeführt und begünstigt wurden.

So sank der holländische Handel, und mit ihm in gleichem Maß der politische Einfluß des Landes im europäischen Staatsverein, seit dem Utrechter Frieden immer mehr von seiner erstaunlichen Höhe herab, bis er durch die französische Revolution, durch Napoleon und die Continentalsperre[40] völlig in seinem Nerv gelähmt, bis Flügel sinken ließ und selbst nach der rationalen Wiedergeburt Hollands und der allgemeinen Befreiung des Handels bei weitem nicht die Höhe wieder gewann, auf welcher er noch in der Mitte und der dritten Hälfte des 18. Jahrhunderts schwebte. Antwerpen, durch Napoleon ausschließlich begünstigt, mit zwei geräumig-tiefen Bassins und gequaderten Vorsätzen versehn, die vermöge ihrer gleichen Höhe mit den Schiffen die Aus- und Einladung der Waaren bequem machen, raffte in kurzer Zeit von seiner früheren Ohnmacht sich auf und errang alle Vortheile, welche ihm ein 75 Fuß tiefer Strom und seine Lage auf der geraden Linie von London nach Deutschland und den Mittelländern Europa's anboten, Antwerpen, eine Stadt, die wohl, wie Karthago, zerstört und in einen Aschenhaufen verwandelt, allein eben des Stromes und der Lage wegen, nicht vernichtet werden kann. Doch auch Holland wird, wenigstens so lange es ihm glückt, seinen Credit aufrecht zu erhalten und dem drohenden Nationalbankerott zu entgehen, im Reich des Handels, wenn auch nicht die alte, doch immer noch eine sehr wichtige Rosse spielen. Man weiß, durch welche großartige Werke der Wasserbaukunst (der neue Amsterdammer Canal, der im Westen der Südersee hinläuft und für die größten Kriegs- und[41] Kauffahrteischiffe breit und tief genug ist, verdient mit Recht diesen Namen) es der Versandung seiner Ströme und Gewässer Trotz zu bieten versteht, wie beharrlich es seine Vortheile im Auge behält, wie sehr es durch Natur und Gewohnheit auf Erwerb und Gewinn versteuert ist, wie rührsam und unablässig thätig alle seine Bewohner sind, so lange sie das Ziel ihrer Bemühungen, ein gewisses Maß von Reichthümern, einen gewissen Grad landüblicher und zur trägen Ruhe gleichsam ermächtigender Wohlhabenheit noch nicht erreicht haben und wie überhaupt See, Schiff und Holländer so unzertrennlich zusammen gehören, als Wüste, Kameel und Araber.

Fußnoten

1 Die Provinz Holland hat ohne Zweifel um die Befreiung vom spanisch-katholischen Joch sich die meisten Verdienste erworben. Zur Zeit des Grafen Leicester waren fast alle Provinzen bereit, sich der Königin Elisabeth in die Arme zu werfen, nur Holland nicht, welches die listigen Anschläge des Grafen durch Klugheit und standhaften Muth vereitelte.


Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 42.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Holland in den Jahren 1831 und 1832
Holland in den Jahren 1831 und 1832: Ein Reisebericht
Holland in den Jahren 1831 und 1832.

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon