Rembrand[110] .

Rembrand steht seiner Kraft nach an der Spitze der holländischen Schule, wie Paul Rubens an der Spitze der flamländischen. Rubens ist gleichsam die helle Kraft, Rembrand die düstre Kraft des niederländischen Genius, oder, wie ich unter Genius den elektrischen Funken verstehe, welchen die Natur keinem Volk durchaus versagt zu haben scheint und der bei den Niederländern in den Pinsel gefahren ist – Rubens ist der ideelle Pol, Rembrand der reelle Pol dieses Funkens.

Beide sind echte Niederländer, breit basirt in ihrer Heimath, ohne gleisnerischen Prunk, ohne fremde Federn, ohne Coketterie mit südlichen Idealen, für welche denn auch der Norden eben so wenig Licht, Luft und Boden hat, wie für die goldenen Aepfel Hesperiens.

Allein Rubens schwebte ein niederländisches Ideal vor Augen, er liebte und suchte das Schöne, er heirathete nach einander zwei schöne Frauen –[111] besonders die Letzte, Helena Formaes, war ausnehmend schön, der Grundtypus der niederländischen Weiberschönheit, sie, die mit ihren langen goldgelben Haaren, blauen Augen, gebogenen Braunen, mit ihrer breiten hellen Stirn, ihrem lächelnden Munde, ihrer durchsichtigen delicaten Pfirsichhaut auf den rubensschen Stücken als Eva, Venus, Königin so fruchtbar schön, so liebens- und umarmungswürdig uns vor Augen tritt. Rubens liebte und studierte die Antike, liebte und studierte die italienischen Maler, liebte Italien, obwohl er durch alle goldene Berge sich nicht verführen ließ, der Aufforderung des Herzogs von Mantua zu folgen und seinen Wohnsitz in Italien auszuschlagen. Rubens wohnte in Antwerpen groß und geschmackvoll, lebte mit dem Aufwand eines reichen Bürgers, verkehrte viel mit Fürsten und vornehmen Herrn, und spielte oft die Mittelsperson in den Angelegenheiten derselben, wie ihn sein Ruhm, sein Talent, sein beredtes, geistreich gebildetes Wesen am glänzendsten Hofe die willkommenste Aufnahme verschaffte.

Rembrand dagegen verhielt sich kalt und gleichgültig gegen das Schöne, er malte seine Weiber von der Faust weg, die Weiber, die ihm saßen, nahm er von der Gasse, die Erste die Beste, die Wohlfeilste die Liebste. Er studierte die Antike[112] nicht, er liebte sie nicht, er machte sogar den Eifer seiner Schüler und Freunde für dieselbe lächerlich. Italien und die italienischen Maler ließ er links liegen, er spürte nicht den geringsten Trieb nach den Reizen und Wundern dieses Landes zu einer Zeit, wo das italienische Sehnsuchtsfieber epidemisch unter den Künstlern herrschte. Er fühlte kein Bedürfnis, sich mit Gegenständen des Geschmacks zu umgeben, er wohnte klein und schlecht, lebte karg, zehrte wenig, knickerte mit Stüvern, während es Goldstücke auf ihn regnete. Seine Malerschule hielt er auf dem öden Boden eines Packhauses zu Amsterdam.

Dennoch hat die knickerigte grobe Faust des Holländers ein eben so magisches Talent entfaltet, wie die feine Hand des Flamländers.

Ich liebe ihn, den düstern Rembrand, ich liebe es, in seine schwarzen Gemälde zu sehn, die nur von wenig Lichtern geisterhaft erhellt werden. Ich wundere mich oft über seine schwarze Phantasie – er ist eines Müllers Sohn, seine Wiege stand im Mehlstaub, der Vater, der ihn in seine Arme nahm, herzte und küßte, trug eine weiße mehlbepuderte Jacke, die ersten Eindrücke seiner Kindheit waren weißer Natur, besprengt vielleicht mit etlichen grünen Grasflecken aus der arkadischen Gegend zwischen Kukerke und Leiderdory, wo seiner[113] Eltern Mühle stand – ist er mit der Nacht in der Seele geboren, oder hat seine Mutter ihn in einer dunkeln Kammer zur Welt gebracht?

Rembrand war ein großer Maler – der Antike, den Italienern, den Idealen, den Grazien und der Schönheit selber zum Trotz.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 110-114.
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