Fünfter Auftritt.

[27] Bolana Matrone, noch nicht ergraut tritt links aus dem Hause; eine junge Sklavin steht oben unter den Palmen.


BOLANA.

Du siehst noch nichts?[27]

SKLAVIN nach rechts hinausschauend.

Noch nichts. Im Säulenweg,

So weit ich schaun kann, kaum ein Duzend Menschen;

Sonst alles leer!

BOLANA setzt sich auf die Bank.

Weil alles Volk hinaus ist,

Die, welche wiederkehren, zu begrüßen.


Seufzt.


Wär' nur mein Knie gesund, ich stünde draußen

Am Wüstenthor, die erste, weit voran,

Im Sonnenbrand, geduldig, bis sie kommen!

»Die, welche wiederkehren« ... Kehrt auch mein

Apelles wieder? Glaubst du?

SKLAVIN zuversichtlich.

Freilich, Herrin!

BOLANA.

Du Papagei du. »Freilich, Herrin,« sagt sie.

Als wär's ihr eingelernt. Die Mutter hört's gern.

Drum unverzagt, als hätt's der Sonnengott

Ihr selbst verraten, sagt sie: »Freilich, Herrin!« –

Komm her, du Elster.


Die Sklavin kommt herab.


Laß uns »weise« sein,

Wie mein Apelles sagt, und ruhig warten.


Seufzt.


Wär' er nur weise. Wenn nach langem Marsch

Im heißen Wüstensand die andern rasten,

So bleibt er stehn, auf seinen Speer gelehnt –

Ich seh' ihn, Taimi – lächelt auf die Müden

Herab, die sich am Quell ins Gras gestreckt,[28]

Und spielt mit seiner Kraft! – Und träf' ihn etwa

Ein Perserpfeil am Arm, »das thut nichts,« sagt er,

Läßt wohl den Pfeil noch gar im Fleische stecken,

Summt sich ein Sprüchlein, hebt den Kopf noch höher

Und stürmt gradaus voran!

SKLAVIN lächelnd.

Und bist doch stolz,

Daß der dein Sohn ist – grad' so, wie er ist.

BOLANA.

Du weißt noch nichts von Muttersorgen, Kind.

Wir freun uns, sehn wir unsern Adler fliegen,

Und zittern. »Nicht zu hoch! Wir lächeln stolz,

Wenn er Gefahr und Neid und Mühn verachtet,

Und denken Tag und Nacht: »Ach, schont' er sich!«

Uns aber preist man glücklich – –


Steht plötzlich auf.


Still! Wer kommt da?

SKLAVIN.

Der spöttische Timolaos!


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Der Meister von Palmyra. Stuttgart 61896, S. 27-29.
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