Sechster Auftritt.

[29] Die Vorigen, Timolaos von rechts, durch das Thor; bewaffnet, erhitzt, in Eile.


BOLANA.

Du? was bringst du?[29]

TIMOLAOS. Vorderhand nur mich selbst. Mit zwanzig Wunden am Kopf und an der Brust – wenn diese Feueranbeter, die spitzhütigen Perser mich getroffen hätten. Aber wir haben ihnen heiliges Feuer unter die Sohlen gelegt; sie sind gut gelaufen! Trocknet sich Gesicht und Hals.

BOLANA. Und mein Apelles – wie geht's ihm?

TIMOLAOS. Wie soll's ihm gehn? Gut. So viel noch von ihm übrig ist, dem geht es gut –

BOLANA. Heiliger Adonis! Er ist vewundet?

TIMOLAOS. Wie viel Zähne hatte er wohl gestern noch, als wir auszogen?

BOLANA. Du bist nicht gescheit! Mein Apelles hat noch alle seine Zähne –

TIMOLAOS lacht. Die Mutter! Die stolze Mutter! Ihr Sohn ist vollkommen! – Ich dachte, er hätte weniger; dann hätt' ich gesagt: so viel Zähne er hat, so viel Wunden hat er –[30]

BOLANA. Timolaos! Nein, Nein!

TIMOLAOS. Aber nun stimmt's nicht. Denn eigentlich hat er nur Eine Wunde, die der Rede wert ist; und die ist auch nur am Arm und bedeutet nichts. Geleistet dagegen hat er mehr als alle; – sie jauchzen, wo sie ihn sehn! – – Ihm gönn' ich's warm. Das ist der einzige Mann, dem ich alles gönne! Die andern sind Sternchen, er ist die große Sonne; lächelnd. na! manchmal wird er auch glühheiß! Dann thut man gut, ihm aus dem Wege zu gehn!

BOLANA. Nein, nein, nein, Timolaos. Er ist immer gut –

TIMOLAOS lacht. Sagt' ich's nichts Die Mutter! – Aber, was ich sagen wollte: deinem Sohn Apelles wird heute noch große Ehre widerfahren! Trompeten hinter der Scene, sich allmählich nähernd. Hörst du? Sie kommen! Durch den großen Säulenweg ziehen sie heran –

BOLANA. Heiliger Zeus! hierher? – Und Apelles mit?


Sklavinnen kommen aus dem Hause, horchend, bleiben an der Thür.


TIMOLAOS. Ei freilich; mit dem Präfekten voran! Hinter ihm seine Freunde, die auf seinem Adlerrücken mit emporgeflogen sind: der ehrgeizige Julius Aurelius Wahballath[31] mit dem neidsauren Lächeln, und der schöne Septimius Malku, Sohn des Zabdila, in dessen schmale Hand so viel Gold hineingeht und so wenig heraus –

BOLANA. Und er ist nur leicht verwundet, Timolaos?

TIMOLAOS. Seine anderthalb Wunden sind wie Milchzähne: sie vergehen von selbst!

BOLANA. Sie kommen! Sie kommen! mit schwacher Stimme. Apelles!


Will ihm entgegen, schüttelt dann den Kopf und sinkt auf die Bank zurück. Die Sklavinnen stützen sie.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Der Meister von Palmyra. Stuttgart 61896, S. 29-32.
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