Neunter Auftritt

[129] August kommt von links zurück, Lene halb gewaltsam an der Hand hereinziehend.


AUGUST. Nein, ich habe es nun satt; du sollst nicht immer vor mir davonlaufen! Du sollst hereinkommen und mir endlich einmal sagen, was das alles bedeutet! Ich denke, du bist bei deiner Mutter drüben, und statt dessen stehst du hinter der Türe hier und lauschst! Er hat sie losgelassen und sich auf das Sofa gesetzt; Lene steht mitten im Zimmer, nach dem Garten hinausblickend, wo sie Ilefeld abgehen sieht. Setz' dich – wonach siehst du? Er folgt der Richtung ihres Blickes. Ja, der da – das ist auch so einer – drei Jahre lang ist er in meiner Fabrik, hat nur Gutes empfangen, und jetzt kündigt er mir und geht!

LENE halblaut, starren Blicks. Geht –

AUGUST. Weil's ihm so paßt! Natürlich hat irgend jemand ihm eine Stelle mit größerem Lohn versprochen.

LENE mit erstickender Stimme. Das – glaub' ich nich –

AUGUST. Natürlich, ich hab's auch nicht glauben wollen, denn ich habe den Menschen lieb gehabt. Darum, siehst du, mußt du dich nicht hinter die Türen stellen und lauschen; hörst du, das mußt du nicht. Komm zu mir –

LENE geht plötzlich rasch auf die Gartentreppe zu.

AUGUST. Wo willst du hin?

LENE wie geistesabwesend, bleibt stehen. Ich – weiß nich.

AUGUST. Von mir fort willst du! Aber ich will es nicht länger; ich tue dir nichts, ich habe dir nie 'was getan; du sollst bleiben – Er deutet auf das Sofa. setz' dich![130]

LENE setzt sich auf einen Stuhl mitten im Zimmer.

AUGUST. Nein, hier zu mir her.

LENE sieht scheu zu ihm hinüber.

AUGUST. Mein Gott, was siehst du mich denn an, als wollte ich dich schlachten? Komm zu mir, sag' ich, ich will's!

LENE steht auf, bleibt zitternd am Stuhle stehen.

AUGUST erhebt sich. Ah was soll denn das nun endlich? Er faßt sie an der Hand, zieht sie zu sich heran, setzt sich auf das Sofa, Lene auf sein Knie.

LENE tödlich erblassend. Ach –

AUGUST. Ist es denn möglich? Solch ein törichtes kleines Ding? Da zittert es am ganzen Leibe! Lenchen, so werde doch vernünftig. Ist es denn ein Unrecht, wenn du so bei mir sitzest? Sind wir denn nicht verlobt? Ist es so schrecklich, wenn ich dir sage, daß ich dich liebe? Hast du denn eine Ah nung, wie ich dich liebe? Siehst du, wenn ich dich so in den Armen halte, ist mir zumut, als hielt' ich die ganze Welt mit aller ihrer Herrlichkeit umfaßt – o du – liebstes Mädchen du! Er küßt sie leidenschaftlich.

LENE beugt das Haupt zurück. Ach nich doch – ach nich doch –

AUGUST. Erschrick nur nicht; ich will ja ruhig sein. Aber so sag' doch etwas, so sprich ein Wort.

LENE. Ich – ich weiß ja nich –[131]

AUGUST. Du sollst mir ja keine Rede halten; ob du mir gut bist, das sollst du sagen, nur, ob du mir gut bist?

LENE. Ach – Sie – sind ja so gut –

AUGUST. Danach frag' ich ja nicht: ob du mir gut bist?

LENE will etwas erwidern, bringt aber keinen Laut hervor; man sieht, wie ihre Lippen zucken.

AUGUST. Na –? Na –?

LENE. Aber das – kann ich ja nich –

AUGUST. Das kannst du nicht sagen?

LENE. Das – wäre doch nich – passend –

AUGUST. Hahaha! Siehst du, dafür muß ich dich nun wieder küssen. Er küßt sie. Du Dummchen du!

LENE. Ach Gott –

AUGUST. Ach Gott – so küß' mich doch wieder, dann brauchst du nicht zu seufzen; na? So entschließ' dich; willst du? Einen Kuß?

LENE wehrt ihn ab. Ach – bitte nich – bitte nich –

AUGUST. Weil wir noch nicht Mann und Frau, weil wir noch nicht verheiratet sind? Darum willst du nicht?[132]

LENE. Ja ja!

AUGUST. Es ist gut, ich will dich nicht quälen! Aber lange verlobt sein, weißt du, das taugt nichts; darum wollen wir bald heiraten? Ja? In acht Tagen?

LENE schreit auf. Nein!

AUGUST. Wie? Nein?

LENE. Ich meine ja nur – ich – wollte ja nur sagen – das – is doch gar zu rasch.

AUGUST. Na gut also – in vierzehn Tagen; das ist doch Zeit genug? Ja?

LENE tonlos. In vierzehn Tagen.

AUGUST in ruhiger Glückseligkeit. In vierzehn Tagen also. Lenchen, Lenchen Er nimmt ihre Hände in die seinigen. nein ängstige dich nicht; nur ansehn will ich dich, nur mit den Augen den Reichtum umfassen, der mir in vierzehn Tagen nun gehören soll – ganz – ganz – Er lehnt das Haupt an ihre Brust. Wenn du doch begriffest, daß du es bist, die mich beschenkt, und wie reich du mich beschenkst. Siehst du, die Menschen da draußen, die man die Gebildeten, die Reichen nennt – siehst du, sie sind so abgestanden, so leer; sie können einem so gar nichts geben; alles ist angelernt und anerzogen – und darum eben, weil du so anders bist, so ungelernt, so ungebildet, darum eben, Lenchen, liebe ich dich so. Die da draußen, siehst du, das ist, als ob man brakiges Wasser tränke, und du bist wie die Quelle im Walde, die aus den Tiefen der Erde steigt. O du Quell meiner durstenden Seele, wie will ich mich satt trinken an dir! Er richtet das Haupt auf, blickt ihr ins Gesicht und sieht, daß sie unter lautlos strömenden Tränen dasitzt. Lenchen – du weinst?[133]

LENE. Wenn Sie – so sprechen –

AUGUST. Tut es dir weh, was ich sage?

LENE. Wenn ich – Sie so höre – ich kann's nich beschreiben und nich sagen – und daß ich's nich sagen kann, das ist ja eben das Unglück.

AUGUST. Nein, Lenchen, ein Unglück wär's, wenn du anders sein könntest, als du bist. Aber fasse doch Vertrauen; wenn wir verheiratet sind, siehst du, dann zieht die Mutter zu uns in das Haus –

LENE tief seufzend. Die Mutter – ja – und – Sie wollten sie ja in das Bad schicken?

AUGUST. Und wenn du willst, reisen wir mit ihr dahin, und sie wird wieder frisch und gesund –

LENE drückt unwillkürlich seine Hand. Ach ja.

AUGUST. Siehst du? Glaubst du nun an das Glück? Er hat sich mit Lene erhoben und steht jetzt, sie sanft umfassend, neben ihr. Niemand kann ja zum Menschen sagen, du wirst glücklich sein; das wäre vermessen, das steht in Gottes Hand, aber einen Menschen, der es versuchen wird, dich glücklich zu machen, den wirst du haben, Lenchen; einen Menschen, der jeden Dorn und jeden Stein aus deinem Wege räumt und jeden Morgen mit dem Gedanken aufstehen wird, wie er es anfangen soll, daß du am Abend in Glück und Frieden einschläfst – glaubst du mir das, Lenchen? Glaubst du mir das?

LENE. Ja – ja –[134]

AUGUST. Nein – nun mußt du mir das anders sagen.

LENE. Wie denn?

AUGUST. Ja, August – ich glaube es dir; so sag's.

LENE. Nein – bitte.

AUGUST. Ja, doch, Helene.

LENE nach ringendem Kampfe. Ja – August – ich Sie will sich von ihm losreißen. ich kann nich!

AUGUST hält sie in seinen Armen fest. Ich fordere es, Helene; du mußt diese törichte Scheu überwinden. Du mußt du zu mir sagen.

LENE am ganzen Leibe zitternd. August – ich – glaube dir.

AUGUST reißt sie jubelnd an sich, küßt sie. Endlich ist es heraus! Und nun quäle ich dich nicht länger, nun geh' ich, nun leb' wohl – Er geht, kehrt wieder zu ihr zurück, schließt sie noch einmal in die Arme. Lenchen! Nein, nein, du willst es ja nicht haben – ich küsse dich jetzt nicht mehr! Aber in vierzehn Tagen, Lenchen, in vierzehn Tagen! Mein Herz, meine Seele, meine Frau. Er geht mit leuchtenden Blicken links ab.

LENE steht wie erstarrt auf demselben Fleck, streicht sich dann langsam über die Stirn. Nu hab' ich mich um die Seele gelogen – was hab' ich denn gesagt? In vierzehn Tagen soll ich ihn heiraten? Das is ja nich wahr! Das is ja nicht möglich! Das geht ja nich!


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 129-135.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon