Sternlose Nacht

[140] Gewölk hat umgebracht

Den letzten Sternenfunken;

In rabenschwarze Nacht

Ist Fels und Tann versunken.


Ich bin ein Erlenstumpf,

Dran bleicher Moder glimmert,

Ein gärend fauler Sumpf,

Wo scheu das Irrlicht flimmert.


Unheimlich düstre Welt,

Du Tummelplatz für Toren!

Bin gänzlich unbestellt

In dich hineingeboren.


Sag an, was hast du für

Mit deinem bangen Kinde?

Und hast du keine Tür,

Wo ich den Ausgang finde?


Gewölk hat umgebracht

Den letzten Sternenfunken;

In rabenschwarze Nacht

Ist Fels und Tann versunken.
[141]

Mein Leben schäumend rann,

Ein Sturzbach zwischen Steinen.

Was ich dabei gewann?

O bitter möcht ich weinen!


Einst ward ich schmuck und neu

Als Menschlein eingekleidet.

Doch alles Fleisch ist Heu,

Und horch, die Sense schneidet.


Ach wohl, die Jugend reicht

Den süßen Taumelbecher.

Doch Rausch und Minne weicht,

Und Reue weckt den Zecher.


Um jeden Bissen Brot

Muß hart der Froner schanzen;

Sonst hockt die hagre Not

Auf seinem leeren Ranzen.


Mach dich nicht gar zu breit,

Du Herr im güldnen Hause!

Ohn End ist Ewigkeit,

Und schmal die letzte Klause.
[142]

Poch nicht auf Ehr und Zier!

Fortuna hat's geliehen.

Der Hobler wird auch dir

Ein Linnenkleid anziehen,


Zum Pfühle untern Kopf

Zwei Handvoll Spähne schieben ...

Nun denke nach, du Tropf,

Wie närrisch du's getrieben!


Gewölk hat umgebracht

Den letzten Sternenfunken;

In rabenschwarze Nacht

Ist Fels und Tann versunken.


Und wie ich ratlos bang

Ins dunkle Rätsel staune,

Horch, sanfter Wiegensang,

Ein wogend Waldgeraune:


»Nur stille, Menschenkind!

Was helfen deine Sorgen?

Die Augen schließe lind!

Derweilen wächst das Morgen.«
[143]

Die Nacht hat ihren Tau,

Auf daß der Maien blühe,

Und aus dem Wolkengrau

Entsprießt die Purpurfrühe.


Soll nicht der Sagenstein,

Wo wüste Tannen dunkeln,

Ein Königspalas sein

Und einst entzaubert funkeln?


Zuvor im Puppenkleid,

Will diese trübe Erden

Am Glanz der Ewigkeit

Ein Himmelsfalter werden.


Und ob die Wolke hüllt

Den letzten Sternenfunken,

Dein Traum wird noch erfüllt:

Du schaust/ von Sternen trunken.

Quelle:
Bruno Wille: Der heilige Hain. Jena 1908, S. 140-144.
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