Zweites Kapitel.
Am Theetisch.

[25] Wenn Herta ihrem reichen Verwandten ein Anliegen von Wichtigkeit vorzutragen hatte, verschob sie dies immer bis zum Abend. Die Theestunde war die günstigste Zeit für dergleichen Eröffnungen. Dann hatte Graf Erasmus, obwohl immer mild, zuvorkommend und billigen Wünschen geneigt, seine rosenfarbigste Laune. Er hörte dann häufig blos mit seinem menschenfreundlichen Herzen und schob die kalte verständige Überlegung sanft bei Seite. Um diese Zeit hatte er dem jungen Mädchen, das er zärtlich liebte, noch nie etwas abgeschlagen, und deshalb sparte sie die Mittheilung ihrer Neuigkeit bis zu dieser glückverheißenden Stunde auf. Ein herrschsüchtiges, intriguantes und politisch kluges[26] Mädchen würde an Herta's Stelle diese Macht schlau benutzt haben, um den alternden Grafen sich unterthänig zu machen. Herta dachte nicht daran. Sie war zu ehrlich, um von den guten Schwächen Anderer Vortheil zu ziehen, und außerdem auch zu sehr von Dankbarkeit gegen das gräfliche Haus durchdrungen, als daß sie irgend etwas gegen dasselbe hätte unternehmen mögen, das sie vor ihrem Gewissen nicht unbedingt gut heißen konnte. Sie wußte, daß sie zur Familie des Grafen gehöre, allein ihre Armuth und der edle Schutz, den ihr Erasmus anfangs in einer Pension, später in seinem eigenen Schlosse gewährt hatte, machten sie bescheiden. Sie war eine Waise gewesen von Jugend auf, hatte weder Vater noch Mutter gekannt und wußte nur, daß die Letztere eine Schwester von Erasmus gewesen sei. Mehr hatte sie von ihren Ältern nicht erfahren, und den Grafen, ihren gütigen Oheim, wagte sie nicht zu fragen, weil er ihr mit mildem Ernst bestimmt erklärt hatte, daß ihr mehr zu wissen jetzt nicht fromme, daß sie aber vollkommenere Kunde über ihre verstorbenen Ältern erhalten solle, sobald sie verheirathet sein werde. In einsamen Stunden, wenn sie dieser[27] Rede gedachte, ertappte sich die liebe Unschuld wohl zuweilen auf dem Wunsche, daß diese Zeit nicht mehr fern sein möge, und dann erröthete ihr feines Gesicht und das Herz klopfte ihr vor Neugier und verschämter Sehnsucht. Manchmal aber konnte sie auch recht schwere Seufzer nicht unterdrücken, denn es bangte ihr, daß sie von denen, die sie in anbetender Liebe still verehrte, gewiß recht viel Trauriges, wo nicht gar Entsetzliches erfahren werde.

Graf Erasmus litt am Podagra. Zu seiner Bequemlichkeit ward daher der Thee in seinem Zimmer servirt. Dies war ein hohes, dunkles, alterthümliches Gemach, feudalistisch grau, wie das ganze Schloß, und mit gemalten Tapeten ausgeschlagen, die idyllische Schäferscenen darstellten. Es hatte, wie Herta's Wohnzimmer, nur zwei mehr hohe als breite Bogenfenster. Möbeln von hohem Alter und neuerer Erfindung standen in bunter Mischung umher. Neben dem großen Kamin, dessen Flamme nicht, wie heut zu Tage, mit Steinkohlen, sondern mit Holzkloben genährt wurde, erhob sich noch ein hoher und breiter Ofen von sehr veralteter Fassung. Sein Inneres konnte bequem eine Viertelklafter[28] Holz fassen. Er bestand aus dunkelgrünen Kacheln in Wolkenform, aus denen geflügelte Engelsköpfchen sahen. Um stets eine gleichmäßige Temperatur im Zimmer zu erhalten, ließ Graf Erasmus Kamin und Ofen zugleich heizen, schob dann zwischen beide seinen bequemen Lehnstuhl, legte die schmerzenden Füße auf weiche Polster und brachte so, namentlich die Abendstunden, in ruhiger Behaglichkeit unter Gesprächen mit den Seinigen zu.

Erasmus war ein Mann von einigen sechzig Jahren, mit edlen, vornehmen Zügen. Die Zeit, der er angehörte, und die Gewohnheiten, mit denen er von Jugend auf vertraut geworden, hatten ihn zu einem entschiedenen Aristokraten im bessern Sinne des Wortes erzogen. Er hielt den Adel für eine Menschenrace, die himmelweit verschieden sei von dem gemeinen Volk. Daß beide, Kinder des Adels wie des Volkes, gleiche Anlagen, gleiche geistige Befähigung und deshalb gleiche Rechte hätten, das bestritt er aufs Heftigste, und wer ihn sich gewinnen wollte, durfte diesen Punct nicht berühren. Es ging sogar die Sage, daß er in seiner Jugend mehr als einmal in Folge dieser Ansicht unbillige[29] Handlungen verübt habe. Dabei aber ließ er dem Volke, worunter er immer Unterthanen verstand, insofern Gerechtigkeit wiederfahren, als er zugab, daß es zu sehr vielen Dingen nützlich sei, daß man es pflegen, schonen und mit Liebe behandeln müsse, weil sonst kein Staat bestehen könne und alle Herrschaft aufhöre. Nach diesen Grundsätzen behandelte Erasmus seine eigenen Unterthanen, die ihn deshalb liebten und ehrten.

Die Bildung des Grafen war eine durchaus französische. Er hatte mehrere Jahre in Paris gelebt und dort die Gesinnungen der vornehmen Welt sich zu eigen gemacht, wie sie unter der lockern, entsittlichenden Regierung Ludwigs XV. sich ausbildeten.

Dies könnte unserm Schützling in den Augen der Leser nicht eben sehr zur Empfehlung dienen, hätten wir nicht hinzuzufügen, daß Graf Erasmus nur die geschmeidige Feinheit im Umgangstone, das sarkastisch-witzige Element bei geistiger Unterhaltung, die frivole, aber aufrüttelnde französische Philosophie damaliger Zeit, mit einem Worte das feine Arom der französischen Bildung mit all seinen Mängeln sich zugeeignet,[30] das Frech-Unsittliche aber, das gleißnerisch anlockend mit diesem geistigen Rausche sich verschwisterte, als strenger Deutscher von jeher verachtet hatte. So kam er als vollendeter Weltmann aus Paris zurück, der eleganten Formen mächtig, aber im Innern voll fester und ehrenwerther Grundsätze. Der Anblick der kokettirenden Lasterhaftigkeit, womit der französische Adel prunkte, hatte ihn zurückgeschreckt und zu der Überzeugung hingetrieben, daß bei solchem Leben in kurzer Frist das ganze Reich bedroht und in seinen Grundfesten erschüttert werden müsse.

Weil Erasmus im Spiegel des Schlechten das Gute erkannt hatte, gab er sich Mühe, auf seiner Herrschaft danach zu streben. Er verbesserte, soweit es sich mit seinen Ansichten vertrug, die Lage seiner Unterthanen. Er sah darauf, daß seine Vögte Menschen von gutem Herzen waren, die seine Leibeigenen nicht unnöthig quälten. Hatte Jemand ein Anliegen, so hörte ihn der Graf ruhig an und half, wo er konnte oder Hilfe nöthig erachtete. Er verringerte sogar aus eigenem Antriebe die Zahl der Hofetage, um durch größere Freigebung der Bauern[31] eine Verbesserung seines Besitzthumes zu erzielen. Und Erasmus hatte nicht falsch gerechnet. Die Unterthanen hingen ihm an, thaten ihm manche Handleistung freiwillig, wurden wohlhabender, hielten bessere Ärndten und konnten ihm in Folge derselben auch die Abgaben pünktlicher zahlen.

Ganz anders dachte seine Gemahlin Utta, aus einem stolzen hannöverschen Adelsgeschlecht. Sie war, was Eleganz, Form, äußern Bildungsfirniß anlangt, vollkommen das Ebenbild von Erasmus, aber sie verachtete, ja haßte sogar den gemeinen Mann. War sie genöthigt, mit irgend Jemand aus dem Volke zu sprechen, so wehte sie sich immer mit ihrem Fächer Luft zu, damit der unedle Athem des armen Proletariers ihre hochgräfliche exclusive Nase nicht mit seinem ungebildeten Duft entweihe. Sogar in Gegenwart ihrer Dienstboten hatte sie diese noble Passion beibehalten, obwohl sie jeden Diener ein wahres Purgatorium durchmachen ließ, ehe sie ihn würdig fand, ihr zu nahen. Gräfin Utta würde es jedenfalls vermieden haben, sich mit Leuten aus dem Volke zu umgeben, hätte es sich nur schicken wollen, Adelige zu so erniedrigenden[32] Diensten zu gebrauchen. Daher bedauerte sie auch häufig die unvollkommene Einrichtung der Welt, die nicht eine eigene Dienerkaste hatte erfinden und begründen können, welche zwischen dem rohen Haufen und dem adlig Gebornen mitten inne stehe, diesem allein aber seine unbefleckte Hand zu dienender Huldigung darreiche.

Diese Frau, eine kühle, hohe Schönheit, deren Spuren selbst das Alter der Matrone noch nicht gänzlich verwischen konnte, war Magnus Mutter. Unter ihrer Aufsicht wurde der stolze, trotzige, begabte Knabe erzogen. Ihm lehrte sie täglich den Katechismus der unverfälschten Aristokratie, fragte ihm denselben ab und überschüttete ihn mit Liebkosungen, wenn er gut bestand. Erasmus billigte eine solche Kindererziehung zwar nicht, er hatte aber auch nicht hinreichende Zeit und noch weniger Geduld, ihr entschieden entgegen zu treten. So begnügte er sich mit spöttischem Lächeln und gelegentlichen Bemerkungen, die jedoch Gräfin Utta unbeachtet an sich vorüberrauschen ließ. Konnte man da verlangen, daß Magnus mit seinem angebornen Sinn zum Herrschen, mit seiner heftigen Sinnlichkeit, mit dem sorgsam gepflegten Hange, den unbeschränkten Tyrannen zu spielen,[33] ein Anderer werden sollte, als wie wir ihn bereits kennen gelernt haben? Immer fand er eine bereitwillige Fürsprecherin in seiner Mutter, wenn er als Knabe die Herrscherwillkür zu weit getrieben hatte und deshalb Klagen bei seinem Vater einliefen. Ein Verweis, bald mehr bald minder streng, war die einzige Art der Bestrafung, die Magnus kennen lernte. Diesen nahm er mit der von seinem Vater streng geforderten Ergebung hin, um sich unmittelbar darauf von der zärtlichen Mutter seiner Selbstbeherrschung und anmuthigen Sitte wegen loben und in seinen Thorheiten bestärken zu hören.

Nach Entwerfung dieser Silhouetten bitten wir den Leser, uns in das Zimmer des Grafen Erasmus zu begleiten. Der Graf saß in seinem auf Rollen ruhenden Lehnstuhle zwischen Kamin und Ofen. Ein mit Zobelpelz verbrämter Schlafrock von feinstem Stoff umhüllte ihn. Den edel geformten, wohl frisirten Kopf hatte er auf die rechte Hand gestützt. So hörte er mit feinem Lächeln einem Gespräche seiner Gattin zu, das diese in dem Augenblick abbrach, wo Herta mit dem Bedienten eintrat, der ein Theeservice von kostbarem[34] meißener Porzellan in chinesischem Geschmack trug.

Das junge Mädchen grüßte Oheim und Tante mit schalkhafter Vertraulichkeit und machte sich sodann, auf der Seite des Kamins Platz nehmend, mit Einschenken des Thee's zu schaffen, dessen Bereitung die Gräfin ihr stets überließ. Seltsamerweise liebte die schroffe Aristokratin ihre Nichte über alle Maßen, obwohl sie mit ziemlicher Bestimmtheit wußte, daß Herta ganz andern Ideen nachhing als sie. Die unverkennbare Herzensgüte des jungen Mädchens, verbunden mit dankbarer Hingabe an ihr Haus, und die natürliche schwebende Grazie, die das junge Geschöpf mit weit mehr Reiz umgab als die kunst- und erziehungsgerechteste Tournüre je um sich verbreitet, gewann der schönen Nichte ihr Herz und ließ sie kleine Flecken, die sonst in ihrem Auge entstellenden Fehlern, ja verachtungswürdigen Verbrechen geglichen haben würden, übersehen.

»Nun, meine Liebe,« sprach Erasmus, als ihm Herta die erste Tasse Thee mit freundlichem Lächeln reichte, »worüber hast Du heut so lange nachgedacht, daß der reine Himmel Deiner Stirn mit leichten Wolken umschleiert ist?«[35]

Herta schlug hastig die tiefen großen Augen auf und ein sanftes Roth überrieselte ihre Wangen.

»Bin ich so ernst?« fragte sie schüchtern.

»Nachdenkend, mit Wünschen und Ideen Dich tragend, wie ich es gern habe, doch wär' es mir noch lieber, wenn ich Dich immer frei und froh erblickte. Deine Jugend will ich nicht von dem kleinsten Schatten getrübt wissen.«

»Da mußt Du die Sonne auslöschen,« versetzte Herta schalkhaft, »denn das liebe warme Himmelslicht hat mir schon manchen Schatten in mein Zimmer geschickt und mich gar arg verfinstert.«

Erasmus schlürfte bedächtig den Thee und ließ dabei mehrmals sein Auge auf dem Mädchen ruhen, das darüber beunruhigt niederblickte. »Deine scherzhafte Antwort kann mich doch nicht täuschen,« sagte er nach einigem Zögern. »Du bist nicht meine klare, seelenstille Herta, Du bist aufgeregt.«

»Ach ja, das bin ich auch, Onkel, aber von weiter nichts, als der Lectüre.«

»Was lasest Du?« fragte schneidend scharf die Gräfin.

»Ein deutsches Buch,« erwiederte kaum halblaut das junge Mädchen.[36]

»Herta,« versetzte die Gräfin ruhig, aber in befehlendem Tone, »ich habe Dich schon so häufig ermahnt, diese rohe, unzarte und alle ächte Bildung zerstörende Lectüre aufzugeben, aber es scheint nicht, daß meine mütterlichen Warnungen etwas bei Dir fruchten. Wie hab' ich solchen Undank verdient? Fehlt es Dir etwa an bildender Unterhaltung? Die gesammte Bibliothek steht Dir zu Gebote, Du brauchst mir Deine Wünsche nur zu nennen. Altes und Neues ist reichlich vorhanden, alle Schriften der geistreichsten französischen Autoren, denen gebildete Geister allein Geschmack abgewinnen können und dürfen, öffnen sich Dir. Warum also diese Abweichung vom Wege der Pflicht und guten Sitte? Warum diese abscheuliche Vorliebe für unsere neuesten plumpen deutschen Schriftsteller, denen ich kaum diesen Namen zugestehen möchte? Es ist nicht einer darunter, der wahrhafte Lebensart besitzt. Sie lieben alle den Verkehr mit dem Pöbel und incanaillisiren sich durch so entwürdigenden Umgang. Ja habe ich doch sogar von einer Freundin hören müssen, daß mehrere dieser Menschen, von denen der ungebildete Haufe jetzt so großes Geschrei macht, sich zuweilen betrinken! Fi donc! Sich[37] betrinken, wie unsere wendischen Holzbauern! – Das allein verdirbt mir allen Geschmack, macht, daß ich jedem Buche so roher Menschen den Zutritt in mein reines Zimmer verwehre, und enthielte es selbst entzückende Dinge. Nur der Mann der Gesellschaft, der feinen Lebensart kann Werke schreiben, die uns fesseln und gefallen! – Was lasest Du?«

Herta warf einen fragenden Blick auf den Grafen, der mit stillem Lächeln dieser Strafrede seiner Gattin zugehört hatte. Erasmus verstand seinen Liebling und sagte mit leichtem Augenblinken, das Herta Unterstützung verhieß: »Ja, Liebe, das möchte ich auch wissen.«

Das Mädchen senkte wieder die Blicke, und während sie Wasser in die Theekanne goß, was eigentlich ein Eingriff in die Rechte der Gräfin war, erwiederte sie: »Es war das neue Trauerspiel von Schiller, von dem die Zeitungen so viel sprachen. Don Karlos, Infant von Spanien hat es der Dichter genannt.«

»Von Schiller?« fiel die Gräfin ein. »Ist das nicht der aufrührerische Taugenichts, der heimlich seinem gnädigen Herrn entlaufen ist und das abscheuliche, schwülstige, der lästerlichsten Gedanken[38] volle Buch ›Die Räuber‹ geschrieben hat? Ein sauberer Mensch, dieser Schiller! Die Polizei sollte auf ihn fahnden und ihn in lebenslänglichen Arrest bringen, um alle Unschuldigen vor seiner Verführung zu schützen. Hat er es ja doch schon so weit gebracht mit seinen hochverrätherischen und aufrührerischen Schriften, daß die Schuljugend zusammengelaufen ist und seine höllischen Phantasien auf's wirkliche Leben hat anwenden wollen. Grade dieser Mensch ist mir unter allen deutschen Autoren der verächtlichste, der boshafteste, und der Haß aller Gutgesinnten wird ihn verfolgen. Und dieser Mensch wagt es, seine unsaubern plebejischen Hände zu einem Infanten von Spanien, zu einem Königssohn zu erheben!«

Es war dies ein Thema, bei welchem die Gräfin immer sehr beredt wurde und nicht selten in etwas unaristokratischen Zorn gerieth. Wenn Erasmus einen Ausbruch dieser Art bemerkte, fing er an zu husten, was ein sicheres Zeichen seiner Unzufriedenheit war. Dann mäßigte sich seine Gemahlin, weil sie es für entschieden roh hielt, auch nur die Ahnung an einen Streit mit ihrem Gatten in Andern aufkommen zu lassen. Auch jetzt hustete Erasmus, da er sah, daß Herta von den Worten[39] ihrer Pflegemutter in tiefstem Herzen verwundet wurde. Utta brach ihre Rede sogleich ab und reichte dem Grafen einen Teller fein geschnittener Brödchen, als wolle sie ihm den Mund damit stopfen.

Erasmus dankte verbindlich, drehte spielend seine goldene Tabatière zwischen dem Daumen und Zeigefinger der linken Hand und sprach zu Herta:

»Theile ich auch nicht vollkommen die Entrüstung meiner Frau über Deine Lectüre, mein gutes Kind, so gestehe ich doch, daß ich ebenfalls keinen Gefallen an Deiner sonderbaren Wahl finde. Ich gebe zu, daß die neueren deutschen Poeten gebildeter, feiner und geistreicher sind, als ihre Vorgänger, allein Geschmack, jener unbeschreibliche Duft, der uns aus jedem französischen Geistesproduct entgegenweht, dieser fehlt ihnen noch gänzlich. Sie wollen durch Kraft und Ungeheuerlichkeit die mangelnde Eleganz der Form ersetzen, welche einzig und allein nur dem Witz und freien Spiel des Geistes erreichbar ist. Sie besitzen mit einem Worte keinen Esprit. Auch werden sie es nie dazu bringen, weil unsere Sprache zu schwerfällig ist und sich nie die leichte Geschmeidigkeit[40] der französischen Sprache aneignen kann. Doch billige ich es, daß man auf diese Bewegungen in der deutschen Literatur achtet und Theil daran nimmt, soweit es sich mit guter Gesellschaft verträgt. Nur sei man vorsichtig dabei! Man wisse zu sondern und lasse sich nicht von Leidenschaft und Vorurtheil leiten! Wir haben bereits recht geschmackvolle und feinsinnige deutsche Schriftsteller, mit deren Werken ich mich selbst einigermaßen beschäftigt habe. Wieland, Herder, Goethe haben recht liebe Sachen geschrieben. Einige ihrer Schriften würde ich Dir, wenn Du deutsche Bücher so sehr liebst, empfehlen. Allein gegen diesen Schiller habe ich meine Bedenken! Er ist ein entschiedener Revolutionär, gefahrvoll für die Jugend, gefahrvoll für das ungebildete Volk! Er redet Ideen das Wort, die, griffen sie Platz im Leben, unsere ganze Existenz bedrohten. Namentlich richtet er seine, ich gebe es zu, furchtbaren Schwerthiebe gegen die höchsten Stände und schon deshalb müssen wir ihn ignoriren. Ignoriren ist eine höchst empfindliche Strafe, die mehr wirkt, als Lärm! – Dies meine Meinung, liebes Herzchen, und nun sage mir, weshalb Du von der Lectüre so nachdenkend gestimmt worden bist?«[41]

»Erlasse mir dies, guter Onkel,« versetzte Herta. »Ich müßte die herrlichen Worte, die königlichen Gedanken, welche alle Menschen, ja die ganze Welt mit gleicher Liebe umfassen, auswendig wissen, wenn ich Dir ein nur schwaches Bild von dem Gemälde entwerfen wollte, das jeden Guten entzücken muß. Nein, Oheim, lies es selbst das Buch! Lies es ohne Vorurtheil, in völlig reiner Geistesstimmung, und dann sage mir unumwunden, was Du davon hältst. Verurtheilst Du meinen Schützling, so verspreche ich Dir, meine Hand von ihm abzuziehen.«

»Brav, mein Mädchen!« sagte Erasmus, zog die schlanke Gestalt an sich und küßte sie auf die im Feuer der Begeisterung leuchtende Wange. »Du hast Recht, man muß prüfen, ehe man urtheilt oder gar verdammt.«

»Aber sage mir doch, kleiner Schalk,« warf die Gräfin ein, gewaltsam ihren Verdruß über die Milde und Nachgibigkeit ihres Gemahls niederkämpfend, »wie bist Du denn zu diesen aufregenden Büchern gekommen?«

Herta preßte feurig die Hand der Tante an ihre schwellenden Lippen. »Nicht zürnen, beste Tante!« sagte sie, so hold bittend, mit so engelsanftem[42] Blick der großen schönen Augen, daß Weigerung nicht möglich war. Die Gräfin gewährte die Bitte durch gnädiges Kopfnicken.

»Also,« fuhr Herta munter und treuherzig fort, »so hört mich denn! Einige Meilen von hier gegen die Berge hin wohnt ein wunderlicher, aber herzensguter Mann, der sich durch Unterricht der Dorfkinder kümmerlich genug sein Brod erwirbt. Er ist Schulmeister und heißt Gregor. Wenigstens kennt ihn Groß und Klein unter diesem Namen. Ich halte den guten Mann nicht eben für sehr gelehrt, dazu ist er zu steif und unbeweglich, auch mag er wohl nicht viel Zeit zum Studiren übrig behalten, aber für Besorgung des geringsten Auftrages, den man ihm gibt, läßt sich Keiner bereitwilliger finden.«

»Bauernschulmeister!« bemerkte hier die Gräfin und wehte sich mit dem aufgeschlagenen Fächer Luft zu.

»Dorfschulmeister,« verbesserte Herta etwas boshaft.

»Nun siehst Du, dieser ganz prächtige Mann ist ein leidenschaftlicher Bienenvater und als solcher sehr geübt und gesucht. Schon im vorigen Jahre sah ich ihn mehrmals in der Gegend beschäftigt,[43] ausgeflogene Schwärme einfangen und die Bauern in der Kunst der Bienenzucht unterrichten. Bei seiner Wortkargheit macht er sich dabei recht drollig. Nun Ihr wißt ja, meine besten Herzensältern, daß ich ein klein wenig neugierig bin und mein Näschen überall hinstecke. So fragte ich also den Schulmeister Gregor eines Tages, wo ich ihn wieder mit seiner Arbeit, die Drahtmaske vor dem Gesicht, beschäftigt sah, was Alles dazu gehöre, ein tüchtiger Bienenvater zu werden? Darüber erschrak der gute Mann so furchtbar, daß er den Räucherkrug fallen ließ und beinahe den Bienenkorb noch obendrein umgestoßen hätte. Er stotterte, verbeugte sich unbeschreiblich komisch und sagte nach mehrmaligem fruchtlosen Ansatz zum Sprechen weiter nichts als« – »ganz natürlich!«

Erasmus lachte recht herzlich über den erschrockenen Schulmeister und auch die Gräfin erlaubte sich eine lächelnde Miene zu ziehen und die Erzählung ihrer neugierigen Nichte spaßhaft zu finden.

»Nach und nach ward mein Mann etwas dreister,« fuhr Herta fort, »und durch langes und vieles Fragen bekam ich doch einen Begriff von[44] der Bienenzucht. Es ist aber keine Beschäftigung für Mädchen und Frauen, darum will ich den Bienen ihre Geheimnisse lassen und mich mit den Früchten ihres Sammelfleißes begnügen. Schon wollte ich dem guten Schulmeister für seine Belehrung danken, als er mich beim Saum des Ärmels ergriff –«

»Fi donc!« rief die Gräfin entrüstet und schob ihren Stuhl um einen halben Schritt vom Theetisch zurück. »Ein Dorfschulmeister hat den Ärmel Deines Kleides angefaßt!« Der Fächer gerieth dabei wieder in sehr lebhafte Bewegung.

»Beruhige Dich, meine Liebe,« sagte der Graf sarkastisch, »er hat ihn angefaßt und das mag uns trösten.«

»Ja,« fuhr Herta fort, »er faßte mich am Ärmel und sagte in langen Pausen: Engel, hehrer, süßer Engel – ganz Natur! – Wollen Sie vielleicht ein Buch über Bienenzucht lesen, so kann ich Ihnen ein vortreffliches leihen, natürlich! Dieses Anerbieten rührte mich, ich dankte ihm aufrichtig und fragte dabei, weil es mir gerade einfiel: ob er mir vielleicht irgend ein anderes Buch besorgen könnte? – Ganz Natur, gab er zur Antwort, mit einer Würde, als habe er über ein[45] mächtiges Königreich zu gebieten. Sie dürfen nur wünschen, Engel in Menschengestalt, und es soll geschehen, wenn es meine Kräfte nicht überschreitet, natürlich, Natur! – Da nannte ich ihm denn einige Werke, nach denen ich lüstern war, und mein braver Gregor hat mir pünktlich Wort gehalten. So kamen, wie Frühlingsvögel, die den warmen Sommer verkünden, zugleich mit den Lerchen ein paar Bände von Schiller, Novalis und Bürger; so flog auch Don Karlos in mein stilles grünes Blätterboskett, und ich sage Euch, daß sie mich alle recht glücklich gemacht haben, weit glücklicher, als Eure vielgepriesenen steifen und unwahren Franzosen. Und nun rufe ich mit meinem lieben Schulmeister: natürlich, Natur!«

Herta unterließ nicht, nach diesem Geständniß sowohl Oheim wie Tante ehrfurchtsvoll die Hand zu küssen, gleichsam als bitte sie ihrer Kühnheit wegen um Verzeihung. Die Gräfin war auch sichtbar aufgebracht, weil sie aber dem Mädchen ihr Wort gegeben hatte, nicht zürnen zu wollen, so hüllte sie sich in den undurchdringlichen Panzer ihrer aristokratischen Abgeschlossenheit, spreitete den Fächer aus und wehte sich immer von Herta's Seite her frische Luft zu. Die harmlose Erzählung[46] mußte ihr erstaunlich auf die Brust gefallen sein.

Erasmus klopfte Herta auf die vor Schaam und Furcht glühenden Backen. »Sei ohne Furcht,« sagte er, »kein Unwetter soll Deinen blauen Unschuldshimmel trüben. Du bist zwar eine kleine gefährliche Schmugglerin, die eigentlich Strafe verdiente, für diesmal jedoch soll diese nur in vorläufiger Confiscation Deiner Contrebande bestehen. Du wirst mir die Lieferungen Deines prächtigen Schulmeisters ausliefern und zwar sogleich! Nach einigen Tagen werde ich Dir Dein Eigenthum zurückgeben und mich darüber erklären, ob der Schulmeister auch künftig noch mit Dir soll verkehren dürfen oder ob ich ihm verbieten muß, in die Nähe des Schlosses zu kommen. Jetzt geh' und hole die Bücher!«

Still gehorchend entfernte sich das junge Mädchen. Diesen Augenblick benutzte die Gräfin um ihrem Gatten einige Vorwürfe über sein Verfahren zu machen. Sie schlug den Fächer zusammen, legte ihn vor sich hin und sagte mit vornehmem Aufwerfen der Lippen:

»Du verwöhnst das Kind, mein Freund! Durch solches Gestatten stählen wir ihren an sich[47] schon festen Willen und impfen ihr eine Selbstständigkeit ein, die auf falsche Bahnen gerathend ihr äußerst gefährlich werden kann. Es wäre diplomatischer gewesen, Du hättest dem überspannten Kinde ihre schlechte Lectüre ohne Angabe des Grundes verboten. Das Dictatorische macht auf Jugend und Volk den nachhaltigsten Eindruck.«

»Herta ist ein kluges Mädchen,« versetzte Erasmus, »und ich will nicht, daß man der Entwickelung ihrer reichen, gesunden Naturanlagen hemmend entgegentritt. Sie soll selbst unterscheiden lernen, damit sie in späteren Jahren nach eigenem Urtheil wählen kann.«

»Zu stark treibende Pflanzen muß man der Sonne entziehen, damit sie sich nicht überwachsen.«

»Du erinnerst mich doch immer an Deinen frühern Verkehr mit dem Onkel. Immer und immer schimmert aus Deinen sammetweichen Worten, die noch sanfter klingen, wenn sie über Deine Lippen gleiten, ein feiner Strahl jesuitischen Lampenlichtes heraus, das heimlich in die Herzen der Menschen hineinleuchtet.«

»Warum gedenkst Du dieses als eines Unheils?« versetzte die Gräfin. »Wir verstehen[48] schlecht unsern Vortheil, wenn wir uns blödsinnig der Privilegien begeben, die uns Geburt und Rang verliehen haben. Den Jesuitismus betrachte ich nicht als einen religiösen Orden, mir ist er nur ein System, dessen Anwendung auf das Leben von unberechenbarer Wirkung ist. Das sollte der Adel wohl bedenken und sich, gleichviel welcher Confession er angehört, mit den Jesuiten in stillster Stille verbrüdern. Oder siehst Du nicht ein, mein Freund, daß die Erschütterungen in Frankreich eine völlige Auflösung allen Standesunterschiedes prophezeihen? Daß der wahnsinnig gewordene Pöbel seine blutigen Kothhände gegen uns erhebt, um uns in die Kloaken seiner Gemeinheit hinabzureißen?«

Als Erasmus auf diese Bemerkungen seiner umsichtigen Gattin antworten wollte, kam Herta mit den Büchern zurück und legte sie freundlich vor den Grafen hin.

»Hier bringe ich Dir meine Herzensfreunde,« sagte sie, einen langen und tiefen Blick aus ihrem frommen Auge dem Oheim sendend. »Ich werde sie recht vermissen, denn sie waren mir früh und Abends liebe Gefährten, die meine Seele mit ihren entzückenden Weisheitssprüchen labten und[49] mich erkennen ließen, wie herrlich das Leben auf dieser schönen Erde sein müsse, wenn ihre Lehren auf fruchttragendes Land fielen! O mir stürzen die heißen Schmerzensthränen in die Augen, blicke ich hinaus in's dampfende Land der Haide und sehe überall nur gebückte Knechte, statt aufrechtgehender Menschen, wie Gott will, daß wir alle sein sollen!«

»Es scheint, Du hast bei Deinem Schulmeister Unterricht genommen im Predigen,« bemerkte die Gräfin mit vorwurfsvollem Tone.

»Beste, gnädige Tante, schmähe meinen alten Freund nicht, er hat es wirklich nicht um mich verdient!« sagte Herta und küßte der Grafin die Hand. »Wenn Du so verächtlich von den armen Leuten sprichst, sinkt mir aller Muth, dem Oheim eine Bitte vorzutragen, die mir recht am Herzen liegt.«

»Mir, meine kleine Revolutionärin?« fragte der Graf, der inzwischen das Personenverzeichniß des Don Karlos gelesen hatte. Er zeigte das Buch jetzt seiner Frau über den Tisch und sagte: »Gegen diese Gesellschaft lassen sich keine gegründeten Einwendungen machen.«[50]

»Darf ich reden?« fragte Herta mit leuchtenden Blicken.

»Ich habe Dir nie eine Frage an mich verwehrt. Sprich offen und wahr!«

»Wie immer, mein gütiger Oheim. – Nicht wahr, einer Deiner armen Haidebauern, oder ist er ein Gärtner, heißt Sloboda?«

»Das weiß ich wirklich nicht, liebes Kind, doch glaube ich, daß mehrere dieses Namens unter meine Unterthanen zählen.«

»Der Mann, den ich meine, ist schon bei Jahren und hat eine hübsche junge Tochter, die Röschen heißt.«

»Ja, ja,« sagte Erasmus nachdenkend, »das wird der große Jan sein, dessen Sohn im Gemeindehause als irr untergebracht worden ist.«

»Ganz recht,« fiel Herta lebhaft ein, »ein Baum erschlug ihm seine Frau beim Holzfällen. Den schrecklichen Tod hat er sich zu Gemüthe gezogen und nun ist er geisteskrank, der Arme!«

»Sein Vater bittet mich gewiß um eine Unterstützung?«

»Nein, mein gütiger Oheim. Ich habe weder Vater noch Tochter gesehen und weiß überhaupt Alles, was ich Dir jetzt gesagt habe, blos[51] von einer dritten Mittelsperson, einem jungen schlanken Bauerburschen, der mich heut Morgen um Fürsprache bat.«

»Aber Herta! Du, ein Sproß des hochgräflichen Hauses von Boberstein, läßt Dich in Unterredungen mit schmutzigen Bauerburschen ein!« rief die Gräfin und schob das Buch mit einer Bewegung des Abscheus zurück, um wieder nach ihrem schirmenden Fächer zu greifen.

»Ach, beste Tante, der gute Mensch war nicht schmutzig, aber arm, recht sehr arm mochte er wohl sein,« versetzte Herta, betrübt die Augen niederschlagend. »Und was ist es denn Böses, wenn ich einen Unglücklichen anhöre? An wen anders soll sich denn der Bedrängte wenden, als an den Mächtigern? Die Starken sollen die Schwachen beschützen, sollen die Bösen im Zaume halten und sie zum Guten zwingen. Und wenn ich auch weder stark noch mächtig bin, so hat das arme Volk doch Zutrauen zu mir, weil ich es liebe und ihm helfe, wo ich es vermag. Und deshalb wenden sich die Bekümmerten an mich in der Hoffnung, daß ein bittendes Wort bei meinem braven, mächtigen Oheim Linderung ihrer Leiden bewirken könne.«[52]

»Du spannst meine Neugier, Mädchen, fast befürchte ich eine gewaltthätige, ungesetzliche Handlung,« sagte der Graf.

»So dürfen wir das Geschehene wohl nennen,« ergriff Herta abermals das Wort und fuhr, immer leidenschaftlicher und zürnender ihre zarte Stimme erhebend, fort. »Der erwähnte Bursche Clemens liebt Sloboda's junge Tochter und will sie als Gattin heimführen, wenn Du Deine Einwilligung dazu gibst. Der arme Wende wohnt in einem entlegenen Dorfe, das zum Zeiselhofe gehört. Auf seines Vaters Gehöft war Röschen zu Besuche. Da wird die Dienstschau ausgeschrieben und der Gutsherr verlangt, daß das zarte Mädchen mit andern ihres Alters auf den Hof kommen soll –«

»Er wußte gewiß nicht, daß sie fremd war.«

»Dies wurde ihm gesagt und dennoch beharrte er auf seinem Befehle.«

»Nun?«

»Die Wendin und ihre Verwandten weigerten sich, dem Befehle zu gehorchen –«

»Und? – Sprich, sprich, was geschah?«

»Der erzürnte Herr raubte das arme Kind mit Gewalt und schleppte es mit sich.«[53]

»Der Bube! Wie heißt er? Kennst Du ihn? Kann ich ihn erreichen?«

»Ich sagte schon, mein guter Oheim, daß der Herr vom Zeiselhofe sich eine solche Gewaltthat erlaubt hat!«

»Das ist eine von den ekelhaften Erfindungen des Pöbels,« fiel die Gräfin ein, »wodurch er sich an dem Adel rächen will, weil er nichts besitzt.«

»Wie ist das!« sagte Erasmus mit zitternder Lippe und mit beiden Händen die gepolsterten Arme des Lehnstuhles umklammernd. »Herr des Zeiselhofes ist ja mein Sohn Magnus!«

»Der arme Clemens nannte bebend diesen Namen.«

»Weiter, weiter!« rief der Graf mit zornfunkelndem Auge.

»Durch einen Zufall, den ich nicht näher kenne, entkam das Mädchen und flüchtete sich zu ihrem Vater. Dieser fürchtet aber, daß ihm sein Kind abermals entrissen werden könne und wünscht es deshalb unter Deinen oder – fügte sie lächelnd hinzu – wie der gute Bursche sagte unter meinen Schutz zu stellen.«

»Hast Du ihm Hoffnung gemacht?«[54]

»Der arme Mensch dauerte mich, bester Oheim. Er zitterte an allen Gliedern vor Furcht und Scheu und bat so inständig, so aus der rechten Schmerzenstiefe seines Herzens, daß ich mich seines verfolgten Bräutchens anzunehmen versprach, wenn Du mir Erlaubniß dazu gäbest.«

»Sehr brav, mein Mädchen! Doch was soll ich mit der Wendin beginnen?«

»Diese Sorge will ich Dir sogleich abnehmen, Herzensoheim. Aller Beschreibung nach ist Röschen hübsch und ich habe gern hübsche Dienerinnen um mich. Sie wird auch geschickt, lernbegierig sein, wie alle Wenden, und da hab' ich mir denn vorgenommen, so lange sie in meinen Diensten bleibt, sie zu unterrichten und recht gebildet ihrem Bräutigam auszuliefern, wenn er sie als Hausfrau von mir zurückbegehrt.«

»Gestatte dies nicht, ich bitte Dich, mein Freund!« sprach die Gräfin. »Das Mädchen weiß in ihrer Tollheit nicht mehr, was sie verlangt, was sie zu thun im Begriffe steht! Eine gebildete Leibeigene, mon dieu, wo soll das hinaus!«

Erasmus saß mir vorgebeugtem Oberkörper schweigend im Lehnstuhl. Er hielt den ausdrucksvollen[55] Kopf etwas gesenkt und aus seinen düster zusammengezogenen Augenbrauen und der tiefen Furche, die sich von der Nasenwurzel an senkrecht bis in die Hälfte der hohen intelligenten Stirn hinauf zog, war zu ersehen, daß er ernstlich und grollend über den Vorfall nachdachte. Ängstlich und erwartungsvoll schwieg Herta, empört über die ihrer festen Überzeugung nach erfundene Geschichte die Gräfin. In der stillen Abendluft klang vom See herauf Stimmengeräusch, dann schlugen die Wolfshunde im Schloßhofe an und die Dienerschaft ward lebendig.

Der Graf erhob langsam sein Haupt. Sein Gesicht war bleich, sein Blick ernst und entschlossen.

»Herta,« sprach er, die Winke seiner grollenden Gemahlin nicht beachtend, »wenn Magnus dies wirklich gethan hat, dann wehe ihm! Er hat mein Vaterherz hundertmal verwundet und immer verzieh ich ihm wieder, eine Schandthat aber, die mein reines Wappen beschmutzt, vergeb' ich nimmer! Ich verstoße, ich enterbe ihn. Er ist mein Sohn nicht mehr!«

Der Bediente trat ein.

»Was gibt es für Geräusch im Schlosse?« fragte die Gräfin.[56]

»Seine Gnaden, der Herr Graf Magnus, ist so eben angekommen, und bittet den gnädigen Herrschaften seine Aufwartung machen zu dürfen.«

Bei diesen Worten trat Magnus in's Zimmer.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 25-57.
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