Sechstes Kapitel.
Ein Bubenstück.

[129] Der großen Schloßhalle gegenüber, in welcher Haideröschen die schmählige Strafe erlitten hatte, lag die Wohnung des Kastellans. Ein gewölbter finsterer Gang, der für Unbekannte auch bei hellstem Sonnenschein nur mit einer Leuchte zu finden war, führte in den zweiten Flügel des Schlosses, wo Magnus seine Zimmer hatte. Diesen Gang benutzte der Kastellan, wenn ihm sein Amt in diesem Theile des Schlosses etwas zu thun gab. Magnus kannte diese Verbindung sehr genau und stand von früherer Zeit her mit dem alten Haspel, wie der Kastellan hieß, auf leidlich gutem Fuße, obwohl neuerdings der grade Sinn des Alten sich gegen die Lasterhaftigkeit des reichen jungen Herrn auflehnte.[130]

Eine Stunde nach der Strafscene begab sich Magnus durch den erwähnten Gang in Haspels Wohnung. Er fand sie leer. Hatte er dies auch nicht erwartet, so freute er sich doch darüber, denn zu seinem Geschäft, das er mit Haspel abmachen wollte, war Einsamkeit weit vortheilhafter. Er hätte lügen müssen, wenn er im Falle der Anwesenheit des Kastellans seinen Zweck erreichen wollte, und dies fiel ihm gerade jetzt etwas schwer.

Horchend blieb der junge Mann einige Secunden lang an der Thür stehen, bis er sich überzeugt halten konnte, daß ihn Niemand sehe, Niemand höre. Dann schlich er quer über die Stube bis an den bunten Kachelofen, der zur Hälfte in die Mauer eingeschoben war, damit er noch ein kleineres Gemach, wo die Diener hausten, zugleich mit erwärme. In einem an den Ofen stoßenden und etwas gegen die Thür vorspringenden Pfeiler war ein starker Haken angebracht. An diesem hing ein gewaltiges Schlüsselbund mit vielen blanken und verschiedenen verrosteten großen und kleinen Schlüsseln. Magnus griff danach und hob es behutsam, damit es nicht klirre, von dem Hacken. Wieder zauderte und[131] horchte er, aber es blieb draußen im Flur wie auf dem Hofraum und im Zimmer der Diener mäuschenstill.

Nun setzte sich der Graf auf den alten mit brüchigem Leder überzogenen Lehnstuhl am Ofen, legte sanft das Schlüsselbund auf seinen Schooß, drehte die Schraube auf, welche den eisernen Reif zusammenhielt, und bog diesen auf halbe Zollweite auseinander. Dann ließ er prüfend die Schlüssel durch seine Finger laufen und wählte drei der rostigsten aus, zwei größere und einen kleinen, die er dem Reif entnahm. Sobald dies mit größter Vorsicht geschehen war, schloß er den Reif wieder mit der Schraube, hing das Bund an den Haken, versteckte sorgfältig seinen Raub und verließ das Zimmer des Kastellans auf demselben Wege, den er gekommen war. Kaum hatte sich die Gangthür hinter ihm geschlossen, so trat Haspel ein. Nichts ließ errathen, daß vor wenig Secunden sein junger Gebieter sich in der Kunst des Stehlens mit so vielversprechendem Erfolge geübt hatte.

In seine Zimmer zurückgekehrt, verschloß Magnus die Thür, legte die drei entwendeten Schlüssel vor sich hin und betrachtete sie lange[132] mit Blicken, in denen eine satanische Freudenflamme zuckte. Dann nahm er gelassen den Riemen seines Hirschfängers und säuberte sie von den ärgsten Roßflecken, worauf er sie wieder zu sich steckte. Die Schloßschelle schlug eben die eilfte Morgenstunde, als er damit fertig war.

Magnus öffnete das Fenster und sah hinab auf den Schloßhof, über dem sich fröhlich zwitschernde Schwalben in dem blauen Luftzelt auf und niederschwangen, das in sonniger Durchsichtigkeit auf den grauen Zinnen der Burg ruhte. Die drei Wenden traten aus der Schloßhalle, ihre Hüte in den Händen, ehrfurchtsvoll den Worten lauschend, die Herta's zierlich gekleidete Dienerin zu ihnen sprach. Dies machte den Grafen stutzig und spannte seine Neugier. Das hübsche Mädchen sprach laut genug, um über den ganzen Schloßhof gehört zu werden.

»Es ist der Wille des gnädigen Fräuleins und unseres guten Herrn Grafen,« sagte Emma, »und da fügt Euch nur immer darein. Es wird einmal nicht anders!«

»Wer möchte dies auch wollen, gutes Kind,« versetzte Sloboda. »Ich sage ja bloß, daß ich es nicht begreifen kann. Wundert Euch nicht darüber,[133] meine Gute. Wir armen Unglücklichen, wir finden uns eher zurecht in schwerem Jammer, als in dürftiger Freude. Das kleinste Glück bringt uns gleich aus dem Häuschen. Und wenn ich bedenke, was mein süßes kleines Herzblättchen, mein Röschen, so eben hat ausstehen müssen – so vor allen Leuten – vor Hoch und Niedrig – und ich höre nun, daß das gnädige Fräulein sie trotzdem umarmt und geküßt und mit ihr geweint hat über die Strafe, und daß sie von Stund an bei ihr Dienst, Brod und Schutz finden soll – seht, da schwindelt's mir vor den Augen und ich kann's nur mit Mühe fassen.«

»Fräulein Herta thut nichts halb, mein Lieber,« entgegnete mit sichtbarem Stolz die Zofe. »Das müßtet Ihr doch eigentlich schon wissen, wenn Ihr Augen und Ohren hättet. Darum läßt sie Euch sagen, es sei Euch erlaubt, Eure Tochter zu jeder Stunde zu sehen. So oft Ihr wollt, könnt Ihr in's Schloß kommen, so lange, bis Alles wegen der Heirath Röschens, die der Herr Graf in Gnaden und gegen Erlegung der üblichen Loskaufskosten genehmigt, in Richtigkeit gebracht sein wird.«

»Tausend Dank! Tausend Dank!« stammelte[134] Sloboda gerührt, beide Hände des niedlichen Mädchens im Eifer seiner Erregung heftig drückend. Mit einem Ausdruck schmerzlichen Unbehagens entzog diese sich dem riesigen Wenden.

»Schon gut,« sagte sie, »ich thue so 'was gern umsonst.«

»Ach,« fiel Clemens ein, »sagt doch auch dem gnädigen Fräulein viele tausend Segensgrüße von mir, und ich würde für sie beten bei Wachens- und Schlafenszeit und so viel Sterne flimmerten nicht auf der Milchstraße des Himmels, als gute Gedanken für sie in meinem armen Herzen leuchteten und glänzend über sie aufgingen, wie Gestirne an einem hellen Winterabend, und ich ließe sie um alles in der Welt bitten, sie möchte mich nur noch ein außereinziges Mal ihr mildthätiges Segenshändchen küssen und mein trauriges Auge in ihrem frommen Himmelsblick sich sonnen lassen! Um Gottes willen vergeßt das nicht, mein schönes Kind!«

»Gewiß, ich will es nicht vergessen, weil Du ein so höflicher Bursche bist.«

»Auch von Pathe Ehrhold sagt ihr viele schöne Grüße, Jungfer, und Gottes Segen möge mit ihr sein allerwärts!«[135]

»Laßt's nun gut sein, Gevatter!« sagte Sloboda. »Es ist Zeit heimgehen, damit wir noch ein paar Stunden an die Arbeit kommen, denn morgen ist Hofetag. Der Herr sei gepriesen, daß ich leichtern Herzens von dannen gehen kann, als ich herkam. Nochmals Gottes Segen auf Seine Gnaden, des alten Herrn Grafen graues Haupt, und Euch, Jungfer, viel fröhliche Tage und einen schmucken Schatz!«

»Ich dank' schön,« sagte Emma schnippisch und hüpfte leichtfüßig die breiten Stufen zur Pforte hinan. Die Wenden aber gingen, leise in ihrem Idiom mit einander sprechend, nach dem innern Burgthore, über dessen crenelirte Mauerzinne ein paar Zacken der colossalen steinernen Grafenkrone heraufragten, welche das stolze Wappen der Boberstein schmückte.

Magnus verfolgte die drei Wenden, bis sie auf dem gewundenen abwärts führenden Wege seinem Auge entschwanden. Seine vorher heitern Gesichtszüge waren jetzt hart und streng geworden und der böse tückische Ausdruck seines Blickes, der in solchen Momenten Entsetzen erregend in ihm aufloderte, schleuderte falbe zuckende Blitze aus den nach innen sich senkenden Augenhöhlen.[136] Ungestüm wendete er sich um und sah tückisch nach dem Schloßflügel, wo seine Ältern und Herta wohnten. Wilder Hohn zuckte um seine Lippe und kräuselte sie in stolzer Verachtung. Dann trat er zurück in's Zimmer, verschlang die Arme über der breiten Brust und ging, das Haupt mit dem zierlich gekräuselten Haar bald senkend, bald es stolz zurückwerfend und triumphirend in die Luft starrend, im Zimmer auf und nieder.

»Also doch,« sprach er für sich, »doch das schöne Trotzköpfchen aufgesetzt trotz Ohnmacht, Stock und Schande! – Das ist so Mädchenart, wenn sie wissen, daß sie einen Anbeter, den sie nicht lieben mögen, damit ärgern können. – Aber Du verrechnest Dich, schönes Mühmchen! Magnus gehört nicht zu jenen schmachtenden Liebhabern, die wochenlang zu den Füßen ihrer grausamen Prinzessinnen liegen können, ohne die Geduld zu verlieren und etwas von Stolz in sich lebendig werden zu fühlen. Der sittenlose, leichtsinnige Magnus hat seit einigen Tagen mit allem Ärger abgeschlossen, sein treuer Gefährte und tapferer Bundesgenosse ist jetzt die Rache! – Du hast ihn selbst dazu aufgefordert und darfst Dich jetzt nicht beklagen, wenn er sein Mannes- und[137] Grafenwort löst. – Es soll originell geschehen, schönes Mühmchen, das verspreche ich Dir, so originell, wie Du mich immer fandest, ohne mich doch Deiner Liebe werth zu achten. –«

Magnus ging hastiger durch das Zimmer, dann blieb er stehen und sprach wieder:

»Mein Herr Vater hat mich heut zwar auffallend glimpflich behandelt und nur vereinzelte dünne Strahlen seiner Ungunst auf mich fallen lassen, ja im Ganzen kann ich sogar zufrieden sein mit dem Ausgange dieser fatalen Geschichte. Dennoch aber bin ich tief gekränkt an meiner Ehre und davon trägt Herta allein die Schuld. – Für diesen Trotz und Stolz soll sie büßen, soll sie mir Rechenschaft geben! – Genugthuung hat sie mir zugesagt – die Wahl des Ortes mir freigelassen. – Wie, wenn ich sie nun wirklich beim Worte nehme und sie als Dame mit aller ihr gebührenden Galanterie behandle? – Darf ich's wagen?«

Ein Blick voll Gluth und Flamme schoß aus dem Auge des beleidigten, rachgierigen und in sinnlicher Lust wild entbrannten Mannes. Er ballte die linke Hand gegen das Fenster, die heiße, üppig schwellende Lippe öffnete sich und zeigte[138] den Silberglanz feiner weißen Zähne. Er holte tief und röchelnd Athem, denn das Blut schoß ihm stürmisch zum Herzen und machte seine Adern auf der Stirn und an den Schläfen schwellen, daß sie wie blaues Pflanzengeäst an die weiße glänzende Haut sich anklammerten. Ein Beben ging durch seinen Körper, als rase die Wuth eines hitzigen Fiebers in ihm.

»Ja,« keuchte er pfeifend aus röchelnder Brust, »es geht, wenn ich die Zeit klug berechne – es geht und Niemand kann etwas ahnen, Niemand kann mich hindern!«

Wohl über eine Minute stand der kräftige Mann in dieser furchtbaren Aufregung mitten im Zimmer; dann ließ die Spannung seiner Muskeln und Nerven langsam nach. Die Pulse schlugen wieder ruhiger, der Athem röchelte nicht mehr, die strotzende Fülle der pochenden Adern verlor sich. Er hatte einen festen, furchtbaren Entschluß gefaßt und jeden Einwurf seines Gewissens mit dämonischer Kraft beseitigt. Sanft, mit weicher, schalkhafter Miene setzte er sich an das Pult und begann einen Geschäftsbrief zu schreiben. –

Haideröschen war inzwischen von Herta mit schwesterlicher Zärtlichkeit empfangen worden. Gerade[139] die Schmach, die man dem wehrlosen furchtsamen Mädchen angethan und die sie mit der Ergebung einer gottgefaßten Märtyrerin ohne Murren erduldet hatte, machte sie ihr noch werther und ihres besondern Schutzes bedürftiger. Herta zürnte sogar mit dem alten Grafen, daß er auf Kosten einer armen Wendin dem Buchstaben mehr gefolgt war, als seinen bessern Herzensregungen. Nur der ausdrückliche Befehl des Grafen, daß sie nunmehr Haideröschen in ihre Dienste nehmen solle, versöhnte sie wieder einigermaßen mit ihm.

Das Bestreben des zartfühlenden Edelfräuleins ging zuvörderst dahin, die Wendin zutraulich zu machen. Obwohl ihre Dienerin, sollte sie doch vollkommen wie eine Gesellschafterin mit ihr leben. Darauf hatte sie nach Herta's Art, Welt und Menschen zu beurtheilen, gerechte Ansprüche theils, weil sie ohne Schuld Verfolgung und Strafe erduldet, theils, weil sie schön, aufgeweckten Geistes und reinen Herzens war. Der edele, heilige Wunsch Herta's, für die Befreiung armer Darniedergebeugter, vom Schicksal oder menschlicher Härte Gedrückter ihr eigenes Glück zu wagen, konnte sie nicht anders handeln lassen. So[140] auffallend und dem eingefleischten Verfechter adelicher Vorurtheile anstößig daher die trauliche Umarmung dieser beiden trefflichen Geschöpfe erscheinen mochte, so tief berechtigt fühlte sich Herta dazu. Es war nur das unverholene, ehrliche Geständniß der rein menschlichen Weltanschauung, die Herta in dem grünen Frieden ihrer Epheulaube aus den Schriften der neuen deutschen Dichter gesogen hatte, das sie am Busen einer ihrer zarten Schwestern ablegte, jenes Geständniß, daß alle Menschen einander gleich sind, mögen sie in schimmernden Palästen oder im feuchten Moorrauch zerbröckelnder Hütten geboren werden. Für sie gab es keine Stände, keine Kasten. Sie kannte weder Aristokraten noch Demokraten, sondern nur gute und schlechte Menschen, und wo sie jenen begegnete, da blühte ihnen ihre weiche Seele entgegen, wie die sich öffnende Rose dem weltvergoldenden Morgenroth, wo diese ihr in den Weg traten, da schrak sie zurück und ihr Herz verhüllte sich vor jeder Berührung mit ihnen.

Ohne zu sprechen hielten sich beide Mädchen lange innig umschlungen und ließen ihre Thränen wie zwei silberne Bächlein in einander fließen;[141] denn auch bei Haideröschen verschwand die angeborene Schüchternheit, da ihr das feine Fräulein mit solcher Liebe, solcher tiefen und reinen Theilnahme entgegen kam. Leicht vergaß sie ihre grobe, dürftige Kleidung und schmiegte sich an die zarten, weichen Stoffe, die Herta's edle Gestalt umflossen und die sie nur gewählt zu haben schien, um mittelst derselben ihre schönen Formen deutlicher hervorzuheben.

Über die Schönheit beider Mädchen ein Urtheil zu fällen, würde auch dem gewiegtesten Kenner schwer gefallen sein. Herta überragte die Wendin um eine halbe Handbreite und schien in ihrer feinen modernen Kleidung und dem einfach schönen Haarputz, der blos aus einer üppigen Fülle glänzend brauner Locken bestand, voller, schlanker und von jener unbeschreiblichen Atmosphäre geistigen Adels umwogt, in der ein unnennbares Gemisch von Anziehungskraft und scheuer Abstoßung für Alle liegt, die sich ihr nahen. Der edelste Blüthenstaub reinster Bildung leuchtete auf ihrer Stirn, strahlte mild aus ihren großen, gütigen Augen, in denen so oft eine goldene Thräne glänzte, oder durch dessen schönen Himmel der trübe Schatten eines melancholischen[142] Gedankens flatterte. – Haideröschen war die schönste Verkörperung ihres Namens – ein Kind der duftigen Kieferwälder, deren Rauschen ihr das erste Schlummerlied sang, frisch, natürlich, ohne Ahnung jener feinen Verderbtheit, mit deren süßem Parfüm sich die Civilisation besprengt und unter deren befleckender Schminke sie sich erst für gebildet hält. Haideröschen war naiver als Herta, und nach einem überstandenen Schmerze ohne alle Sorge und banges Nachdenken. Sie dachte erst dann an das Vorhandensein eines Unglückes, wenn sie mitten darin stand und sich nicht mehr zu helfen wußte.

Herta sah auf den ersten Blick ein, daß sie gerade in diesem Kinde des Waldes gefunden habe, was sie sich stillschweigend so oft gewünscht. Ihre gegenseitige Verschiedenheit verbunden mit dem edeln Kern und unverfälschten Grundton ihres Wesens mußte das glücklichste Einverständniß zwischen ihnen hervorbringen, sobald die Schranken gefallen waren, die zwischen der Tochter des Leibeigenen und der Cousine des allgewaltigen Grafen aufgerichtet standen. Herta hatte das beste Mittel ergriffen, diese auf einen Ruck für immer niederzustürzen. Die Wendin[143] fühlte sich ihre Schwester, als sie nach langer Umarmung der gütigen Retterin in die überströmenden Augen sah. Alle Schüchternheit war von ihr gewichen, sie hatte ein Herz gefunden, dem sie vertrauen, an dem sie sorglos ruhen konnte.

Die ersten Stunden ihres Beisammenseins brachten die seelenverwandten Mädchen mit Erzählung ihrer Jugendschicksale zu. Wir können mit gutem Gewissen sagen, daß diese zu einfach waren, um die Theilnahme unserer heutigen Leser zu erwecken, weshalb wir nicht weiter darauf Rücksicht nehmen wollen. Später wußte Herta durch allerhand Fragen den Bildungsgrad ihrer Schützlingin zu erforschen, und da sie diesen sehr niedrig stehend fand, beschloß sie, der Wendin eine vorsichtige und liebevolle Lehrerin zu werden. Ganz zuletzt erst kam die Rede auf die Beschäftigung, die fortan Haideröschens Tagewerk bilden sollte, und hier ordnete Herta an, daß sie wesentlich weiter nichts zu thun haben solle, als ihr Zimmer in steter Ordnung zu halten und sie zu bedienen. Dies konnte füglich nicht Arbeit genannt werden; allein grade dies beabsichtigte Herta, um bei dem geschäftigen Müssiggange ihrer schönen[144] Dienerin diese selbst nie aus den Augen zu verlieren und immer über sie und ihr Wohl zu wachen.

Erst bei Tafel sah Herta ihre Pflegeältern wieder, die beide nicht in der besten Stimmung waren. Graf Erasmus hatte sich geärgert über das bösartige Benehmen seines Sohnes, so wie, daß er sich in Folge desselben genöthigt sah, eine Strafe über das lammruhige Haidekind zu verhängen, die mit seinen Empfindungen nicht sympathisirte. Dadurch hatten sich seine Gichtschmerzen vermehrt und folterten ihn mit hartnäckiger Ausdauer. Seine Gemahlin dagegen fühlte sich schwer beleidigt durch die Aufnahme der bestraften Leibeigenen in ihr Haus und würde ihren Ärger Herta haben entgelten lassen, wenn dies unbemerkt und ungeahndet hätte geschehen können. Da keine Hoffnung dazu vorhanden war, mußte sich die empörte Frau mit schweigender Abneigung und fleißigem Gebrauch ihres Fächers begnügen, wenn ihr von der aufmerksamen und stets zarten Cousine ein Speisegeräth gereicht wurde oder wenn der Graf mit seinem Liebling ein karges Gespräch anknüpfte.

Magnus nahm an dieser kleinen Familientafel[145] keinen Theil, was bei dem vorherrschenden Verhältniß zwischen ihm und dem Vater nicht auffallen konnte. Es hieß, er sei beschäftigt und werde noch vor Abend nach dem Zeiselhofe abreisen. Bei dieser Nachricht schien Herta leichter zu athmen und ein Gefühl der Bewegtheit, das bisher die gewohnte Freiheit ihres Benehmens behindert hatte und das sie immer befiel, wenn sie Magnus auf Boberstein wußte, verschwand. Auch sah sie bald nach der Tafel den jungen Grafen in Begleitung seines Reitknechtes zum Schloßthore hinausgehen.

Niemand von den sämmtlichen Schloßbewohnern wußte bei hereinbrechender Nacht, ob der künftige Besitzer Bobersteins wirklich abgereist sei. Auch kümmerte sich Niemand darum, da dem jungen herrischen Gebieter nicht ein einziger Diener wahrhaft zu gethan war. Hätte es, wie in den Zeiten des Mittelalters, noch einen Thurmwart gegeben, so würde dieser bei einiger Aufmerksamkeit Abends bei grauweißem Mondlicht, das rollendes Gewölk sehr dämpfte, um die Mauerzinnen eines der vier hohen Eckthürme der Burg einen Schatten haben schlüpfen sehen, welcher der Gestalt des jungen Grafen[146] ähnelte. Und wirklich war es Magnus, der nach halbstündiger Entfernung von Boberstein plötzlich sein Roß anhielt, etwas auf dem Schlosse vergessen zu haben vorgab, den Reitknecht vorausschickte und in langsamstem Schritt auf Umwegen durch die Haide zurückritt. Erst mit Einbruch der Nacht ruderte er sich selbst über den See und erstieg auf dem von uns bereits angedeuteten Felsenwege die Höhe der um das ganze Schloß laufenden Brustwehr, die er einige Nächte früher schon umschritten hatte. Die schmale Dachthür verschaffte ihm Zutritt in das Innere der Burg, wo er geraume Zeit brauchte, um – diesmal ohne Licht – die schon vorher untersuchten Gänge und Treppen wieder zu finden und mittelst der geraubten Schlüssel die verrosteten Thüren zu öffnen, die seinem weiteren Vordringen im Wege gewesen waren.

Häufig hat es den Anschein, als sei die Vorsehung mit dem Verbrecher, als ebene sie ihm bereitwillig die Bahn, um das Verderben mitten in das Heiligthum edler Familien zu tragen. Auch Magnus ward auf seiner nächtlichen Wanderung von jener dämonischen Macht beschützt, deren geheimnißvolle Zwecke wir oft erst[147] nach langen langen Jahren begreifen und dann als weise anerkennen müssen. Niemand störte den Grafen in seinem verbrecherischen Vorhaben. Die seit Jahren nicht mehr geöffneten Thüren wichen dem leisesten Drucke geräuschlos, und ohne ein einziges Mal zu straucheln, ohne an verdächtig hallende Wände zu streifen, stieg Magnus von Stockwerk zu Stockwerk hinab bis in den von seinen Ältern bewohnten Flügel. So erreichte er nach mühseliger Wanderung – um der Wahrheit die Ehre zu geben – nicht ohne heftiges, oft seinen Athem versetzendes Herzklopfen einen engen Verschlag. Behutsam betastete er alle Wände, bis er auf den kaum fühlbaren Knopf einer Feder stieß, der bei starkem Druck die Wand nach außen öffnete. Ein zweiter, noch engerer Raum, der sich als ein Wandschrank erwies, nahm ihn auf. Mit Behagen sog er den Duft ein, der aus diesem kaum eine Elle tiefen Verschlage ihm entgegenfluthete und seine Seele mit wollüstigen Bildern umgaukelte. Er griff in das graue Gewebe, das er berührt hatte, und die weichen Seiden- und Sammetgewänder, die sich schlangenglatt an seine Hände schmiegten, überzeugten ihn, daß ein junges Mädchen hier[148] ihre Kleider aufbewahre. Er trat zurück, schloß die verborgene Thür wieder und setzte sich lauschend auf die letzte Stufe der Treppe, die ihn bis hieher geführt hatte.

Aus einem der früheren Kapitel werden sich unsere freundlichen Leser erinnern, daß Herta die Gewohnheit hatte, gegen neun Uhr die Gemächer ihrer Pflegeältern zu verlassen und in ihrem stillen Zimmer noch eine Stunde oder auch länger mit den edlen, für das Wohl der Menschheit arbeitenden Geistern ihres Volkes zu verkehren. Die letzten Abende mußte sie auf diesen Genuß verzichten, da Erasmus ihre ganze Bibliothek besaß. Um so erfreuter und von herzinnigem Dank bis zu Thränen gerührt war sie, als ihr heut der Greis, während sie den Thee servirte, ihren kleinen Schatz freiwillig wieder einhändigte. Er sah dabei so mild und dankbar aus, daß in dem klaren Ausdruck seiner Mienen und dem sprechenden Blick seines Auges das Geständniß lag, er billige die Lectüre seiner Nichte. Herta fühlte dies so schnell und sicher, wie ein Liebender die Erwiederung seiner Neigung, und die geliebten Bücher an ihr Herz drückend, sagte sie mit schönem Feuerauge:[149]

»Nicht wahr, Väterchen, das ist ein Mann, der Schiller! Und die Andern, wie fein, wie lieb, wie voll ruhigen Geistes und lebengebender Anmuth sind sie! Das kann nichts Unedles sein, was sie uns sagen und lehren, ob's auch ungewohnt klingen mag! Es muß so geschehen und werden auf dieser schönen Erde mit dem sternengestickten Sammethimmel, wie sie's wagen und wünschen.«

»Es sind Gesänge neuer Propheten,« versetzte Erasmus mit mildem Ernst, »Propheten, wie sie wohl jedes Volk haben muß und gehabt hat, wenn es groß werden, groß bleiben oder groß sterben soll. Vielleicht bedarf jedes Jahrhundert solcher zürnender Geister, um die Völker immer auszurufen aus Traum und Schlummer, dem sie alle Neigung haben sich hinzugeben. Warum sollte das deutsche Volk eine Ausnahme machen? Versteht es die Sprache dieser Geister, so verdient es sie zu hören. Ich wenigstens werde gewiß der Letzte sein, welcher Stimmen begeisterter Gotteskinder für närrisches Gespött hält und zu unterdrücken sucht. Deshalb stille immerhin Deinen Durst an diesem Springquell heiliger Töne, so lange Du Genuß daran findest.«[150]

Ihre Schätze im Arm küßte sie Oheim und Tante die Hände, wünschte ihnen mit ihrer Silberstimme gute Nacht und bemerkte in ihrer Seligkeit nicht, daß Utta sich von ihr abwendete und die stolze Hand den frommen Lippen beinahe entzog.

Auf ihrem stillen Zimmer schlug sie unverweilt unter dem Epheudach Schiller's Don Karlos auf und schwelgte noch lange in den stolzen Worten dieses freiheittrunkenen, für das Wohl aller Menschen so hoch begeisterten Herzens. Erst als ihre Augen beim Flackern des Lichtes ermüdeten, legte sie das Buch weg, faltete ihre schmalen Hände darüber, wie über einem Andachtsbuche, und sprach mit zum Himmel erhobenen Augen ihr Nachtgebet. Ohne Worte flehete Herta in der Reinheit ihrer Gedanken um Verwirklichung der Ideen, die Marquis Posa vor Don Philipp ausspricht, um allgemeine Freiheit allen Volkes und um Aufhebung jeglichen Elendes, das auf ihm lastet, wie ihr wohl bekannt war. Dann schellte sie. Haideröschen schob schüchtern ihr feines Gesicht durch die halbgeöffnete Thür.

»Immer herein!« sagte Herta fröhlich. »Es[151] ist schon spät, später, als ich gewöhnlich die Ruhe suche. Aber das macht das Glück, von dem ich heut ordentlich überschüttet worden bin. Ich bin ganz aufgeregt; fast besorge ich, nicht schlafen zu können, so zittert mir vor Wonne das Herz! – Und Du, bist Du nicht auch glücklich, mein holdes Röschen? Deine Augen strahlen wenigstens, als hätte sie Dir ein Engel geliehen. Sieh mich immer mit solchen Himmelsaugen an, gutes Kind, dann wollen wir zusammen ein Leben führen, wie im Paradiese. Jetzt hilf mich entkleiden.«

Beide Mädchen traten in Herta's Schlafgemach, das unmittelbar an ihr Wohnzimmer stieß und von aller Verbindung mit andern Gemächern abgeschlossen lag. Es glich einer Kapelle und mochte wohl in früherer Zeit auch dazu benutzt worden sein. Wie die meisten kleineren Zimmer des alten Schlosses hatte es blos ein Fenster. Dies war aber so hoch an der ellendicken Mauer angebracht, daß man einer Stiege bedurfte, um es öffnen zu können. Das Meublement des Schlafgemaches bestand aus einem geräumigen Bett, mit Vorhängen aus schneeweißem Wollenzeuch, einer Commode nebst Waschtisch und[152] einigen wenigen Stühlen. Ein Teppich überbreitete den Boden. In der Wand, dem Bett schräg gegenüber, war ein Schrank angebracht. In diesem bewahrte Herta ihre Kleider auf.

Während Haideröschen ihre junge Herrin entkleiden half und die Zartheit ihrer Haut eben so sehr wie die Feinheit ihrer Kleider bewunderte, plauderte Herta ununterbrochen und drückte manchen schwesterlichen Kuß auf die Stirn der schönen Wendin.

»Nun kommt das Schlimmste,« sagte sie schalkhaft zu ihrer neuen Zofe, als sie das weiche bequeme Nachtgewand angelegt hatte, »und wenn Du mir darin nicht genügst, jage ich Dich morgen wieder fort, Du mein Herzensröschen! Wickele mir die Locken, aber raufe mich nicht! Bei meiner Ungnade!«

Obwohl Haideröschen mit den Toilettengeheimnissen der vornehmen Damen nicht vertraut war, ging sie doch mit leidlicher Zuversicht an das verlangte Geschäft und beendigte es nach mannichfachen Scherzen und Unterbrechungen zu Herta's vollkommenster Zufriedenheit. Sie konnte dabei nicht unterlassen, den prächtigen schneeweißen Nacken ihrer jungen Gebieterin wiederholt zu[153] küssen, worüber Herta jedesmal in so komischen Zorn gerieth, daß Haideröschen nur ermuntert ward, ihren Lippen die Ruhe in dem warmen duftigen Sammet noch mehrmals zu gönnen.

Endlich war die Nachttoilette beendigt und Herta's Kopf mit einer solchen Menge weißer Papierwickel besät, daß man glauben konnte, die junge Schöne habe sich die braunen Haare mit dem glänzend weißen Geflock jener Sumpfblumen geschmückt, die über Torfmooren in ganzen Wäldern wachsen und des Nachts im Mondschein wie flatternde Mantillen tanzender Elfen blitzen und leuchten. Eine nochmalige Umarmung begleitete die letzte gute Nacht der beiden Mädchen, worauf Haideröschen sich zurückzog und Herta in die weichen Hüllen ihres Lagers flüchtete, die Brust voll süßen Jubels, die Seele voll der edelsten und uneigennützigsten Gedanken.

Ungeachtet ihrer Aufregung fiel Herta doch bald in jenen halbbewußten Zustand, der dem festen Schlaf meistentheils vorauszugehen pflegt. Die heitern Gedanken, mit denen sie sich beschäftigt hatte, schufen ihr angenehme Phantasiebilder, die ihrem geistigen Auge in leuchtender Schöne vorüberschwebten. In diesem glücklichen Schwärmen[154] der Seele hörte sie die Schloßuhr eilf schlagen. Die Bilder erloschen in ihr und es ward still und dunkel. Plötzlich fuhr sie schreckhaft zusammen vor einem Geräusch dicht neben ihr. Sie erwachte aus der unklaren Seelendämmerung und schlug weit die großen Augen auf. Da schien es ihr, als weiche die Thür des Wandschrankes aus den Angeln und ihre Kleider schwebten langsam gegen sie heran. Anfangs glaubte sie sich zu täuschen und sah dem nächtlichen Spuk mit erstarrenden Pulsen zu, als sie aber unverkennbar gewahrte, daß eine dunkle Gestalt Schritt vor Schritt ihrem Lager näher kam, richtete sie sich auf und sagte: »Haideröschen, laß die Possen!« denn sie meinte wirklich, die kleine Wendin habe sich wieder in die Kammer geschlichen und wolle sich, aufgemuntert durch ihre Heiterkeit, einen Scherz mit ihr erlauben. Aber das Herz stand ihr still und ein eisiger Schauer überrieselte sie, als auf ihre Frage eine Männerstimme antwortete:

»Ich bedaure, daß meine schöne Cousine ihr Herz so schnell an dieses Geschöpf verschenkt hat.«

Es war Magnus, der in Lebensgröße vor[155] ihr stand und mit der ihm eigenen galanten Unverschämtheit die Arme über der Brust verschlang und höhnisch lächelnd seine Falkenaugen auf das erschrockene Mädchen heftete.

Die erste Bewegung Herta's war, nach der Klingel zu langen, die auf dem Nachttisch zu Häupten ihres Bettes stand. Allein Magnus sah dies voraus und fiel ihr in den Arm.

»Das ist nicht die Art, schöne Muhme, einen Ehrenhandel beizulegen.«

Herta kehrte die Sprache zurück. Sie schleuderte einen Blick tiefer Verachtung auf den Abscheulichen und sagte:

»Entfernen Sie sich sogleich, Elender, oder ich erhebe ein Geschrei, daß die Mauern dieses Schlosses beben!«

»Das wirst Du nicht thun, reizendes Mühmchen, weil Du ein Weib bist und Deine Stimme dadurch an Klang verlieren könnte. Bei Gott, ich sah Dich nie in einem verführerischeren Costüme!«

Im ersten Schreck hatte Herta nicht bemerkt, daß ihr Nachtkleid von den runden Schultern gefallen war und sie wie eine blendende Marmorbüste in reizender Formenschönheit dem Grafen[156] gegenüber saß. Schmerz und Schaam entlockten ihren zürnenden Augen die bittersten Thränen, und indem sie sich schnell in die Decken hüllte und das Gewand wieder zu ordnen suchte, versetzte sie:

»Vergebe Ihnen Gott diesen Frevel, ich vermag es nicht!«

»Ich komme auch nicht deshalb, anbetungswürdiges Mädchen, ich erscheine, weil Du es befohlen hast.«

»Schamloser Lügner, ich befohlen!«

»Auf Edelmannswort, Muhme! Gestatte mir zu reden und Du wirst einsehen, daß ich vollkommen in meinem Rechte bin!«

Herta verhüllte ihr Gesicht und begann laut zu schluchzen. Magnus stützte sich nachlässig auf den Nachttisch und fuhr in leisem Flüstertone fort:

»Erinnere Dich Deiner vor einigen Tagen mir gegebenen Zusage, liebenswürdige Cousine. Du versprachst mir für die Beleidigung, welche Du mir durch Deine Fürsprache für das Bauernkind zugefügt, Genugthuung. Mir überließest Du Ort und Zeit unseres Zusammenkommens, und um Dir zu zeigen, wie hoch Du in meiner[157] Achtung stehst, wählte ich grade diesen Ort, grade diese Stunde und schlug den gefahrvollsten Weg zu diesen traulich-stillen Plätzchen ein. Hier werden wir hoffentlich recht ungestört sein und unsern Ehrenhandel ganz in der Ruhe und ohne Zeugen schlichten können.«

»Sie sollen sich irren, mein Herr!« versetzte Herta entschlossen. »Ihre Abscheulichkeit übersteigt alle Grenzen, darum sollen Sie entehrt und gebrandmarkt werden, wie Sie es verdienen.«

Herta richtete sich wieder auf und suchte abermals die Schelle.

»Was willst Du thun?« fragte Magnus mit schwer verhaltenem Athem.

»Das ganze Schloßgesinde nebst Deinen ergrauenden Ältern will ich herbeirufen, damit sie sehen, welcher namenlosen Schändlichkeit Du fähig bist!«

»Wenn dies wirklich Deine Absicht ist, will ich Dich nicht weiter hindern und stehe mit Vergnügen von meinem Anliegen zurück. Immerhin laß die Schelle läuten, erhebe Deine Stimme! Mache Lärm, so viel Du wünschest! Nur gestatte, daß ich hier Platz behalten darf, Du[158] wirst alsdann zu spät einsehen, daß Du Dich selbst in den Augen aller ehrbaren Menschen entehrt hast, und dadurch genöthigt werden, dem verhaßten Vetter Magnus Deine schöne Hand zu reichen, um ihn zum Altar zu führen.«

Schaudernd leuchtete dem unglücklichen Mädchen die furchtbare Wahrheit dieser Worte ein. Schüchtern zog sie die Hand wieder zurück und verbarg sie frierend in die weißen Decken. Magnus lächelte.

»Was haben Sie mir zu sagen?« stammelte Herta.

»Daß ich Dich liebe, schöne Muhme, liebe bis zum Wahnsinn und daß ich Erwiederung meiner Leidenschaft wünsche, hoffe, befehle!«

»Sie haben längst meine Antwort gehört. Verlassen Sie mich und ich will vergessen, welche Schmach Sie mir zugefügt haben, ja sogar versuchen, ob ich Sie in Zukunft wieder achten lernen kann.«

»Ich ziehe Deine Liebe jeder Art von Achtung vor.«

»Magnus, ich hasse Sie!«

»Dann habe ich gegründete Hoffnung, daß[159] Du nach Jahresfrist, sind wir nur erst Mann und Frau, närrisch in mich verliebt sein wirst.«

»Gehen Sie oder ich zerschelle mir den Kopf an der Wand!«

»An meiner Brust wirst Du weicher und angenehmer ruhen.«

»Hinweg!«

»Schöne Muhme, ich habe hier zu fordern, Du nur zu gewähren. Gedenke Deiner Zusage! Ich komme um Genugthuung!«

»Nun so nimm sie Dir!« rief Herta in der Angst der Verzweiflung, richtete sich auf und bot ihm den schönen Busen dar, der zart glänzend aus dem Gewande schimmerte.

»Durchstoße mich mit Deinem Hirschfänger, dann hast Du Genugthuung!«

»Es fällt mir nicht ein, so grausam zu sein,« erwiederte abwehrend der junge Graf, den Augenblick benutzend und seinen Arm um die lebende volle Gestalt schlingend. »Versprich mir Deine Gunst zu schenken,« fuhr er flüsternd fort, »mein Weib zu werden, und ich beendige diese Unterbrechung Deiner Nachtruhe.«

Immer heftiger, immer glühender umschlang er die einer Ohnmacht nahe Herta, mit wilden[160] Küssen ihr Lippen, Stirn und Busen bedeckend. Ihr Sträuben gegen die Liebkosungen des Verachteten steigerte nur seine Gluth, seinen Ungestüm. Er wußte, daß die Wehrlose gänzlich in seiner Gewalt sei, daß sie es nicht wagen werde noch könne, durch lautes Toben und Schreien sich Hilfe zu verschaffen. Und selbst in diesem Falle war er zu dem Äußersten entschlossen, um seinen Zweck zu erreichen.

Als er gewahrte, daß die Kräfte des unglücklichen Opfers seiner brutalen Wildheit sich erschöpften und der Körper des schönen Mädchens in seinen Armen zusammen zu brechen drohte, vergönnte er Herta einige Augenblicke der Erholung.

»Herta, mein Herzenskind,« sprach er, »willst Du denn ewig grausam, ewig unerbittlich sein? Habe ich nicht in schüchternster Weise, zart und sinnig um Dich geworben? Und empfing ich je eine andere Antwort von Dir, als starre Kälte oder beleidigende Stichelreden? – O Du göttliches, widerspänstiges Mädchen, Du weißt nicht, welchen verzehrenden Feuerbrand Du in meine Seele geschleudert hast! Ich kann, ich[161] will nicht leben, ohne Dich zu besitzen! Und wenn jetzt ein Erdstoß die hundert Gewölbe dieser Burg mit ihren zahllosen Quadern über uns zusammenstürzt, ich weiche doch nicht von Dir. An Deinem Busen, Lippe an Lippe, im Feuerhauch der Liebe will ich die Schauer des Todes begrüßen und die Wonnen einer Seligkeit schlürfen, gegen welche das Paradies Mohammeds ein wesenloser Schatten bleibt!«

Herta suchte sich gegen den Rasenden in ihrer Ohnmacht dadurch zu schützen, daß sie ihre kleinen Händchen ihm entgegenstemmte und unverständliche Bitten wimmerte. Aber Magnus hatte kein Gefühl mehr für den Schmerz der Verlassenen. Er verdoppelte seine stürmischen Liebkosungen, seine wilden Ausbrüche einer wahnsinnigen Leidenschaft so lange, bis das schwache Mädchen in völlige Apathie versank. Erst als er bemerkte, daß Herta ohne Leben, ohne Puls und Athem, mit gebrochenem Auge, ein bleiches Marmorbild, Thränenperlen in den Grübchen der Wangen und weiße Schaumblüthen auf der duftigen Lippe vor ihm lag, fuhr auf Sekunden ein Reuegedanke durch seine verbrecherische Seele.[162] Mit einem Anflug von Mitleid hüllte er die Bewußtlose in ihre Decken und ließ seine Blicke wohlgefällig auf ihrem Antlitz ruhen.

»Jetzt denk' ich doch, soll sie mein Weib werden,« sprach er mit triumphirender Miene. »Wenn sie aber aus eigenem Antriebe zu mir kommt, ihre schönen Arme um meine Knie schlingt und mit herzzerreißender Klage zu mir fleht, ich möge mich doch ihres Elendes erbarmen, dann will ich die Rolle mit ihr tauschen und eben so gewandt den Hartherzigen spielen, wie das hochmüthige Mädchen es bisher mit mir zu halten beliebte. Erst wenn sie ganz zerknirscht sein wird und Hand an sich selbst zu legen sich entschlossen zeigt, erst dann will ich sie wieder zu Gnaden annehmen und mit meinem gräflichen Schild und Namen ihre zerstörte Jugend bedecken. Frohes Erwachen, mein süßes weißes Täubchen!«

Magnus schlich auf leiser Sohle gegen die Wand, verschwand schnell hinter der eingefalzten Thür und schlug wohlgemuth und jetzt wieder äußerst zufrieden mit sich, den finstern Rückweg durchs Schloß ein. Unbemerkt erreichte er das Ufer des See's, sprang in den verborgenen Kahn und ruderte sich behend ans Ufer der[163] Haide. Es schlug Mitternacht, als der Missethäter hinter den riesigen Föhren verschwand, sein Pferd bestieg und auf bekannten Wegen in wildem Ritt dem Zeiselhofe zujagte.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 129-164.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon