Ode

[491] Ich bin vergnügt,

Und finde mein Vergnügen,

Wo schöne Bücher liegen.

Behalt o Nymphen-Chor den Thon und alles Spiel,

Ich wehle mir den Kiel.

Belustiget euch an allen

Was euch nur wohlgefallen

Und stets ergötzen mag. Mein Herze wünscht und spricht:

Höhnt nur die Feder nicht,

Die meinen Beyfall kriegt.

Ich bin vergnügt.


Ich bin vergnügt,

Wenn ich in meinen Tagen

Von Einsamkeit kan sagen.

Dieweil die Welt so falsch; so wünsch ich nur allein

In meinem Haus zu seyn.

Ihr Gäste dieser Erden!

Ihr müßt belehret werden:

Was euch der Umgang hilft, was er vor Nutzen bringt.

Mein Herz und Zunge singt:

Ein stilles Wesen siegt.

Ich bin vergnügt.


Ich bin vergnügt,

Mir mag in diesem Leben

Der weise Schöpfer geben,

Was er mir zugedacht, und was zu jeder Frist

Mir dient und nützlich ist.

Ich bin damit zufrieden,

Was er mir hat beschieden.[491]

Wenn andre übers Glück und das Verhängniß schreyn;

So kan ich mich erfreun.

Ich ruf, weil ich gesiegt:

Ich bin vergnügt!


Ich bin betrübt,

Dieweil die Menschen wollen

Dem Aberglauben zollen.

Die Falschheit steht im Flor; es wächset der Betrug;

Zum Lügen ist man klug.

Die Tugend will verschwinden;

Das Laster läst sich finden.

Der Hohn, die Lästerung, der Neid thut sich hervor,

Man ziehet ihn empor,

Wenn er die Losung giebt.

Ich bin betrübt.


Ich bin betrübt,

Weil sich unschuldge Seelen

So lange müssen quälen.

Die Unschuld wird zur Schmach der Wahrheit unterdrückt,

Sie wanckt und geht gebückt.

Die Welt und Zeit wird immer,

Von Tag zu Tage schlimmer.

Welch Herze seufzet nicht, wann solche Boßheit blüht,

Und wenns dieselbe sieht?

Ach Gott was wird verübt!

Ich bin betrübt.


Ich bin erfreut,

Weil mir der gütge Himmel

In diesem Weltgetümmel[492]

Ein aufgemuntert Herz und auch Gesundheit schenkt,

Mich nicht mit Schmertzen kränkt;

Sind andre auf dem Lager

Von Krankheit schwach und mager;

So weis ich nichts von Last, Beschwerung oder Pein.

Drum kan ich frölich seyn.

Ich sing zu dieser Zeit:

Ich bin erfreut!


Ich bin beschützt,

Mein Herze lebt und lachet,

Wenn alles blizt und krachet,

Weil mich der Himmel doch in dieser argen Welt

Bedecket und erhält.

Wenn Unglücks Fluthen rauschen,

Und heimlich auf mich lauschen;

So weis des Höchsten Arm, wie er mich sicher deckt,

Die tollen Feinde, schreckt;

Mich aber unterstützt.

Ich bin beschützt.


Ich bin getrost!

Will gleich auf allen Seiten

Das Schicksaal mich bestreiten,

Durchwühlt es mir das Herz, und dringet bis aufs Blut:

Behalt ich doch den Muth.

Ein unverändert Herze,

Besitze ich im Schmerze.

Wenn endlich auch der Tod sich meinen Augen zeigt,

Und mich zur Erde beugt;

So steh ich unerboßt,

Und bin getrost.
[493]

Quelle:
Sidonia Hedwig Zäunemann: Poetische Rosen in Knospen, Erfurt 1738, S. 491-494.
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