Das Ander Lied

[152] 1.

Weißheit/ sage wo du bist/ wo dein reicher Quell aufsteiget

und sich zeiget/

Träncke mich mit deiner Fluth/

Höchstes Guth/

Laß mich deinen Most versüßen

und genießen

Deinen Zucker-süßen Wein/

Laß mich immer bey dier seyn/

Daß mein Mund mit Weißheit blühe

und in Tugend sich bemühe/


2.

O du Fürstin aller Kunst/ die mich kann mit Liebes-blicken

So entzücken/

Ach wie herrlich ist dein Glantz

und der Krantz/

Der den güldnen Helm ümringet

und mich zwinget/

Der auff deinem Heupte steht/

Da der Sonnen Blitz ausgeht/

Da die güldnen Engels-Flammen

Sich entzünden allzusammen.[153]


3.

Deine Brust mit Perlen gantz üm und üm geschmücket/

Mich entzücket:

Ja der hellen Augen Zier

Funckeln Dier/

Wie des Adlers hohe Strahlen/

Wenn sie praalen:

Deine Wangen wachsen Dier/

Wie der Tausendschönen Zier

von dem Tau die Lippen nassen/

Der entspringt auff Hermons Gassen.


4.

Du o werthe Creatur/ du hast mir das Hertz gerühret

und entführet/

Deine Zucker-süße Wort

Seyn mein Port/

Ja das Hertze wil mir brechen/

Kann nichts sprechen/

Wenn dein Mund sich reget nur;

Ich muß laßen Ziel und Spur

und mich zu denselben Enden/

Da du redest/ willig wenden.


5.

Du solt meine Liebste seyn/ meine Freude/ meine Sonne/

Lust und Wonne/

Wann mich ja die dunckle Nacht

irrig macht/

Soll der Augen helles blicken

Mich erquicken;

Meine Schöne/ meine Braut/

Die der Himmel mier vertraut/

Du machst/ das Mich lieben werden

Die Gewaltigen auff Erden.[154]


6.

Du solt meines Nahmens Lob in die hohen Wolcken bauen

Stets zu schauen/

Mein Gedächtnüß wird bestehn/

Wo die Sterne gehn

und unsterblich auch verbleiben

und bekleiben/

Nur dier/ Neid/ zu Trotz und Hohn:

Wohl demselben! der den Lohn/

Der da trotzt die hohen Sinnen/

Kann mit Ehr und Ruhm gewinnen.


Quelle:
Philipp von Zesen: Sämtliche Werke, 17 Bände, Band 1, Berlin/ New York 1970 ff., S. 152-155.
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