2085.

[1956] Mel. Nun danket alle Gott.


1.

Wenn ich Ihn essen kan, so ist mirs am gesündsten, und wenn mein lieber mann sein öl läßt in mich dünsten; weil aber diese gnad in einem sacrament, das man nicht immer hat, dem leib wird zugewendt:

2.

So muß ich mir nur schon beym wachen und beym schlafen imagination für meine seele schaffen, so süsse phantasie, die, wie sie sich formirt, in meinen sinnen hie wahr ist und werden wird.

3.

Ich seh Ihn auf dem stroh, noch roh und naß vom mühen. Ich seh Ihn kindlich fröh die brust der mutter ziehen. Ich seh das Herzelein vom saugen abgematt't, gelegt ins krippelein, damit es ruhe hat.

4.

Die hirten, Magier, die knecht und mägd und kinder die tragens so daher: die groß und kleinen rinder gehn und beriechen nur, und ehr'n auf ihre art den schöpfer der natur, der so ein kindlein ward.

5.

Ich seh Ihn auf dem arm, sie wollen ihn verwunden; ich seh, (daß Gott erbarm!) sein glied für mich geschunden. Ich sehe aber bald, wie vater Simeons und Hannä herze wallt beym anblik dieses sohns.

6.

Ich sehe die Marie auf ihrem thiere reiten, das Herzlein traget sie, der vater muß begleiten. Auf eine andre zeit seh ich das knäbelein an seiner eltern seit, als wie ein engelein.

7.

Mich deucht, ich sehe Es in vater Josephs hüttel, so[1956] handwerks-volk gemäß, bald in dem akker-kittel; bald grabts nach einer wurz; bald schaffts so was fürs haus; bald nimts den zimmer-schurz; bald mit der geissel naus.

8.

Wenn ichs mit der idee des Gottes aller götter so seh im negligé geplagt von einem vetter, gedrükt von einer muhm, (ein, armen kindelein gewöhnlichs marter-thum) so möcht ich: Eli! schreyn.

9.

Ich seh! Was seh ich dann? Ein brot mit linsen-muße, und milch in einer kann, und honig noch im ruße, und dann ein wenig fisch in einer sabbaths-nacht, und's knäblein vor dem tisch, wie schön es B'roche1 macht.

12.

Ich sehe Joseph, kalt, und todt, und ausgestrekket, wies ihm die hände falt't und sein gesicht verdekket, und mit der mutter weint, und sorgt darnach fürs haus, und ist ihr trost und freund, und hält so bey ihr aus;

11.

Und wie Es endlich kömt, spricht: Mutter! bitt euch herzlich, daß ihrs nicht übel nehmt; es thut mir eins theils schmerzlich, am andern ists mein zwek, darum ich kommen bin, ich muß nun von euch weg, und naus zum vetter hin.

12.

Die mutter sieht ihn an, und segnet ihn mit wehmuth; er geht zu Sanct Johann, und spricht in aller demuth: Ach sey gebeten, tauff mich zur Metanoy, und heilge mich zum lauff des evangelii.

13.

Ich seh Ihn in dem fluß bis an die stirne knien; gleich nach der tauffe muß er in die wüste ziehen, da sitzt er ohne speis, und schlaf und companie beym kobolt und der geiß, und voll melancholie.

14.

Ich hör Ihn ins gespräch mit dem versucher kommen; mein Jesus ist gar träg, vom leide abgekommen, das sprechen wird ihm schwer: wenn Satan auf ihn sticht, bet't er so sprüchel her, wie ers zusammen krigt.

15.

Ich sehe, Satanas sucht auf einmal das weite; es überkömt ihn was, und macht sich auf die seite. Da steht Immanuel, da kommen engelein, sehn, ob was zu befehl nunmehro möchte seyn.

16.

Er schweigt, so spricht ein bot: Ach höre, lieber meister! uns schikt der liebe Gott[1957] und wir sind gute geister; du hasts feinds bösen sinn durch einfalt obgesiegt, und gehst nun nirgends hin, wo nicht ein engel fliegt.

17.

In dieser companie tritt Jesus aus dem busche; ich seh ihn da und hie, er macht manch schöne Drosche2. Wenn ich kein sünder wär, so könt ichs nicht verstehn, wenn ich ihn seh so schwer zu frommen leuten gehn.

18.

Und wenn er etwa wo an einer zoll-poblätschen, im markt-schiff, oder so in einer art von kretschen, bey schlechtem volke sitzt, so seh ich, wie er redt, wie all's die ohren spitzt, auch denn wol weint und bet't.

19.

Wie er am borne ruht dort in der Sichems flure, und so gemüthlich thut zur Samaritschen hure, das deucht mich gar zu schön; doch seh ich Ihn und Dich, Maria Magdalen! so komm ich ausser mich.

20.

Nimm dein verwirrtes haar, du scheusal ohne pflaster, du sieben teuffel-waar, du halb verfaultes laster! träug den durchweinten fuß, ehrwürdge schwester! ab; er krigt den letzten gruß von dir in seinem grab.

21.

Und, ach! ich werd Ihn sehn in Josephs garten gehen, nach seinem auferstehn, und dichte bey dir stehen. Ihr fühlet euch so sehr. Marie! Ey! lieber Herr! die süsse müssen her, so sehr er sich auch sperr!)

22.

Ich seh das Herzel wol auf seinem küßgen schlafen, und meer und wind sind toll, das volk spricht: GOTT wird strafen. Ey! spricht er zum travat: Wer wird so lerm verführ'n? Die see wird spiegel-glatt, kein lüftgen darf sich rührn.

23.

Was ist das für ein mann? ein mann, der ehster tagen wol selber flüchten kan, wenn ihn die steine jagen; der balde dinge macht, daß die natur erstarrt, und wieder eine nacht im busche weint und harrt.

24.

Begegnet ihm ein weib mit ihres sohns gebeinen, er rufft die seel zum leib, das weib soll nur nicht weinen. An einem schweren tag kömt er und setzet sich, wo sein's freunds leiche lag, und weint da bitterlich.

25.

Wenn ich das Herzel seh in seiner Gottheits-grösse, so denk ich, ich vergeh; und wenn ichs wieder messe nach seiner[1958] menschlichkeit so kan kein mensch so klein, so blöde zu der zeit als wie das Herzel seyn.

26.

Je nun, so mag es auch mit seiner Gottheit bleiben, wo seine Gottheit brauch: die Gottheit will ich gläuben; die menschheit will ich sehn: denn mein Immanuel kan auch für mensch bestehn nach geist und leib und seel.

27.

Mein herze wird so froh, wenn ich mir Jesum mahle beym pedilavio3 der jünger auf dem saale; wenn ich Johannem seh an seines JESU brust, wo er so manches eh als ich von Ihm gewußt.

28.

Ich that auch einmal buß, gleich dacht ich an den broden, der Jesu haupt und fuß durchtropft bis auf den boden, als sich sein blut so roth mit schweiß und thränen mischt, und er vor höllen-noth gezittert und gekrischt.

29.

Da dachte ich: Ade du eigenmächtges büssen! ich will bey JESU weh wie wachs am feur zerfliessen; mein herze soll den zorn aus diesem leiden sehn, und auch den rein'gungs-bohn für alle mein vergehn.

30.

Doch ich versteige mich! Wo hab ich Ihn gelassen? ich komm in einen strich, da kan ich mich nicht fassen: der ölberg, wo ich bin, ist mir ein labyrinth, aus welchem sich mein sinn nicht mehr nach hause findt.

31.

Ich muß ein andermal den platz nicht bald betreten, wo mir GOTT meine wahl in manns-person erbeten, erweinet' und erstreit': wenn ich nur spielen will, so führt mich das zu weit. Nun bin ich aus. Nur still!

Fußnoten

1 Tisch-gebet.


2 Predigt.


3 Fußwaschen.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 1956-1959.
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