30. Auf Herrn Heinrich des Drey und Zwanzigsten Entschlafen[88] 1

1723.


Du fragst:2 Wie gut wird sichs doch nach der Arbeit ruhn:

Du rechtes Witwen-Herz,3 Du fragst: Wie wohl wirds thun:

Ich sage vor dem Herrn: So wohl, daß alle Wehen

Der kurzen Leidens-Zeit nun ewiglich vergehen.


O Tage dieser Zeit, da unser Auge thränt,

O Stunden, da der Geist sich nur nach Freyheit sehnt,

Minuten, die den Sinn in tiefe Schwermuth stürzen,

Ihr Augenblikke, die uns alle Freude kürzen!


Warum ist unser Aug auf euer Nu gewandt,

Davon der meiste Theil bereits dahin gerant?

Wie, blikt es nicht vielmehr ins Innerste der Seelen,

Wo mit der Ewigkeit die Blikke sich vermählen?


Es ist wol eines Theils des trägen Fleisches Schuld,

Das beuget seinen Hals nicht unter die Geduld,

Die nach der Liebe Rath so selig ist, so süsse,

Und machet, daß das Kind die Hand des Vaters küsse.


Wie aber unser Freund des Fleisches Blödigkeit

Genugsam eingesehn, gefühlt zu Seiner Zeit;[88]

So dringt Ihn alles diß zu herzlichem Erbarmen;

Die Schwachheit träget Er auf Seinen starken Armen.


Wie selig muß nicht oft die tiefste Trauer seyn!

Es gehe nur das Herz recht in den Zwek hinein;

Sonst muß ein leichter Mensch uns mit dem Wandel sagen:

Warum der grosse Gott so tief, so wund geschlagen?


Wenn so ein laues Herz durch lange Heucheley

Die Menschen glauben macht, als ob es redlich sey,

Und dann die Krone erst vom Haupte abgefallen;

So zeigt, so blösset sich der Larve Schmach vor allen.


Sie, die ihr redlichs Herz zu Jesu jedermann,

So vor als nach der Eh' in Christo kund gethan!

Erlaube, (ob ich ihr die Trauer nicht verdenke,)

Daß ich ihr einen Trost aus Jesu Wunden schenke.


Der ists: Ihr Bräutigam ruft Seinen Knecht dahin,

Und sättigt den nach Ihm hier ausgespannten Sinn;

Ihr nimt Er das hinweg, was ihre Augen lieben,

Damit sie sich nur blos an Seiner Schönheit üben.


Darf aber, oder soll vielmehr mein schwacher Kiel,

In dieser kurzen Schrift und enger Reimen Ziel,

Das Angedenken noch von ihrem Herrn berühren,

Und wessenthalben mag ich ihn so späte führen?


Gewiß, ich darf, ich soll: Er war des Herren Knecht:

Von deren Ende schreibt und rühmet man mit Recht:

Und weil man hier davon nicht allzuviel vernommen,

So bin ich wohlgemeynt auf dieses Denkmaal kommen.


Der Drey und Zwanzigste, ein Mann, zu seiner Zeit,

Nicht ohne Ehr-Begier, nicht ohne Tapferkeit,

Nachdem er allbereits den Regiments-Stab führet,

Tritt unter das Panier, wo Christus commandiret.


Ihr Edle dieser Zeit! die ihr ihn sonst gekant,

Sagt, fehlt' es ihm an Muth, Geschiklichkeit, Verstand?[89]

Was zwang ihn, euer Feld in einer Zeit zu räumen,

Wo ihm das Krieges-Glük begont empor zu keimen?


War unser lieber Reuß nicht so beherzt als ihr,

Und schenkt er einem was? Wer warf ihm etwas für?

Wer trotzt' und pochte ihn, der Zeit, aus euerm Orden?

Wie aber ist er dann hernach zum Narren worden?


Ists nicht? sobald er erst ein Jünger Jesu war,

So setzte es für euch auch weiter nicht Gefahr?

Weil Kinder Gottes selbst die Schmach der Erden lieben,

So habt ihr euern Spott fein ungestraft getrieben.


Was sagt ihr, denen itzt das Herz im Leibe sagt:

Daß sich ihr Uebermuth an ihn und andre wagt,

Und das absonderlich, wenn sie es weder hören,

Noch, wegen des Befehls von ihrem Meister, wehren?


O sclavisches Gemüth, o niederträchtger Geist!

Der sich in jener Zunft der Irdischen beweist!

Kommt, ändert euer Herz, kommt, fallt zu Jesu Füssen:

Dann werdet ihr von Muth und Herz zu sagen wissen.


Es ist nicht Leugnens werth, der auserwehlte Reuß,

Nachdem er sich bekehrt, verwarf den eiteln Preis:

Man sahe ihn nicht mehr von Rach-Begierde brennen;

Wol aber Christi Creutz mit Löwen-Muth bekennen.


Ihr aber, deren Jescht nach Ehr und Rache schäumt,

Und die ihr Gott den Grund von euren Hefen räumt!

Was wollt ihr einen Held, erkant an seinen Früchten,

Mit seiner Redlichkeit und tapfern Geiste richten?


Euch sey mit wenigem und jedermann gesagt:

Wer was in dieser Zeit zu Gottes Ehren wagt,

Da seine Lieb und Furcht nichts mehr auf Erden gelten,

Den kan der treue Zeug' unmöglich drüber schelten.


Wenn alle Herrliche in dieser ganzen Welt,

Wenn auch der meiste Theil sich Jesu zugesellt,[90]

Und schämete sich nicht sein Zeugnis darzugeben:

So möchte man, (und gern,) in größrer Stille leben.


Da aber Christum oft mit keinem Wort bezeugt,

Wer sich ein wenig nur von gutem Schrote deucht,

Und der zu Schmach und Hohn sich wissentlich bequemet,

Wer sich des Heilands nicht vor denen Leuten schämet:


Da sage mir ein Mensch, so klug er ist, er sag:

Ob ich, und wer noch sonst den Herrn bekennen mag,

Die Grossen dieser Welt und andre mehr verdrängen,

Wenn wir uns wenigstens an Christi Fahne hängen?


Nicht so? der heisset doch ein Ehr-vergeßner Mann,

Der einem Fürsten dient, und nimt sich sein nicht an?

Ob man ihm gleich mit Schwerdt und Stahl nicht mördlich dräuet,

Ihn aber schändlich höhnt und in die Augen speyet?


Der aber kan ein Christ nach allen Formen seyn,

Der viele Tage geht, und fället ihm nicht ein,

Auf diesen seinen Herrn getreu zu insistiren,

Und andrer ihre Gunst um Seine zu verlieren.


Wer bist dann du, o Mensch! da, wenn du ungescheut,

Auf deinem Kirchen-Stand, zu Gott-geweyhter Zeit,

Daß der dein König ist, mit vollem Hals ertönest,

Den du den Abend noch mit Werk und Worten höhnest?


Der Lehrer auf dem Holz, wo man alleine spricht,

Der rede, denkest du, er treffe mich nur nicht;

Mir aber, den ein Brief von sechzehn Ahnen krönet,

Gebühret dieses nicht: Wie würd' ich sonst gehöhnet!


O Welt! man schenkte dir die Tändeleyen gern!

Der aufgeschwungne Geist ist von dem allen fern:

Doch soll man Zeit und Zwang in ihren Würden lassen;

Was hindert einen das, um Christi Creutz zu fassen?
[91]

Der Adel dieser Welt ist etwas; aber still!

Die gute liebe Welt weiß selbst nicht, was sie will:

Der Knecht spielt gerne Herr; ein Herr kan ja nicht leben,

Er muß sich irgendswo in einen Dienst begeben.


So aber steht es nicht um Christi Adel-Brief,

Da Der die Seele erst zum Fürstenthum berief,

Und zu der Krone selbst: Da ward sie frey geboren,

Und war zu keinem Zwang des Sclaven-Stands erkoren.


Der König, welchem wir als Knechte eigen sind,

Der nennt uns anders nicht, als Bruder, Freund und Kind,

Es heißt: Wir dienen Ihm; Er aber dient uns besser:

Er macht durch Seinen Dienst uns alle Tage grösser.


Und wir, wir solten uns des Ordens, den Er giebt,

Und dessen, der uns so, als wie Sein Herze liebt,

Vor dem geringen Schwarm der Unterthanen schämen,

Und nicht fein öffentlich uns diese Ehre nehmen?


O Vater! schenke uns den königlichen Sinn,

Der alles hinten läßt, auf daß er Dich gewinn,

Und gönne mehreren, die itzt noch furchtsam schweigen,

Den Ruhm, den hohen Ruhm, der treuen Lammes-Zeugen.


Gib Weisheit, leite uns Dir nach, untadelich,

Und Deinem Gnaden-Ruf zu wandeln würdiglich:

Gib Liebe, alles diß mit Sanftmuth zu ertragen,

Was man von unserm Thun will denken oder sagen.


Du aber, treuer Knecht! geh eilends ein zur Ruh:

Der süsse Bräutigam schließt selbst die Kammer zu:

Dring auf, erlöster Geist! zu Dem, den du bekennet,

Und der dich dermaleinst vor Seinem Vater nennet.

Fußnoten

1 Gedrukt zu Dresden.


2 Im Schluß dero letzten Briefes vom 10 Nov. 1723.


3 Die Frau Gräfin Reuß, geb. Freye von Söhlenthal d.z. Ihro Königl. Hoheit Prinzeßin Louise von Dännemark Hofmeisterin.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 88-92.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Reuter, Christian

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

Nachdem Christian Reuter 1694 von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird weil er die Miete nicht bezahlt hat, schreibt er eine Karikatur über den kleinbürgerlichen Lebensstil der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«, die einen Studenten vor die Tür setzt, der seine Miete nicht bezahlt.

40 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon