31. An eines begabten Lehrers Namens-Tage[92] 1

1723.


Du hochgebenedeyte Liebe,

Man singt in Bethel: Höre her.

O daß der angeflammten Triebe

Nur eine einge Flamme wär!

Du hast uns alle angezündet,

Auf Dich sind wir allein gegründet,

Der Prediger, und wer ihn hört,

Wer als ein reiner Funk entglommen:

Hat einen Hauch von Dir bekommen,

Der wieder in Dein Feuer fährt.


Was wollen wir so dunkel sprechen?

Wir wallen in der Dunkelheit.

Wilst Du mit Deinem Licht durchbrechen,

Schenkst Du uns Deine Heiterkeit:

So können wir es offenbaren,

Was wir im Inneren bewahren,

Und was so schwer zu deuten ist.

Gib doch an diesem Freuden-Tage,

Daß jeder deutlich sing und sage,

Was Du für eine Liebe bist.


Du bist ein ewiger Regente;

Allein Du herrschest in der Zeit.

Als Deine Flamm in Ruhe brennte

In jener tiefen Ewigkeit;

Da wurdest Du doch mit Verlangen

Nach einer Creatur gefangen;

Und diese Creatur sind wir,

Wir und noch viele Millionen,[93]

Die nah und in der Ferne wohnen,

Wir alle schreiben uns von Dir.


Wir wissens wohl, daß alle Lande

Mit Deiner Treu belehnet sind;

Daß man in einem jeden Stande

Gewisse Gottes-Menschen find't;

Und daß in Lausitz mehr Gemüther,

Als wir, geniessen Deiner Güter,

Wir sind kein sonderlich Geschlecht.

Wenn aber Deine Vater-Augen

Aufs Niedrige zu sehen taugen,

So haben wir ein eignes Recht.


Es ist Dir, Vater, unentfallen,

Was man von Deinem Bethel hält,

In was für grosser Schmach wir wallen,

Und wie man uns zurükke stellt.

Der Ort ist an sich selbst nicht wichtig,

Wir suchen Dich, damit ists richtig.

Wir sind der Welt ihr Gaukel-Spiel.

Der Herr und seine Unterthanen,

So viel Dir ihre Herzen bahnen,

Sind aller Lästerungen Ziel.


Du hasts ja aber ausgesprochen:

Ihr, die ihr leidet, seyd beglükt.

Die ihr mir nach ans Creutz gekrochen,

Ihr werdet mit hinauf gerükt.

Wo ich verbleibe, bleibt mein Jünger,

Sein schlechtes Thun ist nichts geringer,

Als was ich in der Welt gethan.

Freund! haben wir Dich aufgenommen,

Und wissen nirgends durchzukommen,

So nim Du uns auch wieder an.


Wir leiden ohne alles Murren,

Wir geben gar der Welt die Macht[94]

Uns zu verleumden, anzuschnurren,

Wir werden gern um Dich verlacht.

Man mag uns lose Brükken bauen,

Uns soll vor alle dem nicht grauen,

Nur nicht um einen bösen Schein,

Dieweil wir uns ins Amt gedrungen,

Dieweil wir übel umgesprungen;

Nein! darum, weil wir Christen seyn.


Weil aber Du der Kinder Lallen,

Du, treuer Vater, nie verschmäht:

So laß Dir itzo auch gefallen,

Wenn die Gemeine zu Dir fleht:

Du wollest uns zusammenhalten,

Und über unsrer Liebe walten,

Als über Deinem Augen-Stern.

Wir werden hin und her geschmissen;

Es sey drum nur nicht abgerissen

Von unserm Bunde für den Herrn.


Und dürfen wir noch eines bitten;

So wollst Du unsers Rothens Geist

Mit Deinem Frieden überschütten,

Der sich bereits in ihm erweist.

Es bleiben er, und die ihn lieben,

Dir zum Gedächtnis angeschrieben,

Als solche, die Dein Herze hegt.

Man seh in allem, was er handelt,

Daß Jesus selber in ihm wandelt,

Und alle seine Glieder trägt.

Fußnoten

1 Am 30ten November.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 92-95.
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