53. Gerechte Thränen über Julianen, Gräfin von Zinzendorf

[153] 1727.


Ach Schwägerin, wie beugt mich dein Erblassen!

Was ritzet mir dein Tod für Wunden auf!

O tiefer Riß, ach unterbrochner Lauf!

Es lehre mich der Herr Sein Herze fassen,[153]

Er binde mir die Augen veste zu,

Und führe mich in Seinen Rath, zur Ruh!


Ach Edles Weib! der alle Ehren-Titel,

Da Salomo die Tugend mit verehrt,

Nach Billigkeit vor andren zugehört,

Und du liegst schon in einem Sterbe-Kittel!

Ich eilete, da mir der Bruder rief,

Und wußte nicht, daß Juliana schlief.


Ich trete nur, nach abgelegtem Reisen,

Ins Haus hinein; so wird mir angesagt,

So wird mir gleich von jedermann geklagt:

Der Bruder sey bestürzt mit seinen Waisen.

Es hätte kaum Graf Ottgen ausgeschnaubt,

So sey Gemahl und Mutter hingeraubt.


Ach harter Fall! davon die Pfosten beben!

Was männiglich an unserm Hause preist,

Das zeugete dein hocherhabner Geist,

Das zeigete dein angenehmes Leben.

Und hätte dich der Schnitter nicht gemeyht; (gemäht)

Wie hätte sich dein Ruhm noch ausgebreit't?


Allein! wer will den Rath der Wächter meistern?

Ich bebe zwar, doch mit Ergebenheit,

Und tröste mich mit der Barmherzigkeit,

Die dich so bald versetzt zu denen Geistern.

Denn, rükt der Freund den Lebens-Zeiger fort;

So weiset Er an einen guten Ort.


Wer weiß, als du,1 wie lieb mir deine Seele,

Wie theuer mir dein Wohl gewesen ist;[154]

Wer weiß das recht, nun du verschieden bist?

Mein Hoffen liegt begraben in der Höhle,

Die deinen Leib bis auf den Tag verschleußt,

Da dich der Herr von neuem kommen heißt.


Ach Bruder! ach, was haben wir verloren:

Was deiner seits in aller Augen füllt,

Das bleibt bey mir zwar etwas mehr verstellt;

Doch hat mein Herz nicht weniger gejoren.

Auf, Bruder, auf, verlasse Welt und Zeit,

Und dringe dich (mit mir) zur Ewigkeit!

Fußnoten

1 Gedachte Gräfin war zugleich leiblich Geschwister-Kind mit dem Autore, und hatte sieben Jahre zuvor bey dessen langer Anwesenheit auf der Burg einen wahren Ernst, Christo nachzufolgen, gefasset, mit nachdrüklichem Bezeugen, nie zurük zu gehen. Der weitere Verfolg ist nicht gemeldet worden.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 153-155.
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