Erster Auftritt.

[84] Canari und Iduella von entgegengesetzten Seiten einander begegnend.


CANARI.

Ah, das nenn' ich wohlgetroffen!

Nur ein Wörtchen! Ist's erlaubt,

Vom Befinden Eures Fräuleins

Nach dem Abenteuer gestern ...

IDUELLA.

Sie hat sanft die Nacht geruht;

Und vom tödtlichen Entsetzen

Blieb ihr keine Spur zurück.

Eine kühn're Heldenseele

Hat vielleicht auf Erden nie

Einen zarten Leib bewohnt.

Grenzenlos war mein Erstaunen,

Als sie diesen Morgen schon

Scherzend, zu der Laute Klang,

Uns ihr Abenteuer sang.

CANARI.

Herrlich! Eures Zöglings würdig!

Nur die höchste Lebensweisheit,

Oder bloß die reinste Unschuld,

Dürfen, größer als das Schicksal,

Harmlos mit dem Schicksal scherzen.[84]

IDUELLA.

Ist der beispiellose Frevler, –

Abellino, glaub' ich, heißt er, –

Schon entdeckt, schon eingefangen?

CANARI.

Nichts! er ist und bleibt entronnen.

Der versteht sich meisterlich,

Scheint es, auf die schwarze Kunst.

Denn, beim ersten Lärmen, wurden

Alle Pforten flugs geschlossen,

Alle Gondeln losgebunden,

Alle Winkel ausgesucht

Keine Spur, er blieb verschwunden.

IDUELLA.

Doch man sagt mir, diese Nacht

Sei der große Fang vollbracht,

Den die Staats-Inquisitoren

Lange schon vergebens wünschten;

Und das wüste Mordgesindel,

Welches unsichtbar, seit Monden,

Uns erschreckte, sei erhascht.

CANARI.

Richtig, Alles ist gefangen,

Schon verhört und bald gehangen,

Nach Venedigs guter Art.

Leider war ihr Spießgesell

Abellino nicht darunter.

Aber wißt Ihr, was nicht minder

Mich an der Geschichte freut?

IDUELLA.

Und das wäre?[85]

CANARI.

Das kein Andrer,

Als der junge, muth'ge Ritter,

Flodoardo von Florenz,

Das verborgne Nest entdeckte,

Und, mit Wagung seines Lebens,

Jene Ottern lebend fing.

IDUELLA.

Er? – ist wieder in Venedig?

Wunderschnell bekränzt er sich

Mit dem Lorbeer der Verdienste,

Wie kaum einer unsers Adels.

CANARI.

Seid gerecht, und sagt, wie Keiner.

Seine Waffenthat auf Corfu

Hat zu ew'gen Schuldnern ihm

Viel der edelsten Geschlechter,

Und den Dogen selbst, gemacht.

Aber das gelungne Wagstück

In der Höhle der Banditen,

Für Venedigs Sicherheit,

Trägt ihm nun sogar den Namen

Unsrer Republik ins Schuldbuch.

IDUELLA.

Wahrlich, dieser seltne Mann

Wagt zuletzt das Niegewagte,

Und – den Kühnen liebt das Glück.

CANARI.

Wohl! Er mag vom Glücke sagen.

Eine Spanne weiter rechts,[86]

Und die Kugel eines Strolchs

Wäre ihm durch's Herz geschlagen.

IDUELLA.

Wie? der Ritter ist verwundet?

CANARI.

Kleinigkeit. Zwei Tropfen Bluts!

Nur ein Streifschuß links am Arm.

IDUELLA sich beurlaubend.

Eure Herrlichkeit verzeihn; –

Diese Botschaft ist zu wichtig,

Daß ich selbst sie nicht zuerst

Rosamunden bringen sollte.


Ab.


CANARI allein.

Frau'n gebührt das Heroldsamt,

Nicht den Männern. Sie verstehen es,

Uebles zierlich zu umschleiern,

Schönes zehnfach zu verschönern ...

Nun zum Dogen!


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 84-87.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon