Föhn

[134] Föhn bezeichnet ursprünglich die Stürme am Nordfuß der Alpen, charakterisiert durch ihr plötzliches Auftreten und ihre hohe Temperatur, meist verbunden[134] mit großer Trockenheit der Luft. Bekannt war schon lange ihr regelmäßiges Erscheinen, besonders im Herbst, Winter und Frühling, seltener im Sommer, und die Bedeutung, die der Schweizer ihnen für das Schmelzen der ungeheuern Schneemassen zuschrieb.

Die erste Erklärung der Erscheinung, die diese Winde der Sahara entstammen ließ, wie die von Dove aufgeteilte Abstammung dieser Winde aus dem Karaibischen Meere wurden 1866 durch Hann widerlegt, der den Nachweis führte, daß ebenso Grönland Föhnwinde habe, die aus Ost bis Südost an der ganzen Westküste direkt in die Fjorde einfallen, wobei die Temperatur im Winter durchschnittlich um 12–19° C, oft um 25° C, im Herbst und Frühling durchschnittlich um 11° C. erhöht wird. Seitdem hat man auf der Südseite der Alpen den Nordföhn festgestellt sowie ferner Föhnwinde entdeckt am Absturz des Elbrusgebirges zur kaspischen Senkung, in Hermannstadt, wo der Föhn im Rotenturmer Paß aus den Transsylvanischen Alpen hervorbricht, auf der Ostseite der Südalpen Neuseelands, u.a. in Sibirien zu Nischne-Kolymsk, unter dessen Wehen die Temperatur nach v. Wrangell meist von –30° auf +5° C. stieg. – Für alle diese Föhnerscheinungen hat Hann die Erklärung geliefert in seiner Untersuchung über den Nordföhn der Alpen (Der Föhn in Bludenz, Sitzungsbericht der Wiener Akad., 1882, auch Zeitschr. d. österr. Gesellsch. f. Met. 1882).

Föhnwinde sind nach Hann Fallwinde, absteigende Luftströme, die ihre Entstehung nicht dem meteorischen Zustand jenseits des Gebirges verdanken, sich also nicht als Fortsetzung von jenseits zuströmenden Winden darstellen, sondern durch Gebiete niederen Druckes diesseits der Gebirge bedingt werden. Diese zuweilen fern gelegenen Barometerminima ziehen die zwischen ihnen und dem Gebirge liegende Luft in den Wirbelsturm hinein und allmählich auch die den Gebirgen vorlagernden und den Tälern einlagernden Luftmassen. Indem diese Luft von den Gebirgskämmen in die Täler abfließt, erwärmt sie sich infolge ihrer Kompression, und zwar in Uebereinstimmung mit Theorie und Beobachtung um ca. 1° pro 100 m, und langt somit relativ warm an der Erdoberfläche an, da die gewöhnliche Abnahme der Temperatur nach der Höhe in feuchter Luft weniger, im Winter etwa 0,5, im Sommer ca. 0,7° pro 100 m beträgt; demnach ruft der Föhnwind im Winter unter gewöhnlichen Verhältnissen, falls er aus einer Höhe von n · 100 m herabgestiegen ist, eine Erwärmung um 0,5 · n : 100 an der Erdoberfläche und eine offenbar nur halb so große im Sommer hervor. In Fällen jedoch, wo die über dem Gebirge lagernde Luft außergewöhnlich kalt und um mehr als 1° pro 100 m kälter als die Luft am Fuße des Gebirges ist, muß dieselbe, als Form herabstürzend, Temperaturerniedrigung herbeiführen, da sie sich nur um ca. 1° pro 100 m erwärmt. Solche kalte Fallwinde kennen wir in der Bora (s.d.).


Literatur: Pernter, Ueber die Häufigkeit, die Dauer und die meteorologischen Eigenschaften des Föhns in Innsbruck, Sitzungsber. d. Wiener Akad., Bd. 104, Mai 1895; Die allgemeine Luftdruckverteilung und die Gradienten bei Föhn, Sitzungsber. d. Wiener Akad., Bd. 105, Jan. 1896; Billwiller, Ueber verschiedene Entstehungsarten und Erscheinungsformen des Föhns, Met. Zeitschr., Bd. 6, 1899.

Großmann.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 134-135.
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