Halbkammgarne

[756] Halbkammgarne (Sagetten- oder Sayett-, Strick-, Stick- oder Tapisserie- und Strumpfwirkgarne, fil carde-peigne, knitting yarn, stocking yarn, hosiery yarn, mock-worsted) werden aus mittellangen Wollen meist ähnlich wie Kammgarn, mit Hinweglassung der das Spinnen sehr verteuernden Kämmaschine, oder ähnlich wie Streichgarn, jedoch mit Hinweglassung des gekreuzten Auflegens, erzeugt. Dadurch, daß die in der Wolle enthaltenen kurzhaarigen Teile mit verarbeitet werden, erhält der alsdann gesponnene Faden eine weniger glatte und weniger feste Beschaffenheit als eigentliches Kammgarn, ist jedoch glatter und glänzender als eigentliches Streichgarn [2]–[4].

Man lockert die gewaschene Wolle im Wolf auf, fettet sie wie Streichwolle ein und kratzt sie zwei- (auch drei-) mal auf Krempeln. Das Band von der Krempel kommt zunächst auf ein Streckwerk, das aus zwei Paar Streckwalzen und einer Stachelwalze oder einem Felde gerader Nadelkämme mit Schraubenführung zusammengesetzt ist, und wird hier mehrfach gedoppelt. Dann wird das neue Band auf die Krempelbandstrecke (sliver-box) gebracht, durchläuft ferner entweder die ganze Reihe der in dem englischen Vorspinnverfahren (s. Kammgarnspinnerei) angegebenen Vorrichtungen oder doch eine ähnliche Folge von Maschinen und wird endlich auf der Water-Spinnmaschine gesponnen. Alle diese Maschinen sind für den gegenwärtigen[756] Zweck die nämlichen wie für gekämmte Wolle, nur die Sliverbox erhält wohl als Zugabe einen Dämpfkasten. Der Dampf soll den Glanz der Wolle erhöhen und sie so erweichen, daß durch das sogleich folgende Strecken ihre natürliche (geringe) Kräuselung sich verliert. Bei den nach Art der Streichgarne erzeugten Halbkammgarnen (kammgarnartigen Streichgarnen), wo man also zwischen den beiden Krempeln nicht kreuzt (Zweikrempelsystem), speist man entweder die zweite Krempel mit einzelnen, in der Breite der Krempel nebeneinander laufenden Bändern oder man bringt besondere Vorrichtungen an, die durch Querlegen von Bändern eine größere Dopplung und Ausgleichung ermöglichen und trotzdem die Fasern in der Arbeitsrichtung der Krempel laufend erhalten [1]. Halbwollene Strick- und Strumpfwirkgarne, die unter dem Namen Merinogarn vorkommen, werden aus einem Gemenge von Wolle und Baumwolle (zusammengekrempelt und wie reine Wolle verarbeitet) erzeugt. Die Wolle pflegt darin den geringeren Anteil auszumachen. Das Zwirnen der Strickgarne wird wie das der eigentlichen Kammgarne verrichtet. Vom Fette werden dieselben durch Waschen in heißem Seifenwasser befreit.


Literatur: [1] Zeitschr. des Ver. deutsch. Ing. 1891, S. 1379; 1892, S. 672; 1894, S. 328, 389. – – [2] Leipz. Monatsschr. für Textilindustr. 1892, S. 206; 1894, S. 147, 240. – [3] Dingl. Polyt. Journ. 1894, Bd. 291, S. 33. – [4] Müller, Handb. der Spinnerei, Leipzig 1892, S. 428.

E. Müller-Dresden.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 756-757.
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