Luftspiegelungen

[501] Luftspiegelungen. Im normalen Falle nimmt die Dichtigkeit der Luft von unten nach oben ab.

Denken wir uns die Luft in Schichten von gleicher Höhe geteilt, so erfolgt diese Abnahme infolge der Abnahme der über den Schichten befindlichen Luftmasse nach einer geometrischen Progression; der Strahl erleidet an jeder Schichtengrenze eine Brechung und nimmt die Gestalt eines gegen die Erdoberfläche konkaven, polygonalen Linienzuges an. Gehen wir nun zur Grenze über, indem wir uns die Schichten unendlich dünn denken, so geht dieser Linienzug in eine einer Parabel mit vertikaler Hauptachse äußerlich ähnliche Kurve über, die Krümmung nimmt bis zum Scheitel zu, erreicht in ihm ein Maximum und nimmt dann symmetrisch wieder ab. Diese Kurve ist von Kummer in einer 1860 erschienenen Abhandlung gründlich untersucht worden. Der Scheitel ist nur vorhanden, wenn die Strahlen sehr flach gegen den Horizont geneigt sind und die Dichtigkeit, wie es über sehr kalten Meeren der Fall sein kann, sehr schnell abnimmt; andernfalls geht der Strahl, bevor er seinen Scheitel erreicht hat, in den Weltraum über. – Unter den von einem Punkte A (s. Fig. 1) ausgehenden Strahlen gehen nun zwei durch das Auge O, und zwar einer im Aufsteigen, der andere im Absteigen. Die in O an diese beiden krummen Strahlen gelegten Tangenten O A1 und O A2 ergeben also die Richtungen, in denen das Auge zwei getrennte Bilder des Punktes A erblickt. Ebenso ergeben sich zwei getrennte Bilder des lotrecht über A liegenden Punktes B in den Richtungen O B1 und O B2 und man erkennt, daß von dem Objekte A B ein wenig gehobenes, aufrechtes Bild zwischen den Tangenten O A1 und O B1 und ein stark gehobenes, verkehrtes Bild zwischen den Tangenten O A1 und O B2 entsteht. – Eine andere Art der Luftspiegelungen tritt auf, wenn, wie es über stark erhitzten Wüstenflächen manchmal vorkommt, die Dichtigkeit der Luft nach oben bis zu einer gewissen Höhe zunächst zunimmt. Die innerhalb dieser Schicht verlaufenden Strahlen nehmen jetzt eine gegen die Erdoberfläche konvexe Krümmung an; der Scheitel ist der tiefste Punkt der Bahn. Auch jetzt wieder gelangen von einem Punkte A (s. Fig. 2) zwei Strahlen in das Auge O, einer im Absteigen, der andre im Aufsteigen; das Auge erblickt zwei Bilder von A in den Richtungen der Tangenten O A1 und, O A2. Von einem vertikalen Objekte A B entstehen auch hier wieder zwei getrennte Bilder, ein wenig gesenktes, aufrechtes Bild zwischen den Tangenten O A1 und O B1 und ein stark gesenktes verkehrtes Bild zwischen den Tangenten O A2 und O B2.

Mit totaler Reflexion, auf die diese Erscheinungen oft zurückgeführt werden, haben sie absolut nichts zu tun; der Ausdruck »Luftspiegelungen« ist, da es sich um eine reine Brechungserscheinung handelt, keineswegs glücklich gewählt.

F. Meisel.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 501.
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