Rhodanwasserstoffsäure

[421] Rhodanwasserstoffsäure (Thiocyansäure), eine organische Säure von der Formel NC – S H, welche sich also von der Blausäure C N H durch Addition von Schwefel ableitet. Sie ist eine Cyansäure N = C · O H, in welcher der Sauerstoff durch Schwefel ersetzt ist, oder sie ist schließlich die Wasserstoffverbindung der einwertigen Gruppe NC – S –, welche Rhodan genannt wird.

Die freie Säure ist nur in einer Kältemischung als stechend riechende Flüssigkeit beständig, welche sich bei wenig höherer Temperatur unter starker Erwärmung zu einem gelben, amorphen Körper polymerisiert. Sie löst sich leicht in Wasser und in Alkohol zu sauer reagierenden Lösungen. Diese wie die Lösungen der Salze färben Eisenoxydlösungen dunkelkirschrot, die bekannte höchst empfindliche Reaktion auf Eisenoxyd vermittelst Rhodankalium. Die Säure entsteht aus ihrem Kaliumsalz durch Destillation mit verdünnter Schwefelsäure oder aus dem Quecksilbersalz durch Zerlegung mit trockenem Schwefelwasserstoff- bezw. Salzsäuregas. – Die Salze der Thiocyansäure werden als Rhodansalze oder Rhodanide bezeichnet (vgl. a. Cyan, Bd. 2, S. 484). Die Alkalisalze entstehen durch Schmelzen der Cyanmetalle mit Schwefel. Rhodankalium aus Cyankalium und Schwefel bildet lange, farblose, an der Luft zerfließliche Prismen aus Alkohol. Rhodanammonium, beim Erwärmen von Blausäure mit Schwefelammonium oder von Cyanammoniumlösung mit Schwefel oder schließlich am leichtesten durch Erwärmen von Schwefelkohlenstoff mit alkoholischem Ammoniak entstehend, kristallisiert in Prismen, die beim Erhitzen auf 170–180° sich in den isomeren Thioharnstoff umlagern und oberhalb dieser Temperatur unter Schwefelwasserstoffentwicklung in rhodanwasserstoffsaures Guanidin übergehen. Die Rhodansalze der Schwermetalle entstehen als unlösliche Niederschläge beim Fällen der Alkalirhodanide mit entsprechenden Salzen. Quecksilberrhodanid, ein graues amorphes Pulver, verglimmt beim Anzünden unter mächtigem Aufschwellen der Asche und wird zu der bekannten Spielerei der Pharaoschlange verwendet. Das Silbersalz ist ein dem Chlorsilber ähnlicher Niederschlag, auf dessen Bildung ein von Volhard ausgearbeitetes Titrierverfahren von Silberlösungen beruht. Isomer mit den normalen Estern der Rhodanwasserstoffsäure NC – S – C3 H5 sind die Ester der Isothiocyansäure S = C = NC3H5, die sogenannten Senföle, welche aus jenen durch Umlagerung entstehen (s. Allylsenföl).


Literatur: Beilstein, Handbuch der organ. Chemie, Hamburg und Leipzig 1893, 3. Aufl., Bd. 1, S. 1272–1285; Schmidt, Pharm. Chemie, Organ. Teil II, Braunschweig 1901; Hollemann, Lehrbuch der organ. Chemie, Braunschweig 1903.

Bujard.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 421.
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