Wurzelstockextraktion

[667] Wurzelstockextraktion zwecks Gewinnung von Terpentinöl und Kolophonium.

Beim Abholzen der Wälder verbleiben die Wurzelstöcke längere Zeit im Boden, bleiben sogar überhaupt darin und bei Nadelhölzern tritt sogenannte Verkienung ein, d.h. das Holz gewinnt an Harzreichtum. Früher hat man die Wurzelstöcke lediglich in primitiven Oefen der trockenen Destillation unterworfen und dabei Kienöl, Teer u.s.w. gewonnen. Schon in den 1860 er Jahren hat man in Amerika nach verschiedenen Verfahren aus dem Material Kienöl (Holzterpentinöl) gewonnen, aber in Europa scheint man erst um das Jahr 1910 die ersten Versuche in Bosnien gemacht zuhaben, die aber befriedigende Ergebnisse nicht gezeitigt haben. Die Schwarzföhre, die als harzreichster Baum in Mitteleuropa anzusehen ist, enthält nach Austerweil in ihrem Wurzelstockholz 8–13% Kolophonium und 11/2–21/2% Terpentinöl, wobei das Kolophonium etwas weicher als das amerikanische ist, das Wurzelholz der gemeinen oder Weißkiefer 31/2–7% Kolophonium und 11/4–21/4% Terpentinöl, Mengen, die unter den derzeitigen Verhältnissen immerhin zu gewinnen wert erscheinen. Bei der Extraktion werden die Wurzelstöcke nach verschiedenem Verfahren zerkleinert – die Zerkleinerung darf nur so weit gehen, daß das nach dem Extrahieren verbleibende Holzklein noch zur Papierfabrikation geeignet erscheint – und dann der Extraktion mittels flüchtiger Lösungsmittel unterzogen. In Bosnien wurde während des Krieges eine neue Anlage in Visegrad erbaut, die bestandene Anlage in Busovaca umgestaltet und auch im Hinterlande (in Malacka, Ungarn), im Kreis Wiener Neustadt und an anderen Orten wurden Extraktionsanlagen für Kleinholz wie auch für Wildharz geschaffen. Bedingung für jede derartige Holzextraktionsanlage ist, daß die Entfernung von den Rodegebieten eine nicht allzu große und die Menge des zuzubringenden Holzes eine solche ist, daß ein ununterbrochener Betrieb gewährleistet erscheint. Austerweil ist der Ansicht, daß die mittels des Extraktionsverfahrens aus Wurzelstockholz gewonnenen Harzprodukte gegenüber den durch systematische Harzung erhaltenen Produkten zumindest gleichwertig sind. Mit Rücksicht auf die wohl noch längere Zeit hohen Preise aller Harzprodukte und die Verwertbarkeit des Kleinholzes (Extraktionsrückstandes) in der Papierfabrikation auch im Frieden, und da gegen die systematische Harzung immer noch seitens der Forstleute Bedenken bestehen werden, dürfte diese Industrie auch weiterhin Bestand haben und den Import von außerhalb immerhin etwas einschränken. – Bei der Extraktionsanlage in Visegrad (und auch anderwärts) hat man für die Apparate die Merzsche Konstruktion gewählt. Nach Austerweil besteht das Prinzip der Anlage darin, daß das Holzklein, wie es von der Holzzerkleinerung (Holzraspelmaschine) kommt, mittels mechanischen Fördervorrichtungen in ein langes, zylindrisches, um die hohle Längsachse langsam sich drehendes Gefäß gebracht wird, in welchem es mit einem Harzlösungsmittel (Trichloräthylen) unter Erwärmen zusammengebracht wird. Die Rotation bezweckt ein inniges Durcheinandermischen der beiden Materialien, Lösungsmittel und Extraktionsgut; es wird das 51/2–6 fache von dem Gewichte des Extraktionsgutes an Lösungsmittel in Anwendung gebracht. Nach einer bestimmten Extraktionsdauer wird mittels Pumpe die erhaltene Lösung von Harz in Trichloräthylen ausgepumpt, über ein Filter geleitet und in einen Sammelbehälter gebracht. Aus diesem wird nun die klare Lösung vermittels einer zweiten Pumpe in eine Destillierblase gebracht, das Lösungsmittel mit direktem Dampf abdestilliert und zum Schluß ein Teil des [667] Terpentinöles mit Dampf und Vakuum gewonnen. In der Blase verbleibt Kolophonium von geringer Härte, das einer nochmaligen Destillation über Feuer unterzogen und dadurch härter wird. Erst dieses Produkt entspricht allen Anforderungen, ist aber sehr dunkel gefärbt. Auch kann das Kolophonium mittels Durchblasens von Luft oder mittels eines anderen Oxydationsverfahrens härter erhalten werden. Auch kann man das Produkt im 5–7fachen Gewicht an 2 prozentiger Natronlauge lösen, aus dieser Lösung die noch vorhandenen oxydierten Terpene, die die eigentliche Ursache der weichen Beschaffenheit des Kolophoniums sind, mit Dampf oder Dampf und Vakuum abtreiben; die im Rückstand verbleibende wässerige Kolophoniumlösung (in Natronlauge) läßt sich mit unterchlorigsaurem Natron bleichen und mit Natriumbisulfatlösung ausfällen. In der Praxis gestaltet sich nun die Extraktion allerdings nicht so einfach, es muß ein zweimaliges Auslaugen des Materials Platz greifen, die erste Lösung wird zur Extraktion einer frischen Beschickung gebraucht, verstärkt, und das einmal behandelte Holzklein mittels frischem Lösungsmittel behandelt. Für jede der Lösungen ist ein besonderer Behälter vorhanden, von denen jene für die dünne Lösung und das Lösungsmittel mit dem Extraktor, jener der dicken Lösung mit dem Destillierapparat in Verbindung stehen. Angeschlossen ist weiter die Verlustverhütungsanlage, um bei der letzten Phase des Abdampfens des Lösungsmittels Dämpfe desselben nicht in den Auspuff der Vakuumpumpe gelangen zu lassen, was deren Verlust bedeuten würde. Man führt daher den Auspuff im Gegenstrom gegen herunterrieselndes Paraffinöl, welches die Dämpfe aufnimmt, worauf das angereicherte Paraffinöl in einem Destillierapparat vom Lösungsmittel befreit wird. Die Merzsche Apparatur ist einfacher, leichter und weniger umständlich zu bedienen und bedeutet eine Arbeiterersparnis gegenüber der rotierenden Extraktionsanlage. Die Extraktion erfolgt mit dem rotierenden Apparat infolge seiner Bauart weder so rasch noch so ausgiebig, wie mittels des Merzschen. Eine Charge mit Füllen und Entleeren bedarf beim Merzschen Extraktor etwa 7–8 Stunden, beim rotierenden Apparat 10–101/2 Stunden, also etwa die Hälfte der Zeit mehr. Die Leistungsfähigkeit bei gleichem Volumen ist somit um ungefähr 50% geringer. Die rückbleibende Kleinholzmenge enthält bei dem Merzschen Verfahren 0,75–0,9%, beim rotierenden Apparat 0,9–1,3% Harz, so daß auch die Ausbeute an Produkten im rotierenden Apparat eine geringere ist.


Literatur: Austerweil, Geza, und Roth, Julius, Gewinnung, Verwertung und Verarbeitung von Harzprodukten, München und Berlin 1917.

Andés.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 667-668.
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