Zellwandverdauung

[669] Zellwandverdauung. – Das Studium der Veränderungen, welche die pflanzlichen Zellwände im Verdauungskanal des Menschen und der Tiere erleiden, ist nicht nur von praktischer Wichtigkeit für die Frage der Aufschließung der Nahrungs- und Futtermittel, sondern auch von theoretischem Interesse für chemische und strukturelle Eigentümlichkeiten der Zellwände, welche die bisherigen Untersuchungen nicht aufzudecken vermochten. G. Haberlandt hat über diesen Gegenstand eine zusammenfassende Darstellung vom physiologisch-anatomischen Standpunkt gegeben, die für dieses ungemein ausgedehnte Gebiet grundlegend ist. Am leichterten werden im Verdauungskanal des Menschen und der Tiere Zellwände dann gelöst oder verändert, wenn sie aus relativ reiner Cellulose bestehen, wie z.B. die Wände des Palisaden- und Schwammparenchyms der Blätter. Verholzte Zellwände sind in viel höherem Maße verdaulich, als bisher angenommen wurde. Die Libriformzellen des Holzes (Holzfasern) erfahren im Verdauungskanal des Menschen, des Hundes, des Schafes oft sehr auffallende lokale Korrosionen oder eine Auflösung in zarte Fibrillenbündel. Werden, wie bei der Bereitung von »Kraftstroh«, die inkrustierenden Substanzen verholzter Zellwände durch Kochen mit Aetzlaugen teilweise entfernt, so steigt die Verdaulichkeit der Wände beträchtlich. Kutinisierte Zellwände sind gänzlich unverdaulich. Im Pansen des Rindes gelangen die Rindenparenchymzellen und die Leptomstränge der Roggenstrohhalme zu vollständiger Auflösung, ebenso im Verdauungskanal des Pferdes, nur daß hier die Bastzellen weniger angegriffen werden. Durch Kochen mit Natronlauge aufgeschlossenes »Kraftstroh« zeigt dagegen sehr auffallende lokale Auflösungserscheinungen. Aus[669] relativ reiner Cellulose bestehende, aber auch manche verholzte Zellwände sind, wenn sie nicht oder nur schwach verdickt sind, für stärke- und eiweißlösende Enzyme durchlässig oder sie werden es wenigstens, wenn sie den Verdauungskanal passieren. Dementsprechend werden auch die Protoplasten solcher Zellen, deren Wände nicht gelöst oder durch Korrosion durchlöchert sind, mehr oder minder vollständig verdaut. Die Zellkerne werden bis auf die zuweilen erhaltene Kernmembran meist vollkommen aufgelöst. Hinsichtlich der Verdaulichkeit der Zellstoffe aus Stroh und Holz beliebt kein Unterschied.


Literatur: G. Haberlandt, Mikroskopische Untersuchungen über Zellwandverdauung in G. Haberlandt, Beiträge zur Allgemeinen Botanik I, 1918, S. 501–536. – P. Waentig, Zur Frage der Holzaufschließung zu Futterzwecken, Naturw. Zeitschr. f. Forst- und Landwirtsch. XVII, 1919, S. 44–53. – Semmler, Der derzeitige Stand des Stroh- und Holzaufschlusses, Jahrb. d. Deutsch. Landwirtschafts-Ges. XXXIII, 1918, S. 327–349. – L. Diels und P. Gräbner, Futtermittel in L. Diels, Ersatzstoffe aus dem Pflanzenreich, Stuttgart 1918, S. 78–101. – J. Schuster, Zellwandverdauung und Holzaufschließung, Zeitschr. f. Abfallverwertung u. Ersatzstoffwesen 1919, S. 149–151.

Ernst Gilg und Julius Schuster.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 669-670.
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