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[227] 1. Im Namen Gottes sei mein Lied begonnen,
Im Namen des Erhalters, der uns leitet,
Gelobt sei, der da wohnet über Sonnen!
2. Lob sei auch Muhammed und Preis und Ehre!
Ihr wißt, welch' hehre Tugenden ihn schmücken,
So überreich an Zahl wie Sand am Meere.
3. Nun hört mir zu! Ich will jetzt die Geschichten,
Die ich vom Tode Muhammeds erfahren,
– des einzigen Propheten – euch berichten.
4. In einem alten Buch hab' ichs gelesen,
Was Hassan, der Basrenser, überliefert
Vom Sterben dieser Krone aller Wesen.
5. Er hört's von Ali, Abu Talibs Sohne,
Von dem Gesegneten des gnäd'gen Gottes,
Dem Gläubigen auf dem Kalifenthrone.
6. So hört denn zu! Ich will getreu erzählen:
Muhammed war allein mit seinen Kindern,
Da plötzlich fällt sein Blick auf Gabrielen,
7. Den Engel, doch nicht ihn allein erblickt er.
Ein Zweiter ist mit ihm. Kaum schaut er diesen,
Erbebt das Herz ihm, und zum Tod erschrickt er.
8. »Mit dir sei Friede!« schallt's aus Engelsmunde,
»Und Friede abermals!« Und der Bekenner
Des ein'gen Gottes dankt aus Herzensgrunde[228]
9. Und stammelt Gegengruß, der Echo findet.
Drauf fragt er: »Gabriel, wer ist der zweite,
Der mit dir heut' zum erstenmal verbündet?
10. Wenn sonst du kamst, bist du allein gekommen.
Heut' seh' ich einen Zweiten dir zur Seite.
Wer ist's, o sprich, denn Wißgier ist entglommen!«
11. Und es sprach Gabriel zu dem Propheten:
»Mit mir ist Israil, der Todesengel.
Er ist gekommen, um dich heut' zu töten!
12. Er ist's, der mit sich reißt der Menschen Scharen,
Der alles, was lebendig ist, dahinrafft,
Und was da atmet, streckt auf Totenbahren.
13. Paläste schont er nicht, er nimmt die Lasten
Den Trägern ab, und junge Lebenspilger,
Kaum ausgereist, zwingt er zu ew'gem Rasten.«
14. Drauf der Prophet: »O sag', was ist sein Wille?
Mich nur zu sehen? Mich hinwegzuraffen,
Daß meines Lebens Schicksal sich erfülle?«
15. »O herrlicher Prophet,« spricht jener wieder,
»Mich senden des Allgütigen Befehle
Zu dir allein auf diese Erde nieder.
16. Auch Israil ist hier nur deinetwegen.
Zu dir ist er gesandt, dir gilt sein Auftrag.
So hat's in Allahs Ratschluß wohl gelegen.«
17. »Doch was,« fragt Muhammed, »ist ihm befohlen?
Was seiner Sendung Zweck, daß er gekommen?
O Allahs Bote, sag' mir's unverhohlen!«[229]
18. Und Gabriel spricht: »Allah will dich sehen,
Er ruft dich zu Sich, und ein Wunderzeichen1
Hat er mir mitgegeben auf mein Flehen:
Vor dir haben wir den Menschen nicht die Ewigkeit geschenkt, und sollten sie ewig bleiben, wenn du gestorben bist?«
19. Als der Prophet dies Zeichen kaum vernommen,
Erkannte er mit innerlichem Beben,
Daß seine Schicksalsstunde jetzt gekommen.
20. O bittere Erkenntnis! Thränen rollen
Ihm von den Wangen, und mit lauter Stimme
Beklagt er sein Geschick mit herbem Grollen.
21. Er weint, und seiner Seele laute Klage
Läßt immer häufiger die Thränen strömen.
Drauf richtet Gabriel an ihn die Frage:
22. »O du Gesandter Allahs2, was betrübt dich?
Was zwingt zu Thränen dich? Sag's! Ach, im Herzen
Bekümmert's mich, denn meine Seele liebt dich.
23. Weinst du, Erwählter, um der Hölle Grauen?
Weinst du aus Sehnsucht nach des Gartens3 Wonnen?
Um Fatme, diese edelste der Frauen?«[230]
24. »O Gabriel,« sprach der Prophet mit Trauern,
»Nicht wein' ich um die Lieben, die ich lasse,
Nicht ihr Verlust erfüllt mein Herz mit Schauern.
25. Es fließen nicht um Fatme meine Thränen,
Nicht um die Eltern noch die Auferstehung,
Noch Hölle oder Paradiesessehnen.
26. Glaubst du, ich sei um Omar4 sehr bekümmert?
Um Haidar Ali5 oder Abu Beker6,
Da mir des Wiedersehens Hoffnung schimmert?
27. Nicht Hassan nicht Hussein, die Enkel beide,
Noch Abbas noch Othman noch auch Chadidscha,
Die treue Gattin, ist's, um die ich leide.
28. Mein Volk, o Bruder, läßt den Tod mich hassen.
Sein Schicksal ängstigt mich. Bin ich gestorben,
Furcht' ich, sie werden unsern Gott verlassen
29. Und ändern, wenn ich von der Welt geschieden,
Des Glaubens Fundament, ungläubig werden,
Verdammnis ernten anstatt ew'gen Frieden.«
30. »Ich war's,« fuhr der Prophet fort, »der zum Heile
Sie leitete; nicht kümmert mich, ob Heiden
Noch Juden die Verdammnis einst ereile.«[231]
31. Darauf eilt hinweg, den Himmel zu erreichen,
Der Engel Gabriel, schnell kehrt er wieder
Und bringt dem Sterbenden dies Wunderzeichen:7
Es sagt der Allerhöchste: Wahrlich, nicht du leitest die, welche du liebst, sondern Gott leitet, wen er will, und er kennt die Geleiteten.
32. »Nicht du bist's, der vergiebt. Sie recht zu leiten,
Ist dir versagt. Du kannst nur für sie bitten
Und wirst mit Flehen morgen8 für sie streiten.
33. Am Tage nach dem großen Weltgerichte
Wirst du sie auf den rechten Weg geleiten
Und wirst sie führen zu dem ew'gen Lichte.«
34. Noch redete so Gabriel, da sahen
Sie den Erzengel Michael vom Himmel
Sich dem Propheten Muhammed jetzt nahen.
35. Und viele Engel stiegen mit ihm nieder
– Wünscht ihr die Zahl, so will ich sie euch sagen –
Und sangen ihrem Gotte Ruhmeslieder.
36. Es waren Tausendsiebzig und sie boten
Vielstimm'gen Gruß dem sterbenden Propheten,
Er giebt den Gruß zurück den Himmelsboten.
37. »Gegrüßt seist du,« sprach Michael, »und grüßen
Läßt der Erhabne dich, und den Koranspruch,
Den ich jetzt bringe, thut er dir zu wissen:
[232] Es sagt der Allerhöchste: Wahrlich, du wirst sterben, und wahrlich, sie werden sterben, und wahrlich, am Tage der Auferstehung werdet ihr eurem Herrn gegenüber zu stehen kommen.«
38. »Und du, der du Erretter bist am Tage
Der Offenbarung und der Sünder Anwalt,
Trag' jetzt die Todesstunde ohne Klage!
39. Gott hat den Tod bestimmt. Dein Lebensende
Ist da.« – Und sinnend saß er eine Stunde,
Dann ging er hin, wo er Aïscha fände.
40. Und als sie kam, da hub sie an zu fragen:
»Sag,« Muhammed, »was ist das für ein Weinen?«
Und der Gemahl: »Hör' an, ich will dir's sagen.
41. Ich gehe dem Geliebten9 Antwort geben.
Gerufen hat er mich, ich muß gehorchen
Und muß beschließen heute noch mein Leben.
42. Heut ist der Tag der Trennung, wo wir scheiden.
Am Tage des Gerichts seh'n wir uns wieder.
Bis dahin, Teure, müssen wir uns meiden.
43. Heut ist der letzte Tag, der uns verbunden
Noch sieht. Bald klopft nicht mehr dein Gatte
An deine Thür, die er so oft gefunden.[233]
44. Heut tönt mein letztes Wort, und meinem Munde
Ist Stummheit auferlegt bis zum Gerichte.
Dann leg' ich Zeugnis ab zu jeder Stunde.« –
45. Als sie des Gatten Wort vernahm, da flossen
Ihr bittre Thränen von dem Angesichte,
Und Nacht ward über ihren Geist gegossen.
46. Sie sprach: »O, scheidest du von dieser Erde,
So läßt du großem Schmerze mich zur Beute,
Und Trübsal wird mein Los sein und Beschwerde.«
47. So jammerte sie laut, und in die Weite
Drang ihre Stimme hin zu ihren Freunden,
Und jeder lief herzu an ihre Seite.
48. Die Hände rangen sie mit lautem Weinen,
Bis sie Aïschas Haus erreicht und alle
Mit deren Klagen ihren Wehruf einen.
49. Wie ihre Thränen fließen! Wie sie klagen!
»O du Fürbittender, du willst im Kummer
Uns lassen; ach! wie sollen wir's ertragen!
50. Du, unser Vater, willst dich von uns trennen!
Du, der für uns im voraus sorgt für diese
Und jene Welt, so lange wir dich kennen.«
51. Und rings verbreitet sich das Weinen, bänger
Und immer bänger tönt die Klag', und Ali
Hört sie in seinem Haus und säumt nicht länger.
52. Hervor aus seinem Haus stürzt er voll Schrecken:
»Wehklagen beim Propheten? Welche Sorge
Mir diese Töne in der Seele wecken!«[234]
53. Schnell eilt er hin zum Haus, und seine Schritte
Beflügelt ihm die Angst, und ahnungsschwanger
Stürzt er und atemlos in ihre Mitte
54. Und hebt zu fragen am »Was muß ich schauen?
Ich seh' dich voll Betrübnis und dein Antlitz
Entstellt von Todeskampf und Todesgrauen!«
55. »O Haidar Ali, Freund, sie ist gekommen,
Die letzte Stunde,« steht ihm jener Rede,
»Und meines Lebens Flamme ist verglommen.
56. Ich will zum letztenmal die Hand euch geben.
Nicht Hassan noch Hussein noch wen ich liebe,
Seh' jemals wieder ich in diesem Leben.
57. Und diese meine Worte hier, Gefährte,
Sie sind das Letzte, was ich zu dir rede.«
– Und Ali weinte und warf sich zur Erde. –
58. Und schrie und tobt' und raufte sich die Haare,
Und mit ihm die Genossen und Aïscha,
Da sie ihn sahen auf der Totenbahre.
59. Dann faßt' er sich und sprach: »In Allahs Händen
Liegt unser Schicksal. Er ist der Allmächt'ge
Und kann uns Schmerz und Leid wie Freude senden.«
60. Herbeigelockt von lauten Klagetönen
Kommt jetzt auch Fatme rasch herzugelaufen
Und mischt ihr Weinen mit der Freunde Stöhnen.
61. Mit Thränen rief sie: »Du, auf den wir hoffen!
Wer hilft mir um dich weinen, mein Geliebter?
Zu schmerzlich ist der Schlag, der uns betroffen![235]
62. So lange hatt' ich dich, und nun entbehren
Soll ich für immer dich!« Und es entströmen
Aufs neue ihren Augen bittre Zähren.
63. »O du Prophet,« hört man sie wieder sagen,
»Du lässest deine Kinder! Ach! Mein Auge
Hat Thränen nicht genug, dich zu beklagen.«
64. Kein Wort erwidert er, der Gram erstickte
Die Stimme ihm im Übermaß des Schmerzes,
Der ob der Trennung ihm das Herz bedrückte.
65. Nacht sank auf seine Augen, und die Schwingen
Des Todesengels wehten ihn in Schlummer.
Kaum hört er noch der Lieben Wort erklingen.
66. »O Vater,« wehklagt Fatme, »laß mich blicken
Noch einmal in die lieben, teuren Augen,
Die bald ein grausam Los mir will entrücken!
67. Schlag' einmal noch die Augen auf und sage,
Was du zu sagen hast, daß wir es hören,
Eh' unser Teil die bitt're Totenklage.«
68. Und ehe Allahs Freund verläßt das Leben,
Blickt er noch einmal Fatmen in das Antlitz.
Kaum kann er noch die müden Augen heben,
69. Mit Lieb' blickt er sie an und Wohlgefallen
Und trocknet mit den todesmatten Händen
Die Thränen ab, die von den Wimpern fallen.
70. Noch schlägt sein Herz, vom Tode unverwundet,
Und es ergreift ihn schmerzlich Fatmes Weinen,
Das seines Kindes Herzeleid bekundet.[236]
71. Und tröstend spricht er: »Liebste! Laß das Weinen!
Dies ist das Ende, das uns ist beschieden,
Es wartet unser aller und schont keinen.
72. Gieb nicht dem Schmerze Raum im Übermaße,
Sonst zweifelst du an Allah. Sieh! Es müssen
Wir Menschen alle ziehen diese Straße.
73. Und hier bleibt keiner, dessen Tag gekommen,
Er muß dem Rufe folgen, der an alle
Ergeht, wie an die Bösen, so die Frommen.
74. Drum weine nicht, wie sehr der Schmerz auch wütet.
So groß die Welt, ist nirgends doch ein Plätzchen,
Das uns vor diesem grausen Los behütet.
75. Such' im Gebete Trost! Am jüngsten Tage,
Am Tage des Gerichts sehn wir uns wieder,
Und diese Hoffnung stille deine Klage!
76. Dann werd' ich dich und deine Mutter finden
Und deinen Gatten und den treuen Ali,
Und ew'ge Seligkeit wird uns verbinden.«
77. Da frug ihn Fatme: »Wo ist diese Stätte
Des Wiedersehns? Erzähl' mir von dem Orte,
Von dem ich gern genaue Kenntnis hätte.«
78. »Ein Platz voll Lieblichkeit mit kühlem Schatten
Ist's,« schildert der Prophet jetzt seiner Tochter,
»Wo uns der Sonne Brand nicht kann ermatten.
79. Mit all den lieben, freundlichen Gestalten,
Mit denen wir auf dieser Erde lebten.
Es kann dein Mann von dort dich ferne halten.[237]
80. Abd Almuttalib, der so früh Beklagte,
Und all die Seinen wird man mit ihm treffen,
Am Himmelsborn sich labend.« Fatme sagte:
81. »Und find' ich dortdich nicht, o sag', wo finde
Ich meinen Vater dann?« Und lächelnd sagte
Und tröstend der Prophet zu seinem Kinde:
82. »Wenn dort nicht, wirst du auf dem Pfad mich sehen,
Auf dem du hin zum Paradiese wandelst,
Dem Pfad, den alle Menschen müssen gehen.«
83. Mit Gabriel und Michael dort ziehen
Werd' ich zum Paradiese mit Millionen,
Zur Seligkeit, die Allah uns verliehen.
84. An jenem Tage werd' ich bittend flehen:
D Herr des Himmels! Rette deine Kinder,
Die hier auf schmalem Pfade angstvoll gehen.
85. Wie ist der Weg so lang! Dreitausend Jahre!
Und, ach, so eng und schmal, daß er mit nichten
Die Breite übertrifft von einem Haare.
86. Zum Aufstieg tausend Jahr und tausend wieder
Brauchst du zur Wanderung darauf, und aber
Steigst du zum Schlusse tausend Jahr hernieder.
87. Propheten und Apostel werden beten:
Erhab'ner, bringe uns geschwind hinüber,
Der Weg ist schmal und mühsam zu betreten.
88. Bring du uns schnell hinüber, stehen alle,
Du gnadenreicher Herr, führ' selbstdie Seelen,
Die wert, daß ein fürbittend Wort erschalle.[238]
89. Auch ich will sprechen: Führ' uns, Herr, in Gnaden!
Das ganze Volk, erbarmungsreicher Allah,
Geleite sicher und schütz' uns vor Schaden!
90. Und er, der Einzige, zu dem wir flehen,
Er wird mit langgezogner Stimme fragen:
Sprecht, habt ihr den Muhammed nicht gesehen?
91. Für alle Heiligen und die Propheten,
Die Märtyrer, die frommen Seelen alle,
Für alle kann allein Muhammed beten.
92. Um zu erretten aller Sünder Seelen,
Darf nur Muhammed bitten, seinemFlehen
Soll wahrlich niemals die Erhörung fehlen.
93. Er bittet nicht für sich, erfleht seinHeil nicht;
Er bittet für sein Volk, er fleht für alle,
Er sucht der andern Rettung, sucht seinTeil nicht.
94. Er sprach: – ihr Engel sollt es laut verkünden10 –
»Vergieb der treuen Schar, o du Erbarmer,
Die um mich war, vergieb ihr ihre Sünden!«
95. Sie waren es, die an dem Treuen hingen
Als treue Jünger, die auf Erden ließen
Muhammeds Lehren gläubig widerklingen.
96. »Kein Gott ist außer Gott« – war ihr Bestreben
Laut kund zu thun – »Muhammed sein Gesandter:
Drum hab' ich ihnen ihre Schuld vergeben.« –[239]
97. »Und find' ich dort dich nicht, o sag', wo finde
Ich meinen Vater dann?« Und lächelnd sagte
Und tröstend der Prophet zu seinem Kinde:
98. »Wenn du mich dort nicht siehst, werd' für die Frommen,
Die stets gehorsam waren, eine Tafel
Ich dort errichten; dahin sollst du kommen.
99. Ich will für sie erbitten Trank und Speise,
Für alle Gläubigen, für Männer, Weiber;
Ich will erquicken Knaben dort und Greise.
100. Ich bin's, der, die Gerechten all zu laben,
Das Wasser der Erquickung den Propheten
Und denen reicht, die nicht gesündigt haben.«
101. Und Fatme sprach: »Nun weiß ich, Gotteskünder,
Daß ich an jenem Tag dich sehen werde,
Doch kümmert mich der MutterLos nicht minder.«
102. Spricht der Getreue drauf: »Im Paradiese,
Dort ist ihr Platz, umweht von Blumendüften,
Lustwandelt sie auf schöner Himmelswiese.
103. Welch' eine Pracht! Welch' Schimmern um die Wette!
Und Alles fleckenlos, von höchster Reinheit!
Dort wird sie bleiben, dort ist ihre Stätte.
104. Aus Ambra, Moschus, Kampher sind die Wege,
Darauf sie wandelt, hergestellt.« – Da lobte
Den Höchsten Fatme, und ihr Dank ward rege.[240]
105. So zu der Tochter redet der Getreue.
Da trat Bilāl heraus, rief zum Gebete,
Und der Apostel hört' es. Und aufs neue
106. Rief jetzt Bilāl und sprach zu dem Propheten:
»O bete, Freund, zu Allah, dem Gelobten!«
Doch jener sprach: »Bilāl, ich kann nicht beten.«
107. »Ich kann nicht beten heut', wo die Gedanken,
Vom Todesgrauen aufgescheucht, um alles,
Was mir auf Erden lieb ist, bang sich ranken.
108. Mein sterblich Teil ist nah' dem Unterliegen
Und meine Seele müde. Abu Bekker
Mag für mich beten, das kann mir genügen.
109. Er bete! Alle, die ich einst gesehen
Als Fluchtgenossen mir zur Seit' und Helfer,
Und die Gefährten mögen mit dir gehen.
110. Ich kann nicht auf die Kanzel gehn zu beten.
Mein Leib ist mir gebeugt und meine Seele
Verzagt, die heil'ge Stätte zu betreten.
111. Erreicht hat mich das Schicksal!« Schwere Zähren
Vergoß Bilāl, der Treue, der Muezzin,
Als diese Trauerkunde er mußt' hören.
112. »Vorbei, o Freunde,« rief er unter herben
Und vielen Thränen, »ist für uns die Freude:
Es wäre besser für mich selbst zu sterben.«
113. »Hört denn, ich bringe eine Trauerkunde,
Muhammeds Tod ist da! Es schlug das Schicksal
Der armen Stadt heut' eine schwere Wunde.«[241]
114. Drauf eilt er zur Moschee. Mit schwerem Herzen
Verkündet er die Trauerbotschaft allen,
Die einst mit ihm geteilet Not und Schmerzen.
115. »O Fluchtgenossen, der Prophet entsendet
Mich her zu euch, selbst kann er nicht mehr kommen,
Denn er hat heut' die Lebensbahn vollendet.
116. Euch alle läßt er grüßen, Abu Bekker
Soll für ihn beten, sein Gebet genügt ihm,
So spricht zu euch der treue Glaubenswecker.
117. Er kann nicht kommen, seine Augen brechen,
Und in sein Herz schleicht sich der Todesengel,
So läßt er Abu Bekker für sich sprechen.
118. Sein Geist ist ohne Ruh'. Was er gesehen,
Hat mächtig ihn erschüttert. Seine Glieder
Versagen ihm. Schon kann er nicht mehr gehen.
119. So läßt er allen seinen Gruß entbieten,
Den Brüdern und Verwandten und Gefährten,
Dem Volk von Mekka und den Scherebiten.«
120. So sprach Bilāl, und als sie es vernommen,
All' die Gefährten, hub ein großes Klagen
An unter denen, die herbeigekommen.
121. Die Helfer weinten mit den Fluchtgenossen.
Kein Auge thränenleer! Und selbst von Kindern
Ward ob der Kunde manche Thrän' vergossen.
122. Voll Klagens war die Stadt, es wiederhallten
Die fernsten Hütten von den Jammerlauten. –
Bilāl erhob sich, seines Amts zu walten11[242]
123. Zur Kanzel tritt jetzt Abu Bekker zagend
Und nähert sich dem Platz des Auserwählten,
Für ihn zu beten. Drauf beginnt er klagend
124. Die Worte des Gebets. Da packt die Trauer
Ihn um des Freundes Tod, und seinen Augen
Entstürzen mitleidsvolle Thränenschauer.
125. So weint er bitter mit den Fluchtgenossen.
Der laute Schall drang hin zu dem Erles'nen
Und lehrte ihn, daß Thränen um ihn flossen.
126. »Was ist? Wer weint in der Moschee?« so fragt' er,
Als er den Laut vernahm. »Das ist fürwahrlich
Des Weinens Stimme und des Klagens!« sagt' er.
127. Zum Schechen Ali ließ er eilends senden,
Zum Bruder Fādel auch, und dann begann er
Mit diesen Worten sich an sie zu wenden:
128. »Ich bitt' euch, nehmt mich auf und laßt mich gehen
Behutsam zu dem Orte, wo die Frommen
Zu ihrem Gotte mit Gebeten flehen.«
129. So reicht er Ali eine Hand, die and're
Nimmt Fādhel dann, damit der Todesmatte
Mit ihrer Hülf' zu seinem Ziele wandre.
130. Sie bieten ihm die Schultern, ihn zu stützen.
So kommt er zur Moschee und geht vorüber
An all den Reihen, wo die Gläubigen sitzen.
131. Kaum war Muhammed der Gemeinde nahe,
Hielt Abu Bekker ein und trat zur Seite.
Da sprach Muhammed, als er solches sahe:[243]
132. »Laß, Abu Bekker, die Gemeinde beten!
Ich kann nicht mehr, ich muß mich niederlassen.
Ich kann nicht mehr an ihre Spitze treten.«
133. Doch jener weigert sich, ihm zu willfahren
Und beim Gebet voranzusteh'n, er wollte,
So lang Muhammed lebt', dies Recht ihm wahren.
134. Als der Erles'ne kam, drang auch mit Flehen
In ihn der Freunde Schar, und so begab er
Zur Kanzel sich, der Andacht vorzustehen.
135. Als das Gebet vollendet, traten alle
Herzu, daß sie zum letztenmale lauschten
Des Meisters Wort' und seiner Stimme Schalle.
136. »O Freunde,« sprach er, »Höret mein Vermächtnis!
Gott hat bestimmt, wir alle müssen sterben.
Behaltet diese Worte im Gedächtnis!
137. Befohlen seien ferner euch nicht minder
Die, denen das Geschick den teuren Vater,
Die liebe Mutter nahm: die Waisenkinder!
138. Befohlen seien euch die Nachbarn! Wollte
Doch Allah, daß ihr allzeit für sie sorget,
Wo immer ihnen etwas fehlen sollte.
139. Befohlen sei euch das Gebet! O hütet
Vor Lässigkeit im Beten euch, daß nimmer
Zur Stunde des Gebets ihr Übles brütet.
140. Im Ramadān sollt ihr das Fasten halten,
Daß gegen die Verführung eure Seele
Im Widerstand nicht einmal mög' erkalten.[244]
141. Die heil'ge Stadt zu sehn sei euer Trachten!
Denkt stets an Mekka, und gesegnet seien,
Die nach der heil'gen Stadt die Wallfahrt machten!
142. Und jede Unreinheit sei fern von allen!
Seid stets bedacht, wie ihr durch reines Wesen
Dem gnadenreichen Allah mögt gefallen!
143. Und nie sollt ferner ihr die Vorschrift brechen,
Den Nächsten nicht zu kränken durch Verleumdung!
Nein! frank und frei ziemt euch zu ihm zu sprechen.
144. Das ist's, was es mich trieb euch noch zu sagen.
Nun hab' ich nur noch eins, was ich zum Schlusse,
Euch, liebe Fluchtgenossen, möchte fragen:
145. Ist einer unter euch, o sprecht, Geliebte!
An dem ich mich verfehlte, den durch Worte
Ich oder böse Thaten je betrübte?
146. Hab' irgend jemand ich als Feind behandelt,
Heut' nehm' er seine Rache, daß vor Gott nicht
Mich zu verklagen ihn die Lust anwandelt.«
147. Als diese Worte der Prophet vollendet,
Rief der Genossen Schar: »Nein! Nein!« – Da plötzlich
Erhob Ukascha sich, zu ihm gewendet.
148. »Ich habe,« sprach er, »über dich zu klagen.
Ich schwör's bei Allah, daß du eines Tages
Mit deinem Stabe hart mich haft geschlagen.
149. Die Ursach' ist noch heute mir verborgen,
Doch des erinnr' ich mich, an jenem Tage
Ging ich nach Haus erfüllt von Zorn und Sorgen.«[245]
150. Und der Getreue sprach: »Ukascha, sage,
Was war das für ein Tag, sprich und erkläre,
Damit ich die Erinn'rung drum befrage.«
151. Ukascha sprach: »Gedenke jenes Schlages,
Den du mir gabst einst beim Zusammentreffen,
Als das Kamel du rittest eines Tages!«
152. Muhammed drauf: »Zwar kann ich's nicht verstehen,
Doch glaub' ich deinen Worten, o Ukascha,
Und was du sagst, ist sicher einst geschehen.
153. Nimm deine Rache denn! daß ich verfehlen
Mich konnte gegen dich, nimmt mich nicht Wunder,
Denn sündenvoll sind unser aller Seelen.«
154. Und Abu Bekker sprach: »Freund, deine Sache
Ist zwar gerecht, doch ich will den Propheten
Jetzt lösen, mich ereile deine Rache!
155. Laß mich an seine Stelle treten, strafe
Nicht Böses jetzt mit Bösem, da gebrochen
Sich rüstet der Prophet zum Todesschlafe.«
156. Doch weigert sich Ukascha. Unversöhnlich
Besteht er drauf, daß der ihm nur Vergeltung
Gewähren kann, der einst ihn schlug persönlich.
157. Auch Omar fleht: »Entschließ' dich mich zu schlagen
Statt des Propheten, räche dich statt seiner
An mir allein, mich laß' die Strafe tragen!«
158. Hartnäckig bleibt Ukascha: »Nein, mein Wille
Steht fest, und mein Entschluß ist, daß er selber,
Der einst mich kränkte, meine Rache stille.«[246]
159. D'rauf der Prophet, zu Ali hingewendet:
»Auf, schicke den Bilal nach meinem Hause,
Daß Fatme meinen Stab hierher mir sendet!«
160. So lautete der Auftrag des Propheten.
Schnell macht Bilāl sich auf, um dem Gebote
Getreu das Haus Muhammeds zu betreten.
161. Und angelangt klopft er. Auf seine Bitte
Um Einlaß öffnete die junge Fatme,
Muhammeds Tochter, ihm die Thür der Hütte.
162. »Wer bist du,« frug sie, »der du an der Thür bist?
Tritt näher! Komm herein! Sag deinen Auftrag!«
Bilāl trat ein. – »Nun sag', warum du hier bist?«
163. »Mich sendet der Prophet; es ist sein Wille,«
Spricht jener, »daß du seinen Stab mir gebest,
Drum eile, daß ich seinen Wunsch erfülle!«
164. Und Fatme sprach: »Was hat ihn denn betroffen,
Daß er nach seinem Stabe schickt zur Unzeit?
Was hat er vor? Was ist es? Sag' mir's offen!
165. Sonst nahm er ihn doch nur an Feiertagen,
Und auch wenn je der heil'ge Krieg entbrannte;
Zu solchen Zeiten hat er ihn getragen.
166. Wie kommt es, daß er danach trägt Verlangen?«
Drauf sagt Bilāl ihr alles und erzählt ihr
Ukaschas unerklärlich Unterfangen.
167. Als Fatme diese Kunde kaum vernommen,
Bricht sie in Thränen aus, und an den Boten
Stellt diese Frage sie jetzt angstbeklommen:[247]
168. »Sind denn nicht die Gefährten da, zu wehren
Dem Frechen, nicht die Brüder und Verwandten
Und Abu Taleb nicht zum Schutz des Hehren?«
169. Als sie Muhammeds Stab ihm dann gegeben,
Eilt flücht'gen Schritts Bilāl zur heil'gen Stätte,
Und Fatme folgt ihm nach mit Angst und Beben.
170. Als er zur Thür gekommen, ging behende
Er zu den Ehrenplätzen mit dem Stabe
Und legt ihn darauf Fatmen in die Hände.
171. Sie nahm ihn an und rief dann sonder Zagen:
»Ich bin Muhammeds Tochter und gekommen,
Zuseh'n, was hier gescheh'n, und nachzufragen.«
172. »Des Treuen Tochter bin ich; laßt mich stehen,
Mich Hassans, seines Enkelkindes Mutter,
O sagt mir, sagt mir, was ist hier geschehen?
173. Sagt mir, was ich nicht weiß, und was zu wissen
Mir ziemt! Heut' ist fürwahr der Tag, da alle,
Die weinen können, nun auch weinen müssen.
174. Als mir die Kunde ward, ist mir zerschnitten
Mein Herz, daß am Propheten sich zu rächen
Begehrt Ukascha trotz der Freunde Bitten.«
175. Doch ungerührt von Fatmes bittrer Klage
Blieb jener, greift nach des Propheten Stocke.
Sie fällt ihm in den Arm, der schon zum Schlage
176. Sich hebt und ruft: »Was immer zu vergelten
Er schuldig ist, wird seine Tochter zahlen!
Geschäh' es anders, müßt' ich's schimpflich schelten.«[248]
177. Nichts kann Maschas Starrsinn wankend machen.
»Muhammed selbst muß Sühne mir gewähren,
Wollt ihr nicht frevelnd das Gesetz verlachen.«
178. Muhammed sprach: »Vollende denn die Sühne,
Mein Freund, und schlag' mich, wenn du willst!« Doch jener
Erwidert ihm mit unbewegter Miene:
179. »Wie kann ich das? Noch schützt der Kleider Hülle
Den Körper dir. Wirf ab erst die Gewänder!
So ist mein Recht, und so ist auch mein Wille.«
180. Und der Prophet entblößt jetzt seine Glieder.
Da küßt Mascha schnell Muhammeds Nabel,
Und dann fällt er vor ihm zur Erde nieder
181. Und spricht: »Hör' mich und höret mich, ihr Lieben!
Einst sprachest du ein Wort zu mir, das lange
Mir dunkel ist und rätselhaft geblieben:
182. ›Dem bin ich wohlgeneigt und will ihn schützen
Im Angesichte Gottes, der den Nabel
Mir küßt; er soll im Himmel mit mir sitzen.‹
183. So sprachst du, und um deines Ausspruchs willen
Hab' also ich gehandelt, nicht um Rache
An dir, o Gotteskündiger, zu stillen.«
184. Da sprach Muhammed: »Was an jenem Tage
Ich sprach, ist reine Wahrheit. Wer mir anrührt
Den Leib, der wird verschont von jeder Plage.«[249]
185. Und weiter sprach er: »Hört mich, lieben Leute
In der Moschee! Das Zeichen eines Menschen,
Der in den Garten12 kommt, künd' ich euch heute:
186. Er ist das Ebenbild Ukaschas! Nimmer
Quält diesen wieder Zweifel. Seine Sünden
Sind abgethan von ihm für jetzt und immer.«
187. Und zu dem Volk zu letztenmal gewendet
Sprach er: »Ich gehe heim und niemals wieder
Kehr' ich zurück. Die Zeit ist jetzt vollendet.«
188. Drauf führen sie ihn heim. Die beiden Hände
Stützt er auf Alis und auf Fādhels13 Schulter.
So eilt er heimwärts, eh' sein Leben schwände.
189. Auf einem Teppich saß gebeugt vom Harme
Aïscha. Als er naht, eilt sie entgegen
Dem teuren Mann und schlingt um ihn die Arme.
190. Doch schon hielt er die Augen fest geschlossen,
Und seine Stimme war erstickt, und alle,
Die ihn umgaben, waren gramzerflossen.
191. Als sie des Leibes Licht erlöschen sahen,
Da waren sie gewiß, daß nun das Schicksal,
Das unabwendliche, ihm würde nahen.
192. Da Hub ein Klagen an, die Thränen flossen;
Auch Hassan und Hussein ergriff der Jammer
Und dort in der Moschee die Fluchtgenossen,[250]
193. Die auf der Flucht ihm einst Gefährten waren,
Sie weinten mit den Helfenden, als plötzlich
Sie einen Mann an seiner Thür gewahren.
194. Ein Araber stand dort bei dem Propheten
An seines Hauses Thür und fprach arabisch:
»Ich bitte um Erlaubnis einzutreten.«
195. »Muhammeds Antlitz,« sprach er, »möcht' ich sehen
Und mit ihm sprechen.« Aber Fatme wehrt ihm:
»Nein,« spricht sie, »Fremdling, das kann nicht geschehen.
196. Vom Körper ringt sein Geist sich los; umfangen
Hat ihn der Tod und lang ihn hingebettet.
Was nützt' es dir, könnt'st du zu ihm gelangen!«
197. Er schwieg und blieb am Hause des Propheten.
Doch bald begann er wiederum zu drängen:
»Ich bitte um Erlaubnis einzutreten.«
198. »Kehr' um, o Freund, du kannst nicht zu ihm kommen,«
Sprach Fatme zu dem Araber von Neuem.
»Du hast den Grund bereits von mir vernommen.«
199. Da hub er an zum drittenmal zu flehen:
»Ich bitt' euch, laßt mich ein zu dem Propheten!
Warum verwehrt ihr mir zu ihm zu gehen?«
200. »Wir wollen dich nicht hindern ihn zu sehen.
Doch wirst du ihn zum Tod' ermattet finden.
Drum bitt' ich, von dem Vorsatz abzustehen.«[251]
201. Doch er: »O Hausgenossen, die da walten
Um Allahs Knecht Muhammed, laßt mich gehen
Zu ihm! Was ficht euch an, mich aufzuhalten?«
202. Und Fatme wiederum: »O Araber, dem Ende
Ist nah Muhammed, und der Todesengel
Legt schon an ihn die mitleidslosen Hände.«
203. Als diese Rede der Prophet vernommen,
Rief er das junge Weib mit matter Stimme
Und forderte sie auf hereinzukommen.
204. Dann frug er sie: »Kennst du den Namen dessen,
O meine Tochter wohl, mit dem ihr redet,
Der von euch Einlaß fordert so vermessen?«
205. Als sie versicherte ihn nicht zu kennen,
Da sprach Muhammed, der Prophet, zu Fatme:
»So höre, Kind! Ich will den Mann dir nennen.
206. Dies ist kein Araber, nein, Allah sendet
Ihn her. Er nimmt die Herzen und die Seelen
Der Kreaturen, deren Zeit vollendet.
207. Er stört die Freude, bringt die Todesstunde,
Zerreißt Familien- und Freundschaftsbande,
Und ganze Städte geh'n durch ihn zu Grunde.
208. Er reißt den Vater weg vom Kindesherzen,
Nimmt alle Seelen fort und füllt die Erde,
Wohin er kommt, mit Trauern und mit Schmerzen.
209. Schließt denn die Thüre auf, daß meine Seele
Dem Tod ich überliefre! Laßt ihn kommen!«
Und Fatme ging gehorsam dem Befehle.[252]
210. Sie öffnet' ihm die Thüre des Propheten
Und gab dem Würger Einlaß. Dieser eilte
Das Innerste des Hauses zu betreten.
211. »Mit dir sei Friede!« hebt er an zu sagen,
Und der Prophet erwidert seinen Gruß ihm
Und schickt sich an, nach dem Begehr zu fragen.
212. Da ließ Muhammed also sich vernehmen:
»Kamst du, um einen Auftrag mir zubringen?
Kamst du, um meine Seele mir zu nehmen?«
213. Sprach Israïl: »Der Herr hat mir befohlen,
Geh, frage den Propheten, ob er wolle,
Daß ich dich sende, seinen Geist zu holen.
214. Wenn er nicht will, so laß ihm seine Seele.
Komm dann zurück und bleibe hier. Nun künde
Mir deine Meinung nach des Herrn Befehle.
215. Jetzt liegt's in deiner Wahl. Ich harre dessen,
Was du beschließt, und heißest du mich gehen,
So werd' ich meinen Weg zurück durchmessen.«
216. »Hör', Israïl,« sprach der Prophet, »ich hege
Noch einen Wunsch: Ich bitte dich, gewähre
Ihn mir, o Freund, eh' ich ins Grab mich lege.«
217. Der Todesengel sprach: »Sag' dein Begehren!«
Drauf der Prophet: »Schenk' mir noch eine Stunde!
Die kurze Frist wirst du mir nicht verwehren.
218. Ich warte noch auf Gabriel. Hernieder
Vom Himmel kommt er, denn zwei Dinge hab' ich
Ihm vorzustellen noch. Alsdann komm wieder!«[253]
219. Und Israïl verließ mit leisen Schritten
Das Haus und draußen setzt' er sich und harrte,
Um zu erfüllen des Propheten Bitten.
220. Dort trifft er Gabriel zur selben Stunde,
Der zu Muhammed kam herab vom Himmel,
Und jener frug ihn: »Bruder, gieb mir Kunde!
221. Komm' ich zu spät? Hast des Propheten Leben
Du schon genommen? Sprich!« Und dieser
Erwidert ihm: »Ich mußt' ihm Aufschub geben.
222. Er sprach zu mir: ›Gedulde dich, ich warte
Auf Gabriel. Drum gieb mir Frist!‹ Und endlich
Ließ ich durch ihn erbitten mich und harrte.
223. Du weißt, weshalb ich hier bin. Unverhohlen
Sag' ihm die Wahrheit! Gieb ihm keine Hoffnung!
Ich bin gekommen, um ihn abzuholen.«
224. Und Gabriel geht in das Haus, und Segen
Fleht er dabei herab auf den Propheten.
Muhammed nahm des Engels Gruß entgegen,
225. Und grüßt ihn mit dem Friedensgruße wieder.
»O, Lehrer Gabriel,« spricht er, »komm näher,
Und setze dich an meiner Seite nieder!«
226. Zugleich erschienen dichte Engelscharen
Mit Gabriel. Wollt ihre Zahl ihr kennen,
So wißt, daß ihrer volle tausend waren.
227. Er brachte ihm des Paradieses Freuden,
Des Gartens Pförtner kam und seine Engel,
Zu trösten ihn in seinen Todesleiden.[254]
228. So schickte er sich an hineinzugehen,
Ihn einzusalben mit des Gartens Düften,
Mit seinem frischen Hauch ihn anzuwehen.
229. Ihn frug Muhammed: »Sahst du an der Thüre
Den Todesengel? Ach! Es ist beschlossen,
Daß ich mein Leben jetzt durch ihn verliere.«
230. »'s ist wahr, ich sah ihn,« sagte zu dem frommen
Propheten Gabriel. »Doch sei getrost nur,
Wenn er sich anschickt, jetzt zu dir zu kommen.«
231. Es spricht der Herr, zu dem wir alle flehen:
»Die Dinge, die er14 that, sind herrlich! Dinge,
Die bis zum Auferstehungstag bestehen.
232. Weit steht die Thür des Paradieses offen.
Es haben sich geschmückt die zarten Huris,
Weil sie auf des Propheten Ankunft hoffen.
233. Geschmückt ist alles und von Wohlgerüchen
Durchweht.« Als er ihm dies beschrieben hatte,
War von Muhammed alle Kraft gewichen.
234. Voll Angst war seine Seele, da ihn faßte
Der Todesengel. Seine Adern klopften
Voll Ungestüm, und sein Gesicht erblaßte.
235. Der Leib verfiel, von Todesnot umfangen.
Aufs Lager streckt ihn jammervolle Schwäche,
Und seiner Glieder Kraft war ganz vergangen.[255]
236. Muhammeds Todesschweiß erfüllt die Lüfte
Mit Wohlgeruch, aus seinen Adern perlend,
Wie Ambra köstlich und wie Moschusdüfte.
237. Zu seinen Häupten saßen beide Brüder,
Hussein und Hassan. Der Aïscha Tochter
Ließ sich voll Gram zu seiner Rechten nieder,
238. Zur Linken Fatme, und die andern Frauen
Umgaben rings Muhammeds Sterbelager
Und sah'n das Schreckliche geschehn mit Grauen.
239. Ringsum war Weinen und Betrübnis! Alle
Zerrissen ihre Schleier. Und noch einmal
Ward er erweckt zum Leben von dem Schalle.
240. Als er vernimmt ihr kummervolles Klagen,
Faßt ihn Erbarmen, und mit leiser Stimme
Strebt er den Lieben Tröstliches zu sagen.
241. Mit todesmatter Stimme spricht der Hehre,
Das Herz erfüllt von heiligem Erbarmen:
»Aïscha, meine Tochter, komm und höre!
242. Ich muß dem Tode jetzt entgegensehen.
Nun heißt es Abschied nehmen. Ach, schon mangelt
Dem Sterbenden die Kraft sich umzudrehen.«
243. Und da er seinen Blick zur Linken wendet,
Erschaut er Fatme, die geliebte Tochter,
Und spricht zu ihr: »Leb' wohl! Es ist vollendet.«
244. Hussein und Hassan, die sich zu ihm neigen,
Erhaschen denn sein letztes Wort: »Lebt wohl nun!
Es ist vorbei! Jetzt ist es Zeit zu schweigen.«[256]
245. Nun naht sich wieder Israïl dem Frommen:
»Ich bin bereit! Befiehl, daß deine Seele
Ich nehmen darf, darum ich hergekommen!«
246. Sprach der Prophet: »So mag es denn geschehen!
Nimm meine Seele hin! Doch eine Bitte,
So dies genehm, möcht' ich erfüllt noch sehen.
247. Nimm meine Seele hin, doch linde,
O Todesbote, walte deines Amtes,
Damit mein Leib nicht arge Qual empfinde.«
248. »Wie du es wünschest,« sprach er, »soll's geschehen.«
Drauf nahm er seine Seele sonder Schmerzen.
Und führte sie hinauf zu lichten Höhen.
249. Muhammed fühlte seine Seele schwinden,
Auf Allah bauend. – Plötzlich hören sie
Vom Himmel einen Rufer dies verkünden:
250. »Ihr, die ihr in der Welt seid, schauet
Den Liebling des Barmherzigen. Sein Zustand
Ist so beklagenswert, daß jedem grauet.
251. Schaut seinen Tod, der jählings ihn befallen!
Nicht eine Sünde hat er mehr, gereinigt
Ist der Prophet von seinen Sünden allen.
252. Bereitet euch zu dem, was ihm begegnet!
Tod, Jammer und Verwirrung hat betroffen
An diesem Tage ihn, den Gott gesegnet.
253. Bereitet euch und laßt euch nicht verführen!
Denkt an den Tod, wenn eurer Sünden Menge
Euch in Gefahr setzt, selbst euch zu verlieren![257]
254. Denkt an den Tod! Wird einst die Stunde schlagen
Und die Vollendung eures Erdenschicksals
Vor dem allmächt'gen Weltenlenker tagen,
255. Dann werden alle Schwächen euch befallen.
Mit Krankheit wird euch dann das Schicksal schlagen,
Das Haus von eurem Jammer wiederhallen.
256. Drum seid bereit! Wenn Krankheit kommt, und scheiden
Die Seele will, daß ihr gefaßt erwartet,
Wie er, das Ende und die Todesleiden.
257. Wie wird's ergehn dem Menschen, der vom graden,
Dem Weg der Tugend abgewichen! Wehe!
Wenn er gewandelt auf der Sünde Pfaden.« –
258. Mein Sang ist aus. Ich habe, um euch Lieben
Vom Tode des Bekenners zu erzählen,
Hier alles nach der Wahrheit aufgeschrieben.
259. Was sonst vom Tod Muhammeds ist zu sagen,
Bedenket wohl: Wir alle sind vergänglich,
Uns allen wird die letzte Stunde schlagen.
260. Ein jeder mög' an diesem Tage hören,
Was ich euch sage; Unrichtiges aber
Soll euch betrüben nimmermehr noch stören.
261. Denn jene Welt ist schön. Zu ihren Thoren
Der Weg gefahrvoll. Die den andern wählen,
Den Grabesweg, bedenkt, sie sind verloren.[258]
262. Es ist der euch bekannte Pfad, verschlungen
Herüberleitet er in seiner Schmalheit,
Mühvoll wird seine Wirrnis nur bezwungen.
263. Wer aber auf den Herrn setzt sein Vertrauen,
Wird spielend alles Schwere überwinden
Und Paradieses-Herrlichkeiten schauen.
264. Nur wer voll Zweifel ist – ach diesem Armen
Droh'n Schwierigkeiten und langwier'ge Strafen –
Er findet keine Rettung, kein Erbarmen.
1 | D.h. den folgenden Koranvers. |
2 | rasūlu'llāhi stehende Bezeichnung Muhammeds. |
3 | alganne (Garten), nennen die Araber das Paradies. |
4 | Der Vater Hafssas, einer Gattin Muhammeds. |
5 | Muhammeds Vetter, Abu Talibs Sohn. |
6 | Der Vater Aischas, einer Gattin Muhammeds. |
7 | D.h. einen Koranvers. |
8 | Im Paradiese. |
9 | Ein Beiname Allahs. |
10 | Büttner übersetzt: »Welcher Engel soll es bezeugen?«, setzt allerdings selbst ein Fragezeichen hinzu. Ich halte diese Übersetzung für ganz ausgeschlossen. |
11 | Nämlich, zum Gebet zu mahnen. |
12 | Das Paradies. |
13 | F. ist sein Bruder. |
14 | D.h. Muhammed. |
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