Der Fuchs und der Löwe

[224] Der Fuchs ging einst aus, im Walde Nahrung zu suchen und erblickte einen großen Kalabassenbaum.1 Als er an ihm in die Höhe blickte, sah er einen Bienenstock mit Honig und kehrte sogleich zur Stadt zurück, um Genossen zu holen und den Bienenstock zu plündern. Als er an der Thür des Buku2 vorbeikam, nötigte ihn dieser[224] zum Eintreten. Er sprach zum Buku: »Mein Vater ist gestorben und hat mir einen Bienenstock hinterlassen, laß uns hingehen und essen.« Und sie gingen hin. Und der Fuchs sagte: »Klettere hinauf!« Und sie kletterten beide hinauf, hatten Brennstroh mitgenommen, räucherten die Bienen aus und fraßen den Honig. Plötzlich kam der Löwe dazu, blickte auf, sah die Leute essen und fragte, wer sie wären. Der Fuchs sprach zum Buku: »Schweig still, der alte Bursche ist toll.« Der aber frug wieder: »Wer seid ihr, könnt ihr nicht reden?« Da antwortete der Buku erschreckt: »Wir sind hier.«

Nun sagte der Fuchs zum Buku: »Wickle mich ins Stroh und sage dem alten Löwen, er solle unten aus dem Wege gehen, damit du das Stroh hinabwerfen könntest, du würdest dann selber herabkommen.« Der Löwe trat bei Seite, das Stroh wurde hinabgeworfen, der Fuchs befreite sich eilends daraus und lief davon.

Und der Löwe sprach: »Nun, so komm doch herunter.« Als der Buku herunterkam, ergriff ihn der Löwe und fragte: »Wer war da noch mit dir auf dem Baume?« Er antwortete: »Ich und der Fuchs. Hast du ihn nicht gesehen, als ich ihn hinunterwarf?« Da fraß der Löwe den Buku auf und ging aus, den Fuchs zu suchen, fand ihn aber nicht.

Einige Tage später ging der Fuchs zur Schildkröte und lud sie ein, Honig mit ihm zu essen. Sie fragte: »Wem gehört er?« Er antwortete: »Meinem Vater.« Da ging sie mit, sie räucherten die Bienen aus, setzten sich nieder und aßen.

Plötzlich erschien der Löwe, dem der Honig gehörte,[225] und fragte sie, wer sie wären. Der Fuchs sprach zur Schildkröte, sie sollte sich ruhig verhalten. Als der Löwe aber nochmals fragte, ward sie ängstlich und sprach zum Fuchs: »Ich werde antworten. Du hast mir doch gesagt, der Honig sei dein, gehört er denn dem Löwen?« Und der Löwe fragte zum drittenmal. Da antwortete die Schildkröte: »Wir sind hier.« Darauf hieß er sie herabkommen und frohlockte bei sich: »Jetzt habe ich den Fuchs gefangen, den ich so lange gesucht habe.«

Der Fuchs aber sprach zur Schildkröte: »Wickle mich ins Stroh, sage dem Löwen, er solle aus dem Wege gehen, damit du das Stroh hinabwerfen könntest.« Die Schildkröte dachte bei sich: »Aha, er will sich aus dem Staube machen und mich dem Löwen zum Fraß lassen, der soll ihn aber zuerst fressen.« Und sie wickelte ihn ins Stroh, warf ihn hinab und schrie: »Der Fuchs kommt.«

Der Löwe ergriff ihn mit seinen Tatzen und sprach: »Was soll ich mit dir anfangen?« Der Fuchs sprach: »Falls du mich fressen willst, so wisse, mein Fleisch ist sehr zähe.« »Nun, was soll ich denn mit dir anfangen?« fragte der Löwe wieder. Er antwortete: »Greif mich beim Schwanz, wirble mich herum, dann schleudere mich zur Erde und friß mich.« Der Löwe ließ sich täuschen, und als er den Fuchs losließ, entsprang er hurtig.

Da hieß er die Schildkröte herunterkommen und sprach zu ihr: »Was soll ich mit dir anfangen?« Sie sprach: »Lege mich in den Kot und reibe mich damit so lange, bis die Schale abgeht.« Und der Löwe ging mit ihr ans Wasser und rieb sie; sie entschlüpfte aber[226] unbemerkt, und er rieb, bis ihm die Tatzen blutig wurden. Da sah er, daß er geprellt war.

Er fragte nun die Leute, wo der Fuchs wohnte; sie sagten aber, sie wüßten es nicht. Der Fuchs sprach aber zu seinem Weibe: »Laß uns in ein anderes Haus ziehen.« Und sie zogen um. Als der Löwe zuletzt des Fuchses Wohnung erfragt hatte, verbarg er sich darin und dachte: »Wenn der Fuchs mit seinem Weibe heimkommt, werde ich sie fressen.« Der Fuchs und sein Weib kamen herzu; als sie aber die Fußspuren des Löwen sahen, schickte der Fuchs sein Weib zurück. Er selbst folgte den Fußspuren und sah, daß sie in sein Haus führten. Da dachte er: »Oho! Löwe, du bist darin!« Dann ging er vorsichtig zurück und rief aus einiger Entfernung: »Guten Tag, Haus! Guten Tag, Haus!« Er erhielt aber keine Antwort. Da sprach er laut: »Was ist das? Wenn ich sonst komme und dem Hause ›Guten Tag‹ wünsche, so antwortet es mir. Wahrscheinlich ist heute jemand darin.« Der Löwe ließ sich fangen und antwortete: »Guten Tag!«

Da lachte der Fuchs und sprach: »Oho, Löwe, dacht' ich's doch, daß du darin wärst, um mich zu fressen. Wo hast du denn je gehört, daß ein Haus sprechen kann?« Der Löwe antwortete: »Warte ein wenig, ich komme und sage es dir.« Der Fuchs aber machte sich davon, und obwohl der Löwe ihn verfolgte, holte er ihn nicht ein. Da sprach er zu den Leuten: »Der Fuchs hat mich überwunden, ich will ihn künftig in Ruhe lassen.«

1

Suaheli: mbuyu, die bekannte Adansonia digitata.

2

Eine Gazellenart.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 224-227.
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