Die Sage von Usikulumi1

[263] Es wird erzählt, daß einmal ein König war, dem viele Söhne geboren wurden. Er mochte aber keine Söhne haben, denn er pflegte zu sagen, daß sie ihn seiner Königswürde berauben würden, wenn sie groß geworden wären. Daher mußten alte Weiber des Königs Söhne töten. So oft ein Sohn geboren wurde, brachte man ihn den alten Weibern, damit sie ihn töteten, und sie thaten nach dem Befehl. So geschah es mit allen männlichen Kindern des Königs.

Einst bekam er wieder einen Sohn. Die Mutter desselben trug ihn zu den alten Frauen, indem sie ihn in ihrem Gewande verbarg. Sie gab ihnen Geschenke und bat sie flehentlich, das Kind nicht zu töten, sondern es zu seinem Oheim, ihrem Bruder, zu bringen, denn sie liebte das Kind sehr. Daher bat sie die alten Weiber[263] sehr, das Kind zu erziehen. Sie willfahrten ihr, brachten das Kind zu seinem Oheim und ließen es dort.

Als der Knabe herangewachsen war, wollte er einst seines Onkels Vieh hüten und schloß sich den Viehknechten von seines Onkels Kraal an, die ihn ehrten und achteten. Während sie das Vieh hüteten, sprach er zu ihnen: »Sucht große Steine, wir wollen sie heiß machen.« Sie sammelten welche und machten einen Haufen. Darauf befahl er ihnen, ein schönes Kalb auszuwählen und es zu schlachten. Sie wählten eines aus der Herde, die sie zu bewachen hatten. Er hieß sie es abhäuten, und sie thaten es und brieten das Fleisch vergnügten Sinnes2. Dann frugen sie ihn: »Was soll das bedeuten?« Er antwortete: »Ich weiß, was ich meine.«

Eines Tages nun, als sie weideten, geschah es, daß die Leute des Königs auf einer Reise begriffen waren (und ihn sahen). Sie frugen, wer er wäre, er sagte es ihnen aber nicht; da ergriffen sie ihn ungesäumt und sprachen: »Er sieht unserm König ähnlich.« Also nahmen sie ihn mit und brachten ihn zu seinem Vater.

Als sie zu seinem Vater kamen, sprachen sie: »Was willst du uns geben, wenn wir dir gute Nachricht bringen?« Sein Vater antwortete ihnen, er wollte ihnen Vieh von der und der Farbe geben. Das wollten sie aber nicht, sondern zeigten auf eine ausgewählte Herde von schwarzen Ochsen. Er frug sie, was sie wünschten, und sie antworteten, die schwarze Ochsenherde. Und er gab sie ihnen. Nun erzählten sie ihm, wie sie auf ihrer[264] Reise einen Jüngling getroffen hätten, der dem Könige ähnlich sähe. Als ihn der König sah, merkte er, daß es wirklich sein Sohn wäre und frug nach seiner Mutter.

Die, welche um das Geheimnis wußten, sagten ihm, es sei eine seiner Frauen, die Tochter von dem und dem.

Da rief er sein Volk zusammen in großem Zorn und hielt seinen Sohn ferne von sich. Alle versammelten sich, und seine (des Königs) Mutter und Schwester kamen herbei. Und der König befahl seinen Sohn hinwegzubringen in den großen Wald, von dem jeder wußte, daß ein großes menschenfressendes, vielköpfiges Ungetüm darin hauste, das einen Menschenkopf hatte.

Dahin brach nun das Volk auf. Aber viele kamen nicht weit; sie wurden müde und kehrten um. Die Mutter und die Schwester und der Königssohn gingen zuletzt allein. Da sprach die Mutter: »Ich kann ihn hier im freien Felde nicht allein lassen, ich werde ihn hinbringen, wohin der König befohlen hat.« So gingen sie denn zu dem großen Walde; bei demselben angekommen, drangen sie in das Dickicht, hießen den Jüngling sich auf einen Felsblock inmitten des Waldes niedersetzen, ließen ihn allein und kehrten zurück. Und er blieb dort verlassen oben auf dem Felsen.

Eines Tages nun geschah es, daß das vielköpfige Ungeheuer sich näherte. Es kam gerade aus dem Wasser. Dies Ungeheuer besaß alles. Es ergriff den Knaben, tötete ihn aber nicht, sondern ernährte ihn, bis er herangewachsen war. Als er erwachsen war und nichts weiter brauchte, auch eine große Nation beherrschte, die ihm das vielköpfige Ungeheuer gegeben hatte (denn es besaß alles,[265] Speisen wie Menschen), wünschte er seinen Vater aufzusuchen. So zog er denn aus mit einer Menge Volks, da er jetzt ein König war.

Zuerst kam er zu seinem Oheim, der ihn nicht erkannte. Auch seines Oheims Leute erkannten ihn nicht. Er entsandte nun einen Boten, der ihm sagen sollte: »Usikulumi, der Sohn Uthlokothlokos, bittet dich um einen schönen Ochsen zur Mahlzeit.« Als der Oheim seinen Namen hörte, verwunderte er sich und frug: »Wer?« Der Bote antwortete, der König. Da ging er hinaus zu ihm und sah, daß es wirklich Usikulumi war, Uthlokothlokos Sohn. Seine Freude war groß und er jauchzte laut und rief: »Usikulumi, Uthlokothlokos Sohn, ist gekommen!« Der ganze Stamm seines Oheims versammelte sich, und sein Oheim schenkte ihm aus Freude über seine Ankunft eine Ochsenherde. Ein großes Fest ward veranstaltet, sie aßen und waren gutes Mutes, weil sie ihn wiederhatten, denn sie hatten nicht geglaubt, daß sie ihn wiedersehen würden.

Darauf zog er weiter und kam in seines Vaters Land. Die Leute erkannten ihn wohl und sprachen zu seinem Vater: »Siehe, dein Sohn kommt wieder, den du in den großen Wald hast schleppen lassen.« Da erschrak er sehr, sammelte sein Volk und hieß sie sich bewaffnen. Als sie versammelt waren, sprach er: »Usikulumi, Uthlokothlokos Sohn, sei des Todes!« Dieser aber hörte davon und entwich. (Als nun die Heere zusammentrafen) befahl sein Vater ihn mit dem Speer zu erstechen. Usikulumi aber stellte sich (ungeschützt) ins freie Feld und rief: »Werft die Speere nach mir, soviel ihr wollt!« Er[266] wußte nämlich, daß er nicht sterben würde. Obgleich sie unausgesetzt bis Sonnenuntergang ihre Speere nach ihm warfen, blieb er unversehrt und starb nicht. Sie hatten keine Macht über ihn, ihn mit ihren Speeren zu töten, denn er war unsterblich geworden. Das Ungeheuer hatte ihm Kraft verliehen, weil es wußte, daß er in sein Vaterland ziehen wollte, und daß sein Vater ihn haßte. Daher waren sie nicht imstande, ihn mit den Speeren zu durchbohren. Nun frug er sie, ob sie sich für überwunden hielten, und da sie es in Abrede stellten, ergriff er einen Speer und erstach sie alle. Dann ergriff er Besitz von ihrem Vieh und verließ das Land mit seinem Heere. Seine Mutter und seine Schwester aber zogen mit ihm, da er nun ein König war.

1

Aufgezeichnet von H. Callaway.

2

Um Fleisch damit zu schmoren.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 263-267.
Lizenz:
Kategorien: