König Cheops und die Zauberer.

Die folgende Erzählung findet sich in einem um 1700 v. Chr. niedergeschriebenen Papyrus, der von einem Fräulein Westcar dem Ägyptologen Lepsius geschenkt wurde und aus dessen Nachlaß an das Berliner Museum gelangte. Wie bei den meisten ägyptischen Papyris, so fehlt auch hier der Anfang, der sich in der Schriftrolle zu äußerst befand und daher beim Aufrollen am stärksten abgegriffen wurde. Außerdem bricht der Text am Schlüsse mitten in der Erzählung ab. Auf Grund ähnlicher Märchen ist es aber leicht möglich den Anfang dem Sinne nach zu ergänzen. Da weiter gegen den Schluß hin geschichtliche Persönlichkeiten eine Rolle spielen, so macht es der Verlauf der historischen Ereignisse nicht schwer, sich in großen Zügen auszumalen, wie die vorliegende Erzählung geendet haben wird. Der Herrscher, dem die einzelnen Zauberkunststücke berichtet werden und der dann selbst handelnd auftritt, ist der König Cheops, der durch die Berichte Herodots als der Erbauer der größten Pyramide von Gizeh bei Kairo allgemein bekannt geworden ist. Seine Regierungszeit muß um oder richtiger wohl vor das Jahr 3000 v. Chr. gesetzt werden. Seine beiden Vorgänger Teser und Nebka, von denen am Anfange die Rede ist, haben etwa hundert Jahre vor ihm, die gegen Ende genannten Fürsten etwa hundert Jahre nach ihm geherrscht.

Die einzelnen Kunststücke werden von Leuten ausgeführt, die als »Der mit der Schriftrolle« bezeichnet werden. Es ist das der übliche Titel derjenigen priesterlichen Beamten, die bei den Opfern und sonstigen religiösen Zeremonien mit der Schriftrolle in der Hand auftraten und aus dieser die nötigen Gebete und magischen Formeln vorlasen. Durch diesen Beruf wurden sie naturgemäß in die Beschwörungsliteratur überhaupt eingeführt, lernten die alten hierauf bezüglichen Werke kennen und waren daher die berufenen Männer, wenn es galt, Zauberkunststücke auszuführen, Geister zu rufen, die Götter zur Gewährung der Wünsche von Sterblichen zu zwingen. Der Kürze halber ist der Titel im folgenden mit Zauberer wiedergegeben worden. Wie alt die in der Handschrift aufgeführten Märchen sind, ist fraglich. Die Sprache zeigt manche Altertümlichkeiten, die es wahrscheinlich machen, daß die Entstehung der Erzählungen geraume Zeit vor die uns erhaltene Niederschrift zu setzen ist. Man verlegt sie nicht ohne Grund in die Zeit, in der die Geschichten vom Schiffbrüchigen und von Saneha, die wir gleichfalls in diese Sammlung aufgenommen haben, entstanden sind, also vor das Jahr 2000 v. Chr.


* * *[2]


In dem verlorenen Anfange wird etwa folgendes gestanden haben: Eines Tages empfand der König Cheops Langeweile und wußte nicht, wie er sich die Zeit vertreiben solle. Er ließ daher seine Räte und Verwandten kommen und frug, ob keiner von ihnen ihm eine Geschichte erzählen könne. Da trat einer seiner Söhne vor und berichtete von einem Zauberkunststücke, das einem Zauberer in der Zeit des Königs Teser gelungen war. Wie dieser Zauberer hieß und was er vollbrachte, wissen wir freilich nicht, aber mit dem Schluß dieser Episode beginnt der erhaltene Teil des Papyrus, dessen sonstige kleine Lücken sich auf Grund entsprechender Stellen im weitern Verlaufe des Textes jeweils mit Sicherheit ergänzen lassen:

Da sagte die Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Cheops, der die richtigen Worte zu sprechen weiß: »Man bringe dem Könige von Ober- und Unterägypten Teser, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, eine Opfergabe dar von tausend Broten, hundert Krügen Vier, einem Ochsen und zwei Maß Weihrauch. Ferner gebe man einen Kuchen, ein Maß Vier, ein großes Stück Fleisch und ein Maß Weihrauch dem Zauberer, der dieses Kunststück ausgeführt hat, denn ich habe einen Beweis seiner Kenntnisse erhalten.« Man verfuhr so, wie es Seine Majestät angeordnet hatte.

Da erhob sich der Königsohn Chephren (der spätere König und Erbauer der zweitgrößten Pyramide von Gizeh) und sagte: »Ich werde deiner Majestät von einem Wunder berichten, das sich zurzeit deines Vorfahren, des Königs[3] Nebka, der die richtigen Worte zu sprechen weih, zugetragen hat«. Dieser König begab sich eines Tages zu dem Tempel des Gottes Ptah, des Herrn des Ortes »Das Leben beider Aegypten« (es war dies ein Stadtteil der damaligen Residenz Memphis). Nachdem Seine Majestät in den Tempel gegangen war, besuchte er mit seinem Gefolge auch das Haus des Schreibers und Zauberers erster Klasse Uba-aner. Die Frau des Uba-aner aber verliebte sich in einen Mann aus dem Gefolge des Königs und schickte eine Magd zu ihm mit einem Kasten voll von Kleidern und ließ ihm sagen, er soll zu ihr kommen. Und er kam mit der Magd.

Nun, viele Tage nach diesen Ereignissen, da sagte der Liebhaber (den der Text stets als Untertan bezeichnet) zu der Frau des Uba-aner, der ein Gartenhaus bei einem ihm gehörenden Teiche besaß: »Es befindet sich doch bei dem Teiche, der dem Uba-aner gehört, ein Gartenhaus. Dort wollen wir uns eine gute Stunde bereiten!« Da schickte die Frau des Uba-aner zu dem Verwalter, der über das Haus gesetzt war und ließ ihm sagen: »Laß doch das Gartenhaus in Stand setzen.« Er folgte dem Befehle, und dann ging sie mit ihrem Liebhaber hin, und sie verbrachten dort den ganzen Tag und tranken zusammen. Als es aber Abend wurde, da ging der Liebhaber hinunter zu dem Teiche und badete dort und die Magd war bei ihm.

Der Hausverwalter aber sah alles. Als nun die Erde wieder hell wurde und der neue Tag erschien, da ging der Hausverwalter hin und meldete seinem Herrn alles, was sich zwischen[4] der Frau und dem Liebhaber zugetragen hatte. Als Uba-aner dies hörte, da sagte er zu seinem Diener: »Bringe mir meinen Kasten aus Ebenholz, der mit Silbergold beschlagen ist und der mein Zaubergerät enthält!« Dann formte er ein Krokodil aus Wachs, das sieben Zoll lang war, sprach über dem Bildnis seine Zaubersprüche und befahl dem Krokodil: »Wenn der Liebhaber wie gewöhnlich kommt, um in meinem Teiche zu baden, dann verschlinge ihn.« Dann gab er das Krokodil dem Hausverwalter und sagte zu diesem: »Wenn der Liebhaber in den Teich herabsteigt, wie das seine tägliche Gewohnheit ist, dann wirf das Krokodil hinter ihm her.« Der Hausverwalter ging fort und nahm das Krokodil aus Wachs mit sich.

Da schickte die Frau des Uba-aner zu dem Hausverwalter, der die Aufsicht über den Teich hatte und ließ ihm sagen: »Wohlan! Lasse das Gartenhaus, das an dem See liegt, in Stand setzen, denn ich will kommen, um mich in ihm aufzuhalten«. Da ward das Gartenhaus in Stand gesetzt, und sie kam und verbrachte mit ihrem Liebhaber einen vergnügten Tag. Als es Abend wurde, da ging der Liebhaber fort, wie das seine tägliche Gewohnheit war. Da warf der Hausverwalter das Wachskrokodil hinter ihm her in das Wasser. Da wurde dieses ein sieben Ellen langes wirkliches Krokodil und das ergriff den Liebhaber.

Inzwischen verweilte Uba-aner sieben Tage lang bei dem Könige. Während dieser ganzen Zeit war der Liebhaber in der Gewalt des Krokodiles und vermochte nicht zu atmen. Nach[5] Ablauf der sieben Tage wollte aber der König von Ober- und Unterägypten Nebka, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, abreisen. Da trat der Zauberer erster Klasse Uba-aner vor ihn und sagte: »Deine Majestät möge kommen, um das Wunder zu sehen, das sich zurzeit deiner Majestät zugetragen hat.« Der König ging mit Uba-aner und dieser sagte zu dem Krokodil: »Bringe mir den Liebhaber hierher!« Das Krokodil kam und brachte ihn herbei. Der Zauberer sprach seine Beschwörungen und da stand der Liebhaber da und war noch [lebendig].

Seine Majestät der König von Ober- und Unterägypten Nebka, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, sagte: »Entschuldige! Dieses Krokodil ist schrecklich.« Da bückte sich Uba-aner und ergriff das Tier, da hatte er ein Wachskrokodil in der Hand. Dann erzählte der Zauberer erster Klasse Uba-aner dem Könige von Ober- und Unterägypten Nebka, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, alles, was dieser Liebhaber in seinem Hause mit seiner Frau getan hatte. Da sagte Seine Majestät zu dem Krokodil: »Nimm mit dir fort was dein ist.« Da stieg das Krokodil hinab in die Tiefe des Teiches und man weiß nicht, wohin es mit dem Liebhaber gegangen ist. Dann ließ der König von Ober- und Unterägypten Nebka, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, die Frau des Uba-aner an einen Platz nördlich von dem Palaste bringen. Man verbrannte sie und warf die Asche in den Fluß.

»Siehe! Das ist das Wunder, welches zurzeit deines Vorfahren, des Königs von Ober-[6] und Unterägypten Nebka geschah. Es wurde aber durch den Zauberer erster Klasse Uba-aner vollbracht.«

Da sagte der König von Ober- und Unterägypten Cheops, der die richtigen Worte zu sprechen weiß: »Man möge dem Könige von Ober- und Unterägypten Nebka, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, ein Opfer darbringen von tausend Broten, hundert Krügen Bier, einem Ochsen und zwei Maß Weihrauch. Ferner gebe man einen Kuchen, einen Krug Bier, ein großes Stück Fleisch und ein Maß Weihrauch dem Zauberer erster Klasse Uba-aner, denn ich habe einen Beweis seines Wissens erhalten.« Und es geschah alles, was Seine Majestät befohlen hatte.

Da stand der Prinz Ba-u-Râ auf und sagte: »Ich werde deine Majestät ein Wunder hören lassen, welches sich zurzeit deines Vaters, des Königs Snefru, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, zugetragen hat. Dasselbe gehört zu den Zauberkunststücken, die der Zauberer erster Klasse Tata-em-ânch vollbrachte.«

Eines Tages wußte der König Snefru nicht, was er anfangen sollte und befragte die Angehörigen des Königshauses, damit sie ihm eine Zerstreuung verschafften, aber sie fanden keine. Da sagte er: »Bringet mir eiligst den Zauberer erster Klasse Tata-em-ânch hierher.« Man führte ihn sogleich herbei, und Seine Majestät sagte zu ihm: »Ich habe alle Angehörigen des Königshauses befragt, damit sie mir eine Zerstreuung verschafften, aber ich fand keine.« Da sagte Tata-em-ânch zu dem Könige: »Deine Majestät[7] möge sich zu dem See begeben, der zu dem Palaste des Pharao, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, gehört. Dort bemanne eine Barke mit allen schönen Mädchen deines Palastes. Dein Herz wird sich freuen, wenn du siehst, wie sie hin- und herrudern. Wenn du die schönen Sumpflandschaften deines Sees erblickst, und wenn du seine schönen Gefilde und Ufer betrachtest, dann wird dein Herz hierdurch erfreut werden. Ich aber werde die Fahrt leiten. Wohlan! Lasse mir zwanzig Ruder aus Ebenholz bringen, die mit Gold ausgelegt sind und deren Griffe aus feinem Holz bestehen und mit Silbergold ausgelegt sind. Dann lasse mir zwanzig Mädchen bringen mit schönen Gliedern, Brüsten und Locken, die noch keine Kinder geboren haben, und lasse mir zwanzig Netze bringen und gieb diese Netze den Frauen und sie sollen sie als ihre Kleider anziehen«.

Man tat alles, was Seine Majestät (die demnach dem Rate des Zauberkünstlers gefolgt war) befahl. Die Mädchen ruderten hin und her und das Herz Seiner Majestät war froh, als er sie rudern sah. Da stieß sich eines der Mädchen mit dem Ruder an das Haar und ihr Schmuck in Fischgestalt, der aus neuem Malachit gefertigt war, fiel in das Wasser. Da schwieg sie (denn sie hatte vorher gesungen, was der Erzähler als eine bei ägyptischen Ruderern vollständig selbstverständliche Sache, nicht besonders zu erwähnen für notwendig gehalten hat) und ruderte nicht mehr. Da schwiegen alle, die auf ihrer Seite ruderten, und ruderten nicht mehr. Da sagte Seine Majestät: »Warum rudert ihr[8] nicht?« Da sagten die Mädchen: »Unsere Genossin schweigt und rudert nicht.« Da sagte Seine Majestät zu ihr: »Warum ruderst du nicht?« Sie sagte zu ihm: »Mein Schmuck in Fischgestalt, der aus neuem Malachit gefertigt ist, ist in das Wasser gefallen.« Da sagte Seine Majestät: »Rudere nur weiter, ich werde dir zum Ersatz einen andern Schmuck schenken.« Sie aber sagte: »Ich will meinen eigenen Schmuck wiederhaben.«

Da sagte der König: »Holt mir den Zauberer erster Klasse Tata-em-ânch herbei.« Man brachte denselben schleunigst zum Könige, und da sagte Seine Majestät: »O Tata-em-ânch, mein Bruder! Ich habe das getan, was du mir gesagt hast, und das Herz meiner Majestät war erfreut, als ich die Mädchen rudern sah. Da fiel aber der aus neuem Malachit bestehende Schmuck in Fischgestalt des einen jungen Mädchens in das Wasser, und da schwieg sie und ruderte nicht mehr und da hörte ihre ganze Reihe auf. Da sagte ich zu ihr: Warum ruderst du denn nicht? Da sagte sie zu mir: Mein aus neuem Malachit bestehender Schmuck in Fischgestalt ist in das Wasser gefallen. Da sagte ich zu ihr: Rudere doch, ich werde dir zum Ersatz einen anderen Schmuck geben. Sie aber sagte: Ich will meinen eigenen Schmuck wieder haben.«

Da sprach der Zauberer erster Klasse Tata-em-ânch seine Formeln, und sagte Zaubersprüche her. Dann legte er die eine Seite des Sees auf die andere Seite, er fand den Schmuck auf einer Erhöhung liegen, er brachte ihn seiner Herrin zurück. Das Wasser war aber in der Mitte zwölf Ellen[9] tief gewesen; jetzt, wo es aufeinander gelegt worden war, stand es vierundzwanzig Ellen hoch. Dann sprach er wieder und sagte seine Zaubersprüche her und brachte hierauf das Wasser des Sees wieder auf seinen früheren Stand. Der König verbrachte mit dem königlichen Haushalt, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, einen vergnügten Tag. Dann belohnte er den Zauberer erster Klasse Tata-em-ânch mit allerhand schönen Dingen.

Wohlan! Das war ein Wunder, daß sich zurzeit deines Vaters, des Königs von Ober- und Unterägypten Snefru, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, zutrug, und es gehört zu den Taten des Zauberers erster Klasse, des Bücherschreibers Tata-em-ânch.

Da sagte die Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Cheops, der die richtigen Worte zu sprechen weiß: »Man möge eine Opfergabe von tausend Broten, hundert Krügen Bier, einem Ochsen und zwei Maß Weihrauch dem Könige von Ober- und Unterägypten Snefru, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, darbringen. Ferner gebe man einen Kuchen, ein Maß Bier und ein Maß Weihrauch dem Zauberer erster Klasse, dem Bücherschreiber Tata-em-ânch, denn ich habe einen Beweis seines Wissens erhalten.« Und es geschah alles, was Seine Majestät befohlen hatte.

Da stand der Königsohn Hor-dudu-f (den auch andere Texte als weisen Mann und Entdecker wichtiger religiöser Urkunden preisen) auf und sagte zu dem Könige: »Du hast jetzt Beispiele von dem Wissen von Leuten gehört, die[10] bereits dahin gegangen sind und bei denen man nicht weiß, ob die Sache auch wahr ist. Ich kann aber Deiner Majestät einen Zauberer zeigen, der in deiner eigenen Zeit lebt und den deine Majestät noch nicht kennen gelernt hat.« Da sagte Seine Majestät: »Wer ist denn das, o Hor-dudu-f?« Da sagte der Königssohn Hor-dudu-f: »Es lebt jetzt ein Untertan (ein Diener Deiner Majestät) mit Namen Deda, er wohnt in dem Orte Ded-Snefru, er ist ein Untertan, dessen Alter hundertundzehn Jahre beträgt, er verzehrt bis zum heutigen Tage regelmäßig fünfhundert Stücke Brot, ferner das Fleisch einer Rindskeule, dazu trinkt er dann hundert Krüge Bier. Er weiß, wie man abgeschnittene Köpfe wieder an ihre Stelle setzt, er kann es dahin bringen, daß der Löwe ihm folgt, auch wenn die Leine, an die das Tier angebunden war, auf die Erde gefallen ist. Er kennt die Zahl der Bücherkisten im Heiligtume des Gottes (der Weisheit und besonders der Zauberformeln, die im Diesseits und im Jenseits nützen können) Thoth.«

Nun hatte die Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Cheops, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, schon lange Zeit damit verbracht, daß er die Bücherkisten des Heiligtums des Gottes Thoth suchte, da er eine Abschrift ihres Inhaltes für seine Grabpyramide herstellen zu lassen gedachte. Es sagte daher Seine Majestät: »In eigener Person, o Hor-dudu-f, mein Sohn, bringe mir den Mann hierher.« Da rüstete man Fahrzeuge für den Königsohn Hor-dudu-f aus, und er fuhr nilaufwärts nach dem Orte Ded-Snefru.[11]

Nachdem man hier die Schiffe am Ufer fest angelegt hatte, begab er sich landeinwärts. Dabei saß er in einem Tragstuhl von Ebenholz, dessen Tragbalken aus Johannisbrotbaumholz bestanden, das Holz aber hatte man mit Gold beschlagen. Als er nun zu Deda gekommen war, ließ er die Sänfte hinstellen und ging hin, um den Mann zu begrüßen. Er fand ihn am Eingange seines Hauses auf einem niederen Bette liegend, ein Diener stand an dessen Kopfende und kratzte ihn, ein zweiter rieb ihm die Füße.

Da sagte der Königsohn Hor-dudu-f: »Dein Zustand ist so, als lebtest du ohne das Alter (und seine Beschwerden) kennen gelernt zu haben. Sonst bildet das Alter den Augenblick, in dem man den Hafen des Todes erreicht, in dem man an den Platz kommt, an dem man begraben wird, an dem man sich mit der Erde vereint. Aber so in den Tag hinein zu schlafen (wie du es tust) frei von allem Uebel, ohne schwächer im Denken und im Rat erteilen geworden zu sein, das ist das Los eines Gefolgmannes (eines Getreuen der Gottheit). Ich komme hierher gezogen, um dir eine Botschaft von meinem Vater Cheops, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, auszurichten: Du sollst das Beste essen, was der König geben kann, deine Lebensmittel sollen die sein, die seine Gefolgsleute erhalten, er will, daß du aus einer schönen Lebenszeit (die er dir bereiten wird, unmerklich) hinübergleiten sollst zu deinen Vorfahren, die bereits in der Totenstadt weilen.«

Da sagte Deda: »Friede sei dir, Friede sei dir, Hor-dudu-f, du Königsohn, den sein Vater[12] liebt. Es möge dich dein Vater Cheops, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, ehren; er möge dir deinen Platz anweisen an der Spitze der Greise (denn du bist bereits in jungen Jahren so klug wie es sonst nur ein erfahrungsreicher alter Mann zu sein pflegt). Durch Zaubersprüche möge deine geheiligte Person über deine Feinde obsiegen. Deine Seele möge die geheimen Wege zu dem Thor des Türhüters in der Unterwelt (wo man zu einem glücklichen, ewigen Leben eingeht) kennen, denn du bist in gutem Rate erfahren, du, der du eines Königs Sohn bist.«

Da streckte ihm der Königsohn Hor-dudu-f seine beiden Arme entgegen, er richtete ihn auf und begab sich mit ihm an das Ufer, wobei er ihm den Arm reichte. Da sagte Deda: »Man möge mir ein Schiff zur Verfügung stellen, damit dieses mir meine Kinder und meine Bücher herbeibringe.« Da überließ man ihm zwei Schiffe mit ihrer Bemannung, Deda selbst aber fuhr in dem großen Schiffe, in dem sich der Königsohn Hor-dudu-f befand.

Als man nun zum königlichen Hofe gekommen war, da begab sich der Königsohn Hor-dudu-f in den Palast, um der Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Cheops, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, Bericht zu erstatten. Der Königsohn Hor-dudu-f sagte: »O Fürst, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, o mein Herr! Ich habe Deda hierher gebracht.« Da sagte Seine Majestät: »Man führe ihn eiligst her zu mir.« Seine Majestät begab sich in den Säulensaal des Pharao, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden[13] möge, und nun führte man Deda zu ihm. Da sagte Seine Majestät: »Was soll das bedeuten, Deda, daß ich dich bisher nicht gesehen habe?« Deda sagte: »O Fürst, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge! Wen man ruft, der kommt. Wenn ich gerufen werde, dann, siehst du, komme ich.«

Da sagte Seine Majestät: »Ist das wahr, was man sich erzählt, du könntest einen abgeschnittenen Kopf wieder an seine Stelle setzen?« Deda sagte: »Das kann ich, o Fürst, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, o mein Herr.« Da sagte Seine Majestät: »Man bringe mir einen Gefangenen, der in dem Gefängnisse sitzt und der wegen seiner Missetat verurteilt worden ist.« Deda sagte: »Nicht doch! Keinen Menschen, o Fürst, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, o mein Herr! Befiehl nicht, daß dieser Versuch an einem edlen Geschöpfe vorgenommen werde.« Da brachte man eine Gans herbei und schnitt ihr den Kopf ab. Man legte die Gans in die westliche Ecke des Säulensaales und den Kopf der Gans in die östliche Ecke des Säulensaales. Dann sprach Deda einiges von seinen Zauberformeln. Da stand die Gans auf und wackelte voran, und der Kopf tat das Gleiche, und als ein Teil zu dem andern gekommen war, da stand die Gans vollständig da und gackerte. Dann ließ er sich eine andere Gänseart bringen und verfuhr mit ihr in gleicher Weise. Dann ließ Seine Majestät einen Stier herbei bringen. Man schlug ihm den Kopf ab, so daß er zu Boden fiel. Da sprach Deda einiges von seinen Zauberformeln und da[14] stand der Stier hinter ihm, aber der Strick (der bei dem Köpfen vom Halse des Stieres herab auf die Erde gefallen war) blieb auf der Erde liegen.

Da sagte der König Cheops, der die richtigen Worte zu sprechen weiß: »Wie steht es aber damit, daß man sagt, du kenntest die Zahl der geheimnisvollen Kisten, die sich in der Behausung des Gottes Thoth befinden?« Da sagte Deda: »Entschuldige! Ich kenne ihre Zahl nicht, o Fürst, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, o mein Herr. Aber ich kenne den Ort, an dem sie sich befinden.« Da sagte Seine Majestät: »Wo ist dieser Ort?« Deda sagte: »Es steht ein steinerner Kasten in einem Raume des Tempels von Heliopolis, welcher die Abrechnung heißt (also wohl in dem Raume, in dem die Tempelrechnungen aufbewahrt wurden). In diesem Kasten (sind die Kisten mit den vom Gott Thoth geschriebenen Schriften.« Da sagte Seine Majestät: »Bringe mir den Kasten mit seinem Inhalte.«) Da sagte Deda: »O Fürst, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, o mein Herr! Siehe, ich bin es nicht, der sie dir bringen wird.« Da sagte Seine Majestät: »Wer wird mir sie denn bringen?« Da sagte Deda: »Das älteste von den drei Kindern, die sich im Leibe der Red-dedet befinden, das wird sie dir bringen.«

Seine Majestät sagte: »Wer ist denn diese Red-dedet, von der du da sprichst?« Da sagte Deda: »Sie ist das Weib eines Priesters des Sonnengottes Râ, des Herrn der (bei Heliopolis gelegenen) Stadt Sachabu. Sie geht schwanger[15] mit drei Kindern des Sonnengottes Râ, des Herrn der Stadt Sachabu, und der Gott hat ihr gesagt, daß diese Kinder dieses wohltätige Amt (des Königtumes) in diesem ganzen Lande (Aegypten) ausüben würden, und daß das älteste von ihnen Oberpriester in der Stadt Heliopolis werden würde.« Hierüber ward das Herz Seiner Majestät sehr betrübt, aber Deda sagte: »Was soll diese Betrübnis deines Herzens, o Fürst, dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge? Wenn die Veranlassung derselben diese drei Kinder sind, dann sage ich dir: Dein Sohn, dessen Sohn, einer von ihnen«1.

Da sagte Seine Majestät: »Wann wird diese Red-dedet denn gebären?« [Deda antwortete:] »Am 15. des Monats Tybi wird sie gebären.« Da sagte Seine Majestät: »Wenn nicht die Untiefen des Kanals der beiden Fische (der bei der Stadt Letopolis unweit von Heliopolis floß) den Weg unterbrächen, dann würde ich mich selbst auf den Weg machen, um den Tempel des Sonnengottes Râ, des Herrn von Sachabu, zu besichtigen« (offenbar um den Gott seiner Dynastie günstig zu stimmen, ihn von dem Gedanken[16] abzubringen, seinen drei Kindern die Herrschaft des Reiches zu übergeben, und ihn zu bewegen, Cheops nicht daran zu hindern, wenn er versuchen sollte, die Kinder aus der Welt zu schaffen). Da sagte Deda: »Wohlan! Dann werde ich das Wasser in den Untiefen des Kanales der beiden Fische vier Ellen tief werden lassen« (so daß es für den König schiffbar sein wird). Seine Majestät begab sich in seinen Palast, und es sagte Seine Majestät: »Man soll den Deda dem Haushalte des Prinzen Hor-dudu-f zuteilen; er möge mit ihm zusammen sitzen, man möge ihm als (tägliche) Nahrung tausend Brote, hundert Krug Bier, einen Ochsen, hundert Bund Gemüse geben.« Man tat daraufhin alles, was Seine Majestät befohlen hatte.

Eines Tages geschah es, daß Red-dedet Geburtswehen empfand, da sagte die Majestät des Sonnengottes Râ, des Herrn von Sachabu zu der Göttin (der mütterlichen Liebe) Isis, der Göttin (der hilfreichen Schwesterliebe) Nephthys, der Göttin (der Geburt) Meschent, dem Gotte (des neu erwachenden Lebens) Hekt, und dem Gotte (des Erschaffens) Chnum: »Wohlan! Eilt und entbindet die Red-dedet von den drei Kindern, mit denen sie schwanger geht und die das wohltätige Amt (eines Pharao) in diesem ganzen Lande ausüben werden. Sie werden euch Tempel erbauen, sie werden euern Altären Opfergaben spenden, sie werden eure Opfertische mit frischen Gaben füllen, sie werden euern göttlichen Besitz sehr anwachsen lassen.« Da gingen diese Gottheiten fort, sie nahmen die Gestalt von Musikantinnen an und Chnum zog als Kofferträger mit ihnen.[17]

Als sie sich dem Hause des Râ-user (des Gatten der Red-dedet) näherten, da fanden sie ihn, wie er dastand und die Wäsche umwarf (um das für die Entbindung Nötige herauszusuchen). Sie gingen an ihm vorbei und machten Musik mit Klappern und Sistren (ein Musikinstrument). Er aber sagte zu ihnen: »Meine Herrinnen! Hier ist eine Frau in Geburtswehen.« Sie sagten zu ihm: »Lasse uns die Frau sehen, denn wir verstehen uns auf das Entbinden.« Da sagte er zu ihnen: »Kommt her!« Sie gingen zu Red-dedet hinein, dann verschlossen sie hinter sich und der Frau das Zimmer.

Isis stellte sich vor die Frau, Nephthys stellte sich hinter dieselbe und Hekt beschleunigte die Geburt. Da sagte Isis: »Sei nicht stark (user) in ihrem Leibe entsprechend deinem Namen ›Stark ist sein Mund‹ (User-re-f)«2. Da eilte das Kind heraus auf ihre beiden Hände, es war ein Kind von einer Elle Länge mit kräftigen Knochen, seine Glieder hatten die Farbe des Goldes und seine Kopfbedeckung (die er als künftiger König gleich mit auf die Welt brachte) bestand[18] aus echtem Lapislazuli. Sie wuschen es, sie schnitten seine Nabelschnur ab, sie legten es auf ein Lager von Ziegelsteinen. Dann trat Meschent zu ihm und sagte: »Es wird ein König sein, es wird in diesem Lande die Königsherrschaft ausüben.« Chnum aber machte seine Glieder gesund.

Isis stellte sich vor die Frau, Nephthys stellte sich hinter dieselbe und Hekt beschleunigte die Geburt. Da sagte Isis: »Wandle (sah) nicht (länger) in ihrem Leibe in deinem Namen ›Der Sonnengott Râ wandelt‹ (Râ-sah; der König hieß eigentlich Sahu-Râ).« Da eilte das Kind heraus auf ihre beiden Hände. Es war ein Kind von einer Elle Länge, mit kräftigen Knochen, seine Glieder hatten die Farbe [des Goldes] und seine Kopfbedeckung bestand aus echtem Lapislazuli. Sie wuschen es, sie schnitten seine Nabelschnur ab, sie legten es auf ein Lager von Ziegelsteinen. Dann trat Meschent zu ihm und sagte: »Es wird ein König sein, es wird in diesem Lande die Königsherrschaft ausüben. Chnum aber machte seine Glieder gesund.«

Isis stellte sich vor die Frau, Nephthys stellte sich hinter dieselbe und Hekt beschleunigte die Geburt. Da sagte Isis: »Bleibe nicht dunkel (keku, d.h. im Dunkeln) in ihrem Leibe in deinem Namen ›Dunkler‹ (Keku, der König hieß eigentlich Kaka).« Da eilte das Kind heraus auf ihre beiden Hände. Es war ein Kind von einer Elle Länge, von kräftigen Knochen, seine Glieder hatten die Farbe des Goldes, und seine Kopfbedeckung bestand aus echtem Lapislazuli. Da trat Meschent zu ihm und sagte: »Es wird ein König[19] sein, es wird in diesem Lande die Königsherrschaft ausüben.« Chnum aber machte seine Glieder gesund. Sie wuschen es, sie schnitten seine Nabelschnur ab, sie legten es auf ein Lager von Ziegelsteinen.

Nachdem diese Gottheiten die Red-dedet von diesen drei Kindern entbunden hatten, gingen sie (aus dem Zimmer) heraus und sagten: »Sei frohen Mutes, Râ-user, denn es wurden dir drei Kinder geboren«! Da sagte er zu ihnen: »O meine Herrinnen! Was kann ich für euch tun? Ach! Gebt doch das Korn (das da liegt) eurem Kofferträger, nehmt es zum Lohne für euch mit zu eueren Getreidespeichern!« Da belud sich Chnum mit dem Getreide, und sie begaben sich an den Ort, von dem sie gekommen waren. Da sagte Isis: »Was soll das heißen? Wir sind zu der Frau gekommen und haben für diese Kinder kein Wunder vollbracht, das wir ihrem Vater (dem Sonnengotte) melden könnten, der uns zu der Frau gehen ließ.« Da formten sie drei Götterkronen, wie sie der Herr (Aegyptens), dem Leben, Heil und Gesundheit zuteil werden möge, zu tragen pflegt, und legten sie in das Getreide. Dann ließen sie Sturm und Regen vom Himmel kommen, kehrten nach dem Hause um und sagten: »Ach! Lege das Getreide (damit es nicht naß wird) in ein verschlossenes Zimmer, bis daß wir wieder kommen, um im Norden zu tanzen (und es bei dieser Gelegenheit abholen)«. Man legte das Getreide in ein verschlossenes Zimmer.

Red-dedet unterzog sich einer vierzehntägigen Reinigung, dann sagte sie zu ihrer Dienerin: »Ist das Haus in guter Ordnung?« Die Dienerin[20] sagte ihr: »Es ist mit allen schönen Dingen ausgestattet, außer mit Krügen (mit Getreide, das man in solchen Krügen dann gären ließ, um daraus Bier zu bereiten), die hat man nicht gebracht.« Da sagte Red-dedet: »Warum hat man denn keine Krüge gebracht?« Da sagte die Dienerin: »Man könnte es (das Bier) sehr schön bereiten, wenn nicht (Râ-user unser Getreide den Musikantinnen geschenkt hätte und) das Getreide dieser Musikantinnen in dem Zimmer läge, das sie mit ihrem Siegel verschlossen haben.« Da sagte Red-dedet: »Gehe hinunter und hole von dem Getreide. Râ-user wird ihnen, wenn er zurückkommt, statt dessen anderes geben.«

Die Dienerin ging hin und öffnete das Zimmer. Da hörte sie in dem Zimmer Reden, Singen, Musizieren, Tanzen, Jubeln, alles das, was man zu tun pflegt, wenn ein König anwesend ist. Sie ging fort und berichtete alles, was sie gehört hatte, der Red-dedet. Diese ging in dem Zimmer umher, aber sie fand die Stelle nicht, in der der Lärm war. Da legte sie ihren Kopf an das Gefäß, in dem das Getreide war, und fand, daß der Lärm in diesem war. Sie legte das Gefäß in einen Kasten, drückte ein anderes Siegel darauf, band ihn mit Leder zu und stellte ihn in das Zimmer, in dem ihre eigenen Töpfe standen, und versiegelte dieses Zimmer. Als nun Râ-user vom Felde zurückkehrte, berichtete ihm Red-dedet diese Dinge. Sein Herz war über alle Maßen froh. Sie setzten sich beide hin und machten sich einen vergnügten Tag.

Als nun manche Tage seit diesen Ereignissen[21] vergangen waren, da geriet Red-dedet in einen Wortwechsel mit der Dienerin und ließ sie durchprügeln. Da sagte die Dienerin zu den Leuten, die in dem Hause waren: »Was, so behandelt sie mich, und sie hat doch drei Könige geboren. Ich werde hingehen und es der Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Cheops, der die richtigen Worte zu sprechen weiß, mitteilen.« Damit ging sie fort und fand ihren ältern Bruder, den ihre eigene Mutter geboren hatte, und der auf der Tenne abgeschnittenen Flachs zusammenband. Er sagte zu ihr. »Wohin gehst du, mein kleines Mädchen?« Sie wiederholte ihm die gleichen Worte (die sie eben im Hause drohend gesagt hatte). Ihr Bruder aber sagte zu ihr: »So etwas tust du und kommst damit an den Ort, an dem ich bin. Ich werde dir zeigen, was es heißt, so etwas anzuzeigen!« Er ergriff ein Bündel Flachs, um sie zu bestrafen, er versetzte ihr einen bösen Hieb. Die Dienerin ging fort, um sich Wasser zu holen (wohl um das Blut abzuwaschen, das bei dem Hiebe herausfloß), da ergriff sie ein Krokodil (und schleppte sie fort).

Ihr Bruder ging zu Red-dedet, um die Sache zu berichten. Er fand Red-dedet wie sie dasaß und den Kopf auf die Knie stützte, und ihr Herz war über alle Maßen traurig. Er sagte zu ihr: »O meine Herrin! Warum ist dein Herz so bewegt?« Sie sagte zu ihm: »Das ist die Schuld der Kleinen, welche in diesem Hause weilte. Sie ist fortgegangen und hat gesagt: Ich werde fortgehen und es anzeigen!« Da warf er sich nieder (aus Ehrfurcht vor der Mutter[22] künftiger Könige), legte sein Haupt auf den Erdboden und sagte: »O meine Herrin! Als das Mädchen kam, um mir die Sache zu erzählen und zu mir kam, da versetzte ich ihr einen bösen Sieb. Da ging sie fort, um sich etwas Wasser zu schöpfen, und da ergriff sie ein Krokodil!«


* * *


Hiermit bricht der uns erhaltene Teil der Erzählung ab. Im folgenden wird berichtet worden sein, wie die drei Gotteskinder von den verschiedensten Gefahren bedroht wurden. Mehrfach fanden sich Leute, die das Geheimnis ihres Daseins erfahren hatten und erklärten, es dem Könige verraten zu wollen, aber jedes mal trat im letzten Augenblicke ein Retter auf, der den Angeber unschädlich machte. Am gefährlichsten wurde die Sache, als der König Cheops selbst seine Reise nach Sachabu antrat, aber durch göttliche Hilfe ward auch dieses mal das Unheil von den Kindern abgewendet, es gelang dem Herrscher nicht, sie in seine Gewalt zu bringen. Nicht glücklicher wie er waren seine Nachfolger, Chephren und Mykerinos.

Die Kinder wuchsen heran, wurden stark und mächtig und bestiegen endlich nacheinander, als die ersten Könige der fünften ägyptischen Königsdynastie den Thron, der ihnen als leiblichen Kindern des Sonnengottes gebührte. Zur Erinnerung an ihre Herkunft nahmen sie als stehenden Titel die Bezeichnung »Sohn des Sonnengottes Râ« an; ihre Nachfolger folgten diesem Beispiele, und glaubten gleichfalls von dem Sonnengotte abzustammen. Ihrem Vater,[23] dem sie Leben und Thron verdankten, zeigten sie sich dankbar. Wir besitzen noch jetzt Erwähnungen und auch Ueberreste von Bauten, welche die drei ersten Könige der fünften Dynastie dem Sonnengotte geweiht haben. Was aus Deda, der dem Könige Cheops diese Ereignisse vorausgesagt hatte, wurde, wissen wir nicht. Vermutlich starb er im Hause des Prinzen Hor-dudu-f in Frieden und wurde auf königlichen Befehl in feierlicher Weise in Mitten der Königskinder beigesetzt, eine Gunst, die in einem andern Märchen dessen Helden Saneha von dem Pharao als besondere Auszeichnung in Aussicht gestellt wird.

1

Der Sinn dieser Trostesworte ist, daß nach Cheops noch sein Sohn und sein Enkel regieren und dann erst eines der drei Kinder folgen wird. Das ist historisch nicht ganz richtig. Auf den Sohn des Cheops Chephren und seinen Enkel Mykerinos folgten noch zwei Mitglieder seiner Familie ehe die drei Kinder des Sonnengottes den Thron bestiegen. Der Irrtum erklärt sich daraus, daß sich dem Volksbewußtsein nur Chephren und Mykerinos als Erbauer großer Pyramiden eingeprägt hatten, ihre beiden unbedeutenden Nachfolger waren bald vergessen worden.

2

Wie vielfach im Orient, so wurde auch in Aegypten den Kindern gern ein Name gegeben, der auf einem Wortspiele mit einer bei der Geburt gemachten Aeußerung beruht. So meint hier Isis, das Kind solle seine Kraft nicht mehr in der Mutter zur Geltung bringen und weist damit auf den Namen des künftigen Königs hin. Dieser lautete eigentlich User-ka-f »Stark ist seine Person«, wofür hier das ähnlich klingende User-re-f »Stark ist sein Mund« eingesetzt ist. Auch bei den andern beiden Kindern entsprechen die in unserem Märchen angeführten Namen nur annähernd den geschichtlichen Namensformen.

Quelle:
Wiedemann, Alfred: Altägyptische Sagen und Märchen. Leipzig: Deutsche Verlagsactiengesellschaft, 1906, S. 2-24.
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