Die Geliebte der drei Brüder.

[71] Ein Mann hatte drei Söhne, und der Alteste von ihnen hatte eine Geliebte. Die drei Söhne wollten nun ausziehen, sich Vermögen zu erwerben, und ihr Vater gab ihnen Geld, um Handel zu treiben; einem jeden gab er zweihundert Realen. Sie brachen auf zu ihrer Handelsreise und blieben drei Jahre.

Der Älteste von ihnen kaufte ein Fläschchen mit Wohlgerüchen, und als er fragte, wozu es diene, antwortete man ihm: »Wenn jemand stirbt und Du hältst es ihm hin, so wacht er wieder auf und wird lebendig.«

Der Mittlere kaufte einen Spiegel und bekam ihn. Die Zauberkraft dieses Spiegels bestand darin, dass, wenn jemand in denselben hineinschaute, er sofort erkennen konnte, was in seiner Heimat vorging; und war der Ort auch noch so fern gelegen, so konnte er doch alles erkennen. Das war die Eigenschaft dieses Spiegels.

Der Dritte kaufte eine runde Matte. Als er fragte, wozu sie diene, antwortete man ihm: »Wenn es nach Deiner Heimat zehn Tagereisen bis zu zehn Jahren weit wäre, so wirst Du hiermit in einem Tage, in zwei[71] Stunden ankommen.« Das war die Eigenschaft dieser Matte.

Sie verbrachten so viele Tage beisammen. Eines Tages sah nun der Mittlere in seinen Spiegel und bemerkte, dass die Geliebte seines älteren Bruders gestorben war, und er sprach zu ihm: »Mein Bruder, Deine Geliebte hat das Zeitliche gesegnet, heute haben sie sich zum Klagegeheul versammelt.« Sein Bruder antwortete ihm: »Brechen wir auf, um beim Begräbnis zugegen zusein.« Er erwiderte: »Gut, lasst uns gehen.«

Sie setzten sich auf die Matte, dieselbe erhob sich und sie waren im Nu dort angekommen. Als das Klagegeheul angestimmt wurde, sprach der ältere Bruder: »Lasst mich allein, damit ich von meiner Geliebten Abschied nehme.« Er ging hinein und hielt ihr das wohlriechende Öl an die Nase. Plötzlich erwachte sie wieder zum Leben. Die Leute wunderten sich sehr; es war jemand gestorben und kurz nachher zum Leben erwacht.

Sofort brach Streit zwischen den Brüdern aus. »Die Geliebte gehört mir,« sagte der Jüngere. Der Mittlere sprach: »Sie gehört mir.« Der eigentliche Eigentümer, der Ältere, sagte: »Mir gehört sie schon seit langer Zeit, ich habe sie selbst wieder durch mein Wundermittel zum Leben erweckt.« Der Mittlere erwiderte: »Heute gehört sie mir, wie wäret Ihr ohne mich überhaupt dazu gekommen, sie zu sehen und ihr die Wohlgerüche zu geben?« Der Andere sagte: »Wenn ich Euch nicht hierher gebracht hätte, wie hättet Ihr sie denn überhaupt bekommen?«

So stritten sie um jene Geliebte, bis sie ihr schliesslich sagten: »Wähle Du nun selbst, wen Du heiraten willst;« und sie liessen ab zu streiten. Aber was geschah nun? Sie setzte alle in Erstaunen, als sie sich[72] ihren Mann auswählte, nämlich keinen andern – als den Vater von jenen drei, den wollte sie heiraten, damit alle sie »Mama« nennen könnten; schliesslich willigten sie alle hierin ein. So endete diese Geschichte.

Quelle:
Velten, C[arl]: Märchen und Erzählungen der Suaheli. Stuttgart/Berlin: W. Spemann, 1898, S. 71-73.
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