Sehnsucht nach Vater und Mutter.

[145] Es war einmal ein alter Mann, der hatte zwei Kinder. Das eine hiess uchungu wa baba,1 das andere[145] uchungu wa mama;2 beide waren jung. Als sie herangewachsen waren, wurde die eine umworben und der, welcher sich um sie bewarb, wohnte auf dem Meere. An diesen wurde sie verheiratet.

Er lebte mit seiner Frau sechs Monate zusammen, dann wollte er sie mit sich nehmen. Da sprach ihr Vater: »Ich kann eine Frau aus guter Familie nicht zwingen zu bleiben; überall, wo Du hin willst, nimm sie mit.« Er erwiderte: »Gut, ich habe es verstanden.« Dann ging er zu seiner Frau ins Haus und sprach: »Was meinst Du, ich möchte in meine Heimat ziehen?« Sie erwiderte: »Warte, bis dieser Monat zu Ende ist, dann können wir wegziehen.« So blieben sie noch.

Als der Monat zu Ende ging, sagte ihr Mann zu ihr: »Wohlan, lass uns jetzt ziehen!« Die Frau antwortete ihm: »Dieser Wechsel, so wie ich ihn finde, bietet wenig. Wenn Du mich mitnimmst und mich dort in Deine Heimat bringst, weiss ich nicht, was Du mit mir anstellen wirst; denn jeder fühlt sich am wohlsten, wo er zuerst gewesen; daher verlangtest Du in Deine Heimat zu gehen und ich in der meinigen zu bleiben; es führt zu nichts Gutem zwischen Dir und mir. Ist es keine Dummheit, den Mund zu vernachlässigen und die Speise durch die Nase zu nehmen?«

Darauf erwiderte ihr Mann: »Warum sagst Du mir das? Seit ich Dich geheiratet habe – bis jetzt, hast Du mir viele Widerrede gegeben. Wenn ich etwas sage, fühlst Du Dich gekränkt; Du findest immer einen Ausweg, hier bei Euch zu bleiben, bitte lass uns jetzt ziehen. Frau und Mann haben immer Sorgen im Hause, besonders wenn der Mann keine Beschäftigung hat, dann wird ihm sein[146] Haus verderben, gehen wir also jetzt, halte mich nicht für einen Dummkopf; ich liebe Dich, meine Frau, auch wirst Du keinen besseren Mann wie mich bekommen!« Da sagte sie: »So gehen wir.«

Als sie in die Nähe des Strandes kamen, sprach er: »Steige ins Wasser!« »Wie soll ich da hineinsteigen, mein Mann? Das ist doch das Meer; da gehen nur Tiere des Meeres hinein, aber keine Menschenkinder, noch Tiere vom Festland begeben sich dahinein!« Ihr Mann erwiderte: »Stelle Dich hier an die seichte Stelle im Wasser auf.« Alsdann näherte er sich ihr vom Wasser her und verwandelte sich plötzlich in einen Haifisch, schwamm auf seine Frau zu und warf sie um. Als sie ins Wasser fiel, hatte sie keine Kraft mehr, auch hatte sie nichts in der Hand, um sich zu wehren.

Der Haifisch, ihr Mann, nahm sie auf den Rücken und brachte sie bis zu einem Steinhause. Hier ging er hinein und brachte auch seine Frau hinein. Dann sprach er zu seiner Frau: »Wie findest Du es jetzt, ist es hier gut oder schlecht?« Die Frau antwortete: »Es ist so, wie Du es selbst wolltest.« Sie liessen sich daselbst nieder. Das Haus aber stand ganz im Wasser des Meeres.

Eines Tages öffnete die Frau ein Fenster, schaute aus und sah eine schwere Wolke. Sie erstaunte sehr und sprach: »Was hat sich wohl bei uns zu Hause ereignet?« Dann rief sie ihren Mann, und sagte zu ihm: »Mein Mann, ich sehe eine schwere Wolke, ich möchte Dich um Erlaubnis bitten, nach Hause zu gehen.« Er gab seine Einwilligung und trug sie wie ein Kind bis zur Thüre und sagte ihr: »Oeffne die Thüre.« Als sie die Thüre öffnete, sah sie einen langen Weg im Meere. Er sprach zu ihr: »Folge[147] diesem Weg bis nach Eurem Hause zu Deinem Vater.« Sie that so, bis sie ankam. Bei ihrer Ankunft fand sie, dass ihre Mutter gestorben war. Sie begrub ihre Mutter und dankte Gott; dann blieb sie wohnen.

Als ihr Mann merkte, dass sie lange verweilte, kam er, um sie zu holen. Sie weigerte sich jedoch und sprach: »Ich gehe nicht wieder, ich will geschieden werden. Meine Mutter ist gestorben und ich habe sie nicht mehr gesehen, jetzt ist mein Vater alt, ich will bei ihm bleiben, ich will geschieden sein.« Ihr Mann sprach zu ihr: »Wo ist denn Dein Versprechen hingekommen? Wir haben einander das Versprechen gegeben, wo ist es denn heute hingeraten?« Sie sprach: »Ich will Dich nicht, mach' Dich fort, geh' Deiner Wege nach Hause, wir haben aufgehört Mann und Frau zu sein, glaube nicht, dass Du mich je wieder erlangen könntest, lebe wohl, ich gehe hinein und Du kannst lange warten.«

1

Sehnsucht des Vaters.

2

Sehnsucht der Mutter.

Quelle:
Velten, C[arl]: Märchen und Erzählungen der Suaheli. Stuttgart/Berlin: W. Spemann, 1898, S. 145-148.
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