11. Der Pelz.

[121] Eines Tages befahl Harun Arraschid in betreff des Abu Nowas: »Reicht ihm ein Geschenk, gebt ihm einen Pelz!« Man gab dem Abu Nowas einen Pelz, den zog er an und begab sich in froher und lustiger Stimmung hinaus auf die Strasse. Er kam an dem Hause eines Wesirs vorüber. Die Gemahlin des Wesirs sah zu ihm hinab vom Fenster aus und bemerkte bei ihm einen neuen Pelz. Diesen wollte sie gern selbst haben, drum sprach sie zu ihrer Dienerin: »Sage Abu Nowas, er solle zu mir heraufkommen!« Das Mädchen kam zu Abu Nowas und sprach zu ihm: »Meine Herrin befiehlt dir, heraufzukommen.« Abu Nowas begab sich hinauf zur Gemahlin des Wesirs und trat auf sie zu. Sie fragte: »Woher hast du diesen Pelz bekommen?« Er entgegnete: »Den hat mir der Sultan geschenkt.« Sie fragte weiter: »Willst du ihn mir schenken?« Abu Nowas erwiderte: »Ich schenke ihn dir nur unter der Bedingung, dass du mir verstattest, dich zu küssen!« Sie entgegnete: »Gott befohlen! Zieh den Pelz aus!« Er legte den Pelz ab und küsste sie. Als er sich satt geküsst hatte, begab er sich wieder nach der Strasse hinab.

Da dachte er nun bei sich: »Was werde ich jetzt zum Sultan sagen, wenn er mich fragt: ›Wo ist denn der Pelz, den ich dir geschenkt habe?‹« Als nun Abu Nowas die Treppe hinabging, wandte er sich an die Dienerin und bat sie: »Gebt mir einen Trank Wasser!« Man brachte ihm einen Trank. Als er getrunken hatte, zerbrach er absichtlich das Glas und begann zu weinen. So fand also der Wesir, als er die Treppe heraufkam, Abu Nowas vor, d.h. letzterer weinte auf der Treppe. Er fragte ihn: »Warum weinst du denn, Abu Nowas?« Dieser entgegnete: »Ich bat deine[121] Leute: ›Gebt mir einen Trunk Wasser!‹ – und wegen dieses Trunkes (und weil ich das Unglück hatte, das Glas zu zerbrechen) hat man mir meinen Pelz abgenommen.« Da rief der Wesir die Dienerin herbei und befahl: »Gebt ihm seinen Pelz wieder!« Das Mädchen versetzte: »Mein Herr, der Mensch ist geistesschwach!« Da sah Abu Nowas auf und sprach: »Ich habe zu ihm in meiner Geistesschwachheit gesprochen, du kannst ihm ja nun die Sache mit klarem Verstände erzählen!« Jetzt lachte das Mädchen und brachte ihm schleunigst seinen Pelz von ihrer Herrin.

Quelle:
Stumme, Hans: Tunisische Märchen und Gedichte. Leipzig: Hinrich: 1893, S. 121-122.
Lizenz:
Kategorien: