Hundertvierundsechzigste Geschichte

[168] geschah: Wie nun Rabbi Schmuel der Chossid allezeit dem Lernen nachging so kam er einmal an das Meer, so kam da ein Schiff zu fahren. Also fahrt er mit dem Schiff weg. Wie er nun so fahrt, so hört er auf dem Land ein jämmerlich Geschrei. Da bittet der Chossid den Schiffmann, er sollt doch zum Land fahren. Das tät der Schiffmann. Un wie er auf das Land kam, da ging er dem Geschrei nach, bis er derzu kam. Da sah er einen wilden Löwen laufen, der lauft vor einem andern Tier, das man nennt ein Pandel (Pardel) das luf dem Löwen nach, un der Löwe forchtet sich gar sehr vor dem Tier, denn es schießt allemal Feuer aus seinem Maul. Damit verbrennt es die anderen Tiere, wo es sie antrifft. Un der Löwe, der wußt sich nirgends sicher. Derhalben luf er un schrie gar jämmerlich. Un da nun der Chossid das dersah, da lauft er hin um den Löwen vor dem Pandel zu beschirmen. Sobald der Pandel den Chossid dersah, da lauft es weg. Da war der Löw beschirmt. Un da nun der Löwe sah, wie ihm der Chossid geholfen hat, da wollt der Löwe nit weichen von dem Chossid. Un er derzeigt sich gar freundlich zu ihm. Bis zum letzten kniet der Löwe nieder un ließ den Chossid auf sich reiten. So reitet der Chossid auf dem Löwen, bis er wieder zum Schiff kam. Denn der Schiffmann hätt auf den Chossid gewartet. Da ging er wieder in das Schiff un der Löwe der bleibt stehn auf dem Borten des Meeres, un sah dem Chossid also nach, so lang er das Schiff sehen konnt, gleich ob es ein Mensch wär gewesen, das einem ein Geleite nach tut, un einem nach sieht allsoweit er sehen kann. Da sieht man wol, daß von einem Bösen einem nichts zukommt, wenn er eppes Gutes getan hat.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 168.
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