Zweihundertzweiundzwanzigste Geschichte

[278] geschah an einem Chossid, der hat keine Kinder. Un der Chossid war gar alt. Also bat er zu Gott, daß er ihm ein Kind sollt bescheren, in seinem Alter, so wollt er ihm lassen Thauroh lernen. So derhört ihn Gott un gab ihm einen Sohn. So hieß er seinen Sohn Saul, das is teutsch Anheißung. Als nun sein Sohn groß war, ließ er ihn Thauroh lernen, un war ein großer Herr in der Thauroh. So begab sich, daß der alte Vater kam zu sterben. Da sprach die Mutter: »Mein Sohn, folg mir, nimm das Geld, das dir dein Vater hat gelassen, un kauf Sechaure (Ware) derfür, daß wir uns damit können dernähren.«[278] Also folgt er seiner Mutter un zieht weg mit seinem Geld. Da sah er, wie die Leut nit recht handeln un schwören falsch. Da zieht er wieder heim. Da frägt ihn seine Mutter: »Mein lieber Sohn, wo is deine Sechaure, die du gekauft hast?« Da sprach der Sohn: »Meine liebe Mutter, ich will keine Massematten (Geschäfte) treiben, denn sie schwören falsch un handeln nit recht un einer leugnet dem andern. Darum hab ich keine Lust um Massematten zu treiben, neiert ich will gehn un will Thauroh lernen, das is die beste Ware, die man treiben kann.« Da antwortete die Mutter wider: »Mein lieber Sohn, ich hab kein Kind mehr als dich. Derweil du ja willst Thauroh lernen, so will ich dir's nit verwehren.« Also zieht er wieder weg. Un wie er nun auf das Feld kam, so sah er dorten einen Mann ackern, un hat ein Sefer (Buch) auf dem Pflug liegen. Da ging der Junge zu ihm un sagt zu ihm: »Gott mit euch.« Da dankt er dem Jungen wieder un sagt: »Gott segne dich.« Un der alte Mann, der war Elijohu hanowi (Prophet Elias). Da sprach der Junge zu dem alten Mann: »Für wen ackert ihr da?« Da sprach der alte Mann wider: »Ich ackere un säe, un geb das Korn armen Leuten, un Talmidchachomim (Schriftgelehrten).« Da sprach der Junge: »Von der Meloche (Arbeit) bin ich auch.« Da frägt ihn der alte Mann: »Mein Sohn, wo willst du hin?« Da antwortet ihm der Junge: »Ich will ausziehn un will Thauroh lernen. Un dernach wollt ich gern ein fromm Weib nehmen. Denn ich hab eine Mutter, die is ga alt, so wollt ich gern, daß sie sollt derleben, daß ich ein Weib nehm.« Da sprach der alte Mann: »Es sind zwei fromme Bsulaus (Jungfrauen) in der Welt, eine heißt Channah un die andere heißt Sarah. Un die Sarah is für dich behalten worden un es is noch drei Tagreisen zu ihr.« So zieht der alte Mann mit dem Jungen in dieselbige Stadt, wo die Kalle (Braut) war. So sprach der alte Mann: »Sarah, ich hab dir einen Chosen (Bräutigam) mitgebracht.« Da sprach Sarah: »Soll ich einen Mann nehmen, den ich nit kenn?« Zuletzt redet der alte Mann so viel mit Sarah, daß sie zufrieden war. So macht der alte Mann, daß sie über ihr Guts einig wurden un legten in gutem Frieden das Knaß (Verlobungszeremonie). Un machten auch gleich die Broche (Trauungssegen), un waren gar fröhlich. So ließ sie der alte Mann beieinander. Un er zieht seiner Straße wieder weg. Über eine Zeit lang kam der alte Mann wieder, da sah er, wie sie miteinander schimpften un hatte darüber die Thauroh gelassen, daß er nix lernt. Da sagt Elijohu hanowi: »Derweil du die Thauroh lässest, derhalben wirst du sieben Jahr verkauft werden als ein Knecht.« Un er ging wieder seiner Straße hinweg. Der Chossen lauft ihm nach un trieb einen großen Jammer, desgleichen das junge Weib auch, aber er konnt ihn nit erreichen. Nun, er hielt sich gar übel. Das Weib sprach einmal zu ihrem Mann: »Warum hältst du dich so übel? Gefall ich[279] dir nit? Oder hältst du dich darum so übel, daß du wolltest gern einmal zu deiner Mutter un Freunden ziehn?« Da sagt er: »Ja, mein liebes Weib.« So machten sie zusammen alles was sie mit konnten nehmen un zug mit ihm in sein Land zu seinen Freunden. Un wie sie so miteinander ziehten, da sagt sie: »Wir wollen eine Weile ruhen, un wollen uns eine Weile nieder setzen un einen Bissen Brot essen. Denn wir sind müd un haben heut nit viel gegessen.« Un der Mann ging an die Bach un wollt die Hände waschen. Da kam Elijohu hanowi un führt ihn von seinem Weib weg, daß sie nit wußt, wo er war hinweg gekommen, un verkauft ihn als einen Knecht. Also saß die gute Frau betrübt, un wußt nit wo ihr Mann war hingekommen. Un weint un schreit un sah sich um, aber sie sah niemanden auf der Welt. Da gedacht sie sich, wo soll ich aus oder ein, ich bin in einem fremden Land, un weiß nit wo ich hin soll. Ich will mir ein klein Hüttchen bauen un will meine Zeit allhie vertreiben. Vielleicht wird sich der Heilige, gelobt sei er, über mich derbarmen un wird mir meinen lieben Mann lassen heimkommen. Un sie jammert nebbich gar sehr. Also bauet sie sich ein Häuschen daher. Un kauft viel Korn un bekam Knecht un Maid, Schafe un Rinder von allerlei Seligkeit. Nun, es begab sich, daß eine große Teuerung kam in alle Landen, daß die Leute vor Hunger nit konnten bleiben. So war man gewahr, wie eine Frau sollt bei dem Wasser sitzen, die sollt viel Korn zu verkaufen haben. So zugen viel Leute dorthin zu der Frauen. Un kauft ihr ab. Un der Hunger kam nach den fünf Jahren, daß ihr Mann is verkauft Worden. Da sprach derselbige Herr, da der Mann zu ihm verkauft war worden: »Wir wollen auch dahin ziehn un wollen auch Korn bei derselbigen Frau kaufen.« Aber der Mann wußt nit, daß das seine Frau war. Un auch wußt er nit, wie ihm geschehen war. So zugen sie miteinander dorthin zu der Frauen. Alsobald der Mann dorten hin kam, da derkennt sie ihn, aber er kennt sie nit. Da sprach sie wider ihren Mann: »Wo kommst du her, oder was is dein Begehr, oder wie heißt du?« Da antwortet er ihr wider: »Ich heiß Saul un hab ein Weib, die heißt Sarah. Aber ich bin von ihr gekommen, daß ich nit weiß, wo sie is, oder wie es ihr geht, denn wir saßen an einem Wasser, da sind wir voneinander gekommen, daß ich nit weiß, wo sie is. Un weiß auch nit ob sie noch bei Leben is oder nit.« Wie sie solche Wörter von ihm hört, da konnt sie sich nit länger aufhalten un hebt an zu schreien, un sprach zu ihm: »Lieber Mann, ich bin die Frau, die du hast am Wasser lassen sitzen. Un gelobt sei der Heilige, un sein heiliger Name, der niemand verläßt, un hat mich derhört un beschirmt vor allem Bösen un hat mir beschert, was mein Herz hat begehrt. Un hab mir ein Haus her lassen bauen. Un treib Handel drinnen mit unserem Mammon, un hab viel Mammon gewonnen.« Un sie fragt ihn: »Wie kommt es, daß du so urblitzling[280] von mir bist gekommen?« So antwortet er ihr wider un sagt, weil er hätt sieben Tage mit ihr die Thauroh versäumt, un hätt mit ihr geschimpft, darum muß er auch sieben Jahr dagegen dienen, wie ein anderer Knecht. Un nun ich hab schon fünf Jahr gedient un hab noch zwei Jahr zu dienen. Also scheiden sie voneinander. Nach den zwei Jahren bracht Elijohu hanowi ihren Mann wieder, un lebten mit Freuden. Un die Mutter kam auch her zu ziehn un lebten alle mit Freuden.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 278-281.
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