XII.
Jusuf.

[66] [Rand: Thabari.] Von allen Geschichten der Vorzeit ist die Geschichte Jusufs1 die schönste, die lehrreichste, die süßeste. Eine ganze Sura des Korans ist derselben gewidmet, und der Herr bereitet seinen Propheten darauf vor durch den Eingang: Wir wollen dir erzählen die schönste der Geschichten. Noch ein Kind, ward er von seiner alten Base schon so herzlich geliebt, daß sie sich von ihrem Bruder Jakob die Erlaubniß, den kleinen Jusuf bey sich im Hause zu erziehen, als die größte Gnade ausbat. Jakob willigte darein, aber bald fühlte er selbst die Abwesenheit seines innigst geliebten Kindes so sehr, daß er es zurückverlangte. Seine Schwester konnte weder das Begehren ihres Bruders verweigern, noch sich von[66] ihrem Schooskind trennen. Sie sann auf eine List, wie sie den geliebten Neffen länger behalten könne. Nach Abraham's Gesatz wird der Freye, der im Hause Etwas entwendet, zum Leibeignen. Sie umgürtete den kleinen Jusuf mit einem aprikosenfarbnen Gürtel, einem Erbstück Abrahams.

Jakob kam, sein Schooskind zurückzufodern, die Schwester empfieng ihn mit Geschrey über den verlornen Gürtel, den Jemand im Hause entwendet haben müsse; man suchte und fand denselben bei Jusuf, den die Hausfrau sogleich nach Abrahams Gesatz auf zwey Jahre als ihren Leibeignen erklärte. Was Jusuf itzt erfuhr, sollten später seine Brüder durch ihn erfahren. Mit gleicher List, wie er im Hause der Base zurückbehalten ward, sollte er einst Benjamin in Egypten zurückbehalten. Die Begebenheiten der Kindheit sind oft Vorboten der späteren Lebensgeschichte.

Die Base starb, Jusuf kehrte ins väterliche Haus zurück, wo ihn die Brüder um die Liebe des Vaters beneideten, und weil er im Schlafe Gesichte der Zukunft sah, als Träumer schalten. Sie wollten ihn tödten, auf Juda's Vorbitte erhielten sie ihn am Leben, und ließen ihn an einem Stricke in einen tiefen Brunnen hinunter, der an dem Wege nach Jerusalem liegt. Aus der Mitte des Wassers ragte ein Stein hervor, worauf sich Jusuf setzte, bitterlich weinend aus Hunger und Kälte, denn sie hatten ihm[67] das Hemde vom Leibe genommen. Begehr' es, sagten sie ihm, von der Sonne, dem Mond und den Sternen, die Dir im Traume gehuldiget haben. Das mit Schafblut besprützte Hemde brachten sie Jakob, der bitter weinte ob seines geliebtesten Sohnes Verlust; doch glaubte er die Fabel vom Wolfe nicht, weil das Hemde ganz und nicht zerrissen war.

Eine Carawane Araber zog am Brunnen vorbei auf ihrem Wege nach Aegypten. Malek, der Anführer derselben, mit seinem Sklaven Buschra, giengen hin um Wasser zu schöpfen. Jusuf klammerte sich an den Eimer. Verwundert über die Schwere schaute Malek in den tiefen Brunnen hinunter, und siehe, er war ganz erleuchtet von Jusufs Wangenglanz, den Stein und Wasser zurückspiegelten.

Heil uns! o Buschra, rief Malek, ein schöner Knabe! Jusuf erzählte ihnen seine Geschichte, und sie versprachen, ihn an Kindesstatt anzunehmen. Die Carawane war kaum einige Schritte fortgezogen, als sie von Jusufs Brüdern, die ihn nicht mehr im Brunnen gefunden hatten, eingeholt ward. Sie wurden bald eins mit Malek, dem sie ihren Bruder um zwanzig Pfennige verkauften.

In den Städten, wo die Carawane durchzog, ward Alles in Aufruhr gesetzt durch Jusufs Schönheit; Um solch Unheil zu vermeiden, setzte ihn Malek in eine Senfte mit siebenfachem Schleier verhüllt, aber[68] seiner Wangen Glanz drang hindurch. So wenig läßt sich wahre Schönheit durch Schleier verhüllen.

Als sie in Memphis angekommen waren, ward Jusuf ausgesetzt zum Verkaufe auf dem Sklavenmarkt; Frauen und Männer überboten weit ihr Vermögen, um den schönen Knaben zu besitzen.

Ein altes Weib, das mühsam ihr Bröd erbettelte, legte den einzigen Pfennig hin, den sie hatte, und schrie und lärmte, als sollte sie den schönen Knaben ersteigern; durch seine Schönheit verblendet, hatte sie den Werth eines Pfenniges in Vergleich mit hunderttausend Goldstücken, die geboten wurden, vergessen; sie legte demselben den Werth ihrer Begierde bei, der (das glaubte sie zu fühlen) in Vergleich mit jedem andern Anbot der höchste war. Sie bot, was sie vermochte. Säcke auf Säcke mit Goldstücken gefüllt wurden ausgeschüttet. Solch einen Kauf konnte nur der Wesir und Großschatzmeister Aegyptens erstehen, Futifar der Sohn Amri's. Die Wesire Aegyptens hießen mit einem allgemeinen Namen Afis, so wie die Könige, Faraone. Der damals herrschende Farao war Rijan, der Sohn Welids, aus dem Geschlechte der Amalekiten.

Futifar war ein Verschnittener, hatte aber ein Harem, wenn nicht des Vergnügens, doch des Staates halber. Seine erste Gemahlin war Suleicha, eine schöne, wollüstige Aegyptierin. Futifar übergab ihr den schönen Jüngling, daß sie seiner mit Sorgfalt[69] pflege. Jusuf war damals im siebzehnten Jahre seines Alters, in der höchsten Blüthe der Schönheit und Jugend. Sechs Jahre lang war er im Hause des Wesirs, die sieben folgenden im Kerker. Mit dreyßig Jahren erschien er am Hof und in seinem vierzigsten erst, im Alter des Verstandes und der Körperreife, ward ihm die Gabe des Prophetenthums verliehen.

Sechs Jahre lang hatte Suleicha alle Künste der feinsten Koketterie erschöpft, um Jusuf, der eben so blöde als schön war, ihre Begierden einzuflößen. Umsonst hatte sie alle Reize der Locken und Braunen, der Wangen und des Busens seinen Augen preis gegeben, die sich nie von der Erde erheben wollten. So mächtiger Liebesreiz, so lange Entbehrung könnte auch außer dem Harem eines Verschnittenen und im kälterem Land kluge Frauen zur Vergessenheit weiblicher Schaam und Würde bringen. Suleicha allein mit Jusuf im heimlichen Schlafgemach begehrte von ihm mit Mund und Hand, was sonst nur die Männer von Frauen begehren, und was diese nicht versagen, wenn sie lieben. Der Baum war schön, der Apfel reif, und stark die Lust; nie hätte Jusuf trotz des Prophetenblutes, das in seinen Adern wallte, her mächtigen Versuchung widerstanden, hätte er nicht im Augenblick, wo er unterliegen wollte, das Zeichen des Herrn geschaut. Ober dem Thronhimmel des Bettes sah er Jakob den Propheten seinen[70] Vater hereinwinken mit ernstem Gesichte und drohendem Finger; er hörte vernehmlich die Worte: »Jusuf, Jusuf, was beginnst Du? Noch schwebst Du in Lüften, ein leichtbeschwingter Vogel, um einst auf dem Baume des Prophetenthums aufzusitzen. Hüte Dich, daß Du nicht ohne Schweif und Schwingen zur Erde niederstürzest.«

Jusuf ergriff die Flucht, Suleicha lief hinter ihm her, ihn beim Hemde fest zu halten. Das Hemde zerriß: Jusuf zur Thüre hinaus, Suleicha ihm nach. Vor der Thüre stand Futifar der Wesir und der Oheim seiner Frau. Suleicha, um ihre Ehre zu retten, beschuldigte Jusuf eines Angriffs auf dieselbe. Jusuf vertheidigte sich mit der Wahrheit. Auf des Oheims Ausspruch sollte das Hemde von vorne oder von rückwärts zerrissen Jusuf's oder Suleicha's Schuld bestätigen. Da es von rückwärts zerrissen war, erkannte Futifar selbst seines Weibes Verläumdung, aber als ein billiger und weiser Wesir verzieh er des Weibes Schuld (woran er selbst nicht unschuldig) und rettete des Harems Ehre (das ist seine eigene) indem er Jusuf in den Kerker sandte.

Deß ungeachtet ward die Wahrheit der Geschichte ruchtbar in der Stadt, und alle Frauen von Memphis ereiferten sich gewaltig über Euleicha. Sie lud dieselben zum festlichen Mahl, und bat sich vom Wesir die Gnade aus, daß Jusuf aus dem Kerker geholt werden dürfe. Als das Mahl vollendet war,[71] wurden Orangen aufgesetzt, und alle Frauen waren begriffen, dieselben mit Messern zu schälen. In diesem Augenblicke trat Jusuf ein, den Sorbet auftragend. Aller Augen waren unverwandt auf ihn gerichtet. Seine Schönheit hatte sie Alle gleichsam der Sinne beraubt. Sie wußten nicht, was sie thaten, die Augen auf Jusuf geheftet schnitten sie mit den Messern statt in die Orangen sich in die Hände, und zerschnitten dieselben, ohne es nur einmal zu fühlen, so sehr waren sie im Anblicke der Schönheit versunken; euere blutenden Finger, ihr tugendhasten Frauen, rief die Hausfrau, sind Suleicha's Rechtfertigung.

Im Kerker befanden sich mit Jusuf, der Truchseß und Mundschenk Farao's; beide in den Verdacht verfallen, daß sie auf Anstiften eines griechischen Gesandten ihren Herrn vergiften wollten, der erste mit Recht, der zweyte mit Unrecht. Jusuf legte ihnen den bekannten Traum aus, und bat den Mundschenk, daß wenn er an des Königs Tafel stehn würde, er sich seiner erinnern wolle. Er baute die Hoffnung seiner Befreyung aus dem Kerker auf die Fürsprache des Mundschenken, statt auf Gott zu vertrauen. Er schmachtete sieben Jahre lang im Kerker, weil, wie der Koran sagt, Satan ihn des Herrn vergessen gemacht hatte.

Noch versprach er sich immer Erlösung durch Fürsprache des Mundschenken, als Gabriel erschien. »O Jusuf, wer hat Dich erschaffen? – Gott der[72] Herr. Wer hat dir solche Schönheit verliehn? – Gott der Herr. Dein Vater hat zwölf Söhne, wer hat ihm vor allen die große Liebe zu Dir eingeflößt? – Gott der Herr. Wer gab deinen Brüdern in den Sinn, daß sie Dich statt zu tödten in den Brunnen warfen? Gott der Herr. Wer rettete Dich aus dem Brunnen? Gott der Herr. So Vieles hat der Herr für Dich gethan, Jusuf, wie kannst Du auf ein Geschöpf vertrauen ob der Rettung aus dem Kerker!« Jusuf gieng in sich, weinte bittere Thränen der Reue, und vertraute fortan dem Herrn allein, der ihn aus dem Kerker, wie dann in der Folge sein Volk aus der Gefangenschaft rettete.

Farao träumte von sieben Aehren und sieben Kühen. Keiner seiner Traumausleger wußte das Gesicht zu deuten. Der Mundschenk erinnerte sich des Traumauslegers im Kerker, und er ward vor den König gebracht.

Farao redete ihn in sieben Sprachen an, und in [Rand: Ibn Kessir.] sieben Sprachen gab Jusuf Red' und Antwort. Er war gerade dreyßig Jahre alt, in der Blüthe männlicher Kraft und Erkenntniß. Auch die Diener des Königs deuteten Träume, und sprachen in vielerley Zungen; was aber Jusuf vor ihnen voraus hatte, war Klugheit und Willensstärke, das ist, Seherblick und Herrscherkraft, die unumgänglichen Erfordernisse des Prophetenthums.

»Durch sieben Jahre wird der Nil Aegyptens[73] Felder befruchten mit schwellender Fluth, und Ueberfluß und Fülle wird herrschen im ganzen Land. Durch sieben andere Jahre wird kein Regen die Wasserbehälter des Stromes füllen, und keine segnende Fluch die Felder decken. Dies ist die Deutung der sieben fetten und mageren Aehren, der sieben fetten und mageren Kühe.«

Farao ernannte Jusuf sogleich zum Aufseher der königlichen Vorratshäuser und aller Magazine, deren er eine große Anzahl erbaute. Noch heute weiset man in Altkairo die Stelle, wo Jusufs Kornhäuser gestanden haben sollen, auf deren Grund Jusuf der Sultan aus der Familie Ejub andere erbaute.

Bald hernach machte ihn Farao zum Schatzmeister des Reiches, und gab ihm Suleicha zur Frau, die ohnedies bisher im Harem des Wesirs eine ungebohrte Perle geblieben war.

Sieben Jahre hatten an ihrer Schönheit und an ihrer Liebe zu Jusuf nichts geändert, aber es reute sie des Vergangnen, und die Furcht in Jusufs Achtung verloren zu haben peinigte sie.

Was sie vom Liebling begehrt hatte, verweigerte sie dem Gemahl, wiewohl sie ihn nicht weniger liebte, wiewohl sie denselben harten Kampf bestand zwischen Schaam und Begier, wie vor sieben Jahren, nur daß damals diese, und itzt jene Sieger blieb. So ward aus der sinnlichsten Liebe die enthaltsamste.

Das Weib, das Jusuf nicht berühren wollte,[74] als sie eines Andern Gemahlin war, ließ sich von ihm nicht berühren, als sie die seinige geworden, und für die Verschmähung des verbotenen Genusses mußte er des erlaubten entbehren. Durch dieses dem gewöhnlichen Laufe der Dinge so widersprechende Verhältniß ward Jusufs und Suleicha's Roman im Morgenland zum Vorbild sinnlicher und enthaltsamer, seltner und sonderbarer Liebe!

Die Spötter weiblicher Tugend könnten freilich die Frage auswerfen, ob Suleicha, ungeachtet solcher und so seltner Enthaltsamkeit, in ihrem zweyten Ehestande, in ihrem ersten, und eh sie Jusuf kannte, keinem andern Manne sich schwach gezeigt und bloß gegeben habe; hierauf aber dienet zur Antwort, daß alle Propheten die sonderbare Gnade von Gott haben, reine und treue Weiber zu finden. Die Frau eines Propheten ist schon dadurch, weil sie eines Propheten Frau ist, weit über die leiseste Zumuthung solcher Art erhaben. Zwar bemerken die Spötter weiters, daß selbst Alexander der Eroberer und Moses der Gesetzgeber Hörner getragen, daß dieser damit abgebildet, jener sogar in der Geschichte Sulkarnein d.i. der Zweyhörnige genannt wird. Allein diese Hörner waren anderer Art; bey diesen Ausstrahlungen des göttlichen Lichtes, bey jenem Symbole der Kraft und der Stärke, weshalben auch noch in unsern Tagen der größte Gesetzgeber und Eroberer mit vollem Rechte und in allen Ehren der Zweyoder[75] Vielhörnige genannt werden könnte. Doch hievon zur Genüge. Wie Jusuf sich seinen Brüdern zu erkennen gab, und seinen Vater nach Aegypten rief, ist bekannt. Jakob hatte nie an seines Sohnes Leben verzweifelt, denn er hatte einst den Todesengel im Traume gesehen und ihn gefragt, ob er Jusuf's Seele in Empfang genommen, was dieser verneinte.

Auch führte ihm der Südwind von Zeit zu Zeit Gerüche von Jusufs Hemde zu, deren Duft des alten Patriarchen Hoffnungen belebte. Als Jakob nach Aegypten kam, war Jusuf vierzig Jahre alt, Wesir und Prophet, nach sieben Jahren starb Jakob, den Jusuf drey und zwanzig Jahre überlebte, so daß er in Allem siebzig Jahre alt ward. Seinen Brüdern und ihren Nachkommen hatte er das Land Goschen, heute Belbis genannt, eingeräumt.

1

Jusufs Name strahlt im ganzen Morgenlande als das Ideal von Körper und Seelenschönheit. Die Wirkungen der einen und der andern verketten sich durch sein ganzes Leben. Die Schönheit des Körpers ist nur dann vollkommen, wenn sie zugleich der Ausdruck einer schönen Seele ist; die Schönheit der Seele ist das moralisch Gute. Jusuf ist das Muster der Schönen und Guten, von Allen bewundert, von Allen geliebt.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 66-76.
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