IV.
Hud.

[35] Nicht so ungeheuer groß als Audsch, Anak's Sohn, [Rand: Ibn. Kessir.] aber doch von Riesenschlag, und noch mehr von Riesenstärke, war das Volk Aad, ein arabischer Stamm, der die südlichen Küsten Arabiens bewohnte. Dort, wo sich heute zwischen den beyden fruchtbaren Provinzen von Hasramut und Oman die Sandberge Alahkaf austhürmen, an der Seeküste Schahar, war das Thal Mogaiß, der Sitz dieses durch den Grimm des Herrn ausgerotteten Volkes, das unter starksäuligen Zelten wohnte. Daher des Korans Wort: Siehst du nicht, was der Herr gethan mit Aad, den Bewohner von Crem voll starker Säulen.

Der Stamm Aad betete zuerst nach der Sündfluth Idole an, deren drey Sada, Samud und Haa hießen. Um sie zu bekehren, und auf den wahren Weg seiner Verehrung zurückzuführen, sandte ihnen[35] [Rand: Thabari.] Gott den Propheten Hud. Aber sie hörten ihn nicht, auf ihre Stärke und ihre Baukunst pochend. Sie waren so stark, daß, wenn sie nicht auf Felsen giengen, und auf der Erde mit gewöhnlichem Schritte auftraten, sie jedesmal bis an die Kniee versanken, so wie der Wanderer noch heut in den Sand, der ihre Fluren deckt, versinkt bis an die Kniee. Sie bauten sich Wohnungen aus Felsen, die sie oft bis zur Vollendung statt des Gerüstes mit ihren Schultern stützten1. Was sich noch von alten Ruinen und Gebäuden überschwenglicher Größe und Stärke auf Erden findet, schreibt man insgemein dem Volke Aad zu, als Erbauer derselben. Hud predigte, und Aad baute; sie sagten: wer kann uns strafen, denn wer ist stärker als wir! Fünfzig Jahre hatte er fruchtlos gepredigt, da versagte der Herr dem Lande den Regen; drey Jahre lang war kein Tropfe vom Himmel gefallen, das ganze Land schmachtete in versengender Trockenheit. Indeß wollten sie doch nicht glauben den Worten Hud's, und sich zum wahren Glauben bekennen, sondern sie wählten drey Männer aus ihrem Mittel, die nach dem Orte des himmlischen Hauses zu Mekka wandern, und dort den Gott desselben um Regen anflehen sollten. Zwar stand das himmlische Haus nicht mehr auf[36] Erden (denn Engel hatten es in den Himmel zurückgetragen bey der Sündfluth), aber die Stelle desselben war schon damals eben so verehrt bey den Völkern Arabiens, als die seitdem darauf gebaute Kaaba. Die drey Abgeordneten hießen Lokman Morßed und Cail. Die beyden Ersten hatten sich insgeheim zu Hud's Lehre bekehrt, und als sie in der Gegend des himmlischen Hauses angekommen waren, entdeckten sie ihrem Gefährten ihren Glauben und die innigste Ueberzeugung, daß alle Opfer nichts nützten, wenn sie nicht im Namen des wahren und alleinigen Gottes dargebracht wären. Cail nahm es auf sich, allein das Opfer darzubringen. Er stieg auf den Berg Nima, hob die Hände empor, und betete so, wenn dies Beten heißen kann: Gott des himmlischen Hauses, ich flehe Dich nicht, daß Du meinem Volke wider seine Feinde helfest, denn es ist stark genug, dieselben allein zu bändigen. Alles, was ich von Dir begehre, ist ein Bischen Wasser. Da erschienen drey Wolken am Himmel, eine weiße, eine rothe, eine schwarze; und aus den Wolken tönte die Stimme: Wähle! – Cail dachte, die rothe Wolke ist nichts als Sonnenwiderschein, die weiße Hagel, die schwarze Regen. Er wählte also die letzte, und sogleich begann es zu tröpfeln. Voll Freude zog er nach Haus, und die Wolke hinter ihm her, denn Gott hatte seinen Gerichtsengeln befohlen, dieselbe zu regieren. Das Volk Aad freuete sich der[37] Ankunft der Wolke, als sie aber über dessen Scheitel hieng, siehe, da stürzte herab auf Volk und Land ein wüthender Orkan, der Menschen, und Thiere, und Häuser, und Felsen mit sich in die Luft führte, und hinaus ins Meer riß; das Volk Aad war ausgerottet; nur Lokman und Morßed, die dem Propheten geglaubet haben, blieben am Leben. Der Erste ward sieben Rhinocerosalter, das ist, dreytausend fünfhundert Jahre alt. Des Propheten Hud Grabmal erhebt sich noch heut am Eingange der Sandberge Ahkaf, mit denen der Orkan die fruchtbaren Fluren des Volkes Aad bedeckte. Dieser Stamm ist von einem zweyten ebenfalls verloschenen desselben Namens zu unterscheiden. Aus diesem war Schedad, der Sohn Ads, der Erbauer des irdischen Paradieses Erem. Ob im Koran unter Crem voll starker Samiten die Wohnungen des ersten oder zweyten Volkes gemeint seyen, hierüber sind die Meinungen der Ausleger getheilt. Schedad glaubte sich selbst einen Gott auf Erden, und baute sich ein irdisches Paradies, dessen Mauern aus Gold, die Palläste aus Diamanten und andern Edelsteinen bestanden. Schaaren der schönsten Jünglinge und Mädchen sollten die Stelle der Huris und der Paradiesesknaben vertreten. Alles nur Wollust einathmen und ausströmen. Der Bau war vollendet, die Sonne und die Mauern funkelten, die Gärten und die Mädchen[38] blühten. Schedad nahte, sich als irdischer Gott seines Paradieses zu freuen. Da rührte ihn und sein Volk die gewaltige Hand des Herrn an. Sie erstarrten auf ewig. Wirbelwinde bedockten die Gegend weit umher mit wogendem Sand. In der Mitte unzugänglicher Wüsten stehet noch der herrliche Bau von Jrem, nur durch die Ueberlieferung einzelner Reisenden bekannt, die von Jahrtausenden zu Jahrtausenden so glücklich waren, den Weg hin und wieder zurückzufinden, und Juwelen ungesehener Größe mit sich brachten.

1

Die Caryatiden des Morgenlandes.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 35-39.
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