V.
Saleh.

[39] Themud, einer der ältesten arabischen, so wie Aad verloschenen Stämme, bewohnte ein Felsenthal im nordwestlichen Arabien, und hatte sich seine Wohnungen in Stein gehauen. Noch heut bestaunen die Carawanen auf ihrem Wege von Syrien nach Mekka dieses außerordentliche Thal mit seinen Grotten und Felsenwohnungen, und gehen beschleunigten Schrittes und mit großem Geschrey durch, nach dem Beyspiel des Propheten, um das fürchterliche Geschrey des dorthin verbannten Kameels Saleh's nicht zu vernehmen. Diese Felsenstadt heißt Hadscher die steinerne, bey den alten Geographen Petra, wovon das ganze umliegende Land den Namen des steinigten Arabiens erhalten.[39]

Das Volk Themud, von dem der Koran sagt, sie gruben ihre Wohnungen in die Felsen, betete Idole an; Um es zu bekehren, sandte ihnen der Herr den Propheten Saleh, ihren Bruder, wie der Koran sagt, das heißt, einen aus ihrer Mitte.

Lange predigte er ihnen, aber sie verlachten ihn nur, und foderten von ihm Zeichen, als Beweise seiner Sendung. Und was für ein Zeichen begehrt ihr denn? – Begehre vom Herrn, daß der Fels sich spalte, und ein Kameel herausgehe mit rothem Schweif, und seinem Jungen, daß beyde grasen, und trinken, und dann wollen wir deinen Worten Glauben beymessen, o Saleh.

Das ist dem Herrn nur ein Spiel, erwiederte Saleh, aber ihr Ungläubigen werdet auch dann nicht glauben wollen, werdet das Kameel tödten, und den Grimm des Herrn auf Euch laden. – Nein! nein! wir tödten es nicht!

Saleh wandte sein Gesicht zu dem Herrn und flehte; da kreiseten die Felsen, als ob sie in Geburtsnöthen wären, der Berg spaltete sich, und ein Kameel mit rothem Schweife gieng heraus, mit seinem Jungen. Beyde weideten, wie die anderen Kameele, und gieugen dann zur Tränke zum einzigen Brunnen des ganzen Stammes Themud.

Da tranken die beyden Kameele so viel, daß mehrere Männer waserlos blieben, die dann darüber groß Geschrey erhoben. Ihr habt es ja selbst begehrt, da[40] Felsenkameel mit seinem Jungen, sprach Saleh, hütet Euch nun, demselben etwas zu Leide zu thun, wenn ihr nicht in die Strafe des Herrn verfallen wollet; theilet mit dem Kameele das Wasser, so daß einen Tag Ihr, und den andern das Kameel mit seinem Jungen trinke. So wird das Wasser genügen. Hütet Euch, Hand anzulegen an dasselbe, sonst wird Euch der Herr vertilgen in seinem Zorn.

Das Volk, erschreckt durch des Propheten Drohung, theilte sich mit dem Felsenkameel in das Wasser des Brunnen, so daß einen Tag das Volk, den andern die beyden Kameele tranken. Dies hielten sie durch dreyßig Jahre, während deren Saleh ihnen unaufhörlich prophezeihte, sie würden dennoch zuletzt das Kameel tödten, und auf sich laden den Grimm des Herrn. Vielleicht hätten sie's längst gethan ohne diese Prophezeihung. Sie enthielten sich der Frevelthat nicht aus Furcht des Herrn, sondern um seinen Gesandten Lügen zu strafen. Ein hartnäckiges Volk, wie der Felsen, in den es sich eingegraben. Des Propheten Wort schien auf dessen Starrsinn berechnet.

Du bist ein Lügner, sagten sie zu Saleh. Dreyßig Jahre sind verflossen, während deren wir das Wasser den Lippen absparten, um deine Kameele zu tränken. Du siehst sie weiden wohlgemuth, ungeachtet deiner Prophezeihung, daß wir sie tödten, und ins Zorngericht des Herrn fallen würden.[41]

O ihr Felsenherzen und Steinköpfe! Der Mörder des Kameels wird dieses Jahr geboren werden. – An was sollen wir ihn erkennen? – An rothen Haaren und Katzenaugen. Laßt uns den Seher Lügen strafen, sprachen sie unter einander, und jedes neugeborne Kind, das diese Zeichen trägt, aus dem Wege räumen.

Neun Weiber waren dieses Jahr mit so gezeichneten Kindern niedergekommen, und die neun unschuldigen Kinder wurden gemordet, den Seher Lügen zu strafen. Nun ward auch das zehnte geboren mit rothen Haaren und Katzenaugen, aber die Väter der neun Gemordeten, die ihren Verlust deweinten, stimmten dafür, daß man es leben lasse. Denn, seht ihr nicht, sagten sie, daß Saleh seine Prophezeihungen auf unsern Eigensinn baut, wie wir unsere Häuser auf Felsen, und daß er uns nun auch unserer Kinder berauben möchte, wie seit dreißig Jahren des Wassers. So ließen sie das Kind am Leben, und schworen den Untergang des Sehers.

Als der Knabe zwölf Jahre alt geworden, und die Väter der neun Gemordeten denselben in voller Jugendblüthe erblickten, schwoll ihnen das Herz neuerdings von Rache. Sie stellten sich in nächtlichen Hinterhalt, den Propheten zu tödten, aber der Fels stürzte über ihnen zusammen, und begrub sie. Das Volk, entrüstet über den Verlust ihrer Brüder, ergrimmte gewaltig wider den Propheten; Hinweg, schrien sie[42] von nun an, mit Saleh und seinem Kameele, wir bedürfen weder des einen noch des andern. Der Aufruhr gohr, und als das Kameel zum Brunnen gieng, erschlug dasselbe der zwölfjährige bösgeartete Knabe mit rothen Haaren und Katzenaugen.

Das Junge entfloh in die Felsen. Hab' ichs Euch nicht vorausgesagt, sprach Saleh, ihr würdet das Kameel tödten, und Euch des Gerichts des Herrn schuldig machen, geht und bringt wenigstens das Junge zurück. Sie folgten den Fußtapfen desselben zwischen die Felsen, aber sie fanden es nicht; sie hörten dreymal das Geschrey desselben, aber sie sahen es nicht.

In drey Tagen, verkündete Saleh, ergeht über Euch das Gericht des Herrn. Da erhob sich von der Wüste der brennende Odem Samum's, und fuhr über die Felsen, die unter seinem Hauche erglühten. Mit gelben Gesichtern flüchteten sich die Bewohner der Steinstadt in ihre Felsenwohnungen.

Keine Kühlung, keine Erfrischung gewährte die Nacht. Am andern Morgen war keine Sonne sichtbar, und doch brannte weitherum der Gesichtskreis, ein flammender Kessel, hochaufqualmend von siedendem Dunst und Sand. Das Wasser sott in dem Brunnen, das Blut in den Adern, die Felsen waren bis ins Innerste durchglüht, und die Bewohner derselben brannten mit rothen Gesichtern. Am dritten Morgen war der Himmel verfinstert, voll Asche und Rauch, wie eine ausgebrannte Kohle, Heißer, und[43] mit jedem Hauch heißer, stieß die Hölle ihren Odem aus; es gohr und glomm, und sott und schmolz, wie im tiefsten Abgrund, Gluthen ohne Glanz und Flammen ohne Schein.

Ein fürchterliches Getümmel, Donnerhall und Felsengekrach, untermischt mit Sturmgeheul, worein das Geschrey des unsichtbaren Kameels tönte, erscholl von allen Seiten, und die Leiber des Volks Themud schrumpften in schwarze Mumien zusammen.

Dies wird gemeint durch die Stelle des Korans: Sie thaten Frevel, und es erscholl der Schall, und der Morgen fand sie erstarrt in ihren Wohnungen.

Saleh, und nur die an ihn glaubten, wurden gerettet; so der Koran: Und nachdem unser Gericht vollzogen war, retteten wir Saleh, und die da glaubten.

[Rand: Ibn Kessir.] Als Mohammed auf seinem Zuge gegen Tebub in dieses Thal gelangte, und die Kameele am Brunnen gewässert waren, wollten mehrere seiner Gefährten die Felsengrotten besuchen, um die Reste des Volks Themud zu besehen. Der Prophet verbot es aber, die Wohnungen eines Volkes, das den Zorn des Herrn auf sich geladen hatte, zu besuchen, und zog mit beschleunigtem Schritte der Kameele durchs Thal. Seitdem befolgen alle Karawanen das Beyspiel des Propheten, und ziehen, ohne sich aufzuhalten, mit beschleunigtem Schritte und mit lautem Geschrey,[44] um des verirrten Kameels Geschrey nicht zu hören, vorbey1.

1

So lange das Beyspiel des Propheten bey den Karawanen befolgt wird, dürfte die nähere Kenntniß dieser von europäischen Reisenden ungesehenen Grotten und Felsenwohnungen und der vermutlich dort noch befindlichen Mumien, wohl bis zur Unmöglichkeit erschweret bleiben.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 39-45.
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