LXXX.

[148] [Rand: Alaim.] Eines Abends ward dem Chalifen Harun Raschid die Zeit ungewöhnlich lang. Er schien sich selbst abgestumpft für alle Empfindungen, beraubt des Gefühls für Lust und Schmerz. Er ließ den Vorsteher des Harems, seinen vertrauten Mesrur, kommen und sagte ihm: Erfinde mir doch etwas, mich der Langenweile zu entreissen, die mich peinigt. – Wie kann dein Herz fühllos geworden seyn, Fürst der Rechtgläubigen! Gott der Herr hat doch so viele Dinge erschaffen im Himmel und auf Erden, und es hängt nur von dir ab, sie deinem Vergnügen dienstbar zu machen. – Was meinst du hiermit? Weise mir etwas, das mein erstorbenes Gefühl wieder beleben kann. – Erhebe dich, Fürst der Rechtgläubigen, und laß uns des Pallastes Terrasse besteigen. Von dort wollen wir hinausschauen in die lichtdurchpflügten Felder des Himmels, und auf die Heerden der Sterne. – Mesrur, das freut mich nicht. – Nun, so öffne, Fürst der Rechtgläubigen, das Balkonfenster deines Pallastes, das in den Garten hinabsieht. Horche den[148] Zaubergesang der Nachtigallen, athme den Duft der Blumen, höre wie das Schöpfrad (Naura1) in's Gezirpe der Grillen schwirret. – Nichts von alle dem freut mich, Mesrur. – Oeffne dann, Fürst der Rechtgläubigen, die Fenster des Pallastes, die auf den Tiger hinausgehen. Erfreue dich im Anschaun des Waldes von Masten und Wimpeln, am Gewimmel der Nachen, am treibenden Gedränge des Handels und Wandels. – Mein Herz hat keinen Sinn dafür, Mesrur. – Laß denn die Pferde deines Hofstalles vorführen: deine arabischen Stuten, deine persischen Hengste, deine Rappen, schwarz wie die Nacht, mit glänzendem Stirnhaar und drey weissen Füßen, deine Schimmel, weiß und gezeichnet wie der Morgen, voll flockiger Lichtwolken; deine Falben, golden wie die Sonne, deine Füchse, brennend wie die Gluth. – Alles dies hat seinen Reitz für mich verloren, Mesrur. – Fürst der Rechtgläubigen, du hast dreyhundert Sklavinnen in deinem Harem, von jeglicher Farbe, jeglicher Bildung, jeglicher Kunst. Weiße und schwarze, große und kleine, volleibigte und schmächtige, spröde und wollüstige, neue und ausgelernte. Lauten- und Harfenspielerinnen, Pauken- und Halbtrommelschlägerinnen,[149] Sängerinnen und Tänzerinnen. Laß sie insgesammt kommen, daß sie dir die Zeit vertreiben. – Sie würden mich nur noch mehr langeweilen, Mesrur. – Nun wahrhaftig, Fürst der Rechtgläubigen! so weiß ich nichts mehr in Vorschlag zu bringen, als daß du diesem deinem Sklaven den Kopf vor die Füße legen lassest, wenn dich das etwa freuen kann. Er hat es auch verdient, weil er gar nichts zu erfinden im Stande ist, das deiner Majestät die Zeit kürzen könnte.

Du weißt Mesrur, was der Prophet gesagt: Mein Volk erfreuet sich dreyer Dinge. Es freut sich zu sehen, was es nie gesehn, zu hören, was es nie gehört, zu wohnen, wo es nie gewohnt hat. Wenn du nun in Bagdad Etwas kennst, das ich noch nicht gesehn oder gehört, einen Ort, den ich noch nicht besucht habe, so laß mich damit Bekanntschaft machen. – Mit deiner Erlaubniß, Fürst der Rechtgläubigen, will ich in den Vorsaal hinausgehn und sehen, ob kein Fremder da ist, der Etwas zu erzählen wisse, das du noch nie gehört. – Thue so, das ist ein gescheidter Einfall, Mesrur. – Der Vorsteher des Harems gieng hinaus und kam bald darauf zurück mit Dschemil, dem Dichter.

Dschemil küßte die Erde vor den Füßen des Chalifen und sprach: Heil dir, Fürst der Rechtgläubigen, Schützer des Glaubens, Neffe des Herrn, und Fürsten der Propheten, (Gott wolle ihm den ewigen[150] Frieden gewähren, dir das Paradies zum Aufenthalts verleihn, und deine Feinde in den Abgrund der Hölle stürzen)! Der Chalife gab ihm den Gruß zurück, befahl ihm, sich niederzusetzen, und eine schöne, neue, und rührende Geschichte zu erzählen. – Soll ich erzählen, fragte der Dichter, was ich durch Sagen gehört und vernommen, oder was ich in eigener Person gesehen und bezeuget? – Besser ist, antwortete der Chalife, was vom Auge gesehn, als was vom Ohre gehört wird.

Harun setzte sich auf sein Sopha von rothem goldgestickten Damaste, legte die Füße auf einen Polster, stützte die Arme auf zwey andere, und sagte, beginne nun mit der Erzählung. – Ehe ich beginne, Fürst der Rechtgläubigen! schenke mir drey Dinge zum voraus. – Was denn? – Dein Ohr, deinen Geist, dein Herz. – Ich schenke sie dir, sprach Harun, und Dschemil, nachdem er sich dreymal den Bart gestrichen hatte, denn husten und räuspern durfte er nicht in Gegenwart des Chalifen, begann folgendermaßen:

Ich zog einst durch die Wüste, um ein mir liebes Mädchen aufzusuchen. Die ersten Tage wanderte ich durch bebaute Gegenden, und labte meine Seele am Rauschen der Bäche, am Gesange der Vögel, am Glanze der Wiesen, am Schatten der Felder. Hierauf verwandelte sich die Scene. Sandhügel und Dornenbüsche, Löwengebrüll und Schakalengeheul.[151] Die Nacht sank tief herein, da erblickte ich von ferne ein Feuer, und trieb mein Kameel darauf zu. Als ich näher kam, sah ich ein Zelt aufgeschlagen, eine Lanze in die Erde gesteckt, eine Fahne wehen, Pferde angebunden, Kameele weidend. Ich schloß sogleich, dies sey der Sitz eines vornehmen Beduinen, wiewohl ich noch keine Seele sah. Endlich trat ich in die Hürde, und rief: Seyd gegrüßt, ihr Hürdenbewohner, Gottes Segen über Euch! Da kam ein Jüngling von neunzehn Jahren, und vollendeter Schönheit der Jugend heraus, und grüßte mich. Heil und Gottes Segen dir Bruder Araber, ich glaube, du hast den Weg verfehlet. Ich antwortete: So ist's, führe mich zurechte. In unserer Gegend, erwiederte er, giebt es viele wilde Thiere; die Nacht ist schwarz und wild. Du laufst Gefahr, von Löwen und Hyänen zerrissen zu werden. Du thust besser, diese Nacht hier zu bleiben, und morgen will ich dich auf den rechten Weg leiten. Ich zog meine Kleider aus, und setzte mich nieder. Der Jüngling schlachtete ein Lamm, briet es, richtete es mit Salz und Gewürze zu, und bewirthete mich mit einem köstlichen Nachtmahl. Von Zeit zu Zeit trat eine Thräne in sein Auge, oder er holte einen tiefen Seufzer, blieb lange in tiefes Stillschweigen versenkt, oder brach auf einmal in Verse aus, wie diese:


Schwach sind die Züge meines Odems,

Der Glanz des Auges ist verloschen,[152]

Und jeden Muskel, jede Nerve

Zerfoltert bittrer Gram und Kummer.

Die Thräne fließt; die Eingeweide

Zerschmelzen in des Feuers Gluthen.

Selbst meinen Feind bewegt mein Leiden:

Er schenkt mir Mitleid und Erbarmen.


Ich begriff sogleich, daß ihn nur die Liebe in diesen Zustand versetzt haben konnte. Doch wagte ich es nicht, ihn zu fragen, was unschicklich ist für einen Fremden, der eben angekommen, und so gastfreundlich aufgenommen worden war. Nach dem Mahle kam er mit einem goldenen Becken, und mit einer goldenen Kanne, aus der er das Wasser aufgoß, die Hände zu waschen, und mit einem seidenen Tuche dieselben abzutrocknen.

Ich wunderte mich, daß ich solche Pracht in der Wüste fand. Nachdem wir eine Zeitlang geplaudert hatten, hieß er mich ins Zelt kommen, und wieß mir mein Lager auf grünsamtnen Tapeten an. Ein Vorhang von rother Seide trennte mich von ihm. Ich dachte noch vieles hin und her, als ich ein leises Lispeln vernahm, so süß und hold, als ich es nie in meinem Leben gehört. Ich lüftete ein wenig den Vorhang, der die Scheidewand formte, und sah ein überaus schönes Mädchen, das mit dem Jüngling klagte und weinte, und vieles koste über Liebe und Haß, Genuß und Trennung, Sehnsucht und Lust. So wahr Gott lebt! sprach ich bey mir selbst, das ist wundervoll! diese Schönheit ist gewiß nichts[153] anders als eine Fee, die den Jüngling in diesem wüsten Orte einsam für sich zurück behielt. Doch als ich besser spähte und horchte, sah ich, daß es ein arabisches Mädchen war, deren Gesicht die Sonne gebräunet hatte. Als ich länger ihren Liebkosungen zusah, ward ich böse auf mein einsames Lager, ließ den Vorhang wieder nieder, umwickelte mir die Augen mit her Kopfbinde, und schlief bis an den Morgen. Nach vollbrachtem Morgengebet bat ich den Jüngling, mir den Weg zu zeigen. Er aber antwortete: Bruder Araber, drey Tage lang dauert die Gastfreundschaft, und ich lasse dich nicht eher fort. So blieb ich denn drey Tage, und am vierten erkundigte ich mich um den Namen des Stammes. Ich bin, antwortete er, aus dem Stamme der Söhne Asara's, und heiße so und so. – Sieh da! es war mein leiblicher Vetter, aus einer der ersten und vornehmsten Familien der Söhne Asara's. Mein Vetter! rief ich, indem ich ihn umarmte, was hat dich denn zu diesem einsamen Leben bewogen? – Bey diesen Worten wurden seine Augen feucht, und er sprach: Ich liebte von Kindheit auf meine einige Base. Meine Liebe gränzte an Wahnsinn. Ich begehrte sie von ihrem Vater zur Ehe; er verweigerte sie mir, und gab sie einem Andern aus dem Stamme Asara. Ihr Gemahl zog mit ihr auf jene Anhöhe, die du siehst, und ich floh seitdem aus der Gesellschaft meiner Familie. Des Tages hindurch hängt mein Auge[154] an der Spitze des Hügels, der ihre Zelten trägt, und in der Nacht, wenn der Schlaf auf den Augen der Menschen liegt, besucht sie mich und klagt und weint über das Loos unserer Trennung. Vetter, sprach ich, gerührt durch diese Erzählung, ich gebe dir einen Rath, wenn du ihn befolgen willst. Wenn in der Nacht die Geliebte kommt, setze sie aufs schnelltrabendste Kameel, ich und du nehmen Pferde, und eh' es noch Morgen wird, sind wir über Berg und Thal, und Haide und Feld. Gottes Erde ist weit, und ich stehe dir zu Dienst mit meinem Schwert und Muth. – Ich will darüber, antwortete er, mit meiner Geliebten sprechen; sie ist vorsichtig und bedachtsam. Die Stunde der Nacht kam, und das Mädchen erschien nicht. Der Jüngling trat vors Zelt hinaus, und hauchte in langen Zügen den Wind ein, der von der Wohnung seiner Geliebten her blies. Endlich kehrte er ins Zelt zurück, saß lange stillschweigend, weinte, und sagte: Diese Nacht, mein Vetter, kommt meine Geliebte nicht mehr. Bleibe nun an meiner Stelle, bis ich dir Kunde bringe. Dann nahm er sein Schwert, und gieng davon. Nach einiger Zeit kam er zurück, Etwas, das ich nicht gleich erkennen konnte, in der Hand haltend. Er schrie wahnsinnig. Ich eilte auf ihn zu. Siehst du das, sprach er, Vetter? Meine Geliebte kam, wie gewöhnlich, aber sie ward auf ihrem Wege von einem Löwen zerrissen. Dies sind die Reste ihrer Hirnschale[155] und ihrer Locken. Wahnsinnig schrie er fort, küßte bald den blutigen Schädel, und bald die Locken, und gieng wieder hinaus mit der Bitte, ich möchte bleiben. Nach einer Weile kam er mit dem Kopfe des Löwen in der Hand, warf denselben zur Erde, begehrte Wasser, wusch den Löwenrachen, und küßte denselben, weinte, heulte, und überließ sich der Wuth des Schmerzes. Dann sprach er: Vetter! ich beschwöre dich bey Gott, und bey unserer Verwandtschaft, erfülle meinen letzten Willen. In einer Stunde bin ich ein kalter Leichnam. Dann wasche mich, wickle mich ins Leichentuch, begrabe mich mit dem Reste dieses Gebeins, und der Theueren Locken, und schreibe darauf:


Die Erde gab uns vormals Nahrung,

Sie war uns Vaterland, Gesellschaftsort.

Da trennte uns des Schicksals Tücke,

Nun hat der Staub uns abermal vereint.


Er schluchzte heftig, gieng hinaus, setzte sich mit dem Gesichte gegen den Hügel, wo das Zelt seiner Geliebten, schrie laut auf, und verschied. Ich that, wie er verlangt hatte, wusch ihn, begrub ihn, und errichtete ihm und seiner Geliebten ein Grab, das ich seitdem alle Jahre einmal besuche, nicht ohne tiefe Rührung.[156]


Die Geschichte der Barmekiden.

Auf immer wirb der Name der Barmekiden in der Geschichte blühen, durch die unbegränzte Macht, deren diese Familie unter der Regierung Harun Raschids genossen, und durch die seltenen Züge von Großmuth und Freygebigkeit, so im ganzen Orient zum Sprüchworte geworden.

Nichts hielt mit ihrer Freygebigkeit gleichen Schritt, als ihr Reichthum, und die Pracht, so ihnen durch die höchsten Würden des Reiches zuwuchs, so zuerst die Eifersucht des Chalifen erregte, und die erste Veranlassung ihres Falles ward. Verschiedene Geschichtschreiber haben uns hierüber Erzählungen geliefert, die wir als zerstreute Perlen hier aneinander reihen wollen2.

1

Diese Wasserräder, welche von Pferden oder Ochsen getrieben werden, um die Felder zu bewässern, sind im ganzen Oriente, besonders in Egypten, anzutreffen, und haben sich auch in Spanien erhalten. Der einförmige, schnarrende Ton derselben ladet sehr zur Melancholie ein.

2

Die Anekdote von dem Ursprunge des Beynamens Barmek, Giftsauger, (weil der Ahnherr dieser Familie beständig für unvorgesehene Fälle Gift im Ringe getragen) wird hier als zur Genüge aus Herbelot und Andern bekannt, mit Bedacht übergangen.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 148-157.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon