XC.

[193] Einer der gewöhnlichen Gesellschafter und Vertrauter [Rand: Alaim.] Haruns erzählet: An einem umwölkten regnerischen Morgen gab uns Raschid die Erlaubniß fort zu gehen, und drey Tage zu Hause zu bleiben. Die anderen Gesellschafter gingen Jeder ihren Weg, und ich verfügte mich nach der Wohnung meines Meisters, Ibrahim von Mosul. Was macht dein Herr? fragte ich den Thürhüter. Geh' nur hinein, sprach er, wenn du es wissen willst. Ich gieng hinein, und fand ihn im Vorsaale sitzend, mit einer Flasche Wein und einer Kanne Wasser vor ihm.

Meister, sprach ich, laß den Vorhang des Harems kein Hinderniß seyn, der uns den Genuß der schönen Stimmen deiner Sängerinnen entziehe. – Nun, so setze dich, sprach Ibrahim, du findest mich ganz verstört. Ich erwachte, wie du siehst, des Morgentrunks zu genießen, als ich vernahm, eine fremde[193] Sängerin sey gekommen, die meinigen zu besuchen. Ich gab mir alle mögliche Mühe, sie zu besitzen, aber fruchtlos. Umsonst habe ich ihr bis jetzt hundert tausend Dirhem geboten. – Ey, so gieb was du geboten, und bieth noch mehr; du bringst es ja bald wieder von einer andern Seite ein. – Da hast du Recht, sprach er, mich verdrießt es aber der Mühe, diese Summe jetzt von allen Seiten aufbringen zu wollen, ich möchte mir dieselbe auf eine leichtere Art verdienen. Geh', nimm die Feder, und schreibe, was ich dir ansage:


Kummer und Gram vertreiben den süßen Schlaf von den Augen,

Jahja's Großmuth allein senket denselben in's Aug.


Mit diesem Verse verfüge dich zu Jahja, dem Barmekiden, erzähle, was du gesehen, und begehre, daß er den Vorhang des Harems lüften lasse, damit du den Gesang dieser Worte seiner Sklavin Demanir lehren könnest, die dessen allein würdig ist.

Ich that, wie er mir befohlen, und sang die Worte der genannten Sklavin einigemal vor, bis sie dieselben auswendig wußte. Jahja befahl sogleich, für mich zehen, und für Ibrahim hundert tausend Dirhem auszuzahlen. Da es schon spät war, gieng ich nicht mehr zum Meister, sondern nach meiner Wohnung, wo ich mich mit meinen eigenen Sklavinnen lustig machte. Am Morgen aber trug ich die hundert tausend Dirhem zu Ibrahim, den ich, wie[194] am vorigen Tage, beym Morgentrunke fand. Er hieß mich andre Worte und andre Musik schreiben, die ich wieder zu Jahja trug, und dafür das Doppelte des gestrigen Lohnes erhielt.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 193-195.
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