F. Die Manichäer.

[24] Man ist versucht, an den Manichäismus zu denken, der in der Tat die weitesten Entfernungen durchmaß und nichts Geringeres erstrebte, als zur Universalreligion zu werden, wozu ihn seine Vielseitigkeit zu befähigen schien. Er stammte nach Kern und Wesen seiner Lehre aus der babylonischen Religion, verband aber damit den iranischen Dualismus, den Buddhismus und das gnostische Christentum des Orients. Je größer nun seine Ausbreitung war, um so leichter konnte ein Nachklang dieser Blütezeit in der Volkstradition zurückbleiben, vor allem auch konnten kosmogonische Sagen sich erhalten. War doch die Basis des ganzen Lehrsystems des Mani seine Theorie von der Entstehung der Welt.


Mani zieht die strikte Konsequenz der älteren gnostischen Systeme bis zum äußersten nur denkbaren Dualismus zweier gleichewigen Urpotenzen. Die Welt entsteht aus der uranfänglichen, grob-materiellen Vermischung eines urguten und urbösen, geistig-sinnlichen Weltstoffs, des Lichts und der Finsternis. Der erste vorbereitende Schritt zur Vermischung der beiden getrennten Weltstoffe und damit zur Bildung unserer Erde geschah durch die Bildung des Satans innerhalb des Reiches der Finsternis. Indem die ewigen Elemente der Finsternis sich vereinigen, entsteht Iblîs (διάβολος).

Die Zerstörungswut, die dem manichäischen Satan ebenso eigentümlich ist, wie dem eranischen Aḡrô-mainyus, äußert sich zuerst nach rechts und links,[24] bald aber auch nach oben, und dadurch lernt der Satan das Reich des Lichts kennen. (Spiegel S. 209.)

Durch den vom Reiche der Finsternis aus gegebenen Anstoß kommt nun auch Bewegung in die Lichtwelt und werden dort Vorkehrungen getroffen, um künftige Angriffe des Reichs der Finsternis erfolgreich abzuwehren (S. 210).

Dazu wird der Urmensch geschaffen, ein mächtiges Lichtwesen (S. 211). Dieser kämpft mit dem Satan, wird gerettet und unter die Götter versetzt, aber er ist nicht ganz unversehrt geblieben. Durch den feindlichen Angriff sind Lichtteile von ihm in die Gewalt der Finsternis gekommen, diese haben sich mit den entsprechenden Teilen der Finsternis gemischt und dadurch die Entstehung unserer Welt in ihrer Doppelnatur bedingt1 (S. 213).

Der Urmensch befahl einem Engel, das Gemisch von Licht und Finsternis, gegen die Seite der finsteren Erde zu ziehen und es dort aufzuhängen. Ein anderer Engel bewachte die gemischten Teile, bis die jetzt bestehende Welt gebildet werden konnte (S. 214).

Also die Geister des Lichtes allein schaffen Himmel und Erde und zwar nur aus den bereits gemischten Stoffen und nur in der Absicht, die lichten Stoffe aus ihrer Verunreinigung zu befreien. Eine Mauer und ein tiefer Graben trennt die gemischte Welt von den übrigen Welträumen, in diesen Graben wird die ausgeschiedene Finsternis geworfen (S. 215).2

Christus ist den Manichäern Gottes Sohn und der Menschensohn, aber in dem Sinne, daß er als eine vom höchsten Wesen ausgeflossene Lichtmacht und zugleich als der Sohn des Urmenschen, jenes mächtigen Lichtwesens, gedacht wird. Er steht also am Anfang der Weltentwicklung. Von ihm empfängt Adam die Lehren. (Vgl. Yima.)


Es ist klar, daß dieses System zu unseren Schöpfungssagen keine Beziehung hat. Aber – ich folge hier meinem Vorgänger Dragomanov – man darf nicht übersehen, daß der Manichäismus in einer Epoche erschien, da sämtliche vorderasiatischen religiösen Systeme in eine Periode der bildlichen Erzählung eintraten, als sie die engen priesterlich-philosophischen Kreise verließen und hinausdrangen in die Massen, die es zu gewinnen galt. Es ist die Zeit der anthropomorphischen Legende, die Zeit, wo z.B. im Iran neben dem offiziellen und literarischen Avestismus der Zervanismus blühte, wo man sich erzählte, wie Ahriman seinem Bruder[25] bei der Geburt zuvorkam, sich mit Zrvan unterhielt oder wie Ormuzd und Ahriman zu Mittag speisten. Solche Erzählungen sind parallel mit dem manichäischen Lehrsystem überall, wohin dieses kam, mitgewandert, und es haben sich große Legendenkreise um Manis Lehre gebildet, wie die katholische Legende um die christliche Lehre.

Wir haben (S. 16) eine hindustanische Sage kennen gelernt, die ganz zervanitisch klang. Vielleicht war diese durch den Manichäismus, mit dessen Lehre sie doch nichts gemein hat, verbreitet, (Mani selbst lehrte im Iran, in Turkistan und in Westchina, wo seine Lehre als offizielle Religion anerkannt wurde): warum sollen nicht auch Schöpfungslegenden iranisch-indischen Charakters durch diese Allerweltsreligion verschleppt worden sein?

Der Manichäismus hat gerade bei einem türkischen Stamm bis ins 10. Jhdt. bestanden, und er wirkte auf die Bevölkerungen, die er sich unterwerfen wollte, vorzugsweise durch die Predigt bildlicher Erzählungen. Es ist daher möglich, daß er auch eine solche iranisch-gnostische Sage, wie wir sie bei den Mandäern nachweisen können, verbreitet hat. Auf die gleiche Vermutung könnte eine andere Sekte führen, die dem Iran nahe wohnt, die Jesiden. Historisch bedeutungslos gleich den Mandäern haben sie auf die Sagenverbreitung keinen Einfluß ausgeübt. Wenn trotzdem ihre kosmogonischen Sagen der europäisch-asiatischen Tradition überraschend ähnlich sehen, so könnte man sich sehr wohl einen solchen Träger der Überlieferung, wie die Manichäer, vorstellen. Diese hätten also das Quellgebiet des Irans, aus welchem die Jesiden schöpften, auch ihrerseits nach allen Richtungen hin erschlossen. Irgendwelche Behauptung hierüber ist jedoch bei dem heutigen Stande der Wissenschaft ausgeschlossen. Muß es denn überhaupt einen einzelnen Träger der Überlieferung gegeben haben? Können nicht auch mehrere Faktoren, insbesondere Handelsverkehr und politische Beziehungen, bald hierhin, bald dorthin gewirkt und die Sage verpflanzt haben?

Fußnoten

1 Was in ihr zur Annehmlichkeit und Erquickung der Seele und des tierischen Lebens dient, das ist den Lichtteilen zuzuschreiben, was sie aber Schädliches enthält, den Teilen der Finsternis. Auf dieselbe Art mischen sich auch das Feuer und der Brand, von dem himmlischen Feuer hat das unsrige die Eigenschaft des Erhellens, von der finsteren Materie das verderbliche. Das Licht vermischte sich mit der Finsternis, daher kommt es, daß das Glänzende und Reine im Gold, Silber und den übrigen Metallen vom Lichte, das Dicke, Schmutzige und Unreine aber von der Finsternis stammt. Der höllische Glühwind (Sammûn) vermischte sich mit dem reihen Winde; was sich also in unseren Winden an Nutzen und Annehmlichkeit findet, das rührt von dem himmlischen Winde her, die Beängstigung, Verletzung und Schädigung aber vom Glühwinde. Endlich mischte sich auch das himmlische Wasser mit dem finsteren Nebel, seine himmlische Natur gibt ihm Klarheit und Süßigkeit, die finstere Beimischung dagegen die versenkende, vernichtende und erstickende Kraft.


2 Auch Sonne und Mond wurden aus der Finsternis ausgeschieden, dem Besitz, der Teufel wieder entrissen. Vgl. die Sage vom Sonnenraub Kap. IV.

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 26.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon