III. Der Mensch ist ein Geschöpf des Teufels, den dieser nicht beleben kann.

[92] Die gleiche Idee zeigt folgende Legende der Bogomilen:


Satanael nahm Erde und Wasser, mengte sie durcheinander und formte daraus einen menschlichen Körper, doch vermochte er ihm nicht die Seele einzublasen. Als er nämlich in Adam blies, fuhr der Atem durch den Körper hindurch, zur großen Zehe des rechten Fußes heraus und in die Schlange hinein, die seitdem klug ist unter den Tieren, weil eben der Geist Satanaels in sie gefahren war. Als nun Satanael die Vergeblichkeit seiner Mühe sah, bat er Gott, dem Menschen die Seele einzuhauchen, indem er ihm zugleich versprach, derselbe solle ihnen beiden gemeinsam angehören. Später suchte freilich Satanael immer die Mehrzahl der Menschen auf seine Seite zu bringen. Erst Christus befreite die Menschheit von der Macht des Teufels, er besiegte Satanael, schloß ihn in den Abgrund der Hölle ein und nannte ihn Satan.


  • Literatur: Pypin-Spasovič, S. 95 = Zigabenus, Panoplia Dogmatica.

Nach dem lateinischen Liber Johannis (Thilo, Codex apocryphus Novi Test. 884) hat Satan nach Erschaffung der sichtbaren Welt einen menschlichen Körper aus Erde geformt und dem Engel des dritten Himmels befohlen, in diesen zu fahren; dann habe er – diese Fortsetzung der Sage beruht auf der bogomilischen Verwerfung der Ehe – einen Frauenkörper gemacht und dem Engel des zweiten Himmels befohlen, in diesen zu fahren. Er lehrte sie dann die Sünde, sich zu vereinigen.

Beide Fassungen sind der arabischen zum Teil ähnlich, zum Teil von ihr verschieden. Wie Hâreth vergeblich in Adams Körper ein- und ausfahrt, so fahrt der Atem Satanaels in der ersten bogomilischen Sage wirkungslos heraus und belebt nur die Schlange; in der zweiten gelingt zwar die Belebung, aber die Art – das Hineinkriechen – entspricht wiederum dem Arabischen. Neu ist der Gedanke, daß der Mensch ein Geschöpf des Satans sei.

Wir finden ihn wieder bei den Euchiten, von denen wir bereits wissen, daß sie im Bogomilentum und in anderen dualistischen Sekten Europas fortlebten. Sie hatten die Lehre von der satanisch erzeugten bösen Menschenseele, eine Anschauung altmanichäischen Ursprungs1 (Herzogs Real-Enzyklopädie 13, 758), an die noch der bogomilische Satz erinnert: »Dämonen des Satan wohnen in allen Menschen; sie sind die eigentlichen Urheber aller von den Menschen verübten Verbrechen« (ebenda 13, 761). Außerdem sagt der bulgarische Schriftsteller des X. Jahrhunderts, Presbyter Cosmas, ausdrücklich,[92] daß die Bogomilen den Teufel als Schöpfer des Menschen und der ganzen materiellen Welt verehrten (Jagić, S. 42). Ebenso faßten die strengen Dualisten, die französischen Albigenser und italienischen Albaneser den ganzen Menschen als Geschöpf des Fürsten dieser Welt auf. In dem gemilderten Dualismus der Concorrezaner und Bagnolesen hat dagegen der böse Geist nur die Leiber des ersten Menschenpaares gebildet, Gott aber die Seelen hineingelegt.

Die beiden bogomilischen Erzählungen spiegeln somit die eine wie die andere Form der dualistischen Sekten wider; jedesmal aber ist der Teufel als Menschenschöpfer genannt. Wir erinnern uns dabei an die Demiurgenrolle, die ihm bei der Weltschöpfung eigen war. Er hat die gleiche Rolle auch hier bei der Erschaffung des Menschen.

Fußnoten

1 Nach der Bildung der Welt begattete sich einer der Archonten (Geister) und der Sterne und die drängende Gewalt, die Habgier und die Sinnenlust und die Sünde, und aus dieser Begattung ging der erste Mensch, welches Adam ist, hervor. Alsdann folgte eine zweite Begattung, und aus dieser ging Hawwa (Eva) hervor (Spiegel II, 218).


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 93.
Lizenz:
Kategorien: