B. Der Sturz der Teufel.

[133] In einigen unserer kosmogonischen Sagen fand sich die Episode von der Verstoßung der Teufel, die vom Himmel in den Abgrund fallen. Ich führe hier noch folgende Erzählung aus der Bukowina an:


Als Gott das Festland erschaffen hatte, stieg er in den Himmel. Der Teufel wollte aber von seiner Gesellschaft nicht lassen und folgte ihm auf dem Fuße. Hier hörte er, wie die Engel Gott Loblieder sangen, und wurde traurig darüber, daß er niemand habe, der sich seiner Ankunft freuen würde. Er trat zu Gott und flüsterte ihm ins Ohr: »Was soll ich machen, um auch ein solches Gefolge zu haben?« Gott antwortete ihm: »Wasche dir Hände und Gesicht und sprenge mit diesem Wasser rücklings.« Er tat es, und es entstanden Teufel in so großer Anzahl, daß die Engel und Heiligen im Himmel kaum mehr Kaum hatten. Gott merkte jetzt wohl, welche Gefahr die Seinigen bedrohe. Er berief zu sich den heiligen Elias und befahl ihm, zu donnern und zu blitzen. Elias freute sich der Gelegenheit und lärmte und donnerte und blitzte und ließ durch vierzig Tage und Nächte regnen, und mit dem gar großen Regen fielen auch[133] die Teufel vom Himmel zur Erde nieder. Endlich waren aber die bösen Geister alle, und es fingen auch die Engel an, herabzufallen. Da befahl Gott dem Elias, einzuhalten, und wo ein Teufel, im Falle begriffen, in diesem Augenblicke sich gerade befand, dort blieb er stehen. Darum fahren noch zur Nachtzeit Lichtfunken auf dem Himmel herum, die erst jetzt zur Erde niederfallen.


  • Literatur: Zeitschr. f. deutsche Myth. I, 179 f. = Afanasjev, Poet, vozzr. II, 461. = Erben 144.

Diese Episode hat selbständige Ausbildung erfahren und existiert als alleinige, lebensfähige Sage. Ich gebe folgende Beispiele:


1. Kleinrussische Sage:


Fallende Sterne – das sind Teufel, welche den guten Engeln gleichen wollen. Sie verwandeln sich in Sterne und steigen zum Himmel, »der Welt zu leuchten«, dann stürzen die Engel sie mit vereinten Kräften hinunter. Sie fallen auf die Erde und ergießen sich als Teer. Wenn ein Mensch auf solche Stelle tritt, so erkrankt er an der Schwindsucht, von der es keine Rettung gibt. Um dieses Übel von sich fernzuhalten, muß man beim Erblicken eines fallenden Sternes so lange das Wort »Amen« sagen, bis der Stern erlischt. Dann dringt dieser so viel Faden tief in die Erde ein, wie das Wort Amen ausgesprochen wurde, und der Ort, wo er fiel, bleibt vollkommen unschädlich.1 (Čubinskij, Trudy I, 16.)


2. Ungarische Sagen:


a) Michael warf auf Befehl Gottes alle Bösen aus dem Himmel herab. Der Erzengel tat dies so lange, wie unser Herrgott nicht »Amen« sagte. Als unser Herrgott das »Amen« aussprach, konnte keiner weiter fallen; der eine hängt an den Füßen in der Höhe, dem andern ragt noch der halbe Kopf aus der Erde, in die er versunken. Darum soll der Mensch, wenn er strauchelt, nicht lästern, denn es kann ein solcher Teufelsscheitel sein, der ihn straucheln machte, und wenn er dann flucht, kann er am Fuß ein ernstes Übel bekommen.

b) Gott trägt Elias auf, vierzig Tage und vierzig Nächte hindurch zu donnern und zu blitzen, und vierzig Tage und Nächte hindurch fiel der Regen, und alle Teufel fielen herab. Als auch die Engel schon begannen herabzufallen, stellte Gott Elias' Werk ein, und wo in dem Augenblick die Teufel sich eben befanden, in derselben Stellung blieben sie bis auf den heutigen Tag. Daher kommt es, daß man nachts Funken (Sternschnuppen) sehen kann, die jetzt hie und da zur Erde herabfallen.

c) Die stolzen Engel fallen, bis Gott »Amen« spricht. Aus denen, die in der Luft waren, wurden Gespenster. Wenn sich die Luft wie Espenblätter bewegt – dann spielen sie einmal frei im Jahre miteinander.

d) Als unser Herrgott noch auf Erden war, bestürmten ihn die Engel gar sehr. Als Gott wieder in den Himmel stieg, ließ er sie hinabwerfen. Im Fallen hielt sich Lucifer am Monde fest, und seither kann man ihn dort sehen.


  • Literatur: Alle diese Varianten aus den Ethnolog. Mitteil. aus Ungarn, II (1890–92), S. 140, mitget. von Kálmány.

[134] 3. Bulgarische Sage:


Als Gott Vater die Welt geschaffen hatte, schuf er auch einige Geister, die ihn umgeben sollten, damit er nicht ganz allein wäre und sie ihm dienen könnten. Aber einige von diesen Geistern begannen, sich gegen den Herrn zu empören; dieser wurde böse und verfluchte sie auf folgende Weise: »Niemand soll euch lieben, jeder soll Böses von euch sagen und euch mißtrauen.« Er jagte sie aus dem Himmel, die Geister ergriffen die Flacht, und einige versteckten sich im Wasser, andere in den Wolken, andere auf der Erde. Aber einer blieb in der Luft hängen und wurde zu einer Spinne. Darum hängt die Spinne bis jetzt in der Luft, weil sie ein Teufel ist. Darum gibt es Teufel, die sich auf der Erde aufhalten, andere im Wasser und die dritten in den Wolken. Die, welche sich in die Wolken geflüchtet hatten, blieben dort wohnen und fügen der Welt mit Donner und Blitz Böses zu, und die, welche in das Wasser gefallen sind, tun den Schiffern Böses, während die, welche auf die Erde gefallen sind, des Nachts im verborgenen herauskommen und den Menschen Böses zufügen. Der Mensch muß also sehr mißtrauisch gegen den Teufel sein und nicht hinhören, wenn er ihm einflüstern will, Böses zu tun, denn er ist von dem Herrn verflucht.


  • Literatur: Šišmanov, Nr. 19. Ebenso Sbornik VII, 132 = Strauß, Bulgaren S. 75 mit dem Zusatz: Wenn der Mensch eine Spinne sieht, so soll er sie töten, denn er sündigt, wenn er Gottes Feind am Leben läßt.

4. Rumänische Sagen:


a) Als Gott die guten Engel von den schlechten absonderte, jene für das Paradies, diese als Engel des Teufels für die Hölle, wollte ein Satansengel sich mit ins Paradies einschleichen. Petrus aber, der Türhüter, merkte den Betrug, packte den Engel und warf ihn auf die Erde, so daß er in tausend Stücke zersprang, aus denen die Leuchtkäfer [Lampyris noctiluca] entstanden sind.


  • Literatur: Marianu, Insectele, S. 47.

b) Einst, als Satan mit seinen Kindern auf der Erde weilte, entstand zwischen ihm und seinem ältesten Sohne ein Streit wegen eines Bezirkes auf der Erde. Sie kämpften und wollten den Sieg entscheiden lassen, wer recht hätte. Es gelang dem Sohne, den Satan zu fassen; er schleuderte ihn gegen einen Stein, so daß er in Stücke zerbrach; – aus diesen Stücken sind die Leuchtkäfer entstanden.


  • Literatur: Marianu, Insectele, S. 48.

c) Der Teufel herrschte auf der Erde und vollbrachte die schlimmsten Zaubereien. Da beschloß Gott, ihn zu vernichten. Er schleuderte Blitze gegen ihn, traf aber nur eins der neunundneunzig Häupter. Aus diesem entstand eine Menge kleiner Stücke, die sich in Funken verwandelten, und diese sehen wir noch heute auf der Erde, wie sie immer noch den Menschen nachstellen. Der Satan selbst aber versteckte sich in Höhlen, wo er noch heute den Menschen auflauert.


  • Literatur: Marianu, Insectele, S. 570.

5. Arabische Sage.


a) Wisse nun, daß die meisten Menschen zu der Ansicht gekommen sind, das Niederschießen dieser Sternschnuppen sei das Niederfallen wirklicher Sterne[135] vom Himmel, und die Teufel würden damit geworfen; wie Gott der Allmächtige gesagt hat: Wir haben den der Erde zunächst liegenden Himmel (also den Mondhimmel) mit dem Schmuck der Sterne geziert und zwar zur Behütung vor jedem rebellischen Teufel.


  • Literatur: Kazwini, Kosmographie, S. 189.

Fußnoten

1 Variante: Unter die Sterne, die Gott nach der Zahl der Menschen angezündet hat, stellt der Satan insgeheim ein Licht für irgend einen ihm unterworfenen Teufel oder ihm gehörigen Menschen. Gott sieht aber seine List und wirft das Licht des Teufels unverzüglich hinab. Das ist dann der fallende Stern (Sternschnuppe). Ebenda 17. – Zum Amensprechen vgl. oben S. 46 und 47.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 136.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon