1. Des Teufels Eintritt in das Paradies.

[206] Wie wir den Pfau schon im vierten Kapitel als Teufelsvogel kennen gelernt haben, so erscheint er auch in der Sage vom Sündenfall als Verbündeter des Bösen.


a) Altarabische Legende.


Der Pfau hatte einst eine so liebliche und klangreiche Stimme, daß er berufen war, jeden Tag Gottes Lob in den Hauptstraßen des Himmels zu verkünden. Iblis aber, der einzige unter den Engeln, der auf Adams Vollkommenheit neidisch war und Gottes Befehl, sich vor ihm zu neigen, nicht befolgt hatte, war aus dem Paradies verbannt worden und suchte nun durch List Adam und Eva zu verderben. Lange trieb er sich vor dem von einem Engel bewachten Paradies umher. Eines Tages trat ein Pfau vor die Pforte. »Dieser schöne Vogel«, dachte Iblis, als er ihn erblickte, »ist gewiß auch recht eitel, vielleicht gelingt es mir, ihn durch Schmeichelei zu überreden, daß er mich unbemerkt ins Paradies bringe.« Danach machte er sich an ihn heran und bat, daß der Vogel ihn unter seinen Flügeln verbergen und in das Paradies tragen möge. Er verhieß ihm dafür, ihn drei geheimnisvolle Worte zu lehren, die ihn vor Krankheit, Alter und Tod bewahren würden. Da aber der Pfau fürchtete, der Torwächter möchte ihn bei seinem Wiedereintritt ins Paradies streng untersuchen, weigerte er sich Iblis mitzunehmen, versprach ihm aber, ihm die kluge Schlange herauszuschicken, welche eher Mittel finden würde, ihn auf irgend eine Weise ins Paradies einzuführen. Die Schlange war nämlich ursprünglich die Königin aller Tiere. Sie hatte einen Kopf wie Rubin und Augen wie Smaragd. Ihre Gestalt war der eines Kameles ähnlich, die schönsten Farben spiegelten sich auf ihrer Haut, und ihre Haare waren zart wie die einer edlen Jungfrau. Ihre Nähe war Moschus und Ambra duftend, ihre Nahrung Safran, Lobgesang waren ihre Töne. Dieses schöne und vernünftige Tier, dachte der Pfau, wird noch mehr als ich im Besitze ewiger Jugend und Gesundheit bleiben wollen und wegen der drei geheimnisvollen Worte etwas hinter dem Rücken des Torengels zu unternehmen wagen. Er hatte sich nicht geirrt. Die Schlange lief sogleich zum Paradies hinaus, ließ sich von Iblis nochmals wiederholen, was ihr der Pfau berichtet, und fragte: »Wie soll ich dich unbemerkt ins Paradies bringen?« – »Ich werde mich so klein zusammenziehen, daß ich in der Lücke zwischen deinen Vorderzähnen Platz finde.«

Die Schlange öffnete hierauf ihren Mund, Iblis flog hinein und setzte sich zwischen ihren Zähnen fest und vergiftete sie für alle Ewigkeit.[206]

Im Paradiese gelingt es Iblis, indem er die Stimme der Schlange nachahmt, Eva zum Essen der verbotenen Frucht zu verlocken. Es folgt Adams Fall und die Vertreibung der beiden. »Verlasset das Paradies,« sagt Gott, »samt den Tieren, die euch zur Sünde verleiteten. Der Pfau werde seiner schönen Stimme und die Schlange ihrer Füße beraubt, finstere Löcher seien ihre Wohnung, Staub ihre Nahrung, und sie töten sei ein Werk, das siebenfachen Lohn verdient; Iblis aber sei zur ewigen Höllenstrafe verdammt.«

Nach der Ausstoßung fällt die Schlange in die Wüste Sahara, der Pfau nach Persien.


  • Literatur: Verkürzt nach Weil, Bibl. Legenden der Muselmänner. 1841, S. 20 ff.

Vgl. Hammer, Rosenöl S. 24 (aus Ibn Kessir):


Die Schlange hatte früher nicht die heutige verworfene Gestalt, sondern war ein schönes Tier mit Füßen und Händen und Flügeln, nach dem Menschen das schönste. Sie erlaubte dem Satan, der vor dem Wächter des Paradieses, dem Engel Riswan, unbemerkt in den verbotenen Garten gelangen wollte, ihr in den Mund zu kriechen und brachte ihn so unter der Zunge hinein, worauf er sich in seiner wahren Gestalt Adam nahte und ihn verführte. – Ebenso bei Tabarî I, 79,1 wo aber besonders bemerkenswert ist, daß die Schlange Kamelsgestalt hatte und sehr schön war. Diese Gestalt begegnet unten S. 217 nochmals.


b) Arabische Parallele bei Azzo'ddino' I Mocaddessi, wo der Pfau erzählt:


... [Eblis] stürzte mich in ein Vergehen, indem er mich, was sein Herz verbarg, nicht ließ sehen. Ich zeigte ihm nämlich den Weg zum Paradiese an, indes zu eben dem Zwecke die Schlange ihre Ränke spann. Da wurde ich denn mit ihm in die Wohnung des Elends hinausgejagt und vernahm den Ruf: So ergeht es dem, der zu verraten wagt, und dem der Umgang mit Schlechten behagt! Nur der Schmuck meines Gefieders blieb mir zurück, mich zu erinnern an mein früheres Glück ... An meinen Fuß2 aber ward geheftet des göttlichen Mißfallens Kunde, die ich sehen muß zu jeder Stunde, und die mir stets zuruft, wie ich untreu war meinem Bunde [nämlich mit Gott].


  • Literatur: Peiper, Stimmen aus dem Morgenlande S. 215 f.; auch bei Garcin de Tassy, Paris 1821. (Arab. Text mit frz. Übersetzung.)

[207] c) Tabarî (in seiner Chronik I, 82) zeigt keine genaue Kenntnis dieser Sage, indem er im Anschluß an die Vertreibung von Adam und Eva, Iblis und der Schlange hinzufügt:


Auch der Pfau sei mit Adam und Eva aus dem Paradiese verjagt worden. Denn er habe gegen Gott gesündigt, indem er Eva an den Ort führte, wo der Lebensbaum (Getreidebaum, s.u.) stand. Deshalb nahm ihm der Herr die Stimme.

Fußnoten

1 Vgl. auch Huart, Livre de la Création d'Abou Zéïd ... p. 85. Iblis ging zu allen Tieren der Erde, bis er die Schlange fand, zu der er sagte: »Ich werde dich gegen den Menschen verteidigen, und du wirst unter meinem Schütze sein, wenn du mich in das Paradies einläßt.« Die Schlange nahm ihn ins Maul (oder zwischen ihre beiden Fangzähne). Sie war damals eins der schönsten Tiere, die den Eingang ins Paradies bewachten.


2 Des Pfauen schwarze Füße machen, daß er sich schämt, und darum, wenn er sie sieht, läßt er sein Gefieder hängen und geht langsam in unzufriedener und einsamer Traurigkeit.

Notes and Queries, 6th Ser. X, 318 = Swan, Speculum Mundi (Camb. 1635, 4to, p. 410).


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 208.
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