[208] 1. Aus Pommern. Lange vor Erschaffung der Menschen hatte sich der Teufel gegen unsern Herrgott empört, denn er war so hoffärtig, daß er selbst die Welt beherrschen wollte. Gott der Herr aber hatte ihn zur Strafe für seinen Übermut tief in das Innere der Erde gebannt. Da geschah's, daß der Teufel eines Tages eine Baumwurzel erblickte, die die Erddecke durchbrochen hatte und zu ihm hinabreichte. Sogleich verwandelte er sich in eine Schlange und kletterte an der Wurzel entlang immer höher und höher, bis er endlich zur Oberfläche der Erde und zu dem Stamm gelangte, dem die Wurzel angehörte. Das war aber kein anderer, als der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, der mitten im Paradiese stand. Um den wand sich die Schlange herum.
Nicht weit von ihm ab lagen im Grase Adam und Eva, das erste Menschenpaar. Sobald das Weib die Schlange erblickte in der schillernden Haut und mit den funkelnden, blitzenden Augen und der langen Zunge, ward sie neugierig und fragte ihren Mann, welch seltsames Tier das wäre. Als der Teufel merkte, wie neugierig das Weib sei, beschloß er, seine List an ihr zu versuchen. Nachdem der Mann weggegangen war, tat er den Mund auf und sprach mit lockender Stimme: »Willst du nicht von den Äpfeln dieses Baumes essen?« Das Weib wollte nicht, denn der Herrgott hatte es verboten. Der Teufel aber wußte so schöne Worte zu machen und pries den Geschmack und die Süße der Äpfel so sehr, daß das Weib des Verbotes vergaß und einen Apfel ergriff, ihn losbrach und aß. Da fiel es ihr schwer auf die Seele, daß sie sich versündigt habe, und damit sie nicht allein verstoßen würde, rief sie ihren Mann herbei und bat ihn, auch von den Früchten zu kosten. Adam wurde jedoch sehr zornig und verwies der Eva den Ungehorsam gegen des Herrgotts Gebot. Das bekümmerte sie nur um so mehr, und weil sie durchaus nicht alleine aus dem Paradiese vertrieben werden wollte, nahm sie einen Apfel von dem Baume der Erkenntnis und steckte ihn ihrem Manne mit Gewalt in den Mund, daß er ihn herabschlucken mußte. Aber auf halbem Wege blieb er stecken. Und noch heute tragen darum alle Menschenkinder den Adamsapfel an der Gurgel und werden ihn tragen, solange es Menschen auf Erden gibt.[208]
Das Paradies aber nahm der Herrgott von der Erde hinweg und versetzte es auf den Morgenstern, und da ist es bis auf den heutigen Tag.
2. Aus einer französischen Handschrift des 14. Jahrhunderts.1
Nachdem erzählt worden ist, daß der Teufel Eva überredet hat, von der verbotenen Frucht zu essen, heißt es weiter:
Au pommier s'en vint la lasse, si cueilli deus pommes, l'une en tendi à son baron qui ne la voust prendre ... La lasse mordi en la pomme qui lui ert devée et engloti le moreel tout premerain; Adam qui la crut outre droiture morst en la soe, à sa dolour et à notre pesance. Tantost comme il senti la savour en son cors avalée, il apersut bien et senti sa grant destorbance; il le jeta et mist sa main à sa gorge, né n'i laissa le morsel plus avaler en nulle manière. Et por ce dient li plusors que de ci avient que li homme ont encoires le not ens ès gorges.
3. In dem Bruchstück einer versifizierten altböhmischen Legende (Časopis Českého musea 1884 S. 238–249) heißt es, daß Adam von der Frucht genoß, »aber diese blieb ihm stecken, weil sie im Fluch gegessen wurde. Und auch heute noch hat sein Geschlecht an der Kehle das Abzeichen.«
4. Parallelen:
Dänemark: Kamp, Danske Folkeminder S. 59. E.T. Kristensen, Sagn II 253.
Englisch: Timbs, popular errors explained p. 345.
Frankreich: Léo Desaivre, essai sur le noyer et le pommier. (Extrait des Bulletins de la Société de Statistique, Lettr. et Arts des Deux-Sèvres, Niort 1879. S. 18. [Kurze Angabe des Sageninhalts.]
Ungarn: v. Wlislocki, Volksglaube und relig. Brauch der Magyaren (1893) S. 108 = Kálmány Világunk alakulásai nyelohagyományainkban S. 41. Zeitschrift für österr. Volksk. V, 63 (1899): Záhoři und Záhořer.
Rumänien: Sežatoarea III, 30.
Bulgarien: Sbornik za nar. umotvor. XI, Abt. 3, S. 98. XVI–XVII Mater. 240.
Serbien: Nikolić, Srb. nar. pripov. I, 75.
Kleinrussisch: Etnograf. Zbirnyk III, 2; XII, 19, 21; XIII, 223. Revue des trad. pop. II, 404.
Weißrussisch: Federowski, Lud białorusski I, 844, 845. Dobrovolskij, Smol. Sbornik I, S. 26 f. Nr. 16, 19. S. 235 Nr. 15 (wo die verbotene Rebe den Adamsapfel erzeugt!)
Großrussisch: Bessaraba 144.
5. Die Neger in Loango erzählen die ihnen überbrachte Sage in folgender Form:
Als der Schöpfer (Nzambi) eines Tages auf der Erde weilte, um nach seinen Menschen zu sehen, und in der Nähe dieser sich beschäftigte, legte er ein Stückchen Kola-Nuß, von welchem er eben aß, beiseite und versäumte,[209] es beim Fortgehen wieder aufzunehmen. Der Mann hatte dies beobachtet und bemächtigte sich des verführerischen Leckerbissens. Warnend trat das Weib hinzu, ihn vom Genüsse der Speise Gottes abzuhalten. Der Mann jedoch steckte dieselbe in den Mund und fand, daß sie gut schmecke. Während er noch kaute, kehrte Nzambi zurück, spähte nach der vermißten Kola-Nuß und gewahrte, wie der Mann sich bemühte, dieselbe eilig hinabzuschlucken. Schnell griff er nach dessen Kehle und zwang ihn, die Frucht wieder von sich zu geben. Seitdem sieht man am Halse der Männer den Kehlkopf, das Mal des festen Druckes der göttlichen Finger.
6. Einen neuen Gedanken weist eine Sage der Orientalen auf, welche erzählt, daß Allah am ersten Tage einen Apfel nahm und ihn entzwei schnitt. Er gab die eine Hälfte Adam, die andere Eva, und gebot ihnen, den Teil zu suchen, der ihnen fehlte. Seit dieser Zeit sucht die eine Hälfte der Menschheit die entsprechende. Die beiden Hälften begegnen sich oft.
Eine jüdische Tradition behauptet, daß die Frucht des verbotenen Baumes der Ethrog gewesen sei, eine Zitronenart mit runzeliger oder durchfurcht aussehender Schale [Citrus decumanus, Pompelmuse], deren Furchen also als Spuren von Adams Zähnen aufgefaßt wurden. Vgl. Jacobus de Vitriaco (zitiert von V. Hehn, Kulturpflanzen p. 391): in quibus quasi morsus hominis cum dentibus manifeste apparet et idcirco poma Adam ab omnibus appellantur. (Darüber im einzelnen Grünbaum, Zeitschr. d. deutsch. morgenl. Gesellsch. 42, 252 ff.) Vermutlich ist diese Sage indischen Ursprungs, insofern die sogenannte Buddha-Hand-Zitrone, eine Frucht mit fleischigen, fingerartigen Auswüchsen, dem Adamsapfel völlig zu entsprechen scheint und der Verkehr der Araber und wahrscheinlich auch der Inder bis ins 8. und 9. Jhdt. zurückgeht. (Zeitschr. der deutsch. morgenl. Gesellsch. 44, 562.)
In den Neuen Sagen aus der Mark Brandenburg von E. Handtmann, die aber vielleicht als unzuverlässig zu gelten haben2, findet sich die Erzählung, daß Adam und Eva nicht durch die Äpfel zu Fall gebracht wurden, sondern durch die einstmals süßen Birnen des Drachenbaums. Zur Strafe dafür sei diese Birne aus dem Garten aufs Feld versetzt und verflucht worden, so daß die Frucht verkümmerte und herben, bitteren[210] Saft erhielt. Es entstand die wilde Feldbirne (der Drachenbaum, gewöhnlich Knödel genannt).
»Keine Heimat, wie andre Bäume, sollte sie haben, sondern unstät und flüchtig, überall und nirgends sollte sie durch alle Länder ziehen ... Keine Singvögel und Eichkätzchen, sondern des Teufels Gelichter, wilde Katzen, Eulen und Fledermäuse sollten um die hohen, meist hohlen Bäume ihr Wesen treiben.« (Es soll dies eine Templersage sein, die sich im Volke der Neumark lebendig erhielt.)
1 Paulin Paris, Mscr. françois 2, 38 f. (aus Mscr. Nr. 682933: Histoire universelle jusqu'au temps de la République Romaine).
2 Vgl. Ztschr. d.V.f. Volksk. II, 90: die Kritik von Handtmanns Buche: Was auf märkischer Heide Bprießt.
Buchempfehlung
Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«
158 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro