VI. Speiende Tiere.

[242] 1. Sage der Cherokee.


Die Sonne lebte auf der einen Seite des Himmelsgewölbes, aber ihre Tochter lebte in der Mitte, gerade über der Erde, und jeden Tag, wenn die Sonne über den Himmelsbogen nach Westen kletterte, blieb sie im Hause ihrer Tochter zum Mittagessen. Die Sonne haßte aber die Menschen auf der Erde, weil sie sie niemals ansahen, ohne Gesichter zu schneiden. Sie sagte zu ihrem Bruder, dem Mond: »Meine Enkelkinder sind häßlich, sie grinsen über das ganze Gesicht, wenn sie mich ansehen!« Aber der Mond sagte: »Ich liebe meine jungen Brüder, ich finde sie sehr schön,« weil sie immer freundlich lächelten, wenn sie ihn des Nachts am Himmel sahen, denn seine Strahlen waren milder.

Die Sonne war eifersüchtig und beschloß, alle Menschen zu töten. Darum sandte sie jeden Tag, wenn sie zum Hause ihrer Tochter kam, die heißesten Strahlen herunter, so daß großes Fieber entstand und die Menschen zu Hunderten starben, bis jeder irgendeinen Freund verloren hatte, und man fürchtete, daß bald niemand mehr übrigbleiben würde. Da gingen sie zu den »kleinen Männern (Kana'ti's Söhne)«, die sagten: die einzige Art, sich zu retten, sei, die Sonne zu töten.

Die kleinen Männer zauberten Medizin und verwandelten zwei Männer in Schlangen, die Spreading-adder und die Mokassinschlange, und schickten sie fort,[242] um in der Nähe des Hauses der Sonnentochter der alten Sonne aufzulauern, wenn sie am nächsten Tag vorbeikam, und sie zu beißen. Sie gingen zusammen hin und verbargen sich in der Nähe des Hauses, bis die Sonne kam, aber als die Spreading-adder zuspringen wollte, blendete sie das helle Licht, und sie konnte nur gelben Schleim spucken, wie sie es noch heute tut, wenn sie beißen will.

[Die beiden müssen unverrichteter Sache abziehen. Darauf wird die Klapperschlange geschickt, die der Tochter der Sonne den Kopf abbeißt. Nun kommt aber die Sonne vor Kummer überhaupt nicht mehr zum Vorschein, und einige Männer holen in einer Schachtel vom Geisterland die Sonnentochter wieder, öffnen aber einmal den Deckel, um sie Luft schöpfen zu lassen, worauf sie als Gimpel (redbird) mit kwish, kwish, kwish! davonfliegt.

Als die Sonne das hört, weint sie so, daß es eine große Überschwemmung auf der Erde gibt. Da werden denn die hübschesten jungen Burschen und Mädchen hinaufgeschickt, um sie zu erheitern, was ihnen schließlich auch gelingt.]


  • Literatur: Mooney, Myths of the Cherokee S. 252.

2. Sage der Sioux.


Die Grashüpfer waren früher so groß wie Menschen und hatten allen Tabak geraubt. Die Erdfrau und das Kaninchen gewinnen ihn wieder. Mit dem Rest fliegen die Grashüpfer davon. Zum Schluß heißt es unvermittelt: Seitdem sind die Gr. klein, und wenn man sie ergreift, spucken sie Tabak aus.


  • Literatur: Journ. of Am. Folklore 5, 296.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 242-243.
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