A. Asiatische Sagen.

[152] 1. Sagen der Golden (am Amur).


a) Es lebten einmal in einer Hütte zwei verwaiste Schwestern, die abwechselnd ihre Arbeit verrichteten: heute ging die eine nach Wasser und Holz, morgen die andere. [Eines Tages, während die jüngere mit dem Hunde daheim ist, kommt ein ›Busjeu‹, ein menschenfressender Dämon, in die Hütte. Vom Hunde gewarnt, versteckt sich das Mädchen unter einer Matte. Der Dämon spricht lachend zu sich selbst: »Es wird ihnen schwerlich glücken, sich vor mir zu verbergen.« Und lachend entfernt er sich. Am nächsten Tage ist die ältere zuhause. Auch sie versteckt sich, als der Busjeu wiederkommt, unter der Matte. Aber obwohl die Schwester sie ermahnt hat, ja nicht zu lachen, wird sie beim Anhören des abermals lachenden Dämons von unwiderstehlicher Lachlust erfaßt und verrät dadurch ihre Gegenwart.] Alsbald zog dieser sie aus ihrem Versteck hervor, setzte sie an seine Seite, blickte sie zärtlich an und sagte schließlich, indem er fortfuhr zu lächeln: »Tudschi (Schwester), warum kämmst du dir nicht den Kopf? Sieh doch, wieviel Läuse du hast; die muß man fangen!« »Das ist nicht wahr,« erwiderte das Mädchen, »mein Kopf ist rein, und du wirst dort nicht eine Laus finden.« Dabei neigte sie den[152] Kopf, damit der Busjeu sich von der Wahrheit ihrer Worte überzeuge. Dieser legte ihren Kopf vorsichtig auf seine Kniee, untersuchte sachte das Haar und sagte dann nach einer Weile: »Da habe ich eine Laus erwischt. Wohin soll ich sie tun?« »Lege sie auf den Rand der Schlafbank und zerdrücke sie,« sagte das Mädchen. »Das geht nicht,« erwiderte der Busjeu, »die Laus ist zu groß und läßt sich weder auf der Schlafbank noch auf dem Fenster unterbringen. Öffne lieber den Mund, so werde ich sie dir auf die Zunge legen.« Das Mädchen hob den Kopf und streckte die Zunge hervor. Da packte der Busjeu die Zunge und riß sie samt der Wurzel aus der Kehle heraus. [Das Mädchen fällt tot um. Die Schwester errät nach ihrer Rückkehr das Vorgefallene und geht auf die Suche nach dem Busjeu. Sie findet in der Wildnis nacheinander vier Speicher, die mit menschlichen Armen, Beinen, Köpfen und Zungen gefüllt sind. In dem letzten entdeckt sie die noch warme Zunge der Schwester und nimmt sie mit. Dann kommt sie zur Hütte des Busjeu, wo dessen Schwester sie freundlich aufnimmt: »Verstecke dich hinter dem Ofen. Bald kommt mein Bruder, den wollen wir töten, und ich ziehe dann zu dir.« Der Busjeu wittert bald nach seiner Ankunft Menschenfleisch, aber die Schwester weiß ihn zu beruhigen.]

Es ward Nacht. Der Busjeu fragte seine Schwester: »Wohin soll ich mich heute schlafen legen? Auf die Schlafbank mag ich nicht, und an die Tür oder ans Fenster mag ich auch nicht. Ich werde mich auf den Griff des chani legen« (d.i. ein großes, mit einem Griff versehenes Holzgefäß, worin die Speisen zubereitet werden). Mit die sen Worten legte er sich hin und schlief fest ein. Um Mitternacht erhoben sich die beiden Mädchen, nahmen jede eine steinerne Mörserkeule, stießen den Busjeu ins Holzgefäß hinein und stampften ihn so lange, bis sein ganzer Leib in Brei verwandelt war. Am Morgen trugen sie das Gefáß hinaus, schütteten den Brei nach allen Seiten aus und sprachen dazu die Worte: »Busjeu! Du hast dich von Menschenfleisch genährt; so möge sich denn dein Fleisch und Bein in kleine Insekten verwandeln, die ebenfalls Menschenblut saugen sollen. Aus den kleinsten Teilen sollen kleine Fliegen, aus den größeren Mücken und aus den größten Fliegen, Schmeißfliegen und Bremsen entstehen.« In demselben Augenblicke erhoben sich große Schwärme Insekten und verbreiteten sich über die ganze Welt. Die Schwester des Busjeu aber verließ ihre Hütte und zog zu jenem Mädchen. Nachdem sie der älteren. Schwester die Zunge angenäht, brachten sie sie wieder ins Leben zurück und lebten und arbeiteten von nun an zu dreien.


b) [Bruder und Schwester leben in der Einsamkeit. Der Bruder liegt der Jagd ob, die Schwester besorgt die häuslichen Geschäfte. Als der Bruder eine Veränderung in dem Wesen der Schwester bemerkt, wird ihm klar, daß in seiner Abwesenheit ein Fremder die Hütte besuche, und beschließt, die Sache festzustellen. Er streut Asche vor der Hütte und findet die Spur eines Tigers. Der Bruder behält aber seine Entdeckung für sich. Die Schwester wird schwanger. Als sie von Geburtswehen geplagt auf der Schlafbank liegt, will der Bruder sie töten. Sie aber beginnt Schamanenlieder zu singen.] Sie sang: »Ich habe mich mit dem Tiger vereint, er ist mein Gatte. Seine Seele sitzt in mir, und es wird dir nicht gelingen, mich zu erstechen. Wenn du willst, schneide mir den kleinen Finger ab: dann werde ich sterben.« Der Bruder schnitt ihr den kleinen Finger ab, und sobald das Mädchen tot war, errichtete er einen mächtigen Scheiterhaufen, auf dem er die Leiche der einst zärtlich geliebten Schwester verbrannte. Während die Leiche brannte, flogen statt der Funken Teufel in Gestalt von Gaaza (Vögeln), Sekka,[153] Uracha u. dgl. aus dem Scheiterhaufen hervor und verbreiteten sich über die ganze Welt.


  • Literatur: Globus 71, 92 f. Über den hier zugrunde liegenden Glauben an den Menschentiger vgl. Groot, Bijdragen tot de Taal-Land-en Volkenkunde van Ned.-India, 6. Volgr., deel 5.

Sehr wichtig und für die Erkenntnis, daß die folgenden amerikanischen Sagen aus Asien entlehnt sind, entscheidend ist der einzelne Zug, daß die Laus auf die Zunge gelegt und die Zunge dann ausgerissen wird. Diese Einzelheit kehrt in Amerika des öfteren wieder (vgl. S. 29 u. Kap. 10: Tiere, die die Sprache verloren haben).


2. Sage der Aino.


Ein großes, einäugiges, menschenfressendes Ungeheu er wird von einem Jäger, der es ins Auge – die einzige verwundbare Stelle – trifft, getötet. Er verbrennt es und zerstreut die Asche in den Wind. Daraus entstehen Mücken, Fliegen, Moskitos.


  • Literatur: Journ. of Am. Folklore 7, 31.

3. Verwandte Sage aus Samoa. [Ohne Naturdeutung am Schluß.]


Tafitopua und Ogapua hatten zwei Kinder: Laupanini und Laupanana. Das Ehepaar war gewohnt, Taropflanzungen anzulegen und mit der Fackel zu fischen. Eines Tages nun sprachen die Eltern der Knaben: »Freunde, kommt und paßt gut auf in unserem Hause, daß ihr nicht alles in Unordnung bringt, oder die Rosenäpfel pflückt, oder das Wasser aufrührt; wisset, sonst geht es euch schlecht.« Darauf ging das Ehepaar arbeiten, während die Knaben im Hause blieben. Alsbald begannen die Knaben die Rosenäpfel zu pflücken und alles kleinzuschlagen im Hause und das Wasser aufzurühren; sie gehorchten nicht den Befehlen ihrer Eltern. Als die Alten herabkamen, war alles geschehen, was sie verboten hatten. Da gingen alsbald der Greis und die alte Frau, und jedes schlug einen der Knaben auf den Hintern.

Da liefen die Knaben im Ärger fort und wandten sich an den Ort, wo der Tulivaepupula war. Die Knaben sagten: »Es ist gut, wenn wir beide von dem Dämon gefressen werden, weil wir von unseren Eltern geschlagen worden sind.« So liefen sie in der Richtung des Hauses des Dämons. Aber ihre Eltern weinten sehr und liefen hinter ihnen her. Der Klagegesang der Eltern der Knaben:


»Laupanini und Laupanana,

Kehrt doch zurück, kehrt doch zurück!

Eßt von den Fischen vom Fackelfang

Und Taro von der Pflanzung.«


Und auch die Knaben sangen:


»Tafitopua und Ogapua,

Kehrt doch um, kehrt doch um,

Wir wollen zu Tulivaepupula gehen,

Wir sind gerade zusammen ein Mundvoll.«


Aber die Eltern schlugen ihre Köpfe mit Stäben vom Wege und weinten fortwährend. Denn die Knaben kehrten nicht zurück, sie gingen weiter. Darauf kamen die Knaben zu dem Hause des Dämons. (Vgl. »Hänsel und Gretel«.) Der Dämon sprach: »Freunde, wohin geht ihr beide denn?« Die Knaben antworteten: »Wir kommen zu dir; bitte, sage uns, womit wir dir dienen[154] können.« Da sprach der Häuptling: »Kommt und laust mir den Kopf.« Der Kopf des Häuptlings, ach, war der verlaust! Und deshalb machten sich die Knaben daran, zu lausen. Und so lausten sie ihn und füllten eine Holzschüssel nach der anderen, weil gar so viele Läuse auf dem Kopf des Häuptlings waren. Bald kam die Stunde, da der Dämon trinken wollte, und er sprach: »Gehe einer und steige auf die Kokospalme und pflücke eine Nuß, denn ich will trinken.« Darauf ging der jüngere Knabe und stieg auf die Palme und kletterte fortwährend, aber die Palme wuchs zugleich. Da rief der Knabe hinab: »Ach, von der Palme hier kann man ja nicht pflücken, denn wenn ich greife, um zu pflücken, wächst sie.« Da rief der Dämon hinauf: »Greife nur zu!« Da griff der Knabe und pflückte die Nuß. Darauf ging er hinab. Darauf spaltete er die Nußhülse, schlug ein Loch in die Nuß und brachte sie dem Dämon. Darauf sprach der Dämon: »Trinkt zuerst ihr beide, ich will nachher trinken.« Da sprachen die Knaben: »Wahrscheinlich reicht es nicht, weil die Nuß recht klein ist.« Da sprach der Dämon: »Trinket immerhin, vielleicht ist es doch genug für euch.«

Darauf tranken die Knaben und tranken, und das Nußwasser schwoll an, sie konnten es nicht leeren. Da sprachen die Knaben: »Verzeihe, wir können die Nuß nicht austrinken.« Da sprach der Dämon: »Gebt sie mir, ich will sie leeren.« Da trank der Dämon, und jetzt erst wurde sie leer. Die Beschäftigung der Knaben war alle Tage das Lausen des Dämons.

Es sannen nun die Knaben auf ein Mittel, um ihr Leben zu erhalten; denn sie hatten Furcht, weil der Dämon stets ihre Handflächen prüfte, ob sie fett wären, um sie zu fressen. (Vgl. »Hänsel und Gretel«.) Eines Tages nun sprach der ältere Knabe zum Dämon: »Häuptling, willst du einmal fai'ai essen?« Da sprach der Dämon: »Häuptling, gehe und mach mir ein Gericht fai'ai, daß ich es koste, ob es gut ist; ich kenne diese Sache gar nicht, ob sie gut ist.«

Darauf ging der Knabe und machte das Essen. Er nahm es aus dem Ofen, damit es der Dämon esse. Da sprach der Dämon folgende Worte: »Häuptling, das ist ja etwas wirklich Gutes! Wie macht man das? Ich will es wissen, wie man das fai'ai macht.« Darauf sprach der Knabe: »Komm, ich will dir zeigen, wie man fai'ai macht.«

Darauf ging der Knabe mit dem Dämon und zündete den Ofen an; und der Knabe sprach: »Häuptling, wenn die Steine des Ofens ausgebreitet sind, dann steige hinein, darin will ich dich mit Blättern bedecken. Wenn ich dann höre, daß es heiß ist, dann weiß ich, daß das faf'ai fertig ist.« Da sprach der Dämon: »Gut.« Und so machten sie es nun.

Der Dämon stieg in den Ofen, als die Steine ausgebreitet waren, und dann deckte ihn der Knabe zu. (Vgl. »Hänsel und Gretel«.) Aber der Dämon schrie herauf: »Freund, ich brenne an.« Da sprach der Knabe: »Harre aus und sei stark, es dauert nicht mehr lange, bis wir das fai'ai haben.« Darauf liefen die Knaben davon. Der Dämon sang fortwährend: »Freunde, kommt her, nehmt mich heraus, mein Körper bratet ja in der Haut.« Darauf sprang er aus dem Ofen heraus, aber die Knaben waren nicht da. Da lief er und jagte sie, aber die Knaben waren weggegangen und hatten den Berg erreicht. Dort schlugen sie Purzelbäume und stellten sich auf die Spitze des Berges. Dort blieben sie und bauten sich ein Haus.

Aber auch der Dämon ging vorwärts und erreichte den Berg. Aber er konnte nicht hinaufgehen, er baute sein Haus unten und legte eine Pflanzung an, um die Knaben damit zu fangen. Dort hatte er gelbe reife Bananen und eine Taropflanzung.

[155] Die Knaben kamen aber während der Nacht herunter und schlugen den Dämon tot. Darauf blieben sie im Hause des Dämons und aßen seine Sachen.


  • Literatur: Krämer, Die Samoainseln 1, 143.

4. Eine Sage der Korjaken, die zwar nicht mit der Entstehung des Ungeziefers endigt, aber wie so manche andere als Vorbild für eine Indianersage gedient hat, siehe unten S. 162 (Sage der Kootenay). Für den Nachweis, daß die amerikanischen Erzählungen vom verbrannten Unhold asiatischen Ursprungs sind, ist sie beachtenswert.


5. In einer mir unzugänglichen altaischen Erzählung (O. Landyšev im Pravoslavnyj Lobesědnik 1886, März 23), entsteht Ungeziefer aus einem zerstückelten Körper.


6. Ebenso in einer Sage der Jukagiren (Jochelson, S. 49).


7. Sage der Tschuwaschen.


Keremét, der Sohn des Himmelsgottes, wanderte durch die Welt, indem er den Menschen jegliche Wohlfahrt und Erfolge verlieh. Doch durch die Anschläge Schoitans ergriffen ihn die Menschen einst auf der Wanderung und töteten ihn. Um diese Missetat vor dem Vater des Ermordeten zu verbergen, verbrannten sie seinen Leichnam und zerstreuten die Asche in die Winde. Der Getötete war aber deshalb nicht verloren. Wo diese Asche auf die Erde fiel, da wuchsen Bäume, und mit die sen zugleich wurde Keremét wieder zum Leben gebracht, aber nicht als ein Wesen wie früher, sondern in sehr großer Zahl, so daß es jetzt in jedem Dorfe, je nach dessen Größe, einen, zwei, ja auch drei Kereméts gibt. Auch war Keremét nun nicht mehr der wohltätige Sohn des Obergottes wie früher. Die von den Menschen ihm zugefügte Missetat rächt er nun unablässig dadurch, daß er sowohl Seelenleiden als Körperqualen über sie sendet und ihren Herden Böses zufügt (Schoitan selbst, der Urheber des Bösen, ist bei den Tschuwaschen in Vergessenheit geraten1.


  • Literatur: Ahlquist, Bulletin de la classe des sciences historiques, philologiques et politiques de l'académie impériale des sciences de Saint-Pétersbourg 14, 152 (1857).

8. Sagen der Jakuten.


a) Motiv aus einem Märchen von der untergeschobenen Braut: diese, eine Teufelin, wird entlarvt und von einem Roß zu Tode geschleift. Ihr Körper und ihr Blut verwandeln sich in Würmer und Ungeziefer.


  • Literatur: Chudjakov, Verchojanskij Sbornik S. 86.

b) Motiv aus einem Brüdermärchen: ein Teufel hat den älteren Bruder lebendig verschlungen; der Jüngere öffnet des Teufels Bauch und befreit seinen Bruder. Dann verbrennt er den Teufel, sammelt die Knochen, zermahlt sie und streut sie in das Meer; dann reißt er einen Baum mit der Wurzel aus und rührt das Ganze um: es entstehen Würmer und Ungeziefer.


  • Literatur: Ebd. S. 106 f.

c) Motiv: Kampf mit einem Teufel. Episode in einem abenteuerreichen Brautgewinnungsmärchen. Es entstehen Frösche, Schildkröten, Wasserkäfer, Würmer, Ungeziefer und leben bis auf den heutigen Tag.


  • Literatur: Ebd. S. 124.

[156] d) [Der Riese Är-sogholoch, der Stammvater der Jakuten, rettet die jüngste Tochter Charachchan's vor dem Schicksal, die Gattin des teuflischen Būra-dochsun zu werden, der sie unter furchtbaren Drohungen für sich fordert und die Viehherden Charachchan's zu einem Drittel verschlingt.2 Das Ende des Zweikampfes ist folgendes:] Är-sogholoch warf sich um den Leib Būra-dochsun's, wo er am dünnsten war, und schleuderte ihn sieben Faden tief in die Erde, so daß das Weltall erbebte. Hierauf trat er ihm den Kopf weg, schlitzte ihm mit einem stählernen Messer den Leib auf, riß ihm die Leber mit dem Herzen heraus, zerstückelte beide und zerstreute sie in alle vier Winde. Nur eine Spitze vom Herzen blieb übrig, wandelte sich in einen schwarzen Raben um und verschwand plötzlich mit den Worten: »Ich werde nicht aufhören ein böser Geist zu sein« in die Erde. [Darauf verbrennt Charachchan's Gefolge den toten Būra-dochsun und zerstreut dessen Asche in alle Welt. Charachchan gibt dem Är-sogholoch seine jüngste Tochter zur Frau. Är-sogholoch kehrt in sein Land heim und findet, daß sein weißes und schwarzes Vieh, sein fliegendes und laufendes Wild sich inzwischen um das Doppelte vermehrt hat]. Infolge der Worte, die jener Rabe – die verwandelte Herzspitze Būra-dochsuns – gesprochen hat, wird noch heute das weiße und schwarze Vieh, das fliegende und laufende Wild, die Nachkommen von Är-sogholoch's Besitztum, bisweilen von einer Pest und dann und wann von einer Seuche befallen, oder es erhängt sich an einem Zweige oder spießt sich an einem Baume auf und findet so seinen Tod.


  • Literatur: Middendorf, Reise in den äußersten Norden u. Osten Sibiriens 3 (Über die Sprache der Jakuten) 1. 7, S. 94.

e) Entstehung von Vögeln durch Zerstückeln eines großen Vogels: Chudjakov, Verchojanskij Sbornik, S. 239. Vgl. Živaja Starina 3, 176. [Siehe Nachträge.]


9. Sage der Burjaten.3


Geser-Chan, hier von den Burjaten Abaj-Gecher Bogdo Chan genannt, wird als Sohn der Jungfrau Tebek-Hogon-Abachaj geboren ... Der Gal-Dölmö-Chan4 schickt eine Biene aus von der Größe eines dreijährigen Ochsen und sagt: »Im Körper des neugeborenen Kindes ist das Fleisch noch weich, und die Knochen im Körper sind knorpelig; geh, sauge das Hirn aus dem Kopf!« Das Kind weiß infolge seines tiefen Verstandes, daß die Biene ausgesendet ist, und legt sich die Schlinge Tor-Sagan mit den dreißig Knoten bereit. Die Biene kommt um Mitternacht und verwickelt sich in der Schlinge. Da springt das Kind auf und sagt:[157] »Wenn du mit deiner Größe herumfliegen wolltest, wirst du auf dieser Erde nichts übrig lassen!« Nach diesen Worten zerspaltet das Kind mit dem weißen Stein Erdeni die Biene in kleine Stücke; diese Stücke flogen als Bienen davon. Darauf legt sich das Kind wieder an den früheren Platz, schreit und sagt: »Eine Nacht habe ich genächtigt, einen Feind habe ich besiegt!« [Beim zweiten Mal wird die Schlange Abarga geschickt, die die Größe einer Tonne hat. Es wiederholt sich genau das Gleiche, und die einzelnen Stücke des Tieres kriechen als kleine Schlangen nach allen Seiten auseinander. – Beim dritten Mal kommt die Wespe (oder in Varianten ein Käfer), deren einzelne Stückchen als kleine Wespen nach allen Richtungen davonfliegen.]


  • Literatur: Potanin, Okraïna 2, 66.

10. Aus dem Mahabharata (V, VIII, 39 ff.).


Durch Indras Blitz wird Triśiras (»Dreikopf«, ein Asura, dem griechischen Titanen entsprechend) getötet. Aus dessen drei Köpfen fliegen Haselhühner, Rebhühner und Sperlinge (Str. 42 werden außer den Sperlingen auch noch die Falken genannt). Indra tötet auch noch einen anderen Asura Vrtra, aus dessen Blut entstehen die. Hähne (Mahabh. XII, CCLXXXI, 58). Nach dem Bhâgavata Purâna (übs. von Bournouf 3, 577 ff.) wird jeder der drei Köpfe des Triśira ein Vogel und fliegt davon (vgl. Revue de l'hist. des religions 14, 295. 299). Da in den Varianten 1 und 9 ebenfalls Vögel entstehen, so ist wohl der Schluß gerechtfertigt, daß wir im Mahabharata eine verwandte Sage, vielleicht deren Urform besitzen.

Fußnoten

1 Keremetj ist nach Pawlowsky, Russ.-Deutsches Wörterbuch8 1900, 542 der böse Geist bei Čuvašen und Čeremisen.


2 Er selbst schildert sich so: Die Hölle ist mein Reich, schwarze Asche mein Land, rote Kohle mein Haus, mein Sommer ist heißer als Feuer, geglühter Stein ist meine Speise, Feuerflamme mein Getränk; ich habe einen unsterblichen Atem, einen unverbrennbaren Körper, eiserne Männer in beliebiger Anzahl ohne Hände und Füße, mit scharfen Hörnern und gespitzten Schwänzen, Ich erzeuge Tod, mehre das Elend und bereite Unglück (S. 92).


3 Episode aus dem Sagenkreis von Geser-Chan, auf den hier nur hingewiesen werden kann. Um dessen ganze Geschichte zu erzählen, würde man nach Potanin 2, 115 neun Tage und neun Nächte brauchen. Dafür würde man freilich mit einem herrlich gesattelten Roß belohnt werden, das sich vom Himmel herabläßt. Einem Burjaten ist es fast geglückt, aber irgend eine Kleinigkeit hatte er vergessen, da erhob sich das Boß wieder in die Lüfte.


4 Gal = Feuer, Dölmö (von dölön Flamme) = Feuer: der flammende Chan.

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 158.
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