I. Aus Ceylon.

[27] Wir beginnen mit zwei Formen aus Ceylon, die freilich einen wesentlichen Unterschied von der alten Quelle aufweisen. Statt der sinnlichen Gier ist feindliche Bedrohung die Ursache des Anklebens.


1. Das Pāli-Jātaka Pañcāvudha (Nr. 55).


Vor Zeiten, als in Benares Brahmadatta regierte, ward der Bōdhisatta [Sskt. Bōdhisattva = der künftige Buddha] im Schöße der Hauptgemahlin desselben wiedergeboren. Am Tage seiner Namengebung schenkten die [Eltern] achthundert Brahmanen, was ihr Herz begehrte, und fragten sie nach den Körperzeichen [des[27] Prinzen]. Als die der Körperzeichen kundigen Brahmanen sahen, daß er glückliche Körperzeichen besaß, erklärten sie: »Der Prinz, o Großkönig, ist im Besitze [in der vorigen Existenz getaner] guter Werke; darum wird er nach deinem Tode die Königsherrschaft erlangen und bekannt durch seine [meisterhafte] Handhabung der fünf Waffen1 (Pañcāvudha, Sskt. Pañcāvudha), wird er berühmt und auf der Jambū-Insel2 der größte [mächtigste] Mann werden.« Als sie die Rede der Brahmanen gehört hatten und nun einen Namen wählten, gaben sie dem Prinzen den Namen Pañcävudha [»fünfwaffig«]. Nachdem der Prinz verständig geworden war und etwa das 16. Lebensjahr erreicht hatte, redete der König zu ihm und sprach: »Mein Sohn, lerne die [Waffen-]Kunst.« – »Bei wem, Majestät, soll ich sie lernen?« – »Geh, mein Sohn, und lerne sie im Königreich Gandhăra in der Stadt Takkasilā (Sskt. Takkasilā)3 bei dem besten Lehrer der Welt [oder: bei dem weltberühmten Lehrer]; und das gib jenem Lehrer als Lehrgeld.« Mit diesen Worten gab er ihm tausend [Goldstücke] und sandte ihn fort. Der [Prinz] ging hin, lernte die Kunst, nahm die fünf Waffen, welche sein Lehrer ihm schenkte, verabschiedete sich von ihm, verließ die Stadt Takkasilā und machte sich, gerüstet mit seinen fünf Waffen, auf den Weg nach Benares. Unterwegs gelangte er in einen Wald, in welchem der Yakkha4 Silēsalōma (Sskt. Śleṣaloman, wörtlich: »Klebhaar«, d.i. klebendes Haar besitzend) hauste. Als die Leute den [Prinzen] am Eingang des Waldes sahen, suchten sie ihn darum zurückzuhalten: »Geh nicht in diesen Wald, guter Mann. Da drin ist ein Yakkha namens Silēsalōma, der bringt alle Menschen um, sobald er sie nur sieht«. Der Bōdhisatta dachte über sich selbst nach und ging trotzdem wie ein furchtloser Mähnenlöwe in den Wald hinein. Als er in die Mitte des Forstes gekommen war, nahm der Yakkha die Größe einer Fächerpalme an; sein Kopf war so groß wie ein Türmchen, seine Augen so groß wie Blätter [oder: Almosenschalen]. Zwei Reißzähne hatte er sich so groß wie Knollen und Knospen5 gestaltet. Er hatte einen Falkenschnabel, einen gefleckten Bauch, und dunkelblau [oder: schwarz] waren seine Hände und Füße. So zeigte er sich dem Bōdhisatta und rief ihm zu: »Wohin gehst du? Steh! Du bist meine Speise!« Da sagte der Bōdhisatta zu ihm: »Yakkha, ich habe erst über mich selbst nachgedacht, bevor ich hierhereingekommen bin. Sieh dich vor, wenn du auf mich losgehen willst. Mit einem vergifteten Pfeil will ich dich durchbohren und auf der Stelle niederstrecken.« Nach dieser Drohung legte er einen Pfeil auf, der Halāhala6-Gift getrunken hatte, und schoß ihn ab. Dieser aber klebte an den Haaren des Yakkha fest. Da sagte der Prinz: »Einen andern!«, und so schoß er fünfzig Pfeile ab. Aber sie alle klebten nur an seinen Haaren. Der Yakkha schüttelte alle diese Pfeile ab, so daß sie ihm nur vor die Füße fielen, und ging auf den Bōdhisatta los. Da drohte ihm der Bōdhisatta wieder, zog sein Schwert und hieb auf ihn ein. Aber das 33 zöllige Schwert klebte nur an des Yakkha Haaren. Darauf stach er ihn mit seinem Speer; auch dieser klebte nur an den Haaren. Als der Prinz merkte, daß er festklebte, schlug er mit der Keule zu; auch diese klebte nur an den Haaren. Als er[28] merkte, daß sie festklebte, rief er: »He, Yakkha, hast du noch nicht von mir, dem Prinzen Pañcāvudha, gehört? Ich bin in den Wald, in dem du hausest, nicht gegangen, weil ich bei meinem Eintritt über meinen Bogen und meine andern Waffen nachgedacht hätte, sondern nur, nachdem ich über mich nachgedacht hatte. Jetzt will ich dich niederschlagen und zu Staub und Stäubchen zerschmettern.« So zeigte er seinen Entschluß, stieß einen Schlachtruf aus und schlug mit der rechten Hand auf den Yakkha. Aber die Hand blieb nur an den Haaren kleben. Er schlug mit der linken Hand; auch diese blieb kleben. Er schlug mit dem rechten Fuße; auch dieser blieb kleben. Er schlug mit dem linken Fuße; auch dieser blieb kleben. Da schlug er ihn mit dem Kopfe und rief: »Ich will dich zu Staub und Stäubchen zerschmettern!« Auch der Kopf blieb nur an den Haaren kleben.

So fünffach haftend, an fünf Stellen gefesselt hängend, war der [Prinz] noch immer ohne Furcht und Zagen. Da dachte der Yakkha: »Das ist ein Mann- [wie ein] Löwe, ein hervorragender Mann, kein gewöhnlicher Mann. Sogar wenn er von einem Yakkha wie ich gepackt worden ist, wird er nicht einmal zittern. So lange ich [auf] diese[r] Straße [die Wanderer] töte, habe ich noch nie einen solchen Mann gesehen. Woher mag es kommen, daß er sich nicht fürchtet?« Da er es also nicht wagte, ihn zu verzehren, fragte er ihn: »Wie kommt es, Mensch, daß du dich nicht vor dem Tode fürchtest?« – »Aus welchem Grunde, Yakkha, soll ich mich fürchten? In einem Dasein [jeder Existenz] ist ein unvermeidliches Sterben. Außerdem befindet sich in meinem Leibe eine Blitzwaffe.7 Wenn du mich verzehren wolltest, würdest du diese Waffe nicht verdauen können. Sie würde deine Eingeweide Stück für Stück zerschneiden und dein Leben vernichten. So würden wir beide umkommen. Aus diesem Grunde fürchte ich mich nicht.« Dies sagte der Bōdhisatta mit Bezug auf die Waffe des Wissens, die sich in ihm befand. Als der Yakkha das gehört hatte, dachte er: »Dieser Mensch sagt nur, was wahr ist. Mein Bauch würde von dieses Mannlöwen Körper nicht einmal ein Fleischstück verdauen können, welches auch nur so groß wie eine Bohne ist. Ich will ihn loslassen.« Und so, von Todesfurcht geschreckt, ließ er den Bōdhisatta los und sprach zu ihm: »Mensch, du bist ein Mannlöwe. Ich werde dein Fleisch nicht verzehren. Geh jetzt, nachdem du heute aus meiner Hand wie der befreite Mond aus Rāhus8 Rachen befreit worden, und erfreue [durch deine Ankunft] alle deine Verwandten und Freunde!« Da sagte der Bōdhisatta zu ihm: »Yakkha, ich will also gehen. Du aber bist als ein schrecklicher, rothändiger Yakkha wiedergeboren worden, welcher das Fleisch und das Blut anderer verzehrt, weil du schon in einer früheren Existenz Böses getan hast. Wenn du nun hier bleibst und weiter Böses tust, wirst du von Finsternis in Finsternis gehen. Doch von dem Augenblick an, an dem du mich gesehen hast, ist es unmöglich, daß du wieder Böses tust. Die Tat des Mordes veranlaßt eine Wiedergeburt in der Hölle, oder als Tier, oder im Reich der Manen, oder auch in einem Asura9-Leibe [oder: unter der Menge der Asura]. Tritt aber doch Wiedergeburt unter den Menschen ein, so führt [der Mord] zu kurzer Lebensdauer.« In dieser und ähnlicher Weise erläuterte er ihm die schlimmen Folgen der fünf Sünden, die guten Folgen der fünf Tugenden,[29] machte dem Yakkha mit verschiedenen Gründen bange, unterwies ihn in der [buddhistischen] Religion, überzeugte ihn, brachte ihn zur Selbstverleugnung, festigte ihn in den fünf Tugenden, wies ihm als Aufenthalt diesen Wald an und machte ihn darin zu der Gottheit, die zur Entgegennahme von [Speise-]Opfern berechtigt war, ermahnte ihn sorgfältig, verließ den Wald, berichtete [alles] am Waldessaum den Leuten, ging mit seinen fünf Waffen gerüstet nach Benares, sah dort Mutter und Vater, ward später in das Reich [als König] eingesetzt, führte pflichtgemäß seine Herrschaft, spendete Almosen und tat andere gute Werke und ging-[schließlich nach seinem Tode] an den Ort, den ihm seine Taten bestimmt hatten.


  • Literatur: Die Übersetzung verdanke ich wiederum der Güte des Herrn Joh. Hertel.

2. Aus dem Tale des Indus.


... Der Bauer (farmer) machte eine Wachspuppe in der Größe eines kleinen Kindes, legte sie in ein Grab, bedeckte sie mit Blättern und legte sich in den Hinterhalt. Nach Sonnenuntergang kam der Schakal des Weges, sah, daß die Erde zerwühlt war, und sagte sich: »Hier haben sie einen begraben.« Darauf kratzte er die Erde weg. Allmählich blieb eine seiner Pfoten im Wachs stecken, und er konnte sie nicht wieder frei bekommen...


  • Literatur: Indian Antiquary 29, 400.

Dieser Stoff ist gleich manchem andern indischen Stoffe nach Afrika gewandert, wo er bei so manchen unterhaltungsbedürftigen und für Humor empfänglichen Negern Heimatsrecht gewann. Von da zog er mit dem Sklavenhandel nach Amerika und setzte sich auch unter den Indianern fest. Auch über die Beringsstraße scheint er in den neuen Erdteil gewandert zu sein. So viele Veränderungen er im einzelnen dabei erlitt, der Angreifer zeigt im wesentlichen immer das gleiche Verhalten. Auch die alte Sinnlichkeit, die in den vorigen beiden Varianten verschwunden war, bleibt ihm vielfach erhalten. Verändert ist dagegen die Verwechslung des Erdharzes mit dem Wasser und die Allegorie, daß das Erdharz den Weibern und der Durst dem Gelüst nach ihnen gleiche. Das Bedürfnis nach konkreter Anschauung schuf ein geschnitztes, mit Harz oder Teer beschmiertes Mädchenbild, das die Begierde eines Tieres wachruft. Ganz klar ist freilich das Motiv der Sinnlichkeit selten (vgl. besonders das Märchen aus Angola, wo Hase und Affe förmlich um das Mädchen werben, und das Indianermärchen, wo der Nerz die harzige Fichte heiratet). Es wurde verdunkelt und mußte verdunkelt werden, als ein neues Motiv in die Handlung hineinkam, nämlich dies, daß das später anklebende Tier zur Strafe für ein Vergehen gefangen werden soll. Nunmehr ahnt das Tier eine Gefahr, es glaubt sich beobachtet und fährt auf den scheinbaren Feind los, der da so schweigsam und regungslos dasteht. Indes scheint die Figur des Hasen, der nicht minder sinnlich ist als der Affe, auf Zusammenhang mit dem alten Motiv hinzuweisen. Bemerkenswert ist, daß der Affe bei Hēmacandra Wasser zur Stillung seines Durstes sucht und daß in afrikanischen Fassungen die Tiere einen Brunnen graben. Anstatt eines gut verbindenden Motives genügte später die rein[30] äußerliche Zusammenstellung von Teerpuppe und Brunnen. Weitere Unterschiede beruhen auf Hinzufügung neuer Motive. So ist im folgenden Märchen die Spinne als das zauberkundige dämonische Wesen dargestellt, als das sie im mittleren Westafrika allgemein angesehen wird. Das nötigte zu besonderer Ausgestaltung der Geschichte.

Fußnoten

1 Schwert, Speer, Bogen, Keule, Schild.


2 Der mittelste Kontinent, dessen Südspitze Indien bildet und in dessen Mitte ein großer Jambū-(Rosenapfel-)Baum steht.


3 Das Τάξιλα der Griechen.


4 Sskt. Yakṣa, eine Art niederer Gottheiten, die meist den Menschen feindlich sind.


5 Text richtig? Die Form der Zähne wird auch im Sanskrit mit Knospen verglichen.


6 Das stärkste Gift des Todes.


7 Der Blitzstrahl ist Indras Waffe. Er gilt als fest wie Diamant.


8 Der Dämon, welcher Sonne und Mond verfolgt und sie verschlingt, wodurch die Finsternisse entstehen. Die betreffende Sage wird in den »Indischen Natursagen« gebracht werden.


9 Böse Dämonen.


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 31.
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