A. Das Dokument geht dem Abgesandten verloren.

[129] Eine Reihe von Überlieferungen hat die alte Fabel von der Aussendung einer Gesandtschaft, die eine Verbesserung des Hundedaseins, insbesondere der Nahrung, erzielen soll, in selbständiger, isolierter Ausgestaltung bewahrt. Die Ätiologie bezieht sich in diesen Fassungen in der Regel auf das gegenseitige Beschnüffeln der Hunde, das sich bereits bei Phaedrus 4, 18 findet, und meist ist auch das alte, schon von Montanus benutzte Motiv des Flußüberganges bewahrt. Woher dieses stammt, läßt sich mit aller Bestimmtheit nicht sagen. Möglich wäre, daß es in Anlehnung an den fleischtragenden gierigen Hund1 entstanden ist, der beim Flußübergang auf sein Spiegelbild losschnappt und dabei seine Beute verliert. Für diese Auffassung spricht die unten abgedruckte Variante aus Westfalen aus Wolfs Zeitschrift für deutsche Mythologie 1, 460. Hier ist die Verkettung mit der griechischen Fabel sehr deutlich zu erkennen, denn die Situation ist im wesentlichen die gleiche geblieben, und nur die flüchtigere Motivierung hat sich wie so oft gewandelt. Der Hund[129] schnappt hier nicht mehr nach dem Spiegelbild, um dem vermeintlichen Genossen das Fleisch zu entreißen, sondern er begrüßt ihn wedelnd als den lieben Vetter und verliert dadurch die unter den Schwanz gesteckte Urkunde.

1. Wir beginnen die Reihe der volkstümlichen Aufzeichnungen mit einer rumänischen Variante, die den Hergang schlicht und getreu berichtet.


Die Hunde beklagen sich, bei Gott, daß sie von ihren Herren nur Knochen bekämen. Gott verfaßte deshalb einen Befehl, demzufolge die Hunde auch Fleisch bekommen sollten. Der Abgesandte der Hunde klemmte das Schriftstück unter den Schwanz, verlor es aber beim Durchschwimmen eines Flusses, und seitdem beschnüffeln sich die Hunde am Schwänze, weil sie meinen, der Brief sei dort noch zu finden. Weil diese Verordnung verloren gegangen ist, müssen die Hunde immer noch mit Knochen fürlieb nehmen.


  • Literatur: Papahagi, Liter, popor. Aromînilor p. 766.

2. Aus Mecklenburg.


a) De Hunn' up de Insel Poel hebben früher dat Recht hatt, dat se in jede Woch eenmal Fleisch kregen. Dit Recht is ehr naher afnahmen worden. Dor hebben se Prozeß führt up 't Kloster Redentin un hebben ok Recht krägen. Dat Protokoll, wat dor œwer upnahmen is, hebben se den gröttsten Hund achter 'n Stiert klemmt. As se nu na Poel trügg willen, is unnerdes dat Water so hooch worden, dor hett de groot Hund den Stiert hooch krägen, un dorbi hett he dat Protokoll verluren. Dorüm rüken sik de Hunn' hüüt noch ümmer achter'n Swanz; se willn ümmer tosehn, ob de anner nich dat Protokoll noch hett.

b) De Hunn' sünd eens dörch 'n groot Water swemmt, un dorbi hebben se den Paß verloren. Siet dee Tiet gähn frömd' Hunn' nie dörch 'n Dörp dörch, se gähn ümmer um rüm – wiel se den Paß nich vörwisen kœnen.


  • Literatur: Wossidlo, Aus dem Lande Fritz Reuters S. 160.

Zu dieser prächtigen, charakteristischen und humorvollen Deutung ist mir eine Parallele nicht bekannt geworden; sie dürfte aus ureigenster mecklenburgischer Erfindung stammen.


3. Aus Pommern.


Den Hunden mißfiel es, daß sie von den Menschen stets und ständig nur Abfälle und trockenes Brot zur Nahrung erhielten. Um Abhilfe zu schaffen, berief man eine große Hundeversammlung, auf der eine Beschwerdeschrift aufgesetzt wurde, die an den Bürgermeister von Paris gerichtet war.

Da allen die Sache sehr am Herzen lag und schleunige Abhilfe des Übelstandes sehnlich verlangt wurde, so wählte man den schnellsten Läufer zum Überbringer des Briefes. Weil er jedoch den Zettel nicht den ganzen Weg über im Maule tragen konnte, so mußte er den Schwanz einziehen, und man klemmte ihm das Blatt zwischen Schwanz und Schenkel ein. Sodann lief er seines Weges dahin und kam dabei an ein kleines Wasser, über das weder Weg noch Steg führte.

Was war da zu machen? Hinüber mußte er; er sprang also hinein und schwamm auf die andere Seite. Aber während des Schwimmens streckte sich der eingezogene Schwanz in die Höhe, der Zettel wurde von dem Wasser mit fortgerissen, und als[130] der Hund den Schaden merkte, war längst keine Spur mehr von dem Schreiben zu sehen. Da war es natürlich mit der Pariser Reise zu Ende; aber auch zu den Seinen zurückzukehren wagte der unachtsame Bote nicht, weil er Schande und Strafe fürchtete. Er blieb also in der Gegend, in der ihm sein Unglück zugestoßen war, zurück und fristete dort sein Leben, ohne den anderen Hunden irgendwelche Nachricht zukommen zu lassen.

Diese warten darum noch heutiges Tages auf die Rückkehr ihres Eilboten von Paris, und wenn sie irgendeinen fremden Hund erblicken, so eilen sie auf ihn zu, gucken ihm unter den Schwanz und besehen ihm dort seinen Paß.


  • Literatur: Ulrich Jahn, Volkssagen aus Pommern und Rügen S. 452 Nr. 568. Mündlich aus Kratzig, Kreis Fürstentum.

4. Aus Niedersachsen.


In alten Zeiten war vieles anders als heutzutage. Damals bekamen die Hunde das Fleisch, die Menschen die Knochen.

Das gefiel den Hunden ganz gut, nicht aber den Men schen. Sie drehten die Sache um und überließen den Hunden bloß die Knochen. Jene wollten aber den alten Zustand wieder haben. Sie gaben gute Worte, sie baten in höflicher und ordentlicher Weise, es nützte ihnen nichts. Wenn man bittet, soll man nicht zu demütig sein. Darauf versuchten sie durch Bellen und Heulen ihr altes recht wieder zu erhalten. Doch wenn man mal sein gutes Recht mit scharfen Worten fordert, bekommt man erst recht nichts. So ging es den Hunden auch. Es blieb den Vierfüßlern nichts anderes übrig, als einen Prozeß gegen die ungerechten und hartherzigen Menschen anzustrengen. Vor Gericht bekamen sie Recht, die Menschen könnten die Knochen für sich behalten. Ja sogar schriftlich bekamen sie es mit, damit sie, wenn es nötig werden sollte, es schwarz auf weiß vorweisen könnten. Wie freuten sich die Tiere, wenn sie bloß an die Zukunft dachten! – Auf dem Nachhausewege kamen sie an ein großes Wasser, das tüchtig brauste. Kein Steg, keine Brücke war mehr zu finden. Da gab's keinen anderen Ausweg, als durch das Wasser zu schwimmen. Das wäre ganz gut gegangen, wenn sie das Papier nicht gehabt hätten. Ein kleiner Hund kam auf einen schlauen Gedanken, der sie noch retten konnte. Die ganzen Akten wollten sie einem großen Hunde unter den Schwanz binden und dann durchschwimmen. Gesagt, getan! Hinein ging's ins Wasser, aber der Strom war so heftig, daß sie knapp hinüber konnten. Am anderen Ufer fanden sie von den wichtigen Akten nichts, nicht einmal den Bindfaden konnten sie finden, mit dem sie sie festgebunden hatten. Sie liefen hin und her, sie suchten überall, nichts zu sehen. Große Trauer befiel nun alle Hunde, denn was sie befürchteten, traf ein – die bösen Menschen nahmen für sich das Fleisch und speisten die Vierfüßler mit Knochen ab. Und darum suchen sie noch heutigen Tages das Papier; wenn zwei Hunde zusammen sind, sehen sie zu, ob nicht doch noch einer die Akten unterm Schwanz hat, damit sie sich bessere Tage erzwingen können.


  • Literatur: Plattdeutsch erzählt in Niedersachsen, Jahrg. 14. 1908/09. Heft 4.

5. Aus Westfalen.


Ist mal ein Bauer mit seinem Hunde auf die Jagd gegangen. Da haben sie ein wildes Schwein erlegt. Als es ans Teilen geht, behält der Bauer das Fleisch für sich und gibt dem Hunde die Knochen. Dieser, darob höchlich aufgebracht, geht hin und berät sich mit seinesgleichen, was zu tun sei. Da sind denn die Hunde hergekommen und haben Klage eingelegt gegen den Bauer. »Unser Herrgott,«[131] hat ihr Bevollmächtigter gesagt, »hat den Hund mehr zum Fleischessen gemacht als den Bauer.«2 Da hat das Gericht einen weisen Mann kommen lassen, daß er sein Gutachten in der Sache gebe. Der hat gesagt: »Bauer, tu deinen Mund auf!« und des Landmanns Zähne besehen. Dann hat er gesagt: »Hund, mach' dein Maul auf!« und hat auch des Hundes Gebiß beschaut. Darnach tut er den Spruch: »Der Hund ist im Recht!«

Ist nun dem Hunde auf ein Stücklein Haut das Urteil geschrieben, er habe ein größeres Recht zum Fleischessen als der Bauer, und hat man solches mit einer bleiernen Bulle wohl versehen, dem Kläger übergeben. Der hat alsbald die kostbare Urkunde unter den Schwanz gesteckt, diesen eingekniffen und sich eilends auf die Heimfahrt gemacht. An einen Fluß gekommen, sieht er beim Überschwimmen sein Bild im Wasser3, hält's für den lieben Vetter und beeilt sich, diesem die gute Mär mitzuteilen. Aber nach Hundesart bewegt er freudig den Schwanz, und plumps! fällt die Urkunde in die Tiefe. O weh! sagt er und stürzt sich ihr nach, um sie wieder zu suchen. Doch im Untertauchen wenig erfahren, ist er ertrunken.

Den Hunden war indes von dem günstigen Urteil ein dunkles Gerücht zu Ohren gekommen, und so hoffen sie noch immer den wiederzufinden, der es unter dem Schwänze trägt. Wenn daher ein fremder kommt, ist das erste, was sie tun, ihn hinten zu beschnüffeln.


  • Literatur: Wolfs Zeitschr. f. deutsche Mythol. I, 460 = Kuhn, Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen II, 237 f. Eine freie Bearbeitung dieser Variante findet sich in H Wettes »Spökenkiker« S. 38 (Das verlorene Urteil), Leipzig 1907.

6. Vlämische Varianten.


a) In alten Zeiten bekamen die Hunde ebensoviel Fleisch zu essen wie die Menschen, aber auf die Dauer behielten diese das Fleisch allein für sich selbst und gaben den Hunden nichts anderes mehr als bloß die Knochen. Das nahmen die Hunde übel, steckten die Köpfe zusammen und beratschlagten, was sie nun zu tun hätten. Man beschloß eine Petition an Jupiter zu richten, und ein Hund erhielt den Auftrag, sich mit ihr sofort auf den Weg zu machen. Doch weil es eine weite Reise war, wollte er noch vorher in die Hundeküche gehen und sich das Bäuchlein füllen, da ließ er aber aus Versehen seine Peti tion in ein Gefäß voll Suppe fallen. Hastig schnappte er das Stück Papier wieder auf und – schluckte es hinunter.

Seit der Zeit können zwei Hunde nicht zusammenkommen, ohne daß sie einander unterm Schwanz beriechen, um zu wissen, ob sie nicht vielleicht den unglücklichen Boten vor sich haben. [Denderleeuw, Wambeek, Tienen und Umgegend.]


  • Literatur: Volkskunde, 8, 106 = Mont en Cock, Vlaamsche Vertelsels S. 434, II.

b) In alten Zeiten konnten die Hunde so gut sprechen wie die Menschen, aber diese sahen das nicht günstig an und verlangten von Jupiter, er solle die Hunde der Sprache berauben. Da zog ein Hund mit einer Petition zu Jupiter, der auf einer Insel lebte. Er trug die Petition im Maul, durch die Bewegungen des Tieres gelangte das Papier in die Kehle und wurde vom Hunde verschluckt.

Seit der Zeit laufen die Hunde einander nach und riechen einer dem andern am Hintern, um den unglücklichen Boten ausfindig zu machen. [Aus Tienen.]


  • Literatur: Volkskunde 2, 65 = Mont en Cock S. 434, III.

[132] 7. Aus der belgischen Provinz Hainaut.


a) Zu der Zeit, als der liebe Gott noch auf Erden war, leistete ihm ein Hund einen großen Dienst. Um seine Erkenntlichkeit zu beweisen, verlieh der liebe Gott den Hunden das Recht, alle Tage Fleisch zu fressen. Dieses Recht wurde durch eine Urkunde bestätigt. Wie es nun kam, erfuhr man niemals; aber es geschah, daß eines schönen Tages die Urkunde verschwand. Daher kommt es, daß jedesmal wenn ein Hund einem andern begegnet, sie sich fragen: »Hast du die Urkunde gesehen?« Und wenig befriedigt über die Antwort, die er erhält, sucht sich jeder durch den Gesichts- und Geruchssinn zu versichern, ob sein Genosse ihn nicht getäuscht habe.4


  • Literatur: Sébillot, Folklore III, 76. Revue des trad. pop. 3, 97.

b) Es war zu der Zeit, als die Hunde das Fleisch aßen und die Menschen die Knochen. Die Menschen, überdrüssig die Knochen abzunagen, begannen das Fleisch mit Begierde zu essen und ließen die Knochen den Hunden. Diese, unzufrieden über den Schaden, der ihnen zugefügt wurde, vereinigten sich, berieten über die Lage und setzten eine Beschwerde an den obersten Richter auf, um ihre unvordenklichen Rechte auf das Fleisch geltend zu machen.

Der König der Hunde wurde beauftragt, die Bittschrift an ihren Bestimmungsort gelangen zu lassen; zum Unglück ließ er das wertvolle Schriftstück in eine Bouillonschüssel fallen.

Die Beschwerde, von Fett durchtränkt, wurde getrocknet. Ein Hund, der vorbeikam, wurde von dem Bouilliongeruch, den das Papier ausströmte, angezogen, ergriff und verschlang sie, ohne daß man jemals ihn erwischen und wiedererkennen konnte. Seitdem pflegen die Hunde, durch ihren König über das Abenteuer in Kenntnis gesetzt, sich zu beriechen, um die betreffende Beschwerde wiederzufinden. [Godarville (Hainaut).]


  • Literatur: Revue des trad. pop. 9, 165.

8. Aus Frankreich.


a) Zur Zeit der Sintflut beschlossen die Hunde, die von hoher Familie waren und Pergamenturkunden besaßen, diese zu retten, und banden sie an den Schwanz des besten Schwimmers der Sippe. Der aber ertrank, und die Adelstitel der Hundefamilie gingen verloren. Aber die Hunde hoffen sie immer noch wiederzufinden. Wenn sich daher zwei Hunde begegnen, beriechen sie sich, um zu sehen, ob sie nicht eine Spur von ihren verschwundenen Urkunden wiederfinden könnten. [Côtes-du-Nord.]


  • Literatur: O. Knoop, Sagen und Erzählungen S. 46 f. Revue des trad. pop. 14, 379. Sébillot, Folklore III, 77.

b) Zur Zeit der Sintflut beschlossen die Hunde, die von vornehmer Herkunft waren und darüber Urkunden besaßen, diese zu retten.

Daher befestigten sie sie am Schwänze des besten Schwimmers aus ihrer Schar; allein er ertrank, und die Adelstitel des Hundegeschlechts gingen verloren.

Trotzdem hoffen die Hunde immer noch sie wiederzufinden. Und darum beriechen die Hunde, wenn sich zwei begegnen, einander unter dem Schwanz, um[133] zu sehen, ob sich nicht von den verlorenen Dokumenten eine Spur wiederfinden lasse. [Matignon.]


  • Literatur: Sébillot, Les joyeuses histoires de Bretagne p. 213. Offenbar identisch mit a.

9. Aus Estland. Die Fassung hat wie Phädrus 4, 18 eine zweimalige Aussendung von Gesandten.


Als Gott die Welt und alle Tiere und Pflanzen geschaffen hatte, bestimmte er auch jedem Tiere die Aufgaben seines Lebens. Die Hunde waren mit ihrem Leben nicht zufrieden. Alle Hunde versammelten sich zu einer Sitzung. Sie beschlossen Gott eine Bittschrift einzureichen, damit er ihnen das Hundeleben erleichtere. Ein schön gewachsener, schnellfüßiger, junger Windhund wurde mit der Bittschrift zu Gott (Wanataat) ausgesandt. Der junge Gesandte war ein hochmütiger, stolzer Hund, Gott ärgerte sich über ihn und verjagte ihn. Die Hunde sahen ihren Fehler ein und schickten nun einen abgelebten, verständigen Schäferhund mit einer neuen Bittschrift. Gott empfing ihn freundlich, las die Bittschrift durch und schrieb den Hunden verschiedene neue leichtere Pflichten auf. Bevor er aber den Schäferhund mit der Freudenbotschaft gehen ließ, nahm Gott eine wohlriechende Salbe, rollte sie zu einer feinen Solle und steckte sie ihm zur Belohnung seines bescheidenen Sinnes unter den Schwanz. Auf dem langen Heimwege verirrte sich der Hund und hat bis heute seine Genossen nicht erreicht. Das alles wurde den übrigen Hunden bekannt.

Deswegen beschnuppern die Hunde einen fremden Hund, sie hoffen immer noch ihren Glücksboten zu finden. [Paternoster-Insel bei Mohn.]


  • Literatur: Aus dem hdschr. Nachlaß von J. Hurt.

10. Aus Litauen.


Sobald zwei Hunde zusammenlaufen, so wittert gleich einer dem andern unterm Schwanz. Das kommt daher. In schweren Kriegszeiten schrieb ein König in höchster Gefahr alle seine Geheimnisse auf, und wo er seinen Schatz vergraben hätte, übergab den Brief einem Hunde, indem er ihm denselben in der Eile unter den Schwanz steckte, damit er ihn ja heimlich seinem Sohne hinbrächte.

Der Hund nahm wohl den Brief mit sich, aber bis heute ist er nicht in die rechten Hände gekommen. Die Hunde suchen noch heute emsig denselben und wittern einer dem andern unterm Schwanz, ob sie ihn bei einem oder beim anderen als dagewesen erschnüffelten.


  • Literatur: Jurkschat I Nr. 17 S. 52.

Ein Vermengen des verblaßten Motivs vom Flußübergang mit der Feindschaft zwischen Hund und Katze finden wir in einer niedersächsischen Aufzeichnung.


11. Vor Zeiten wollten einmal die Hunde keine Knochen mehr fressen und fingen deshalb einen Prozeß mit den Menschen an. Sie versammelten sich und gingen in Masse hin zu einem Advokaten. Als sie unterwegs auf eine Brücke gekommen waren, kamen die Katzen und warfen ihnen die Akten, die sie auf ihren Schwänzen tru gen, ins Wasser. So verloren denn die Hunde ihren Prozeß und müssen noch bis diese Stunde Knochen fressen.

Daher ist die Feindschaft zwischen den Hunden und Katzen entstanden. [Wulften.]


  • Literatur: Schambach und Müller, Niedersächs. Sagen u. Märchen, S. 320.

[134] 12. Schließlich möge sich hier noch eine finnische Sage anreihen, die oben in Band 3, 311 als Nr. 10 nach einer Mitteilung von Prof. K. Krohn abgedruckt ist.


Der Hund klagt wegen seines Futters vor Gericht und erhält als sein Recht, daß ihm die Butter aufs Brot geschmiert werde. Während er nach Hause geht, spricht er vor sich hin: »Butter auf des Hundes Brot«, da tut er aber einen Fall und vergißt den Wortlaut der richterlichen Entscheidung. Allein der Fuchs hat alles gehört und gesehen und ruft dem Hunde zu: »Nichts als die Kruste und verbrannte Knochen.« Der Hund wiederholte jetzt diese Worte, bis er nach Hause kommt; aber sein Futter ist dadurch um nichts besser geworden, und seitdem grollt der Hund dem Fuchs.


Interessant ist hier die Umformung der Sage vom Beschnuppern und ihre Einbeziehung in den Kreis der Fuchsabenteuer, die sich gerade in Finnland einer weiten Verbreitung erfreuen. Wie in allen oben mitgeteilten Varianten verliert der Hund auf dem Heimweg eine wichtige Entscheidung, nur daß sie nicht aufgezeichnet, sondern bloß dem Gedächtnis des Abgesandten anvertraut ist. Wenn der Hund hierauf einen Fall tut und sich auf das wichtige Wort nicht mehr besinnen kann, so darf daran erinnert werden, daß ähnliches in Schwänken vom Bauernjungen berichtet wird, der die aufgetragene Bestellung vergißt.5 Auch hier spielt Wasser nicht selten eine bedeutsame Rolle, indem der Junge der Meinung ist, das vergessene Wort sei ins Wasser gefallen und müsse doch einmal wieder auftauchen. Freilich schließen die hierher gehörenden Fassungen anders als die finnische, denn es findet sich in jenen stets ein Mann, der zufällig das vergessene Wort im Gespräch mit dem Jungen anwendet und es ihm dadurch ins Gedächtnis zurückruft. In der finnischen Fassung dagegen tritt Reineke in der sattsam bekannten Rolle als listiger Widerspieler eines dummen Gegners auf; als welcher sonst meist der Bär erscheint, der hier jedoch des Eingangs wegen den Hund nicht gut ersetzen konnte.

Fußnoten

1 Babrios 79. Vgl. Benfey, Pantschatantra 1, 468. 2, 311, Chauvin 3, 37, Hertel, Hêmacandras Pariśiṣṭaparvan II, 632 und Anm.


2 Vgl. die oldenburgische Fassung oben S. 122.


3 Vgl. die einleitenden Worte zu diesem Abschnitt.


4 Folgendes ›Hundegespräch‹ teilt François Caleau, Trad. de la Gironde p. 72 = Sébillot, Folklore III, 75 aus der Gironde mit: »Comment te portes-tu?« – »Sens mon cul.« – »Tu te portes bien?« – »Sens le mien.«


5 Vgl. Wossidlo, Aus dem Lande Fritz Reuters S. 76 f., Boehm, Lettische Schwanke Nr. 34. In Bd. 1 der Natursagen S. 185 f. ist es der Teufel, vgl. auch 3, 32.


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 135.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon